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I. Der im September 1986 geborene Sohn (S)
der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin)
besuchte bis Juli 2007 die Schule. Im unmittelbaren Anschluss
hieran begann S am 1.7.2007 mit der Ableistung des gesetzlichen
Grundwehrdienstes, den er am 26.8.2007 aufgrund anerkannter
Kriegsdienstverweigerung beendete. Nach dem Einberufungsbescheid
vom 23.10.2007 sollte S seinen Zivildienst am 3.3.2008 beginnen.
Tatsächlich trat er den Zivildienst bereits im Februar 2008
an.
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S wurde im September 2007 bei der
Berufsberatung als „ratsuchend“ aufgenommen. In dem
nachfolgenden Termin im Oktober 2007 wurden mit S verschiedene
Studienmöglichkeiten erörtert. S gab an, sich weiter
informieren und sich ggf. erneut an die Berufsberatung wenden zu
wollen. Daraufhin wurde S aus der Berufsberatung abgemeldet. Eine
Meldung als Arbeitsuchender erfolgte nicht. Der nächste
Kontakt des S mit der Berufsberatung erfolgte im Juni 2008.
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Die Klägerin beantragte im Oktober
2007 Kindergeld für S. Die Beklagte und Revisionsbeklagte
(Familienkasse) lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 19.10.2007
ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit
der die Klägerin Kindergeld für S ab August 2007 bis
Februar 2008 begehrte, als unbegründet ab (EFG 2011, 345 = SIS 10 41 11).
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Zur Begründung ihrer Revision
führt die Klägerin im Wesentlichen aus, die Familienkasse
habe S bei den Kontakten im September und Oktober 2007 nicht darauf
hingewiesen, dass er sich arbeitslos bzw. arbeitsuchend hätte
melden müssen. Wäre ihm dieses Erfordernis bekannt
gewesen, hätte er die erforderliche Meldung vorgenommen.
Danach habe die Familienkasse ihre Fürsorge- und
Beratungspflicht gegenüber S verletzt.
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Außerdem habe S keinen Einfluss auf
den Beginn des Ersatzdienstes gehabt. Er sei davon ausgegangen,
dass er den Zivildienst kurz nach der Bekanntgabe der Mitteilung
über die Zivildienststelle X, die ihm noch während des
Grundwehrdienstes zugegangen sei, antreten könne.
Außerdem sei der Beginn des Zivildienstes - was für die
Beteiligten zunächst auch nicht erkennbar gewesen sei - auf
den 4.2.2008 vorverlegt worden. Die vom Gesetzgeber bestimmte
Übergangsfrist von vier Monaten sei zu kurz und
berücksichtige offensichtlich nur Idealfälle, keinesfalls
jedoch die Situation von „Wehrdienstwechslern“ und die
dabei auftretenden Verzögerungen. Insoweit bestehe eine
Regelungslücke. Es müsse der gesamte Zeitraum vom Beginn
des Wehrdienstes bis zur Beendigung des Ersatzdienstes als ein
Zeitraum angesehen werden und damit durchgehend Kindergeld
gewährt werden.
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Schließlich sei für S auch nicht
vorstellbar gewesen, zwischenzeitlich eine nutzlose Ausbildung zu
beginnen, weil er nach Ableistung des Pflichtdienstes ein Studium
habe beginnen wollen.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das Urteil des FG, den Ablehnungsbescheid der
Familienkasse vom 19.10.2007 und die hierzu ergangene
Einspruchsentscheidung vom 6.2.2008 aufzuheben und die
Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für S ab August 2007
bis Februar 2008 zu gewähren.
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Die Familienkasse beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die zulässige Revision ist als
unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das
FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin kein
Kindergeld für S für den Zeitraum August 2007 bis Februar
2008 zusteht.
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1. Der Senat legt den Revisionsantrag der
Klägerin dahingehend aus, dass sie eine Entscheidung nach dem
Antrag in der Vorinstanz, d.h. Kindergeld für den Zeitraum
August 2007 bis Februar 2008 begehrt (vgl. Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 120 Rz 54). Im Übrigen
würde ein in der Revisionsinstanz gestellter Antrag, mit dem
die Klägerin erstmals Kindergeld für S für die Zeit
nach Februar 2008 (Zeit der Ableistung des Zivildienstes) begehrte,
eine nach § 123 Abs. 1 FGO unzulässige Klageänderung
darstellen.
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2. Zutreffend hat das FG S nicht als Kind
gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m.
§ 32 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der für
den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG)
berücksichtigt.
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a) Nach den den Senat bindenden Feststellungen
des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) scheidet eine
Berücksichtigung des S nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG
aus, weil er nicht bei einer Agentur für Arbeit im Inland als
Arbeitsuchender gemeldet war.
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Ebenso kann S nach eben genannter Vorschrift
nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches oder
eines Folgenbeseitigungsanspruches wegen einer von der
Klägerin behaupteten Fürsorgepflichtverletzung der
Agentur für Arbeit als Kind berücksichtigt werden. Beide
Rechtsinstitute knüpfen an die Verletzung einer
behördlichen Auskunfts- bzw. Beratungspflicht an (Urteil des
Bundessozialgerichts - BSG - vom 24.7.2003 B 4 RA 13/03 R, SozR
4-1200 § 46 Nr. 1, zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch;
Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, §
89 AO Rz 19, zum Folgenbeseitigungsanspruch). Die Beratungspflicht
der Agentur für Arbeit (Sozialleistungsträger) umfasst
aber allein die Verwirklichung der Rechte aus dem Sozialgesetzbuch
(vgl. § 14 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch). Dabei werden
die wesentlichen Inhalte der Berufsberatung durch § 30 des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch konkretisiert (Brand in:
Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl., § 30 Rz 1). Fragen, die sich
auf das nach den §§ 62 ff. EStG zu gewährende
Kindergeld beziehen, gehören hingegen nicht zu dem
Beratungsinhalt (vgl. BSG-Urteil in SozR 4-1200 § 46 Nr. 1;
Mrozynski, Sozialgesetzbuch –Allgemeiner Teil– SGB I,
4. Aufl. § 14 Rz 18). Auch soweit das Kindergeld nach §
31 Satz 2 EStG der Förderung der Familie dient, stellt es
keine Sozialleistung im formellen Sinn dar, sondern eine
einkommensteuerrechtliche Förderung der Familie durch eine
Sozialzwecknorm (vgl. Senatsbeschluss vom 31.1.2007 III B 167/06,
BFH/NV 2007, 865 = SIS 07 61 41). Damit fehlt es bereits an einer
Pflichtverletzung der Agentur für Arbeit.
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Im Übrigen ist höchstrichterlich
bereits geklärt, dass der sozialrechtliche
Herstellungsanspruch im Kindergeldrecht nach den §§ 62
ff. EStG ohnehin nicht gilt (vgl. Senatsbeschluss vom 21.4.2010 III
B 182/09, BFH/NV 2010, 1435 = SIS 10 21 20, m.w.N.).
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b) Ebenso scheidet eine Berücksichtigung
des S im August 2007 nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG aus, weil die Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes
grundsätzlich keine Berufsausbildung darstellt (z.B. Urteil
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15.7.2003 VIII R 19/02, BFHE 203,
417, BStBl II 2007, 247 = SIS 03 52 08; Senatsbeschluss vom
28.1.2009 III B 183/08, BFH/NV 2009, 911 = SIS 09 15 53; vgl. auch
Senatsurteil vom 30.7.2009 III R 77/06, BFH/NV 2010, 28 = SIS 09 37 03).
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c) Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst.
b EStG wird ein Kind, das - wie S im Streitzeitraum - das 18., aber
noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt,
wenn es sich in einer Übergangszeit von höchstens vier
Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder
zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des
gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes, einer vom Wehr- oder
Zivildienst befreienden Tätigkeit als Entwicklungshelfer oder
als Dienstleistender im Ausland nach § 14b des
Zivildienstgesetzes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes
im Sinne des Buchst. d liegt.
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aa) Es kann dahinstehen, ob S bereits deshalb
nicht berücksichtigt werden kann, weil er sich in keiner
Übergangszeit der vorstehend beschriebenen Art befunden hat.
Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (vgl. § 118
Abs. 2 FGO) begann S im unmittelbaren Anschluss an das Ende seiner
Schulausbildung mit dem gesetzlichen Wehrdienst. Eine
Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der
Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes lag daher nicht vor. Im
Übrigen stellt der vor Ableistung des Zivildienstes von S
abgebrochene Grundwehrdienst keine Ausbildung dar (oben II.2.b).
Danach befand sich S in einer Übergangszeit zwischen zwei
gesetzlichen Pflichtdiensten, die in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
Buchst. b EStG nicht als Berücksichtigungstatbestand
formuliert ist.
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bb) Aber selbst wenn man bei Anwendung des
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. b EStG den Grundwehrdienst
unberücksichtigt ließe und - wie das FG - eine
Übergangszeit zwischen dem Schulabschluss und der Ableistung
des gesetzlichen Zivildienstes unterstellte, könnte S wegen
Überschreitens der Viermonatsfrist nicht berücksichtigt
werden. In diesem Fall läge eine Übergangszeit -
beginnend mit dem ersten vollen Monat nach dem Schulabschluss (im
Streitfall beginnend mit dem Monat Juli oder August 2007) bis zu
dem letzten vollen Monat vor dem Beginn des Pflichtdienstes (im
Streitfall bis Januar 2008) - von mindestens sechs Monaten vor (zur
Berechnung der Viermonatsfrist vgl. BFH-Urteil vom 15.7.2003 VIII R
105/01, BFHE 203, 102, BStBl II 2003, 847 = SIS 03 45 48). Nach dem
klaren Wortlaut der Vorschrift kommt bei einem Überschreiten
der Übergangszeit eine Begünstigung auch nicht für
die ersten vier Monate in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 15.7.2003
VIII R 78/99, BFHE 203, 90, BStBl II 2003, 841 = SIS 03 45 51).
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d) Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 2 Buchst. c EStG wird ein Kind berücksichtigt, das das
18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, wenn es eine
Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder
fortsetzen kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist
hierfür erforderlich, dass sich das Kind ernsthaft um einen
Ausbildungsplatz bemüht (Senatsbeschluss vom 24.1.2008 III B
33/07, BFH/NV 2008, 786 = SIS 08 17 47, m.w.N.).
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aa) Nachgewiesen werden kann das ernsthafte
Bemühen z.B. durch Suchanzeigen in der Zeitung, durch direkte
schriftliche Bewerbungen an Ausbildungsstätten und ggf. darauf
erhaltene Zwischennachrichten oder Absagen. Der Nachweis kann auch
durch eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit erfolgen, dass
das Kind als Bewerber um eine berufliche Ausbildungsstelle
registriert ist. Bei der Meldung als Ausbildungsuchender ist zu
beachten, dass eine Berücksichtigung mit dem Status
„Bewerber“ und nicht nur
„ratsuchend“ nachgewiesen werden muss (vgl.
Senatsurteil vom 19.6.2008 III R 66/05, BFHE 222, 343, BStBl II
2009, 1005 = SIS 08 33 38).
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bb) Nach den den Senat bindenden
Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) hat sich S nicht
um einen Ausbildungsplatz bemüht. Es ist auch nicht
ersichtlich, dass die Registrierung des S als
„ratsuchend“ nicht zutraf. Das Einholen von
Informationen über Studienmöglichkeiten stellt noch kein
ernsthaftes Bemühen um einen konkreten Studienplatz dar. Im
Übrigen sind Bemühungen, einen Platz als
Zivildienstleistender zu erhalten, grundsätzlich keine
Ausbildungsplatzsuche, weil der Zivildienst im Allgemeinen keine
Berufsausbildung darstellt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 16.3.2004 VIII
R 86/02, BFH/NV 2004, 1242 = SIS 04 32 60).
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3. Selbst wenn man im Streitfall eine
Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der
Ableistung eines gesetzlichen Pflichtdienstes unterstellen wollte
(vgl. oben II.2.c bb), ließe sich ein Kindergeldanspruch auch
nicht auf eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
Buchst. b oder c EStG stützen. Die genannten Vorschriften
enthalten für den Fall, dass ein Kind die Viermonatsfrist
zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines
gesetzlichen Pflichtdienstes - unabhängig davon, ob absehbar
oder nicht - überschreitet, keine Regelungslücke. Zur
Begründung wird auf die jüngst ergangenen - die bisherige
Rechtsprechung bestätigenden - Senatsurteile vom 22.12.2011
III R 5/07 und III R 41/07 (beide zur Veröffentlichung
bestimmt) verwiesen.
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4. Schließlich hat der Senat in den
genannten Urteilen auch die frühere höchstrichterliche
Rechtsprechung bekräftigt, wonach gegen die
Nichtberücksichtigung solcher Kinder bei einem
Überschreiten der Viermonatsfrist keine verfassungsrechtlichen
Bedenken bestehen. Auch insoweit wird zur Begründung auf die
vorstehend genannten Senatsurteile Bezug genommen.
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