Auf die Revision der Familienkasse wird das
Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 06.07.2021 - 5 K
1714/20 = SIS 22 01 73
aufgehoben.
Der Bescheid der Familienkasse vom 31.03.2020
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 wird
dahingehend geändert, dass der Klägerin am 29.06.2020 ein
Anspruch auf Auszahlung des für ihre Kinder A und B für
die Monate Mai 2018 bis einschließlich April 2019
festgesetzten Kindergelds in Höhe von 4.656 EUR zustand.
Im Übrigen wird die Revision der
Familienkasse als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die
Familienkasse zu tragen.
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I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob das Finanzgericht (FG) die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) zu Recht zur Zahlung von Kindergeld an die
Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) für deren
Kinder A, geboren 20XX, und B, geboren 20XX, für die Monate
Mai 2018 bis einschließlich April 2019 verpflichtet hat. Dies
hängt entscheidend davon ab, ob ein Kindergeldantrag am
16.07.2019 auch mit einer E-Mail formwirksam gestellt werden
konnte, denn vor dem 18.07.2019 war der Anspruch auf Kindergeld und
nach dem 18.07.2019 der Anspruch auf Auszahlung des Kindergelds auf
die letzten sechs Kalendermonate vor Beginn des Monats, in dem der
Antrag auf Kindergeld eingegangen ist, begrenzt (§ 66 Abs. 3
des Einkommensteuergesetzes - EStG - i.d.F. des Gesetzes zur
Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer
steuerlicher Vorschriften vom 23.06.2017, BGBl I 2017, 1682 - EStG
a.F. - für Anträge, die nach dem 31.12.2017 und vor dem
18.07.2019 eingegangen sind, und § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG
i.d.F. des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und
Sozialleistungsmissbrauch vom 11.07.2019, BGBl I 2019, 1066 - EStG
n.F. -, für Anträge, die nach dem 18.07.2019 eingegangen
sind).
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Am 16.07.2019 schrieb die Klägerin an
die Familienkasse unter dem Betreff „Kindergeld ... - kein
Zahlungseingang seit Mai 2018“ und unter
Nennung der bis April 2018 zutreffenden Kindergeldnummer ... eine
E-Mail, in der sie beanstandete, seit der letzten Zahlung im April
2018 in Höhe von 388 EUR und somit ab Mai 2018 keine
Kindergeldzahlung mehr erhalten zu haben. In der E-Mail waren unter
anderem der Name, die Adresse und die Telefonnummer der
Klägerin angegeben.
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Hierauf teilte ihr die Familienkasse mit,
die Kinder A und B lebten nicht mehr im Haushalt des bisherigen
Kindergeldberechtigten; die Kindergeldfestsetzung sei ihm
gegenüber aufgehoben worden. Da die Kinder im Haushalt der
Klägerin lebten, sei von ihr ein Antrag zu stellen. Über
ihren Anspruch auf Kindergeld könne noch nicht
(endgültig) entschieden werden, weil unter anderem noch die
Vorlage eines Antrags sowie der jeweiligen Anlage Kind erforderlich
seien. Sofern bis zum 29.08.2019 keine Antwort erfolge, werde der
Antrag auf Kindergeld ab Mai 2018 abgelehnt.
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Die Klägerin übersandte mit
Schreiben vom 22.08.2019 eine Vollmacht, aber keine weiteren
Unterlagen.
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Mit Bescheid vom 10.09.2019 lehnte die
Familienkasse unter Nennung der Namen und Geburtsdaten der Kinder
den „formlose(n) Antrag auf Kindergeld vom
16.07.2019“ ab dem Monat Mai 2018 ab.
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Hiergegen legte die Klägerin Einspruch
ein, übermittelte mit E-Mail vom 14.11.2019 jeweils im
„portable document format“ (PDF) (unter
anderem) das von ihr ausgefüllte und unterschriebene
Antragsformular; weitere Unterlagen reichte sie mit Schreiben vom
12.12.2019 nach.
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Mit Kindergeldbescheid vom 17.12.2019
änderte die Familienkasse den Bescheid vom 10.09.2019 nach
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO)
und setzte für beide Kinder ab Mai 2018 Kindergeld fest.
Ergänzend wies sie darauf hin, dass es nur für die Monate
Mai 2019 bis Dezember 2019 ausgezahlt werde. Gemäß
§ 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F. führe der am 14.11.2019
formwirksam eingegangene Antrag zu einer Nachzahlung nur für
die letzten sechs Kalendermonate vor Beginn des Monats November
2019, also für die Monate ab Mai 2019.
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Hiergegen legte die Klägerin am
20.01.2020 „Einspruch“ ein.
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Diesen behandelte die Familienkasse als
Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids (§ 218 Abs. 2
Satz 1 AO) und entschied mit Bescheid vom 31.03.2020, dass die
Klägerin für die Monate Mai 2018 bis einschließlich
April 2019 gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F.
keinen Auszahlungsanspruch habe.
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Die Klägerin legte erfolglos Einspruch
ein und erhob dann Klage.
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Das FG hob den Abrechnungsbescheid vom
31.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 auf
und verpflichtete die Familienkasse, der Klägerin das für
den Zeitraum von Mai 2018 bis einschließlich April 2019
festgesetzte Kindergeld auszuzahlen. Die Klägerin habe bereits
mit E-Mail vom 16.07.2019 und damit vor Inkrafttreten des § 70
Abs. 1 Satz 2 EStG n.F. formwirksam einen Antrag auf Kindergeld
für die beiden Kinder ab Mai 2018 gestellt. Dies habe die
Familienkasse auch so verstanden.
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Der Leitsatz und eine Kurzwiedergabe sind
in Familie und Recht 2022, 339 abgedruckt, das vollständige
Urteil findet sich in juris.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die
Familienkasse mit der Revision. Das FG habe zu Unrecht entschieden,
dass ein schriftlich zu stellender Kindergeldantrag (§ 67 Satz
1 EStG) keine Unterschrift erfordere und auch mit einer einfachen,
nicht qualifiziert signierten E-Mail gestellt werden könne.
Gemäß § 87a Abs. 3 Satz 1 und 2 AO könne eine
durch Gesetz für Anträge an die Finanzbehörden
angeordnete Schriftform durch die elektronische Form ersetzt
werden; dieser genüge jedoch nur ein elektronisches Dokument,
das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sei.
Das treffe auf die E-Mail vom 16.07.2019 nicht zu. Da der Antrag
somit wirksam erst am 14.11.2019 - also nach dem 18.07.2019 -
gestellt worden sei, sei § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F.
anwendbar und eine Auszahlung erst ab Mai 2019 möglich. Selbst
wenn man jedoch der Auffassung des FG folgen und annehmen wollte,
dass der Kindergeldantrag bereits mit der E-Mail vom 16.07.2019
gestellt worden sei, hätte das FG berücksichtigen
müssen, dass eine Kindergeldfestsetzung dann gemäß
§ 66 Abs. 3 EStG a.F. erst ab Januar 2019 in Betracht gekommen
wäre.
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Die Familienkasse beantragt,
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das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom
06.07.2021 - 5 K 1714/20 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Ihrer Auffassung nach ist die
Vorentscheidung richtig.
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II. Die Revision der Familienkasse ist nur zum
geringen Teil begründet. Der Senat entscheidet nach § 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Sache
selbst und ändert den angegriffenen Abrechnungsbescheid der
Familienkasse vom 31.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 29.06.2020 ab.
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Das FG hat den Abrechnungsbescheid vom
31.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 zu
Unrecht aufgehoben, statt ihn zu korrigieren (§ 100 Abs. 2
Satz 1 FGO, vgl. Senatsurteil vom 02.06.2022 - III R 9/21, BFHE
277, 294, BStBl II 2022, 840 = SIS 22 18 02, Rz 17). Außerdem
hat es die Familienkasse zu Unrecht ohne Bezugnahme auf den
Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung verpflichtet, der
Klägerin Kindergeld auszuzahlen. Soweit das FG jedoch
sinngemäß entschieden hat, dass die Klägerin
jedenfalls auch im Zeitpunkt des Ergehens der
Einspruchsentscheidung einen Auszahlungsanspruch in Höhe des
Kindergelds für die Monate Mai 2018 bis April 2019 gehabt
habe, ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden.
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1. Ist streitig, ob der Auszahlung des
festgesetzten Kindergelds § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F.
entgegensteht, ist gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO ein
Abrechnungsbescheid zu erlassen (Beschluss des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 21.09.2021 - VII R 9/18, BFH/NV 2022, 44 = SIS 21 18 93,
Rz 26, m.w.N.). Auch wenn die Familienkasse ihre Entscheidung nicht
als „Abrechnungsbescheid“ bezeichnet und
§ 218 Abs. 2 AO nicht erwähnt hat, liegt ein solcher vor,
wenn sich aus dem Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung
ergibt, dass die Familienkasse nicht über die Festsetzung von
Kindergeld, sondern über den Anspruch des
Kindergeldberechtigten auf Auszahlung des festgesetzten Kindergelds
entschieden hat (Senatsurteil vom 19.02.2020 - III R 66/18, BFHE
268, 294, BStBl II 2020, 704 = SIS 20 08 97, Rz 14, m.w.N.).
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2. Die Abrechnung ist auf der Basis der
formellen Bescheidlage vorzunehmen (Senatsurteil vom 19.02.2020 -
III R 66/18, BFHE 268, 294, BStBl II 2020, 704 = SIS 20 08 97, Rz
31). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung; das ist regelmäßig - wenn der
Abrechnungsbescheid später nicht noch einmal (zum Beispiel auf
Anregung des FG) geändert wird - der Zeitpunkt des Erlasses
der Einspruchsentscheidung im Abrechnungsverfahren (vgl. z.B.
BFH-Beschluss vom 21.09.2021 - VII R 9/18, BFH/NV 2022, 44 = SIS 21 18 93, Rz 26, m.w.N.).
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a) Für den Abrechnungsbescheid betreffend
die Auszahlung von Kindergeld ist auf die im maßgeblichen
Zeitpunkt wirksame (§ 124 AO) Kindergeldfestsetzung
abzustellen; ob sie rechtmäßig oder rechtswidrig ist, ob
sie bestandskräftig ist oder noch geändert werden
könnte, ist ohne Belang, solange sie nicht nichtig (§ 124
Abs. 3 AO) oder erledigt ist (§ 124 Abs. 2 AO).
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Wurde das Kindergeld entgegen § 66 Abs. 3
EStG a.F. ohne Einschränkung auf die letzten sechs Monate vor
Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen
ist, rückwirkend festgesetzt, ist diese Festsetzung im
Abrechnungsverfahren maßgeblich. Das FG kann die
Kindergeldfestsetzung im Abrechnungsverfahren nicht ändern
oder korrigieren; es ist an die Bescheidlage gebunden. Das gilt
auch dann, wenn der Bescheid, mit dem die Familienkasse das
Kindergeld festgesetzt hat, zum Beispiel wegen Verletzung von
§ 66 Abs. 3 EStG a.F. rechtswidrig sein sollte.
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b) Die im Abrechnungsbescheid erfolgende
Entscheidung über das Bestehen des Anspruchs auf Auszahlung
des festgesetzten Kindergelds hängt davon ab, dass die
betreffende Kindergeldforderung im maßgeblichen Zeitpunkt
noch nicht gemäß § 47 AO erloschen ist (zum
Beispiel durch Erfüllung oder Aufrechnung).
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c) Dem festgesetzten Kindergeldanspruch darf
außerdem keine dem Erhebungsverfahren zuzuordnende
Auszahlungsbeschränkung entgegenstehen. Im Streitfall kommt
insoweit allein § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F. in Betracht,
wonach die Auszahlung des festgesetzten Kindergelds auf die letzten
sechs Kalendermonate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf
Kindergeld eingegangen ist, beschränkt ist.
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aa) Die in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F.
geregelte, verfassungsgemäße
Auszahlungsbeschränkung (vgl. Senatsbeschluss vom 22.09.2022 -
III R 21/21, BFHE 278, 201, BStBl II 2023, 249 = SIS 22 19 41;
Brandis/Heuermann/Selder, § 70 EStG Rz 19) betrifft nur
Anträge, welche nach dem 18.07.2019 eingegangen sind (§
52 Abs. 50 Satz 1 EStG). Für Anträge, die nach dem
31.12.2017 und vor dem 18.07.2019 eingegangen sind und für die
somit § 66 Abs. 3 EStG a.F. gilt (§ 52 Abs. 49a Satz 8
i.d.F. bis 29.02.2020 bzw. Satz 10 i.d.F. ab 01.03.2020), gibt es
keine derartige, dem Erhebungsverfahren zuzuordnende
Auszahlungsbeschränkung. § 66 Abs. 3 EStG a.F. betrifft
vielmehr das Festsetzungsverfahren (Senatsurteil vom 19.02.2020 -
III R 66/18, BFHE 268, 294, BStBl II 2020, 704 = SIS 20 08 97). Im
Erhebungsverfahren und damit auch im Abrechnungsbescheid ist §
66 Abs. 3 EStG a.F. nicht zu berücksichtigen.
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bb) Für die Frage, ob ein wirksamer
Kindergeldantrag vorliegt und wann er eingegangen ist, ist bei
Antragseingang bis einschließlich 09.12.2020 § 67 Satz 1
EStG i.d.F. vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Digitalisierung von
Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von Familienleistungen
vom 03.12.2020 (BGBl I 2020, 2668) maßgeblich. Hiernach war
der Antrag auf Kindergeld „schriftlich“
zu stellen. Der zweite Halbsatz („eine elektronische
Antragstellung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über
die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle ist zulässig, soweit
der Zugang eröffnet wurde“) wurde erst
mit Wirkung ab dem 10.12.2020 eingefügt und ist für
vorher gestellte Anträge ohne Belang.
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cc) Jedenfalls bis einschließlich
09.12.2020 - und damit auch im Juli 2019 - konnte ein
Kindergeldantrag auch mit einer einfachen E-Mail ohne
Beifügung des amtlichen Vordrucks im PDF gestellt werden,
selbst wenn sie nur einfach und nicht qualifiziert elektronisch
signiert war, also keine Unterschrift und kein elektronisch
erstelltes Unterschriftssurrogat enthielt. Ob sich dies ab dem
10.12.2020 durch das Einfügen des zweiten Halbsatzes in §
67 Satz 1 EStG geändert hat, muss der Senat im Streitfall
nicht entscheiden.
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(1) Die Verwendung des amtlichen Vordrucks war
für die Antragstellung nicht erforderlich (Senatsbeschluss vom
25.08.2009 - III B 136/08, juris; Brandis/Heuermann/Selder, §
67 EStG Rz 11; Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar,
Fach A Steuerlicher Familienleistungsausgleich, I. Kommentierung,
§ 67 Rz 3; Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 67
EStG Rz 6). Es war auch nicht notwendig, dass der Berechtigte
ausdrücklich einen „Antrag“
stellte. Es genügte, dass sich dies dem Text durch Auslegung
entnehmen ließ. Dabei ist grundsätzlich davon
auszugehen, dass der Bürger diejenige Verfahrenserklärung
abgeben will, die erforderlich ist, um zu dem erkennbar
angestrebten Erfolg - hier die Zahlung von Kindergeld durch die
Familienkasse - zu kommen (FG Hamburg, Urteil vom 06.07.1999 - I
1174/97, juris. Janda in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG,
§ 67 Rz B 15).
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(2) Gemäß § 87a Abs. 1 Satz 1
AO (in die Abgabenordnung eingefügt durch Art. 4 Nr. 4 des
Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher
Vorschriften vom 21.08.2002, BGBl I 2002, 3322) war die
Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit
der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet hatte.
Gemäß § 87a Abs. 3 Satz 1 AO konnte die durch
Gesetz für Anträge an die Finanzbehörden - zu denen
auch die Familienkassen gehören (§ 6 Abs. 2 Nr. 6 AO) -
angeordnete Schriftform durch eine elektronische Form ersetzt
werden. Gemäß § 87a Abs. 3 Satz 2 AO genügte
der elektronischen Form ein elektronisches Dokument, das mit einer
qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Da eine
qualifizierte Signatur eine Unterschrift ersetzt, war sie jedoch
nur in den Fällen erforderlich, in denen ein
Unterschriftserfordernis besteht (vgl. BFH-Urteile vom 18.10.2006 -
XI R 22/06, BFHE 215, 47, BStBl II 2007, 276 = SIS 07 00 35, unter
II.1., zur Klageerhebung; vom 26.10.2006 - V R 40/05, BFHE 215, 53,
BStBl II 2007, 271 = SIS 06 48 79, zur Klagerücknahme ohne
qualifizierte Signatur; Anwendungserlass zur Abgabenordnung Nr.
3.2.4. Satz 1 und 2 zu § 87a AO; Koenig/Hahlweg,
Abgabenordnung, 4. Aufl., § 87a Rz 43; Schmieszek in Gosch, AO
§ 87a Rz 71; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
§ 87a AO Rz 111 f.; a.A. Brandis in Tipke/Kruse, § 87a AO
Rz 13). Ansonsten genügte in den Fällen des § 87a
Abs. 1 Satz 1 AO, in denen der Empfänger einen Zugang für
die Übermittlung elektronischer Dokumente geschaffen hat, eine
E-Mail mit einem die Person des Antragstellers erkennbar machenden
Zusatz, wie etwa einer Namensangabe als Abschluss der E-Mail.
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(3) Entgegen der von der Familienkasse
vertretenen Auffassung (vgl. V 5.2 Abs. 1 Satz 1 und 2 der
Dienstanweisung des Bundeszentralamts für Steuern zum
Kindergeld nach dem EStG 2023) enthielt (und enthält) §
67 Satz 1 EStG kein Unterschriftserfordernis.
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(a) Im Steuerrecht kann aus dem Begriff
„schriftlich“, wie er in § 67 Satz
1 EStG verwendet wird, nicht ohne Weiteres ein
Unterschriftserfordernis im Sinne des § 126 Abs. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) abgeleitet werden (vgl.
Senatsurteil vom 13.05.2015 - III R 26/14, BFHE 250, 12, BStBl II
2015, 790 = SIS 15 18 64, Rz 15, m.w.N.). § 67 Satz 1 EStG,
§ 66 Abs. 3 EStG a.F. und § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F.
enthalten keine Regelung, wonach der Antrag unterschrieben worden
sein muss, um die Sechs-Monats-Frist in Gang zu setzen (vgl. das
Unterschriftserfordernis in § 46 Abs. 3 Satz 2 AO, § 95
Abs. 5 Satz 3 AO, § 7 Abs. 2 Satz 1 des
Investitionszulagengesetzes 2010 oder § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG
i.V.m. § 150 Abs. 3 AO). Die Vorschriften enthalten umgekehrt
aber auch keine eindeutige Regelung, dass ein Kindergeldantrag
nicht unterschrieben werden muss, um die Bearbeitung des
Kindergeldantrags anzustoßen und die Sechs-Monats-Frist in
Gang zu setzen.
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(b) Folgt aus dem Wortlaut einer gesetzlichen
Vorschrift kein eindeutiges Unterschriftserfordernis, kann ein
solches allein anhand ihres Wortlauts aber auch nicht
ausgeschlossen werden, ist in Fällen, in denen das Gesetz den
Begriff „schriftlich“ verwendet, im Wege
der Auslegung zu ermitteln, ob eine der Funktionen erfüllt
werden muss, die der Unterschrift zugeordnet werden (z.B. die
Abschluss-, Perpetuierungs-, Identitäts-, Echtheits-,
Verifikations-, Beweis- und Warnfunktion; vgl. etwa Senatsurteil
vom 13.05.2015 - III R 26/14, BFHE 250, 12, BStBl II 2015, 790 =
SIS 15 18 64, Rz 15, m.w.N.; Schmieszek in Gosch, AO § 87a Rz
73).
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Im Fall des § 67 Satz 1 EStG sprechen
Sinn und Zweck der Vorschrift dafür, keine Unterschrift des
Kindergeldberechtigten oder seines Vertreters zu verlangen. §
126 Abs. 1 BGB ist nicht anzuwenden.
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Das Kindergeld dient dazu, einen
Einkommensbetrag in Höhe des Kinderexistenzminimums von der
Besteuerung freizustellen. Soweit es dazu nicht erforderlich ist,
dient es der Förderung der Familie (§ 31 Satz 1 und 2
EStG). Was die Freistellung des Kinderexistenzminimums anbelangt,
ist zu berücksichtigen, dass das Kindergeld schon während
des laufenden Jahres einen (vorläufigen) Ausgleich für
den über die Lohnsteuer oder die
Einkommensteuervorauszahlungen erfolgenden Zugriff des Staates auf
den für den Kindesunterhalt erforderlichen Einkommensanteil
schaffen soll. Schon dies spricht dafür, den Zugang zum
Kindergeld niederschwellig zu halten und vom Kindergeldberechtigten
nicht mehr zu fordern, als für die Einleitung und die
ordnungsgemäße Durchführung des
Verwaltungsverfahrens erforderlich ist. Aber auch soweit das
Kindergeld eine einkommensteuerrechtliche Förderung der
Familie durch eine Sozialzwecknorm (s. hierzu Senatsurteil vom
09.02.2012 - III R 68/10, BFHE 236, 421, BStBl II 2012, 686 = SIS 12 11 05, Rz 14, m.w.N.) beinhaltet, entspricht es dem vom
Gesetzgeber verfolgten Förderzweck, den Zugang zum Kindergeld
nicht durch strenge Formanforderungen zu erschweren.
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Bei einem Antrag, der die Bearbeitung
lediglich anstößt, aber noch nicht unmittelbar zum
Abschluss des Verfahrens führt, muss zwar die Identität
des Antragstellers feststellbar sein und erkennbar sein, dass und
für welche Kinder er Kindergeld begehrt.
„Schriftlich“ bedeutet hiernach im Fall
des § 67 Satz 1 EStG, dass der Kindergeldantrag
verschriftlicht sein muss, damit sein Inhalt im
Verwaltungsverfahren, aber auch im Rechtsbehelfs- und
Klageverfahren dokumentiert und überprüfbar ist. Ein rein
mündlicher (nicht förmlich zu Protokoll erklärter)
und insbesondere ein telefonisch gestellter Antrag genügt
diesen Anforderungen nicht (Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich,
Kommentar, Fach A Steuerlicher Familienleistungsausgleich, I.
Kommentierung, § 67 Rz 5; HHR/Wendl, § 67 EStG Rz 6),
denn es ließe sich im Nachhinein nicht stets
verlässlich überprüfen, ob und gegebenenfalls
für welche Kinder und für welche Monate ein
Kindergeldantrag gestellt wurde. Eine Unterschrift des
Antragstellers oder seines Vertreters ist zu Dokumentationszwecken
hingegen nicht erforderlich, sondern kann gegebenenfalls dann
gefordert werden, wenn Zweifel an der Urheberschaft der
Erklärung bestehen.
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Zum Schutz oder zur besonderen Warnung des
Antragstellers vor den Folgen seines Antrags ist beim Antrag auf
Kindergeld ebenfalls keine Unterschrift erforderlich; der
Kindergeldantrag hemmt den Ablauf der Festsetzungsfrist
gemäß § 171 Abs. 3 AO und bewirkt, dass das
Kindergeld - gegebenenfalls nach weiteren Verfahrensschritten -
festgesetzt werden kann.
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(4) Da eine qualifizierte Signatur - wie
ausgeführt - eine Unterschrift ersetzt und für einen
Kindergeldantrag kein Unterschriftserfordernis besteht,
genügte im Streitfall eine E-Mail ohne qualifizierte
elektronische Signatur, um einen formwirksamen Kindergeldantrag zu
stellen.
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3. Nach diesen Grundsätzen hat das FG
zutreffend entschieden, dass der angefochtene Abrechnungsbescheid
in Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtswidrig ist, weil die
Klägerin jedenfalls am 29.06.2020 einen noch zu
erfüllenden Kindergeldanspruch für zwei Kinder für
die Monate Mai 2018 bis einschließlich April 2019 hatte.
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Das FG hätte den Abrechnungsbescheid
allerdings nicht aufheben dürfen, sondern es hätte ihn -
wie aus dem Tenor ersichtlich - korrigieren und dabei auf den
Zeitpunkt des Ergehens der letzten Verwaltungsentscheidung im
Abrechnungsverfahren abstellen müssen. Zuvor hätte es
gemäß § 76 Abs. 2 FGO auf einen entsprechenden
Antrag der Klägerin hinwirken müssen.
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a) Wie ausgeführt, ist im
Abrechnungsverfahren die formelle Bescheidlage im Zeitpunkt des
Ergehens der letzten Verwaltungsentscheidung im
Abrechnungsverfahren - hier der Einspruchsentscheidung -
maßgeblich. Bei Ergehen der Einspruchsentscheidung am
29.06.2020 war der Bescheid vom 17.12.2019, mit dem die
Familienkasse das Kindergeld ohne Einschränkung für die
Monate ab Mai 2018 festgesetzt hatte, wirksam. Ein Verstoß
gegen § 66 Abs. 3 EStG a.F. führt für sich genommen
nicht zur Nichtigkeit der Kindergeldfestsetzung. Ob das Kindergeld
gemäß § 66 Abs. 3 EStG a.F. erst ab Januar 2019
festgesetzt hätte werden dürfen und ob der Bescheid
rechtswidrig war, ist im Abrechnungsverfahren ohne Belang.
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b) Anhaltspunkte dafür, dass der
Zahlungsanspruch der Klägerin bei Ergehen der
Einspruchsentscheidung im Abrechnungsverfahren zum Beispiel durch
Erfüllung erloschen war, bestehen nicht.
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c) Dem Kindergeldanspruch der Klägerin
stand keine dem Erhebungsverfahren zuzuordnende
Auszahlungsbeschränkung entgegen.
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§ 66 Abs. 3 EStG a.F. betrifft - wie
ausgeführt - das Festsetzungsverfahren. Im Erhebungsverfahren
und damit auch im Abrechnungsbescheid ist § 66 Abs. 3 EStG
a.F. nicht zu berücksichtigen. § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG
n.F. ist im Streitfall nicht anwendbar. Die Vorschrift gilt erst
für nach dem 18.07.2019 gestellte Anträge. Nach den
revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des FG
hat die Klägerin jedoch bereits am 16.07.2019 mit einer E-Mail
einen wirksamen Kindergeldantrag gestellt.
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aa) Die E-Mail vom 16.07.2019 war nach den
oben dargestellten Grundsätzen unter Berücksichtigung von
§ 87a Abs. 1 Satz 1 AO ein formwirksamer Kindergeldantrag im
Sinne des § 67 Satz 1 EStG in der bis einschließlich
09.12.2020 geltenden Fassung. Die Übermittlung elektronischer
Dokumente war nach § 87a Abs. 1 Satz 1 AO zulässig, weil
die Familienkasse hierfür einen Zugang eröffnet hatte.
Dass die E-Mail nicht qualifiziert signiert und dass ihr auch sonst
keine Unterschrift (zum Beispiel im PDF) beigefügt war, ist -
wie ausgeführt - ohne Belang, da auch ein schriftlich
gestellter Kindergeldantrag nicht unterschrieben werden musste.
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bb) Das Fehlen einer Unterschrift und einer
qualifizierten elektronischen Signatur führte im Streitfall
auch nicht zu Zweifeln der Familienkasse an der Ernsthaftigkeit und
der Urheberschaft des Antrags der kindergeldberechtigten
Klägerin. Nach den Feststellungen des FG konnte die
Familienkasse bereits aus der E-Mail vom 16.07.2019 den
vollständigen Namen und die Adresse der Klägerin, die
frühere Kindergeldnummer und die Höhe des begehrten
Kindergelds sowie den Zeitraum, für den das Kindergeld
festgesetzt werden sollte, erkennen und ohne Weiteres ableiten,
für welche Kinder sie Kindergeld begehrte.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO. Die Klägerin ist an den Verfahrenskosten nicht
zu beteiligen. Der Senat legt ihren Antrag vor dem FG
rechtsschutzgewährend dahin aus, dass sie mit der Klage eine
Korrektur des Abrechnungsbescheids zum 29.06.2020 anstrebte; im
Übrigen wäre § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO anzuwenden
gewesen.
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