Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 13.03.2023 - 6 K 1284/21 =
SIS 24 04 29 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
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I. Zwischen den Beteiligten - der
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und dem
Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) - ist
streitig, ob die Klägerin, die in Übereinstimmung mit dem
FA davon ausgeht, im Jahr 2006 (Streitjahr) gemäß §
2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) Organträgerin
der M-GmbH gewesen zu sein, insbesondere eine abweichende
Steuerfestsetzung gemäß § 163 der Abgabenordnung
(AO) im Hinblick auf einen sich aus der Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ergebenden
Direktanspruch auf Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter
Mehrwertsteuer verlangen kann. Der Klägerin wurde ein
Vorsteuerabzug versagt, den sie aufgrund von
„Belastungen“ eines Abnehmers der M-GmbH
in der Annahme geltend gemacht hatte, dass die M-GmbH im Streitjahr
sonstige Leistungen von diesem Abnehmer bezogen hatte. Aufgrund der
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das
Vermögen des Abnehmers im Jahr 2012 verfolgte die
Klägerin ihre hieraus resultierenden
Rückforderungsansprüche gegen den Abnehmer nicht
weiter.
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Die M-GmbH lieferte im Streitjahr an den
Abnehmer Nahrungsmittel zum ermäßigten Steuersatz. Die
M-GmbH leistete entsprechend der mit dem Abnehmer getroffenen
Vereinbarungen aufgrund von
„Belastungen“, die als Empfängerin
die M-GmbH und als Absender den Abnehmer nannten, auch Zahlungen an
den Abnehmer, die als „Kategorienbonus“
oder beispielsweise als „Grundbonus“,
„Umsatzzuwachs“, „umsatzbezogene
Bonusstaffel“,
„Zentralbonus“,
„Potentialbonus“ oder
„Home-Shopping“ bezeichnet wurden. Die
„Belastungen“ enthielten neben Angaben
zum „Datum“, zur
„Beleg-Nr.“ und zum
„Begründungstext“ unter den
Überschriften „Nettobeträge“
und „Umsatzsteuer“ Betragsangaben, denen
jeweils ein Minuszeichen vorangestellt war. In Bezug auf den
jeweiligen Nettobetrag wurden die Steuerbeträge nach dem
Regelsteuersatz ermittelt. Diesen
„Belastungen“ entsprechend leistete die
M-GmbH Bonuszahlungen an den Abnehmer.
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Die Klägerin sah sich im Umfang dieser
Bonuszahlungen als zum Vorsteuerabzug berechtigt an, da sie annahm,
der Abnehmer habe für diese Zahlungen seinerseits Leistungen
an die M-GmbH, wie etwa Werbeleistungen, erbracht. Der Abnehmer sah
die Bonuszahlungen ebenfalls als Entgelt für von ihm erbrachte
sonstige Leistungen an und versteuerte diese, ohne dass es bis zum
Eintritt der für ihn geltenden Festsetzungsverjährung zu
einer Korrektur seiner für das Streitjahr erfolgten
Umsatzsteuerfestsetzung kam.
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Aufgrund einer Außenprüfung ging
das seinerzeit für die Besteuerung der Klägerin
zuständige Finanzamt A (FA A) indes zum einen davon aus, dass
die Klägerin auf von der M-GmbH ausgeführte Lieferungen
von Nahrungsmitteln in flüssiger Form zu Unrecht den
ermäßigten Steuersatz angewendet habe, und erließ
zunächst im Jahr 2014 einen gemäß § 164 Abs. 2
AO entsprechend geänderten Änderungsbescheid für das
Streitjahr, gegen den die Klägerin Einspruch einlegte.
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Zum anderen nahm das FA A aufgrund der
Außenprüfung an, dass die Bonuszahlungen nicht als
Entgelt für sonstige Leistungen, die der Abnehmer an die
M-GmbH erbracht habe, anzusehen seien. Daher sei der insoweit nach
Maßgabe des Regelsteuersatzes in Anspruch genommene
Vorsteuerabzug - auf einen Entgeltbetrag von … EUR - in
Höhe von … EUR zu versagen. Stattdessen sei von einer
Entgeltminderung auf steuersatzermäßigte wie auch dem
Regelsteuersatz unterliegende Lieferungen der M-GmbH an den
Abnehmer auszugehen. Dabei entfiel der Gesamtbetrag von …
EUR nach Auffassung des FA A zu x % - und damit in Höhe von
… EUR - auf steuersatzermäßigte Lieferungen und
zu y % - und damit in Höhe von … EUR - auf die dem
Regelsteuersatz unterliegenden Nahrungsmittel in flüssiger
Form, so dass sich für die steuersatzermäßigten
Lieferungen eine Steuerberichtigung von … EUR und für
die regelsatzbesteuerten Lieferungen eine Steuerminderung von
… EUR ergab. Nach Abzug der Gesamtsteuerminderung von
… EUR vom Betrag des versagten Vorsteuerabzugs in Höhe
von … EUR verblieb eine Nachforderung von … EUR. In
der Folge erließ das FA A im Jahr 2016 einen entsprechend
geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr und
hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Den
Nachforderungsbetrag von … EUR hatte die Klägerin
bereits im Dezember 2015 an das FA A gezahlt. In Höhe des
Nachforderungsbetrags machte die M-GmbH einen
Rückforderungsanspruch gegen den Abnehmer geltend, wobei dies
aber aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über
dessen Vermögen zu keinen Zahlungen aus der Masse führte.
Den Nachforderungsbetrag meldete die M-GmbH nicht zur
Insolvenztabelle an. Zu den streitgegenständlichen
„Belastungen“ erteilte der
Insolvenzverwalter des Abnehmers am 24.03.2016 „Stornierungen
und Neuberechnungen“.
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Gegen den Änderungsbescheid, der
gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO Gegenstand des bereits
vorliegenden Einspruchsverfahrens wurde, legte die Klägerin
Einspruch ein und beantragte zusätzlich wegen sachlicher
Unbilligkeit „von einer Festsetzung nach §§ 163,
227 AO über Umsatzsteuer abzusehen“.
Während des Einspruchsverfahrens erging aus zwischen den
Beteiligten nicht streitigen Gründen ein weiterer
Änderungsbescheid.
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Das später für die Besteuerung
der Klägerin zuständig gewordene Finanzamt B (FA B) wies
den Einspruch der Klägerin gegen den Umsatzsteuerbescheid
für das Streitjahr in Bezug auf die Versagung des
Vorsteuerabzugs und die stattdessen vorzunehmende Entgeltminderung
durch Teileinspruchsentscheidung zurück. Den Billigkeitsantrag
lehnte es mit einem gesonderten Bescheid von demselben Tag
ab.
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Die Klägerin wandte sich mit einer auf
das Festsetzungsverfahren bezogenen Klage gegen den
Änderungsbescheid in Gestalt der Teileinspruchsentscheidung,
die das Finanzgericht (FG) im Verfahren 6 K 1285/21 abwies. In
diesem Klageverfahren reichte die Klägerin eine
„Sammel-Rechnungsberichtigung“ vom
07.07.2022 ein, nach der bei Rechnungen mit im Einzelnen
bezeichneten Rechnungsnummern rückwirkend das Minuszeichen
gestrichen und die Bezeichnung
„Rechnung“ ergänzt wurde, soweit
diese bisher nicht vorhanden war.
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Mit einer Sprungklage, der das FA B
zustimmte, machte die Klägerin im finanzgerichtlichen
Verfahren 6 K 1284/21 insbesondere die Rechtswidrigkeit der
vorliegend streitigen Ablehnung der abweichenden Steuerfestsetzung
aus Billigkeitsgründen geltend. Diese Klage hatte ebenfalls
keinen Erfolg. Nach dem in EFG 2024, 792 = SIS 24 04 29
veröffentlichten Urteil des FG sind die Voraussetzungen
für einen unionsrechtlichen Direktanspruch entsprechend der
Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) nicht gegeben. Im
Umfang der Versagung des Vorsteuerabzugs aus den vom Abnehmer
erteilten „Belastungen“ seien Leistungen
weder vereinbart noch tatsächlich erbracht worden. Es habe
sich vielmehr um die Abrechnungen von Boni und Rabatten gehandelt.
Das Erreichen bestimmter Abnahmemengen stelle keine Leistung dar.
Zudem fehle es - auch unter Berücksichtigung späterer
Korrekturen - im Hinblick auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG an
ordnungsgemäßen Rechnungen. Einen von der Klägerin
in diesem Zusammenhang gestellten Beweisantrag lehnte das FG als
Ausforschungsantrag ab. Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen
habe es sich - so das FG weiter - bei allen
„Belastungen“ bereits dem Grunde nach
nicht um Rechnungen gehandelt, wie der Bundesfinanzhof (BFH) in
einer vom Insolvenzverwalter des Abnehmers geführten
Finanzstreitsache zu diesen
„Belastungen“ mit Urteil vom 26.06.2019
- XI R 5/18 (BFHE 266, 67, BStBl II 2023, 521 = SIS 19 15 52)
entschieden habe, die daher auch einer rückwirkenden
Berichtigung nicht zugänglich gewesen seien. Die
Fehlerhaftigkeit der Abrechnungen sei zudem leicht erkennbar
gewesen. Auch in Bezug auf den
„Kategorienbonus“ komme eine
Billigkeitsmaßnahme im Hinblick auf das Fehlen einer
ordnungsgemäßen Rechnung nicht in Betracht.
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Mit ihrer auf die Verletzung formellen und
materiellen Rechts gestützten Revision macht die Klägerin
geltend, dass die Voraussetzungen eines Direktanspruchs auf
Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer gegeben
seien. Für den Direktanspruch müsse - was im Streitfall
zu bejahen sei - lediglich eine unberechtigte Bereicherung des
Fiskus aufgrund einer rechtsgrundlosen Zahlung in einem
öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis entstanden sein,
wobei der Zahlende den unberechtigt als Steuer an den Staat
abgeführten Betrag nicht mehr oder zumindest
übermäßig erschwert von dem seinerzeitigen
Zahlungsempfänger zurückverlangen könne, sofern im
Übrigen kein Betrug oder Missbrauch vorliege. Weitergehende
Voraussetzungen seien nicht zu erfüllen. Der Direktanspruch
setze keine Leistung und auch keine Rechnung voraus. Es bestehe
auch keine Akzessorietät in Bezug auf die zivilrechtliche
Forderung. Auf ein Mitverschulden komme es nicht an.
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Die vom EuGH in Bezug auf den
Direktanspruch gewählten Begrifflichkeiten erklärten sich
ausschließlich aus den Besonderheiten der jeweiligen
Rechtssachen. Hingegen könne aus den bisherigen Urteilen des
EuGH nicht abgeleitet werden, dass der Direktanspruch in anderen
Fallkonstellationen, über die der EuGH noch nicht entschieden
habe, nicht zu gewähren sei. Der EuGH habe nicht beabsichtigt,
eine erbrachte Leistung zur Voraussetzung des Direktanspruchs zu
machen. Im Lichte des mit dem Direktanspruch verfolgten Zwecks der
Gewährleistung der steuerlichen Neutralität und
Effektivität sei es unerheblich, worauf die systemwidrige
Steuerbelastung des gutgläubigen Wirtschaftsteilnehmers
letztlich beruhe, wenn der Fiskus rechtsgrundlos finanziell
übervorteilt sei. Der das gesamte Umsatzsteuerrecht
prägende Neutralitätsgrundsatz gebiete es, dass der gegen
die Finanzverwaltung gerichtete Erstattungsanspruch nicht von der
umsatzsteuerrechtlichen Leistungsqualität oder von dem
Vorliegen einer formal ordnungsgemäßen Rechnung und
damit letztlich von einer korrekten Subsumtion abhängig
gemacht werde. Vielmehr habe erst recht eine staatliche Erstattung
der als Umsatzsteuer abgeführten Beträge zu erfolgen,
wenn dem Geschäftsvorfall keine tatsächlich erbrachte
Leistung zugrunde liege. Zu berücksichtigen seien auch die
Schwierigkeiten bei der zutreffenden Subsumtion eines
Geschäftsvorfalls durch den Rechtsanwender als
umsatzsteuerrechtlich relevante Leistung. Vergleichbares gelte
für das Erfordernis einer umsatzsteuerrechtlich
ordnungsgemäßen Rechnung. Ebenso wie beim Vorsteuerabzug
könne das Vorliegen einer formal-ordnungsgemäßen
Rechnung nicht zwingende Voraussetzung für den Direktanspruch
sein, da beide Fälle der Absicherung des
Neutralitätsgrundsatzes dienten. Bei einer unbestrittenen
Bereicherung des Fiskus könne es keinen Unterschied machen, ob
eine Rechnung ganz fehle oder sämtliche formale
Rechnungsanforderungen nicht eingehalten worden seien, wenn eine
Gefahr für das Steueraufkommen schlicht nicht bestehe.
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In jedem Fall habe der Abnehmer sonstige
Leistungen in Form von Werbeleistungen an die M-GmbH erbracht, so
dass dem Direktanspruch eine fehlende Leistungserbringung nicht
entgegengehalten werden könne. Der vom FG vernommene Zeuge
habe dies für den „Kategorienbonus“
bestätigt. Die Annahme des FG, es seien keine sonstigen
Leistungen erwartet und auch nicht vom Abnehmer erbracht worden,
sei unzutreffend. Das FG stelle eine unzulässige ex
post-Betrachtung an. Der Vorsteuerabzug sei im Übrigen
bezüglich des „Kategorienbonus“
entgegen dem EuGH-Urteil Vadãn vom 21.11.2018 - C-664/16,
EU:C:2018:933 = SIS 18 19 00 nicht gewährt worden. Zudem habe
das FG § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
verletzt, da die beantragte Beweiserhebung unterblieben
sei.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß,
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das Urteil des FG und den
Ablehnungsbescheid vom 26.08.2021 aufzuheben und das FA zu
verpflichten, den Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 08.06.2016 aus
Billigkeitsgründen dahingehend zu ändern, dass die
Umsatzsteuer um … EUR nebst Zinsen herabgesetzt
wird.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Während des Revisionsverfahrens wurde
infolge einer Neuorganisation der Finanzbehörden das FA
für die Besteuerung der Klägerin zuständig.
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II. Das FA ist mit Wirkung zum 01.03.2024
durch die Neunte Verordnung zur Änderung der Verordnung
über die Zuständigkeiten der hessischen Finanzämter
vom 22.02.2024 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land
Hessen 2024, Nr. 5) aufgrund eines Organisationsaktes der
Finanzverwaltung in die Zuständigkeit und hierdurch im Wege
des gesetzlichen Beteiligtenwechsels in die Beteiligtenstellung des
FA B eingetreten (vgl. BFH-Urteile vom 27.11.2019 - I R 40/19 (I R
14/16), BFHE 268, 1, BStBl II 2024, 670 = SIS 20 11 48; vom
14.03.2024 - V R 51/20, zur amtlichen Veröffentlichung
bestimmt, BFH/NV 2024, 1092 = SIS 24 10 75, Rz 11;
BFH-Beschlüsse vom 31.08.2016 - I B 146/15, BFH/NV 2016, 1756
= SIS 16 23 72; vom 02.04.2014 - I B 21/13, BFH/NV 2014, 1216 = SIS 14 19 06).
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III. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a FGO. Der Senat hält einstimmig die Revision der
Klägerin für unbegründet und eine mündliche
Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon
unter Hinweis auf die maßgeblichen Gründe unterrichtet
worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das FG hat
zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für eine
abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach
§ 163 AO sowie für einen Erlass nach § 227 AO nicht
gegeben sind, da der Klägerin ein sich aus dem Unionsrecht
entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken vom
15.03.2007 - C-35/05, EU:C:2007:167 = SIS 07 10 88 ergebender
Direktanspruch nicht zusteht.
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1. Der Senat hält weiter daran fest, dass
der Direktanspruch
voraussetzt, dass eine Steuer in einer Rechnung für eine -
bereits erbrachte oder noch zu erbringende - Leistung zu Unrecht
gesondert ausgewiesen wurde (BFH-Urteil vom 22.08.2019 - V R
50/16, BFHE 266, 395, BStBl II 2022, 290 = SIS 19 17 26, Leitsatz)
und verweist hierfür in Ergänzung der bereits
angesprochenen Bedeutung von Vorsteuerabzug und
Neutralitätsgrundsatz (BFH-Urteil vom 22.08.2019 - V R 50/16,
BFHE 266, 395, BStBl II 2022, 290 = SIS 19 17 26, Rz 17 f.) auf
Folgendes:
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a) Der EuGH sieht in seinem Urteil Reemtsma
Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 - C-35/05, EU:C:2007:167 = SIS 07 10 88, dritte Antwort, das Erfordernis, dass der
Leistungsempfänger sich mit seinem Anspruch auf
Rückforderung einer „zu Unrecht in Rechnung gestellten
Steuer“ an den Leistenden zu halten hat, als
mit dem Neutralitäts- und Effektivitätsgrundsatz
vereinbar an und billigt dem Leistungsempfänger nur im Fall
einer in diesem Verhältnis unmöglichen oder
übermäßig erschwerten Rückabwicklung aus
Gründen der Effektivität einen Direktanspruch zu, der
sich gegen den Steuergläubiger richtet.
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b) Ist nach den Grundsätzen der
Neutralität und Effektivität zu bestimmen, ob der
Rechnungsempfänger die Rückforderung einer zu Unrecht
entrichteten Steuer vom Rechnungsaussteller verlangen muss oder im
Wege eines Direktanspruchs vom Steuergläubiger verlangen kann,
kann sich diese Frage nur für einen Rechnungsempfänger
stellen, zu dessen Gunsten der Neutralitätsgrundsatz wirkt.
Für diesen muss somit der Anwendungsbereich der Richtlinie
2006/112/EG eröffnet sein.
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aa) Der EuGH verweist in seiner Rechtsprechung
zum Direktanspruch darauf, dass der Grundsatz der Neutralität
durch das Recht auf Vorsteuerabzug gewährleistet wird, mit dem
der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner gesamten
wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten
Mehrwertsteuer entlastet werden soll, sofern diese Tätigkeiten
selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen
(EuGH-Urteile HUMDA vom 13.10.2022 - C-397/21, EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77, Rz 18; Schütte vom 07.09.2023 - C-453/22,
EU:C:2023:639 = SIS 23 14 14, Rz 19 und H GmbH vom 05.09.2024 -
C-83/23, EU:C:2024:699 = SIS 24 13 95, Rz 28), so dass sich die
Steuer bei diesen Tätigkeiten in der Weise als für den
Unternehmer neutral erweist, als er aus den von ihm bezogenen
Eingangsleistungen zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
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bb) Dabei sieht es der EuGH als mit dem
Neutralitätsgrundsatz vereinbar an, dass das Recht auf
Vorsteuerabzug nur für diejenige Steuer besteht, die
geschuldet wird und daher mit einem der Mehrwertsteuer
unterworfenen Umsatz im Zusammenhang steht, so dass sich das Recht
auf Vorsteuerabzug nicht auf eine Steuer erstreckt, die
ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der
Rechnung ausgewiesen ist (EuGH-Urteile Genius Holding/Staatssecretaris van
Financien vom 13.12.1989 - C-342/87, EU:C:1989:635, Rz 13 und
19 sowie Reemtsma
Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 - C-35/05, EU:C:2007:167 =
SIS 07 10 88, Rz 23). Hierzu verweist der EuGH darauf, dass in der
Rechnung eine Steuer ausgewiesen sein muss, die mit einer Leistung
in Zusammenhang steht, so dass der Vorsteuerabzug für eine
Steuer ausgeschlossen ist, die - entweder, weil sie höher ist
als die gesetzlich geschuldete Steuer oder, weil der betreffende
Umsatz nicht der Mehrwertsteuer unterliegt - in keinem Zusammenhang
mit einem bestimmten Umsatz steht (EuGH-Urteil Genius
Holding/Staatssecretaris van Financien vom 13.12.1989 - C-342/87,
EU:C:1989:635, Rz 15). Eine Beeinträchtigung des
Neutralitätsgrundsatzes sieht der EuGH hierin nicht, da es
Sache der Mitgliedstaaten ist, die Geltung dieses Grundsatzes
dadurch zu gewährleisten, dass sie in ihrem innerstaatlichen
Recht vorsehen, dass jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer
berichtigt werden kann, wenn der Aussteller der Rechnung seinen
guten Glauben nachweist (EuGH-Urteil Genius
Holding/Staatssecretaris van Financien vom 13.12.1989 - C-342/87,
EU:C:1989:635, Rz 18).
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cc) Damit stellt sich der Direktanspruch als
ein auf Art. 168 MwStSystRL beruhender Ausgleichsanspruch
dafür dar, dass der EuGH den dort verwendeten Begriff
„geschuldete oder entrichtete
Mehrwertsteuer“ auf eine gesetzlich - für
eine Leistung - entstandene Steuer verengt. Der auf dieser
Bestimmung beruhende Direktanspruch mildert insoweit die sich aus
der Versagung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger
eintretenden Folgen ab und ist nicht mit der Begründung, dass
für ihn „keine Anspruchsgrundlage
erkennbar“ ist, - zur Schließung der
Regelungslücke - als „öffentlich-rechtlicher
Erstattungsanspruch“ aus einer analogen
Anwendung des § 37 Abs. 2 AO abzuleiten (so aber von Sanden,
Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht - MwStR -
2021, 799, 803).
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Denn erst aufgrund der Einschränkung des
Vorsteuerabzugs auf die gesetzlich entstandene Steuer, der sich der
erkennende Senat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung
mit Urteil vom 02.04.1998 - V R 34/97 (BFHE 185, 536, BStBl II
1998, 695 = SIS 98 17 31, unter II.3.b cc) angeschlossen hat, kommt
es zu der dem Direktanspruch zugrunde liegenden Fragestellung, wie
eine zu Unrecht für eine Leistung in einer Rechnung
ausgewiesene und an den Leistenden gezahlte Steuer
zurückzufordern ist. War zuvor der Vorsteuerabzug auch dann zu
bejahen, wenn ein Steuerausweis in einer Rechnung für eine
steuerfreie Leistung vorlag (z.B. BFH-Urteil vom 29.10.1987 - V R
154/83, BFHE 152, 161, BStBl II 1988, 508 = SIS 88 07 32, unter
II.1.), erübrigten sich Fragen nach einer Rückabwicklung
oder nach den Folgen einer Störung dieses
Rückabwicklungsverhältnisses. Diese Fragen ergaben sich
früher lediglich dann, wenn ein Steuerausweis vorlag, der -
wie etwa im Fall einer fehlenden entgeltlichen
Leistungstätigkeit im Sinne von § 14c Abs. 2 UStG (zuvor
§ 14 Abs. 3 UStG a.F.) - als unberechtigt anzusehen war
(BFH-Urteil vom 08.12.1988 - V R 28/84, BFHE 155, 427, BStBl II
1989, 250 = SIS 89 05 30, unter II.1. und II.2.).
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c) Der Direktanspruch lässt sich auch
nicht anderweitig und dabei ohne Anbindung an gesetzliche
Bestimmungen - wie Art. 168 MwStSystRL - begründen.
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aa) Das Kriterium einer ohne Direktanspruch
eintretenden Bereicherung des Steuergläubigers vermag einen
solchen Anspruch entgegen der Auffassung der Klägerin nicht
eigenständig zu begründen. Hiergegen spricht bereits,
dass der EuGH in seiner Rechtsprechung zum Direktanspruch - anders
als in seiner Rechtsprechung zu anderen Bereichen (vgl. z.B.
EuGH-Urteile Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Bydgoszczy vom
21.03.2024 - C-606/22, EU:C:2024:255 = SIS 24 06 29, Rz 34 ff.;
Chaudfontaine Loisirs vom 12.09.2024 - C-73/23, EU:C:2024:734 = SIS 24 14 52, Rz 72 ff. und Casino de Spa u.a. vom 12.09.2024 -
C-741/22, EU:C:2024:732 = SIS 24 14 53, Rz 69 ff.) - hierauf nicht
abstellt. Die Annahmen der Klägerin, dass der Direktanspruch
bereits „aufgrund einer ungerechtfertigten finanziellen
Übervorteilung der Staatskasse“ entstehe,
dass „der rückgängig zu machende untragbare Zustand
der ungerechtfertigten Bereicherung des
Staates“ bereits für sich geeignet sei,
einen Direktanspruch zu begründen, oder dass es ausreiche,
dass „eine unberechtigte Bereicherung des
Steuergläubigers aufgrund einer rechtsgrundlosen Zahlung
… in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis
entstanden“ sei, erweisen sich danach nicht
als zutreffend.
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bb) Der Direktanspruch ist auch nicht als
Ersatz- oder Hilfsanspruch des Rechnungsempfängers für
einen Rückforderungsanspruch des Rechnungsausstellers bei
einer - möglichen, aber gleichwohl unterbleibenden -
Rechnungsberichtigung (so aber Hartman in
Offerhaus/Söhn/Lange, § 15 UStG Rz 242 und dem folgend
Esteves Gomes/von Sanden, UR 2024, 829, 839) anzusehen. Hiergegen
spricht bereits, dass der Direktanspruch nicht von
Rechnungsberichtigungsvoraussetzungen abhängig ist, die ihn -
ebenso wie das sich aus § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG ergebende
Erfordernis einer tatsächlichen Berichtigung - bei einer
derartigen Betrachtung einschränken müssten. Zudem
entsteht die Steuerschuld aufgrund des gesonderten Steuerausweises
in Rechnungen (§ 14c UStG und Art. 203 MwStSystRL)
unabhängig von einer Zahlung des Rechnungsausstellers an den
Steuergläubiger.
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Im Übrigen kann eine
Rechnungsberichtigung mit Erstattung an den Rechnungsaussteller dem
Direktanspruch zwar entgegenstehen, wie der EuGH für die
Berichtigung durch einen Insolvenzverwalter entschieden hat
(EuGH-Urteil H GmbH vom 05.09.2024 - C-83/23, EU:C:2024:699 = SIS 24 13 95, Rz 37 f.), nicht aber den Direktanspruch selbst
begründen. Dass der EuGH eine doppelte Verpflichtung des
Steuergläubigers gegen den (berichtigenden)
Rechnungsaussteller wie auch gegenüber dem Leistungs- und
Rechnungsempfänger zu vermeiden versucht, indem er den
Berichtigungsanspruch des Rechnungsausstellers, der nicht an den
Rechnungsempfänger erstatten will, als missbräuchlich
ansieht (EuGH-Urteil Schütte vom 07.09.2023 - C-453/22,
EU:C:2023:639 = SIS 23 14 14, Rz 33 zur Verjährungseinrede),
ist ebenso wenig zur Begründung des Direktanspruchs
geeignet.
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d) Steht der Direktanspruch im vorstehend
beschriebenen Verhältnis zum Vorsteuerabzug, kann er sich nur
auf eine in einer Rechnung ausgewiesene Steuer beziehen, ohne die
es nicht zum Vorsteuerabzug kommen kann, da ein Steuerpflichtiger
nicht beanspruchen kann, einen Steuerbetrag abzuziehen, der ihm
nicht in Rechnung gestellt wurde (EuGH-Urteil Zipvit vom 13.01.2022
- C-156/20, EU:C:2022:2 = SIS 22 00 25, Rz 31 und BFH-Urteil vom
07.07.2022 - V R 33/20, BFHE 276, 449, BStBl II 2022, 821 = SIS 22 18 04, Rz 20), wobei sich der Direktanspruch für die „zu
Unrecht in Rechnung gestellte Steuer“
(EuGH-Urteile Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 - C-35/05,
EU:C:2007:167 = SIS 07 10 88, Rz 42; HUMDA vom 13.10.2022 -
C-397/21, EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77, Rz 30; Schütte vom
07.09.2023 - C-453/22, EU:C:2023:639 = SIS 23 14 14, Rz 37 und H
GmbH vom 05.09.2024 - C-83/23, EU:C:2024:699 = SIS 24 13 95, Rz 44)
zudem auf eine bereits erbrachte oder zumindest für eine zu
erbringende Leistung beziehen muss, da ansonsten der
Anwendungsbereich des Vorsteuerabzugs nicht einmal dem Grunde nach
eröffnet ist, wie sich aus Art. 168 MwStSystRL und § 15
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und 3 UStG ergibt.
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30
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Damit ist auch ein Steuerausweis für eine
erst noch zu erbringende Leistung im Sinne von § 15 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG
„direktanspruchsfähig“, wie der
EuGH bereits entschieden hat (EuGH-Urteil Kollroß und Wirtl
vom 31.05.2018 - C-660/16 und C-661/16, EU:C:2018:372 = SIS 18 08 10, Rz 67), ohne dass daraus aber, wie die Klägerin geltend
macht, abzuleiten wäre, dass ein Direktanspruch auch ohne
jeglichen Bezug zu einer erbrachten oder zu erbringenden Leistung
besteht.
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Auf dieser Grundlage erweist sich damit die
vom EuGH in Bezug auf den Direktanspruch gewählte
Begrifflichkeit, aus der sich gleichfalls die Einschränkung
des Direktanspruchs auf einen zu Unrecht erfolgten Steuerausweis
für derartige Leistungen ergibt (s. hierzu BFH-Urteil vom
22.08.2019 - V R 50/16, BFHE 266, 395, BStBl II 2022, 290 = SIS 19 17 26, Rz 21 und nachfolgend EuGH-Urteil HUMDA vom 13.10.2022 -
C-397/21, EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77, erste Antwort:
„Steuerpflichtiger, dem ein anderer Steuerpflichtiger eine
Dienstleistung erbracht hat“; EuGH-Urteil
Schütte vom 07.09.2023 - C-453/22, EU:C:2023:639 = SIS 23 14 14, Antwort: „Empfänger von Lieferungen von
Gegenständen“; EuGH-Urteil H GmbH vom
05.09.2024 - C-83/23, EU:C:202:699 = SIS 24 13 95, Rz 47:
„Leistungsempfänger“ und
„Leistender“), entgegen einer hieran
geübten Kritik (von Streit/Streit, MwStR 2020, 174, 176;
Leipold in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 14c Rz 153) als
zutreffend. Gegen die (teilweise) im Schrifttum erstrebte
Erweiterung des Direktanspruchs auf Rechnungsempfänger, die
Zahlungen auf einen Steuerausweis durch Rechnungsaussteller
leisten, spricht zudem, dass der EuGH diese Begriffe in seinen
Urteilen zum Direktanspruch nur in anderen Zusammenhängen,
nicht aber mit Bezug zum Direktanspruch selbst verwendet
(EuGH-Urteile HUMDA vom 13.10.2022 - C-397/21, EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77, Rz 16 und 19 f. und Schütte vom 07.09.2023 -
C-453/22, EU:C:2023:639 = SIS 23 14 14, Rz 29 f.).
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2. Im Streitfall hat das FG einen
Direktanspruch zutreffend verneint.
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a) Es fehlt bereits an einem Steuerausweis in
einer Rechnung.
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aa) Dieser ergab sich nach den vom FG
getroffenen Feststellungen nicht aus den im Streitjahr erteilten
„Belastungen“.
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(1) Die Auslegung von Verträgen und
Willenserklärungen gehört zum Bereich der
tatsächlichen Feststellungen und bindet den BFH
gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den
Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) entspricht und nicht gegen Denkgesetze und
Erfahrungssätze verstößt. Das Revisionsgericht
prüft lediglich, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln
sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die
für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände
erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Entspricht
die Auslegung des FG den gesetzlichen Auslegungsregeln sowie den
Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen, ist sie
für den BFH bindend, auch wenn sie nicht zwingend, sondern nur
möglich ist, wie der BFH mit Urteil vom 26.06.2019 - XI R 5/18
(BFHE 266, 67, BStBl II 2023, 521 = SIS 19 15 52, Rz 29) zu der -
auch vorliegend streitentscheidenden - Frage, ob ein Steuerausweis
in einer Rechnung vorliegt, bereits ausdrücklich entschieden
hat.
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(2) Im Streitfall hat das FG in seinem Urteil
(S. 48 unter 2.b dd) unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom
26.06.2019 - XI R 5/18 (BFHE 266, 67, BStBl II 2023, 521 = SIS 19 15 52), das zu den vorliegend streitgegenständlichen
„Belastungen“ in der vom
Insolvenzverwalter des Abnehmers der M-GmbH geführten
Finanzstreitsache ergangen ist, entschieden, dass es sich bei
diesen bereits dem Grunde nach nicht um Rechnungen gehandelt hat.
Diese Würdigung ist revisionsrechtlich bereits deshalb nicht
zu beanstanden, da der XI. Senat des BFH seine Entscheidung
insbesondere mit dem Fehlen eines Steuerausweises im Sinne von
§ 14c UStG begründet hat, woraus sich das Fehlen des
vorliegend maßgeblichen Steuerausweises im Sinne eines nach
§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG auf das Entgelt entfallenden
Steuerbetrags ergibt. Maßgeblich ist somit, dass die
„Belastungen“ aufgrund von Minuszeichen,
die den dort enthaltenen Steuerbeträgen vorangestellt waren,
keinen Steuerausweis enthielten.
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(3) Diese Feststellung des FG entfaltet im
Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO
Bindungswirkung, da sie den gesetzlichen Auslegungsregeln sowie den
Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht.
Sie wird zudem nicht von der Klägerin mit zulässigen und
begründeten Verfahrensrügen angegriffen. Insbesondere
greift die von der Klägerin erhobene Aufklärungsrüge
(§ 76 FGO) in Bezug auf die von ihr beantragte, aber
unterbliebene Beweiserhebung nicht durch.
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(a) Das FG muss einem Beweisantrag nur dann
nachkommen, wenn dieser substantiiert ist, was voraussetzt, dass
das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der
Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen genau
angegeben werden (BFH-Beschluss vom 17.07.2014 - XI B 87/13, BFH/NV
2014, 1891 = SIS 14 30 00, Rz 22). Nicht zu den Tatsachen
gehört dabei die Bekundung des Ergebnisses einer rechtlichen
Würdigung (BFH-Beschluss vom 17.07.2014 - XI B 87/13, BFH/NV
2014, 1891 = SIS 14 30 00, Rz 24). Dasselbe gilt für
Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere Rechtsfragen und
juristische Subsumtionen, sofern es nicht um ausländisches
Recht geht (BFH-Beschluss vom 08.10.2019 - XI B 49/19, BFH/NV 2020,
114 = SIS 19 18 92, Rz 17).
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(b) Danach hatte das FG den von der
Klägerin beantragten Beweis nicht zu erheben, ohne dass es auf
die vom FG bejahte Frage ankommt, ob ein unzulässiger
Ausforschungsbeweis vorliegt. Denn die Klägerin hat mit dem
von ihr angeführten Antrag, mit dem Beweis darüber
erhoben werden sollte, dass der Abnehmer „mittels
EDI-Datensatz ordnungsgemäße Rechnungen an die Firma
… [X] als gleichzeitigen Empfangsbevollmächtigten der
… [M-GmbH] übermittelt hat“, als
Beweisthema keine Tatsache, sondern das Ergebnis einer rechtlichen
Würdigung, wonach Rechnungen im Sinne von § 14 Abs. 4
Satz 1 UStG übermittelt worden seien, bezeichnet, wovon im
Übrigen auch die Klägerin selbst ausgeht, wenn sie in
anderem Zusammenhang ausführt, dass in einer „formal
ordnungsgemäßen Rechnung“ das
Ergebnis „einer korrekten Subsumtion“ zu
sehen ist. Dabei kommt es im Hinblick auf § 126 Abs. 4 FGO
nicht darauf an, aus welchem Grund der Beweisantrag der
Klägerin abzulehnen war (BFH-Beschluss vom 27.06.2002 - VII B
268/01, BFH/NV 2002, 1595 = SIS 03 02 61, unter II.1.).
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(c) Zudem müsste sich für das FG
insoweit auch keine weitergehende Sachaufklärung von Amts
wegen aufdrängen, da bereits nicht ersichtlich ist, weshalb
die Klägerin Unterlagen, die einem
Empfangsbevollmächtigten der M-GmbH vorlagen, nicht selbst in
das Verfahren einführen konnte.
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bb) Soweit die Klägerin hierzu im
Übrigen geltend macht, aufgrund der im Jahr 2022 vorgenommenen
Berichtigung des Abnehmers seien die ursprünglichen
„Belastungen“ dahingehend geändert
worden, dass die Minuszeichnen entfallen seien, führt dies
ebenso wie die zuvor vom Insolvenzverwalter in 2016 erteilten
„Stornierungen und Neuberechnungen“ zu
keiner abweichenden Beurteilung. Denn einer Rechnungsberichtigung
kommt für den Vorsteuerabzug nur dann Rückwirkung zu,
wenn das zu berichtigende Ausgangsdokument einen bestimmten
Mindestinhalt aufweist, wozu auch der gesonderte Steuerausweis
gehört (BFH-Urteile vom 20.10.2016 - V R 26/15, BFHE 255, 348,
BStBl II 2020, 593 = SIS 16 26 03, Rz 13 und 19 und vom 07.07.2022
- V R 33/20, BFHE 276, 449, BStBl II 2022, 821 = SIS 22 18 04, Rz
17). Kommt somit beim Vorsteuerabzug einem erst später
erteilten Steuerausweis keine Rückwirkung zu, folgt hieraus
für den aus dem Vorsteuerabzug abgeleiteten Direktanspruch,
dass einem erst später nachträglich erteilten
Steuerausweis jedenfalls für den für das Streitjahr
gestellten Billigkeitsantrag keine Bedeutung zukommt.
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cc) Fehlt es somit bereits an einem
Steuerausweis als - worauf der Senat die Klägerin im
Revisionsverfahren ausdrücklich hingewiesen hat - Grundelement
einer Rechnung, kommt es auf die vom FG (Urteil, S. 37) bejahte
Frage, ob der Direktanspruch weitergehend auch eine
ordnungsgemäße und damit zum Vorsteuerabzug
berechtigende Rechnung voraussetzt, wogegen sich die Klägerin
umfangreich unter Bezugnahme auf die EuGH-Rechtsprechung - wie die
EuGH-Urteile Vadãn vom 21.11.2018 - C-664/16, EU:C:2018:933
= SIS 18 19 00; PORR Epitesi Kft. vom 11.04.2019 - C-691/17,
EU:C:2019:327 = SIS 19 06 11, Rz 34 und Farkas vom 26.04.2017 -
C-564/15, EU:C:2017:302 = SIS 17 08 36, Rz 45 - wendet, nicht
an.
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43
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b) Zudem beziehen sich die
„Belastungen“ mit Ausnahme des
„Kategorienbonus“, zu dem das FG im
vorliegenden Billigkeitsverfahren die Frage einer
Leistungserbringung letztlich offengelassen hat, nicht auf
Leistungen, die der Abnehmer an die M-GmbH erbracht hat.
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44
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aa) Das FG hat hierzu entschieden, dass
aufgrund der in den Vereinbarungen verwendeten Formulierungen, wie
zum Beispiel „Grundbonus“,
„Umsatzzuwachs“, „umsatzbezogene
Bonusstaffel“,
„Zentralbonus“,
„Potentialbonus“,
„Home-Shopping“, echte Boni und Rabatte
zur Verringerung des vom Abnehmer geschuldeten Kaufpreises
vorlagen. Die Bonuszahlungen seien in den Umständen des
Absatzes der zu liefernden Waren selbst angelegt gewesen,
während eine gesondert zu vergütende Leistung des
Abnehmers an die M-GmbH nicht ersichtlich sei. Dabei konnte das FG
insbesondere davon ausgehen, dass im „Erreichen der
Abnahmemengen“ keine sonstige Leistung des
Abnehmers zu sehen ist.
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bb) Soweit die Klägerin hiergegen geltend
macht, dass der Abnehmer sonstige Leistungen an die M-GmbH erbracht
habe, lässt sie außer Betracht, dass die vorinstanzliche
Sachverhaltswürdigung den BFH bindet, wenn sie - wie
vorliegend - frei von Verfahrensfehlern ist und weder
Widersprüche noch einen Verstoß gegen Denkgesetze oder
Erfahrungssätze enthält und eine vom FG vorgenommene
Vertragsauslegung nach den Grundsätzen der §§ 133,
157 BGB zumindest möglich ist. Im Streitfall hat das FG die
gesetzlichen Auslegungsregeln sowie die Denkgesetze und
Erfahrungssätze beachtet und die für die
Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und
zutreffend gewürdigt (zum Prüfungsmaßstab vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 12.02.2020 - XI R 24/18, BFHE 268, 351, BStBl II
2022, 191 = SIS 20 06 20, Rz 43). Damit ist im Streitfall ein
revisionsrechtlich erheblicher Rechtsfehler zu verneinen.
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3. Das Urteil des FG erweist sich auch nicht
in anderer Hinsicht als rechtsfehlerhaft.
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47
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a) Fehlt es bereits an dem erforderlichen
Steuerausweis und gegebenenfalls mit Ausnahme des
„Kategorienbonus“ an der erforderlichen
Leistungserbringung an den Voraussetzungen des Direktanspruchs,
kommt es auf die weitergehenden Überlegungen der Klägerin
zu anderen Anspruchsvoraussetzungen wie etwa ein - aus ihrer Sicht
- zu verneinendes Mitverschulden nicht an.
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48
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b) Soweit die Klägerin mit ihrem
Revisionsvortrag geltend machen sollte, dass die materiellen und
die formellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
UStG bereits aufgrund der ursprünglichen
„Belastungen“ vorliegen und ihr daher
das Recht auf Vorsteuerabzug zustehe, wäre hierüber in
einem Festsetzungsverfahren, nicht aber in dem hier vorliegenden
Billigkeitsverfahren zu entscheiden. Denn eine bestandskräftig
festgesetzte Steuer ist nur dann im Billigkeitsverfahren zu
erlassen, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig
unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten war,
sich hiergegen in dem dafür vorgesehenen Festsetzungsverfahren
zu wehren (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.05.2008 - V R 45/06, BFH/NV
2008, 1889 = SIS 08 38 41, unter II.1.d; BFH-Beschlüsse vom
11.03.2011 - V B 45/10, BFH/NV 2011, 999 = SIS 11 15 88, Rz 6; vom
04.11.2009 - VI B 60/08, BFH/NV 2010, 468 = SIS 10 06 10, unter
2.). Daran fehlt es vorliegend bereits im Hinblick auf das
gesonderte und dabei auf die Steuerfestsetzung für das
Streitjahr bezogene Klageverfahren.
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49
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c) Für die Beurteilung im Streitfall
unerheblich ist weiter, dass ein Anspruch auf Erstattung von
Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das
Unionsrecht erhoben hat, bestehen kann (vgl. hierzu EuGH-Urteil
Danfoss und Sauer-Danfoss vom 20.10.2011 - C-94/10, EU:C:2011:674 =
SIS 11 34 04, Rz 20 ff.). Denn im Streitfall ist die Steuer, auf
deren Festsetzung aus Billigkeitsgründen verzichtet werden
soll, nicht unter Verstoß gegen das Unionsrecht, sondern
vielmehr gerade im Einklang mit dem Unionsrecht erhoben worden, da
der festgesetzte Steueranspruch darauf beruht, dass die
Klägerin den Vorsteuerabzug aus einer gesetzlich nicht
entstandenen Steuer beansprucht hat (s. oben III.1.b bb).
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4. Der Senat kann auch in der Sache
entscheiden.
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a) Eine Verfahrensaussetzung (§ 74 FGO)
im Hinblick auf das beim FG anhängige Verfahren 7 K 157/20
kommt nicht in Betracht. Die Entscheidung dieser Sache ist für
den Streitfall ohne Bedeutung, da sich das von der Klägerin in
Bezug genommene Verfahren nach dem unwidersprochen gebliebenen
Vortrag des FA auf das Jahr 2012 und nicht auf das Streitjahr 2006
und zudem auf die vorliegend nicht streitige Frage einer
Steuersatzermäßigung für Nahrungsmittel in
flüssiger Form bezieht.
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b) Es ist auch kein Vorabentscheidungsersuchen
gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise
der Europäischen Union (vgl. zu den Voraussetzungen
EuGH-Urteile CILFIT u.a. vom 06.10.1982 - 283/81, EU:C:1982:335, Rz
21 und Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi vom
06.10.2021 - C-561/19, EU:C:2021:799, Rz 66) einzuleiten, da die
für den Streitfall maßgeblichen Rechtsfragen durch die
Rechtsprechung des EuGH in einer Weise geklärt sind, die keine
vernünftigen Zweifel offenlässt. Entgegen der
Rechtsauffassung der Klägerin stehen die vom EuGH
gewählten Begrifflichkeiten (zum Steuerausweis und zur
Leistungserbringung s. oben III.1.d) nicht „in einem nicht
auflösbaren Widerspruch“ zum
Neutralitätsgrundsatz, da dieser vielmehr den Bedeutungsinhalt
dieser Begrifflichkeiten bestätigt (s. oben III.1.b). Zur
Begründung eines Vorabentscheidungsersuchens reicht es bei
Fehlen von Zweifeln auch nicht aus, dass dem EuGH „bislang
schlichtweg noch keine vergleichbaren Fälle zur Entscheidung
vorgelegt“ wurden. Auch die von der
Klägerin in diesem Zusammenhang angesprochene
„unrechtmäßige Bereicherung der öffentlichen
Hand“ rechtfertigt ohne die vorliegend zu
verneinenden Zweifel kein Vorabentscheidungsersuchen (s. oben
III.1.c aa). Unbeachtlich ist im Übrigen, ob es zur Verneinung
eines Direktanspruchs in den Fällen eines Steuerausweises ohne
die - von der Klägerin wiederholt angesprochene -
ordnungsgemäße Rechnung oder einer durch einen
Nichtunternehmer erbrachten Leistung eines
Vorabentscheidungsersuchens bedürfte, da über derartige
Fallgestaltungen vorliegend nicht zu entscheiden ist.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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