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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, hat mit
Schreiben vom 23.12.2010 während des beim Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) anhängigen
Einspruchsverfahrens um eine Erörterung des Sach- und
Rechtsstands nach § 364a der Abgabenordnung (AO) gebeten. Das
Gespräch sollte - ggf. in Verbindung mit einer
tatsächlichen Verständigung - der gütlichen Einigung
dienen.
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Das FA lehnte den Antrag mit Schreiben vom
13.1.2011 ab und verwies hierbei darauf, dass es im Hinblick auf
das erfolglos gebliebene gerichtliche Aussetzungsverfahren keine
Möglichkeit einer Verständigung sehe.
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Auf den Einspruch der Klägerin vom
14.1.2011 nahm das FA mit Schreiben vom 11.2.2011 dahin Stellung,
dass die Ablehnung eines Antrags auf Erörterung des Sach- und
Rechtsstands Verwaltungsaktcharakter habe, aber als
verfahrensleitende Verfügung entsprechend dem Ablehnungszweck
nicht anfechtbar sei. Insoweit werde das Schreiben vom 14.1.2011
nicht als Einspruch behandelt. In der Sache verbleibe es aber bei
der Ablehnung des Erörterungsantrags. Zwar solle dem Antrag
auf Erörterung des Sach- und Rechtsstands gemäß
§ 364a Abs. 1 Satz 1 AO grundsätzlich entsprochen werden;
im Streitfall diene er jedoch offensichtlich nur der
Verfahrensverschleppung. Das FA hat insofern u.a. darauf
hingewiesen, dass die Klägerin die Zeit des gerichtlichen
Aussetzungsverfahrens (März bis November 2010) für solche
Gespräche nicht genutzt und es nunmehr unterlassen habe,
wenigstens einige Punkte aus dem umfangreichen Streitstoff als
Gesprächsgegenstand zu benennen. Eine sinnvolle Vorbereitung
des Gesprächs sei damit nicht möglich. Auch sei
angesichts des bisherigen Verhaltens der Klägerin zu besorgen
gewesen, dass es bei einem Erörterungstermin nicht bleiben
würde. Bei Abwägung des Rechtsschutzinteresses der
Klägerin mit dem Interesse der Verwaltung an einem raschen
Abschluss des Einspruchsverfahrens sei Letzterem der Vorrang
einzuräumen.
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Die Klage, mit der die Klägerin
beantragte, das von ihr als Einspruchsentscheidung aufgefasste
Schreiben vom 11.2.2011 aufzuheben und das FA zu verpflichten,
über den Einspruch vom 14.1.2011 in der Sache zu entscheiden,
ist vom Finanzgericht (FG) abgewiesen worden (FG
Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.8.2011 12 K 12033/11, EFG 2011,
2122 = SIS 11 34 95).
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Mit der vom FG zugelassenen Revision
beantragt die Klägerin sinngemäß, das
vorinstanzliche Urteil sowie die Ablehnung des Antrags vom
13.1.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 11.2.2011 aufzuheben
und das FA zu verpflichten, einen Termin zur Erörterung des
Sach- und Rechtsstands anzuberaumen.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision bleibt ohne Erfolg. Sie ist
zum Teil unzulässig, im Übrigen unbegründet.
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1. Die Revision ist unzulässig, soweit
die Klägerin den Revisionsantrag über den Inhalt ihres
Klageantrags hinaus erweitert hat. Eine Erweiterung des
Klagebegehrens ist im Revisionsverfahren ausgeschlossen, weil es
hinsichtlich des hinzugekommenen Teils an einer vorinstanzlichen
Entscheidung und damit zugleich an einer formellen Beschwer des
Revisionsklägers fehlt (Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 123 Rz 2).
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a) Die Klägerin hatte im
erstinstanzlichen Verfahren beantragt, die Einspruchsentscheidung
vom 11.2.2011 aufzuheben und das FA zu verpflichten, über
ihren Einspruch vom 14.1.2011 in der Sache zu entscheiden. Mit dem
Antrag, der vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt werden
kann (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 118
FGO Rz 190; Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 48, jeweils
m.w.N.), wollte die Klägerin erkennbar einen sog.
Bescheidungsausspruch des Inhalts erreichen, dass das FA sein in
§ 364a AO eingeräumtes Ermessen unter Beachtung der
Rechtsauffassung des FG erneut ausübt und die Klägerin
auf dieser rechtlichen Grundlage erneut bescheidet (§ 101 Satz
2 i.V.m. § 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Hiergegen
lässt sich nicht einwenden, dass nach dem Wortlaut des
Klageantrags nur die Einspruchsentscheidung, nicht hingegen der
zunächst ergangene ablehnende Bescheid vom 13.1.2011
aufgehoben werden sollte. Dem ist - bei der gebotenen Auslegung des
Antrags - nicht nur im Hinblick auf die erkennbare Interessenlage
der Klägerin, sondern auch mit Rücksicht darauf keine
Bedeutung beizumessen, dass das Verpflichtungsbegehren (hier:
Bescheidungsbegehren) die Aufhebung des Ablehnungs- und
Rechtsbehelfsbescheids umfasst und Letzteres damit auch nicht
beantragt werden muss, sondern im Falle eines Klageerfolgs von Amts
wegen auszusprechen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
12.3.1970 IV 7/65, BFHE 99, 172, BStBl II 1970, 625 = SIS 70 03 47;
Gräber/von Groll, a.a.O., § 40 Rz 21).
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b) Im Revisionsverfahren begehrt die
Klägerin erstmals, das FA zu verpflichten, einen Termin zur
Erörterung des Sach- und Rechtsstands anzuberaumen. Der Antrag
ist auf den Erlass eines sog. Vornahmeurteils gerichtet (§ 101
Satz 1 FGO); ihm liegt offensichtlich die Erwägung zugrunde,
dass das FA sein Ermessen rechtmäßig nur im Sinne einer
Erörterung gemäß § 364a AO ausüben
könne (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Da die Vorinstanz
lediglich über das erstinstanzliche Bescheidungsbegehren
entschieden hatte, kann der Vornahmeantrag - obgleich er den
nämlichen Streitgegenstand betrifft - im Revisionsverfahren
nicht mehr gestellt werden. Eine unzulässige Erweiterung des
Klagebegehrens hat der BFH beispielsweise darin gesehen, dass der
Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren nur die Verpflichtung
des FA zur Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung, in
der Revisionsinstanz hingegen die Festsetzung der Einkommensteuer
auf einen bestimmten Betrag beantragt hatte (BFH-Urteil vom
22.5.2006 VI R 61/05, BFH/NV 2007, 45 = SIS 06 48 17; Seer in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 123 FGO
Rz 4 a.E.). Nichts anderes kann gelten, wenn im Rahmen einer
Verpflichtungsklage die Klägerin erstmals mit ihrem
Revisionsantrag einen Vornahmeausspruch begehrt. Unberührt
hiervon bleibt allerdings, dass das Vornahmebegehren
regelmäßig auch den Bescheidungsantrag umfasst
(Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 24.10.2006
6 B 47/06, NVwZ 2007, 104; Braun in HHSp, § 40 FGO Rz 78) und
deshalb auch im Streitfall die Revision insofern zulässig ist,
als sie darauf zielt, die Entscheidung der Vorinstanz zum
bisherigen Bescheidungsbegehren zu überprüfen.
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2. Insoweit ist die Revision jedoch
unbegründet, weil die Klage (Bescheidungsbegehren) durch
Prozessurteil abzuweisen war. Zwar lässt sich dem
vorinstanzlichen Urteil nicht mit hinreichender Sicherheit
entnehmen, ob das FG die Klage als unzulässig oder
unbegründet angesehen hat. Dies kann jedoch dahinstehen, da
auch im Falle eines Sachurteils der Tenor der Entscheidung des FG
richtig und dessen Urteil im Ergebnis zu bestätigen wäre
(Senatsurteil vom 20.4.1988 I R 67/84, BFHE 154, 5, BStBl II 1988,
927 = SIS 88 21 48; Gräber/Ruban, a.a.O., § 126 Rz 8,
m.w.N.).
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a) Im Schrifttum ist umstritten, ob ein
Rechtsbehelf gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erörterung
des Sach- und Rechtsstands nach § 364a Abs. 1 AO zulässig
ist. Der BFH hat hierzu noch nicht Stellung genommen. Die im
Schrifttum herrschende Ansicht geht davon aus, dass der Bescheid,
mit dem ein Antrag auf Erörterung gemäß § 364a
AO abgelehnt wird, nicht angefochten werden kann. Zum Teil wird
dies darauf gestützt, dass es an einem Verwaltungsakt fehle
(z.B. M. Söffing, DStR 1995, 1489, 1493; Harder, DStZ 1996,
397). Überwiegend wird jedoch darauf abgestellt, dass die
Ablehnung des Antrags zwar als Verwaltungsakt zu qualifizieren, als
verfahrensleitende Verfügung aber - entsprechend dem zu
verallgemeinernden Rechtsgedanken des § 128 Abs. 2 FGO sowie
des § 44a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - einer
eigenständigen Anfechtung entzogen sei (z.B. Seer in Tipke/
Kruse, a.a.O., § 364a AO Rz 6; Birkenfeld in HHSp, § 364a
AO Rz 72; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung, 2. Aufl., §
364a Rz 22 f.; Werth in Beermann/Gosch, AO, § 364a Rz 21;
Hardtke in: Kühn/v.Wedelstädt, 20. Aufl., AO, § 364a
Rz 4; Tiedchen, BB 1996, 1033, 1038; anderer Ansicht Szymczak in
Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 364a Rz 12).
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b) Nach Ansicht des erkennenden Senats kann es
- ausgehend von der Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Senatsurteil
vom 16.12.1987 I R 66/84, BFH/NV 1988, 319 = SIS 88 10 28;
BFH-Beschluss vom 20.12.2011 II S 28/10, BFH/NV 2012, 381 = SIS 12 03 53) - nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei der Ablehnung des
Antrags auf Erörterung des Sach- und Rechtsstands
gemäß § 364a AO um eine gegenüber der
Klägerin getroffene einzelfallbezogene Regelung und damit um
einen Verwaltungsakt gehandelt hat (§ 118 Satz 1 AO) und der
gerichtliche Rechtsschutz gegen einen solchen ablehnenden Bescheid
- auch dann, wenn das eigentliche Klageziel in der Vornahme einer
tatsächlichen Handlung besteht - im Wege einer
Verpflichtungsklage verfolgt werden muss.
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c) Der Senat schließt sich jedoch der
ganz überwiegend vertretenen Auffassung an, nach der eine
solche Klage, die mit dem Ziel erhoben wird, dass das FA dem
Begehren auf Durchführung einer Erörterung
gemäß § 364a AO entspricht, mit dem Zweck der
Vorschrift, den Abschluss des Einspruchsverfahrens zu beschleunigen
und damit zugleich Streitfälle vom Finanzgericht fernzuhalten
(so ausdrücklich BTDrucks 12/7427, S. 37), nicht vereinbar
wäre und deshalb unzulässig ist. Dabei kann unbeantwortet
bleiben, ob diese Ansicht auf eine analoge Anwendung des § 44a
VwGO gestützt werden könnte, nach dem Rechtsbehelfe gegen
behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den
gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend
gemacht werden können (vgl. zur entsprechenden Geltung von
§ 44a VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren z.B. Urteil des
Bundessozialgerichts vom 24.11.2004 B 3 KR 16/03 R, Sozialrecht
4-2500 § 36 Nr 1; zustimmend Kopp/Schenke,
Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 17. Aufl., § 44a Rz 3).
Jedenfalls enthält § 44a VwGO eine Ausprägung des
allgemeinen Grundsatzes, nach dem Verfahrenshandlungen nicht
selbständig angefochten werden können, solange das
Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen und deshalb noch
offen ist, ob der Betroffene durch das Verfahrensergebnis in seinen
Rechten verletzt werden wird (Eyermann/Geiger,
Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl., § 44a Rz 1;
BVerwG-Urteil vom 12.4.1978 VIII C 7.77, NJW 1979, 177, zur
Rechtslage vor Inkrafttreten von § 44a VwGO). Einer gleichwohl
erhobenen Klage fehlt mithin das Rechtsschutzinteresse (Klein/
Brockmeyer, AO, 10. Aufl., § 364a Rz 6; Dumke in Schwarz, AO,
§ 364a Rz 27a). Hiergegen lässt sich nicht einwenden,
dass der Einspruchsführer schutzlos gestellt würde. Denn
die fehlende Anfechtungsmöglichkeit lässt unberührt,
dass entweder das FG im Rahmen einer Klage gegen den Steuerbescheid
gemäß § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO nur die
Einspruchsentscheidung zum Zwecke der weiteren Sachaufklärung
durch die Behörde aufheben oder der Kläger isoliert nur
die Einspruchsentscheidung anfechten kann (§ 100 Abs. 1 FGO),
sofern er hierfür ein berechtigtes Interesse hat (Seer in
Tipke/Kruse, a.a.O., § 364a AO Rz 6, unter Hinweis auf
BFH-Beschlüsse vom 6.9.2005 IV B 14/04, BFH/NV 2005, 2166 =
SIS 05 48 09, und vom 26.9.2008 VIII B 23/08, juris = SIS 08 45 29;
Birkenfeld in HHSp, § 364a AO Rz 27, 75; Dumke in Schwarz,
a.a.O., § 364a AO Rz 29; Szymczak, DB 1994, 2254, 2261).
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d) Im Übrigen wäre - ohne dass dem
nach den vorstehenden Erwägungen noch entscheidungserhebliche
Bedeutung zukäme - die Klage auch deshalb als unzulässig
abzuweisen gewesen, weil die Klägerin nicht geltend gemacht
hat, durch die Ablehnung ihres Antrags auf Erörterung des
Sach- und Rechtsstands nach § 364a AO in ihren Rechten
verletzt zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO; vgl. hierzu allgemein
Senatsurteil vom 15.12.2004 I R 42/04, BFH/NV 2005, 1073 = SIS 05 25 96; Braun in HHSp, § 40 FGO Rz 176, m.w.N.). Auch insoweit
wären - woran es vorliegend fehlt - zumindest Darlegungen dazu
erforderlich gewesen, welche Umstände sie bis zum Zeitpunkt
der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. hierzu BFH-Urteil vom
7.2.1992 III R 61/91, BFHE 167, 279, BStBl II 1992, 592 = SIS 92 13 93) gegenüber dem FA vorgetragen hat und weshalb dieser
Vortrag dem FA hätte Veranlassung geben können, eine
Erörterung nach § 364a AO als der beschleunigten
Verfahrenserledigung (vgl. BTDrucks 12/7427, S. 37) dienlich zu
erachten.
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3. Das FG hat hiernach die Klage zu Recht
abgewiesen. Die Revision bleibt deshalb - auch soweit sie in
zulässiger Weise erhoben wurde - ohne Erfolg.
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