Auf die Revision des Klägers werden das
Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 20.04.2023 - 9 K 39/23 =
SIS 23 20 62 und der
Ablehnungsbescheid der Familienkasse vom 07.04.2022 in der Fassung
der Einspruchsentscheidung vom 19.12.2022 aufgehoben.
Die Familienkasse wird verpflichtet, über
den Kindergeldantrag des Klägers vom 27.12.2021/31.12.2021
erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Revision als
unzulässig verworfen.
Die Kosten des Klageverfahrens hat die
Familienkasse zu tragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die
Beteiligten je zur Hälfte.
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I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob ein Kindergeldantrag formwirksam gestellt worden ist.
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2
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Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger), ein Rechtsanwalt, teilte der Beklagten und
Revisionsbeklagten (Familienkasse) am XX.12.2021 mit, dass seine
Ehefrau am XX.09.2021 verstorben sei. Er beantragte, das Kindergeld
für seine beiden Kinder P, geboren am XX.02.1998, und G,
geboren am XX.07.2002, ab sofort an ihn zu zahlen. Er gab seine
Kontonummer an und fügte dem Schreiben als Anlagen die
Sterbeurkunde, die Heiratsurkunde sowie die Geburtsurkunden und
Ausbildungsnachweise der Kinder bei. Das Schreiben enthielt in der
Betreffzeile die Kindergeldnummer der Ehefrau des Klägers, die
bis zu ihrem Tod das Kindergeld für die gemeinsamen Kinder
bezogen hatte. Das Schreiben vom 27.12.2021 übermittelte der
Kläger an die Familienkasse elektronisch über das
besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das besondere
elektronische Behördenpostfach (beBPo). Es wurde von ihm
qualifiziert elektronisch signiert.
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3
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Am 31.12.2021 übersandte der
Kläger ebenfalls mit qualifizierter elektronischer Signatur
über das beA an das beBPo den Antrag auf Kindergeld und
für jedes Kind eine Anlage Kind. Die auf diesem Wege
eingereichten Vordrucke enthielten vom Kläger ergänzte
inhaltliche Angaben, waren aber nicht handschriftlich
unterschrieben. Sie kamen bei der Familienkasse als
unausgefüllte Dokumente an.
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Im Verlauf der sich anschließenden
Korrespondenz zwischen den Beteiligten wurde deutlich, dass die
Familienkasse das Ausfüllen der Vordrucke und die
eigenhändige Unterschrift verlangte. Der Kläger verwies
darauf, dass die qualifizierte elektronische Signatur die
Unterschrift ersetze.
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5
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Mit Bescheid vom 07.04.2022 lehnte die
Familienkasse den Antrag des Klägers auf Kindergeld für
die Kinder P und G ab. Dagegen legte der Kläger mit Schreiben
vom 30.04.2022, das er qualifiziert elektronisch signierte,
Einspruch ein.
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6
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Der Einspruch wurde mit
Einspruchsentscheidung vom 19.12.2022 als unbegründet
zurückgewiesen. Zur Begründung verwies die Familienkasse
insbesondere darauf, dass § 67 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) eine Antragstellung per beA beziehungsweise beBPo nicht
zulasse.
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Hiergegen erhob der Kläger beim
Finanzgericht (FG) Klage mit dem Begehren, die Familienkasse zu
verpflichten, seinen Antrag auf Kindergeld für die Kinder P
und G unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 07.04.2022 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.12.2022 inhaltlich unter
Berücksichtigung der von ihm eingereichten, mit qualifizierter
elektronischer Signatur unterschriebenen Antragsunterlagen zu
bescheiden.
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8
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In der mündlichen Verhandlung trug der
Kläger vor, er habe den Kindergeldantrag nicht
„elektronisch“, sondern
„schriftlich“ gestellt und seine
Unterschrift durch die qualifizierte elektronische Signatur
ersetzt.
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Das FG wies die Klage mit den in EFG 2023,
1189 = SIS 23 20 62 veröffentlichten Gründen ab. Nach
Ansicht des FG hat der Kläger keinen Anspruch auf Festsetzung
von Kindergeld, da die nach § 67 EStG geforderten Formalien
bei der Antragstellung nicht beachtet worden seien.
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Mit der vom FG zugelassenen Revision
rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Hessischen FG vom 20.04.2023
- 9 K 39/23 abzuändern und die Familienkasse zu verurteilen,
an ihn Kindergeld für seine beiden Töchter P und G in
Höhe des gesetzlichen Kindergeldsatzes, also ab Januar 2022 je
Kind 219 EUR pro Monat und ab Januar 2023 je Kind 250 EUR pro
Monat, jeweils von der Einstellung der Zahlung des Kindergeldes an
seine verstorbene Ehefrau bis zu dem Abschluss der Ausbildung oder
dem Eintritt der gesetzlichen Altersgrenze der Kinder, je nachdem
was zuerst eintritt, zu zahlen;
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hilfsweise,
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die Familienkasse zu verpflichten, seinen
Antrag auf Kindergeld für seine Töchter P und G unter
Aufhebung der Ablehnung des Antrags auf Kindergeld vom 07.04.2022
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.12.2022 inhaltlich
unter Berücksichtigung der von ihm eingereichten, mit
qualifizierter elektronischer Signatur unterschriebenen
Antragsunterlagen zu bescheiden.
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Die Familienkasse beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Zur Begründung beruft sie sich auf die
zutreffenden Ausführungen des Urteils. Ergänzend weist
sie darauf hin, dass zum einen die Übermittlung des (leeren)
Antragsformulars vom 27.12.2021 beziehungsweise 31.12.2021 nicht an
das beBPo der Familienkasse Hessen, sondern an das der Agentur
für Arbeit erfolgt sei; damit sei der Antrag nicht bei der
nach § 67 EStG zuständigen Stelle eingegangen. Zum
anderen seien die Antragsunterlagen der Familienkasse erstmals im
Klageverfahren (am 17.04.2023) ausgefüllt, wenn auch nicht
unterschrieben, übermittelt worden.
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II. Die Revision ist mit dem Hauptantrag
unzulässig; sie ist aber hinsichtlich des Hilfsantrags
begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und des Bescheids vom 07.04.2022 in Gestalt
der Einspruchsentscheidung vom 19.12.2022 und zur Verpflichtung der
Familienkasse, über den Kindergeldantrag des Klägers
erneut zu entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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1. Soweit der Kläger mit der Revision
begehrt, die Familienkasse zu verurteilen, Kindergeld in
gesetzlicher Höhe für seine beiden Töchter zu
zahlen, ist die Revision unzulässig.
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a) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO sind
Klageänderungen im Revisionsverfahren unzulässig. Ein
Revisionsantrag darf nicht über das Klagebegehren hinausgehen.
Eine Erweiterung des Klageantrags im Revisionsverfahren ist
unzulässig (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
22.05.2006 - VI R 61/05, BFH/NV 2007, 45 = SIS 06 48 17; vom
28.03.2012 - II R 42/11, BFH/NV 2012, 1486 = SIS 12 21 90, Rz 30
und vom 15.10.2014 - II R 14/14, BFHE 248, 228, BStBl II 2015, 405
= SIS 15 00 65, Rz 13).
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b) Im finanzgerichtlichen Verfahren hat der
Kläger in der mündlichen Verhandlung ausschließlich
beantragt, die Familienkasse zu verpflichten, den Antrag des
Klägers auf Kindergeld unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids
und der Einspruchsentscheidung inhaltlich unter
Berücksichtigung der von ihm mit qualifizierter elektronischer
Signatur unterschriebenen Antragsunterlagen zu bescheiden.
Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war dementsprechend
nur die Frage, ob der vom Kläger gestellte Antrag den
Voraussetzungen des § 67 EStG i.V.m. § 87a der
Abgabenordnung (AO) entsprach, hingegen nicht, ob die übrigen
Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nach §§
62, 63, 32 EStG für die Töchter P und G vorlagen. Im
Revisionsverfahren beantragt der Kläger dagegen den Erlass
eines Vornahmeurteils (§ 101 Satz 1 FGO), nämlich die
Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für P und G auf
bestimmte Beträge ab einem bestimmten Zeitpunkt festzusetzen
(als Voraussetzung für die Zahlung der Familienleistung). Da
die Vorinstanz lediglich über das erstinstanzliche
Bescheidungsbegehren zu entscheiden hatte (§ 96 Abs. 1 Satz 2
FGO), kann der Vornahmeantrag - obgleich er im Grunde den
nämlichen Streitgegenstand betrifft - im Revisionsverfahren
nicht mehr gestellt werden. Eine unzulässige Erweiterung des
Klagebegehrens hat der BFH beispielsweise darin gesehen, dass der
Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren nur die Verpflichtung
des Finanzamts zur Durchführung einer
Einkommensteuerveranlagung, in der Revisionsinstanz hingegen die
Festsetzung der Einkommensteuer auf einen bestimmten Betrag
beantragt hatte (BFH-Urteil vom 22.05.2006 - VI R 61/05, BFH/NV
2007, 45 = SIS 06 48 17). Nichts anderes kann gelten, wenn im
Rahmen einer Verpflichtungsklage der Kläger erstmals mit
seinem Revisionsantrag einen Vornahmeausspruch begehrt (vgl.
Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 123 FGO Rz 7;
Rüsken in Gosch, FGO § 123 Rz 3). Unberührt hiervon
bleibt allerdings, dass das Vornahmebegehren regelmäßig
auch den Bescheidungsantrag umfasst (BFH-Urteil vom 11.04.2012 - I
R 63/11, BFHE 237, 29, BStBl II 2012, 539 = SIS 12 16 34, Rz 10,
m.w.N.).
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2. Im Hilfsantrag ist die Revision jedoch
begründet.
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Der vom Kläger gestellte Kindergeldantrag
über beA beziehungsweise beBPo ist zu Unrecht als
formunwirksam im Sinne des § 67 Satz 1 EStG i.V.m. § 87a
Abs. 1 Satz 1 AO abgelehnt worden.
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a) Nach § 67 Satz 1 EStG (i.d.F. des
Gesetzes zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der
Gewährung von Familienleistungen vom 03.12.2020, BGBl I 2020,
2668, 2671, BStBl I 2020, 1350) ist das Kindergeld bei der
zuständigen Familienkasse schriftlich zu beantragen; eine
elektronische Antragstellung nach amtlich vorgeschriebenem
Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle ist
zulässig, soweit der Zugang eröffnet wurde.
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b) Nach den Feststellungen des FG
übermittelte der Kläger sowohl das Schreiben vom
27.12.2021 als auch das Schreiben vom 31.12.2021 an die
Familienkasse elektronisch über das beA an das beBPo,
über das die Familienkasse erreichbar war. Soweit die
Familienkasse erstmals im Revisionsverfahren geltend macht, der
Antrag des Klägers über das beA sei nicht an das beBPo
der Familienkasse, sondern an das beBPo der Agentur für Arbeit
gerichtet gewesen, geht ihr Revisionsangriff ins Leere, weil sie
insoweit keine zulässigen und begründeten
Revisionsrügen gegen die Feststellungen des FG erhoben hat.
Der Vortrag der Familienkasse stellt sich demnach als im
Revisionsverfahren nicht zu beachtendes neues tatsächliches
Vorbringen dar (§ 118 Abs. 2 FGO).
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Unabhängig hiervon hat die Agentur
für Arbeit nach Aktenlage die bei ihr eingegangen Unterlagen,
mit E-Mail vom 03.01.2022 an die zuständige Familienkasse
weitergeleitet. Wird der Kindergeldantrag bei der sachlich oder
örtlich unzuständigen Familienkasse eingereicht, hat
diese den Antrag unverzüglich an die zuständige
Familienkasse weiterzuleiten. Der Kindergeldberechtigte trägt
insoweit nur das Risiko der rechtzeitigen Übermittlung, was
vor allem im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1
Satz 2 EStG und für die Hemmung der
Festsetzungsverjährung von Bedeutung sein kann. Fristwahrend
wirkt aber ein Antrag, der bei der Außenstelle derjenigen
Agentur für Arbeit eingeht, bei der die zuständige
Familienkasse eingerichtet ist (Senatsurteil vom 25.09.2014 - III R
25/13, BFHE 247, 233, BStBl II 2015, 847 = SIS 14 32 13; Wendl in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 67 EStG Rz 6).
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c) Entscheidend ist daher im Streitfall allein
die Frage, ob die Einreichung des Antrags mit einer qualifizierten
elektronischen Signatur über das beA an das beBPo die
Voraussetzungen des § 67 Satz 1 EStG erfüllen kann. Nach
Auffassung des Senats kann auch nach der durch das Gesetz zur
Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von
Familienleistungen erfolgten Änderung des § 67 Satz 1
EStG ein formwirksamer Kindergeldantrag über ein beA an ein
beBPo der Familienkasse gestellt werden.
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aa) Wie der Senat in seinem Urteil vom
12.10.2023 - III R 38/21 (BFH/NV 2024, 199 = SIS 23 20 87)
ausgeführt hat, ist nach § 67 Satz 1 EStG i.V.m. §
87a Abs. 1 Satz 1 AO in der bis einschließlich 09.12.2020
geltenden Fassung ein Kindergeldantrag auch mit einer einfachen
E-Mail ohne Beifügung des amtlichen Vordrucks im PDF-Format
möglich, sofern die Familienkasse für die
Übermittlung elektronischer Dokumente einen Zugang
eröffnet hat. Bei einem Kindergeldantrag, der die Bearbeitung
lediglich anstößt, aber noch nicht unmittelbar zum
Abschluss des Verfahrens führt, muss lediglich die
Identität des Antragstellers feststellbar sein und erkennbar
sein, dass und für welche Kinder er Kindergeld begehrt (Rz
35). „Schriftlich“ bedeutet hiernach im
Fall des § 67 Satz 1 Halbsatz 1 EStG i.V.m. § 87a Abs. 1
Satz 1 AO, dass der Kindergeldantrag verschriftlicht sein muss,
damit sein Inhalt im Verwaltungsverfahren, aber auch im
Rechtsbehelfs- und Klageverfahren dokumentiert und
überprüfbar ist; eine Unterschrift ist nicht erforderlich
(Rz 35). In seiner Entscheidung vom 12.10.2023 - III R 38/21
(BFH/NV 2024, 199 = SIS 23 20 87, Rz 27) hat der Senat aber
ausdrücklich offen gelassen, ob sich durch Einfügung des
zweiten Halbsatzes in § 67 Satz 1 EStG (Geltung ab 10.12.2020)
für § 67 Satz 1 Halbsatz 1 EStG i.V.m. § 87a Abs. 1
Satz 1 AO eine Änderung ergeben hat.
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bb) Durch das Gesetz zur Digitalisierung von
Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von Familienleistungen
wurde § 67 Satz 1 EStG dahingehend ergänzt, dass eine
elektronische Antragstellung nach amtlich vorgeschriebenem
Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle
zulässig ist, soweit der Zugang eröffnet wurde. Diese
Schnittstelle hat der Kläger unstreitig nicht genutzt und
insoweit die Anforderungen nach § 67 Satz 1 Halbsatz 2 EStG
nicht erfüllt.
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cc) Die Einreichung des Antrags über das
beA an das beBPo genügt aber den Anforderungen an die
geforderte „schriftliche Antragstellung“
im Sinne des § 67 Satz 1 Halbsatz 1 EStG i.V.m. § 87a
Abs. 1 Satz 1 AO. Darüber hinaus begründet § 67 Satz
1 Halbsatz 2 EStG keine Sperrwirkung dahingehend, dass eine
elektronische Kommunikation nur noch nach amtlich vorgeschriebenem
Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle
zulässig ist.
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(1) Dem Schriftlichkeitsgebot nach § 67
Satz 1 Halbsatz 1 EStG wird genügt, wenn sich die
Geltendmachung eines Anspruchs auf Kindergeld aus einem vom
Antragsteller herrührenden Schriftstück ergibt; die
Verwendung eines amtlichen Vordrucks ist nicht vorgesehen
(HHR/Wendl, § 67 EStG Rz 6, m.w.N.). § 67 Satz 1 Halbsatz
1 EStG i.V.m. § 87a Abs. 1 Satz 1 AO gestattet die
Übermittlung des Kindergeldantrags auch als elektronisches
Dokument, zum Beispiel als E-Mail (Senatsurteil vom 12.10.2023 -
III R 38/21, BFH/NV 2024, 199 = SIS 23 20 87, Rz 27). Voraussetzung
für die rechtswirksame Übermittlung eines elektronischen
Dokuments ist allerdings, dass der Empfänger für die
betreffende Art der elektronischen Übermittlung einen Zugang
eröffnet hat (§ 87a Abs. 1 Satz 1 AO). Diese
Voraussetzung liegt im Streitfall vor.
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(a) Der Kläger hat die Schreiben vom
27.12.2021 und 31.12.2021 mit qualifizierter elektronischer
Signatur über das ihm als Anwalt zur Verfügung stehende
beA an das beBPo übermittelt. In diesen Schreiben hat er unter
anderem den Wechsel des Kindergeldberechtigten und die
Kindergeldnummer mitgeteilt. Außerdem hat er
Ausbildungsnachweise für seine Töchter beigefügt.
Der Kläger war daher als Antragsteller identifizierbar; sein
Begehren war erkennbar. Dies ergibt sich auch aus dem Schreiben der
Familienkasse vom 14.01.2022, in dem ihn die Familienkasse unter
der angegebenen Kindergeldnummer aufforderte, die Vordrucke
„Antrag“ und „Anlage
Kind“ einzureichen, um über den
Kindergeldanspruch abschließend entscheiden zu
können.
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(b) Für diese Art der elektronischen
Übermittlung hat die Familienkasse auch den Zugang nach §
87a Abs. 1 Satz 1 AO eröffnet. Nach § 87a Abs. 1 Satz 1
AO kann die Zugangseröffnung ausdrücklich, konkludent,
generell oder nur für bestimmte Fälle erfolgen.
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(aa) Gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m
§ 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der elektronischen
Verwaltung vom 25.07.2013 sind Behörden des Bundes
einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften
des öffentlichen Rechts, zum Beispiel das Bundeszentralamt
für Steuern, die Hauptzollämter und die Familienkassen,
seit dem 01.07.2014 (Art. 31 Abs. 2 des Gesetzes zur Förderung
der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer
Vorschriften) verpflichtet, auch einen Zugang für die
Übermittlung elektronischer Dokumente zu eröffnen. Dies
gilt auch für elektronische Dokumente, die mit einer
qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind.
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31
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Im Streitfall hat die Familienkasse für
vom beA übersandte Dokumente den Zugang zum beBPo konkludent
eröffnet. Das FG hat festgestellt, dass die Familienkasse
über das beBPo objektiv erreichbar ist. Entgegen der Ansicht
des FG und der Familienkasse ist nicht erforderlich, dass die
Behörde auch ausdrücklich subjektiv den Zugang über
das beBPo eröffnet. Die Behördenpostfächer sind
gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung über die
technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und
über das besondere elektronische Behördenpostfach
(Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV - ) für andere
Inhaber besonderer elektronischer Postfächer adressierbar. Der
Zugang ist daher bereits eröffnet, wenn er für den
Bürger faktisch verfügbar ist (Müller in Ory/Weth,
jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl. § 3a VwVfG, Rz 25). Insoweit ist
die subjektive Eröffnung eines Zugangs seitens der
Behörde nicht mehr erforderlich, da die erforderliche
Bereitschaft der Familienkasse, elektronische Mitteilungen
entgegenzunehmen, durch § 6 Abs. 2 Nr. 2 ERVV gesetzlich
vorgegeben ist (Langhein, AO-Steuerberater 2020, 25; vgl. FG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2019 - 7 V 7130/19, EFG
2019, 1877 = SIS 19 17 93, Rz 31; a.A. Baum/Szymczak in AO -
eKommentar, § 87a AO, Rz 12).
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32
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Das hier in Anspruch genommene beA (§ 19
der Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die
besonderen elektronischen Anwaltspostfächer - RAVPV - vom
23.09.2016, BGBl I 2016, 2167) dient nicht nur der Kommunikation
mit den Gerichten, sondern kann gemäß § 19 Abs. 2
RAVPV auch der elektronischen Kommunikation mit anderen Personen
oder Stellen dienen. Eine Einschränkung enthält § 19
Abs. 2 RAVPV - anders als beispielsweise die Regelungen über
das besondere elektronische Steuerberaterpostfach - nicht. Nach
§ 11 Abs. 2 Satz 2 der Steuerberaterplattform- und
-postfachverordnung vom 25.11.2022 (BGBl I 2022, 2105) gilt die
Kommunikation mit anderen Behörden über dieses besondere
elektronische Postfach nicht für die Kommunikation mit der
Finanzverwaltung, soweit diese ein anderes sicheres elektronisches
Verfahren für die Übermittlung von Nachrichten und
Dokumenten zur Verfügung stellt. Eine solche
Einschränkung hat § 19 Abs. 2 RAVPV nicht erfahren.
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33
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(bb) Selbst wenn man noch eine (subjektive)
Widmung für erforderlich hielte, liegt eine solche im
Streitfall jedenfalls vor. Das FG hat für den Senat bindend
festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), dass die Familienkasse
über beBPo objektiv erreichbar war. Damit war sie mit der
Einrichtung des elektronischen Behördenpostfachs als
potentieller Adressat für die Gerichte und Rechtsanwälte
sichtbar. Sie hat sich für die Nutzer der digitalen
Kommunikation über das beBPo erkennbar objektiv empfangsbereit
gehalten und damit zumindest auch subjektiv konkludent den Zugang
eröffnet, ohne dass hierfür ein aktives Tun erforderlich
wäre (vgl. Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08.12.2020 - S
179 AS 10734/19, juris, Rz 26; vgl. Beschluss des
Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 06.05.2021 - L 6
AS 64/21 B ER, Anwalt/Anwältin im Sozialrecht 2021, 277).
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34
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(2) Der Zulässigkeit der
Übermittlung des Antrags über das beA an das beBPo steht
auch nicht § 67 Satz 1 Halbsatz 2 EStG entgegen. § 67
Satz 1 Halbsatz 2 EStG entfaltet keine Sperrwirkung für die
Übermittlung eines Antrags in einer anderen als der in dieser
Vorschrift vorgesehenen elektronischen Form, sofern auch für
diese andere Übermittlungsart der Zugang nach § 87a AO
eröffnet ist. Insoweit ist § 67 Satz 1 EStG nicht in der
Weise (restriktiv) zu verstehen, dass sämtliche elektronische
Kommunikationsformen nunmehr ausschließlich von § 67
Satz 1 Halbsatz 2 EStG erfasst werden.
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35
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Für die Interpretation eines Gesetzes ist
der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des
Gesetzgebers maßgebend. Der Feststellung des zum Ausdruck
gekommenen objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen neben der
Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung),
die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte (historische
Auslegung), der Zusammenhang (systematische Auslegung) sowie der
Zweck (teleologische Auslegung); zur Erfassung des Inhalts einer
Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen Auslegungsmethoden
gleichzeitig und nebeneinander bedienen (BFH-Urteil vom 13.09.2023
- II R 49/21, BFH/NV 2024, 226 = SIS 23 20 26, Rz 17, m.w.N.).
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36
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(a) Eine Sperrwirkung gegenüber anderen
elektronischen Übermittlungsformen ist im Wortlaut des §
67 Satz 1 Halbsatz 2 EStG nicht angelegt. Der zweite Halbsatz des
§ 67 Satz 1 EStG enthält keine Beschränkung der
elektronischen Antragstellung im Kindergeldverfahren, welche
beispielsweise durch die Worte „nur“
oder „ausschließlich“ hätte
verdeutlicht werden können. Des Weiteren folgt aus der
Formulierung „eine elektronische Antragstellung nach amtlich
vorgeschriebenem Datensatz … ist
zulässig“ gerade nicht, dass alle
anderen elektronischen Formen ausgeschlossen sind. Dies ergibt sich
auch aus einem Vergleich anderer steuerrechtlicher Regelungen, in
denen eine Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung von
Steuererklärungsdaten angeordnet wird. Eine derartige
Verpflichtung begründen beispielsweise § 25 Abs. 4 und
§ 41a Abs. 1 Satz 2 EStG, § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3
Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes, § 31 Abs. 1a Satz 1 des
Körperschaftsteuergesetzes und § 14a Satz 1 des
Gewerbesteuergesetzes. In diesen Normen wird der
Erklärungspflichtige durch die Worte
„ist“ oder
„hat“ zur Übermittlung „nach
amtlich vorgeschriebenen Datensatz durch
Datenfernübertragung“ verpflichtet. Nur
in diesen Fällen sind die Behörden regelmäßig
nicht verpflichtet (Ausnahme Härtefall, vgl. § 150 Abs. 8
AO), einen anderen Übertragungsweg zu akzeptieren (vgl.
BFH-Beschluss vom 17.08.2015 - I B 133/14, BFH/NV 2016, 72 = SIS 15 28 61; BFH-Urteil vom 15.05.2018 - VII R 14/17, BFH/NV 2018, 1137 =
SIS 18 14 41). Eine derartige zwingende Formulierung enthält
§ 67 Satz 1 Halbsatz 2 EStG hingegen gerade nicht. Der
Wortlaut der Norm steht daher - sofern die Behörde einen
Zugang eröffnet hat - einer einfachen elektronischen
Antragstellung, wie beispielsweise mittels einer E-Mail, nicht
entgegen, wenn das Gesetz - wie hier für den Antrag auf
Kindergeld - nicht die Schriftform mit einer Unterschrift verlangt,
sondern eine Erklärung genügen lässt, die zwar
schriftlich, das heißt in Text- oder Papierform erfolgen,
aber keine Unterschrift enthalten muss (vgl. Senatsurteile vom
13.05.2015 - III R 26/14, BFHE 250, 12, BStBl II 2015, 790 = SIS 15 18 64, Rz 16; vom 12.10.2023 - III R 38/21, BFH/NV 2024, 199 = SIS 23 20 87, Rz 31 ff.; a.A. Hessisches FG [Vorinstanz], Urteil vom
20.04.2023 - 9 K 39/23, EFG 2023, 1189 = SIS 23 20 62, Rz 35, das
seit der Änderung des § 67 EStG auch bei einer
schriftlichen Antragstellung eine Unterschrift fordert).
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37
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(b) Die „elektronische
Antragstellung“ in § 67 Satz 1 Halbsatz 2
EStG ist durch das Gesetz zur Digitalisierung von
Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von Familienleistungen
eingefügt worden. Die Regelung soll nach der
Gesetzesbegründung nur eine Klarstellung enthalten (BT-Drucks.
19/21987, S. 29). So wurde auch bisher bereits eine Antragstellung
per E-Mail als möglich angesehen, wenn die Familienkasse nach
§ 87a AO einen Zugang für elektronische Dokumente
eröffnet hat (HHR/Wendl, § 67 EStG Rz 6). Der Ausschluss
einer anderen als der in Halbsatz 2 genannten elektronischen
Antragstellung (und damit auch durch eine einfache E-Mail)
wäre aber keine Klarstellung, sondern eine Einschränkung.
In der Gesetzesbegründung wird weiterhin ausgeführt, dass
der Nutzen des Gesetzes in erster Linie darin bestehen soll,
„neue“ nutzerfreundliche digitale
Anwendungen bei der Beantragung von Familienleistungen zu
ermöglichen (BT-Drucks. 19/21987, S. 2). Im Fokus stand zudem
die Bürgerfreundlichkeit und die Entbürokratisierung der
Beantragung von Familienleistungen (BT-Drucks. 19/21987, S. 1).
Dies spricht ebenfalls dafür, die bisher schon vorhandenen
Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation bei
entsprechender Zugangseröffnung weiterhin als zulässig
und für eine Antragstellung ausreichend anzusehen. Auch soweit
in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, dass die
„elektronische Übermittlung … nur unter
Verwendung eines standardisierten Datensatzes zulässig
sein“ (BT-Drucks. 19/21987, S. 29) soll, kann
dies dahin verstanden werden, dass es sich nur um eine Vorgabe
für die Übermittlung nach § 67 Satz 1 Halbsatz 2
EStG, nicht hingegen für andere elektronische
Übermittlungsarten handelt. Jedenfalls aber hat der
möglicherweise bestehende Wille, alle anderen Formen der
elektronischen Antragstellungen auszuschließen, im Gesetz -
wie dargelegt - keinen hinreichenden Ausdruck gefunden.
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(c) Für eine Beibehaltung auch anderer
Formen der Übermittlung elektronischer Anträge bei
entsprechender Zugangseröffnung spricht zudem der Sinn und
Zweck des § 67 Satz 1 EStG. Wie der Senat bereits in seinem
Urteil vom 12.10.2023 - III R 38/21 (BFH/NV 2024, 199 = SIS 23 20 87, Rz 34) ausgeführt hat, dient das Kindergeld dazu, einen
Einkommensbetrag in Höhe des Kinderexistenzminimums von der
Besteuerung freizustellen. Soweit es dazu nicht erforderlich ist,
dient es der Förderung der Familie (§ 31 Satz 1 und 2
EStG). Was die Freistellung des Kinderexistenzminimums anbelangt,
ist zu berücksichtigen, dass das Kindergeld schon während
des laufenden Jahres einen (vorläufigen) Ausgleich für
den über die Lohnsteuer oder die
Einkommensteuervorauszahlungen erfolgenden Zugriff des Staates auf
den für den Kindesunterhalt erforderlichen Einkommensanteil
schaffen soll. Schon dies spricht dafür, den Zugang zum
Kindergeld niederschwellig zu halten und vom Kindergeldberechtigten
nicht mehr zu fordern, als für die Einleitung und die
ordnungsgemäße Durchführung des
Verwaltungsverfahrens erforderlich ist. Aber auch soweit das
Kindergeld eine einkommensteuerrechtliche Förderung der
Familie durch eine Sozialzwecknorm (s. hierzu Senatsurteil vom
09.02.2012 - III R 68/10, BFHE 236, 421, BStBl II 2012, 686 = SIS 12 11 05, Rz 14, m.w.N.) beinhaltet, entspricht es dem vom
Gesetzgeber verfolgten Förderzweck, den Zugang zum Kindergeld
nicht durch strenge Formanforderungen zu erschweren.
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(d) Die Zulassung der Antragstellung durch
Übermittlung einer anderen als der in § 67 Satz 1
Halbsatz 2 EStG vorgesehenen elektronischen Form führt auch
nicht dazu, dass die auch durch das elektronische Dokument zu
wahrenden Funktionen der „schriftlichen
Antragstellung“ (s. hierzu im Einzelnen
Senatsurteil vom 12.10.2023 - III R 38/21, BFH/NV 2024, 199 = SIS 23 20 87, Rz 32 ff.) unterlaufen werden.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143
Abs. 1, § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Da der
Kläger mit seiner Klage obsiegt, sind die Kosten des
Klageverfahrens der Familienkasse aufzuerlegen. Die Revision des
Klägers hat aber nur teilweise Erfolg, daher sind die Kosten
des Rechtsmittelverfahrens verhältnismäßig zu
teilen. Insoweit ist eine Kostenentscheidung nach
Verfahrensabschnitten sachgerecht (BFH-Urteil vom 28.04.2020 - VI R
45/17, BFH/NV 2020, 1053 = SIS 20 12 97, Rz 26). Auch diese wahrt
den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung
(Senatsurteil vom 04.08.2011 - III R 71/10, BFHE 235, 203, BStBl II
2013, 380 = SIS 11 40 01, Rz 15).
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