Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate
Freiburg, vom 17.07.2018 - 11 K 544/16 = SIS 18 14 69 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
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I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob ein ausländisches Transportunternehmen verpflichtet ist, in
Bezug auf einen Arbeitnehmer, der grenzüberschreitende
Transporte vornimmt, die Durchführung einer Prüfung nach
§§ 2 ff. des Gesetzes zur Bekämpfung der
Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung
(Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz in der im Streitfall
maßgeblichen Fassung - SchwarzArbG - ) i.V.m. §§ 14
ff. des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns
(Mindestlohngesetz - MiLoG - ) zu dulden und Unterlagen hierzu
vorzulegen.
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Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine nach slowakischem
Recht errichtete Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie
betreibt ein international tätiges Logistikunternehmen mit
Sitz in T, Slowakische Republik, und führte während des
hier maßgeblichen Zeitraums sog. grenzüberschreitende
Transporte nach und aus der Bundesrepublik Deutschland
(Deutschland) durch, bei denen (nur) die Ent- oder die Beladung des
Fahrzeugs in Deutschland erfolgte. Beförderungen innerhalb
Deutschlands, sog. Kabotagefahrten, bei denen sowohl die Beladung
als auch die Entladung des Fahrzeugs im Inland erfolgt, führte
die Klägerin nach eigenem Vorbringen nicht durch.
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Am 23.09.2015 nahmen Mitarbeiter des
Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA - ) auf dem
Parkplatz des Y-Werks in B eine Prüfung nach § 2 Abs. 1
SchwarzArbG vor und befragten dabei auch einen Lkw-Fahrer der
Klägerin. Der Fahrer gab an, er sei seit dem 23.10.2014 bei
der Klägerin beschäftigt, beziehe einen Monatslohn von
700 EUR, arbeite an zwei bis drei Tagen pro Woche für jeweils
acht bis neun Stunden und liefere ein bis zwei Mal pro Monat mit
einem Kleintransporter Waren in Deutschland an.
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Mit Schreiben vom 21.10.2015
übersandte das HZA der Klägerin eine
Prüfungsverfügung vom selben Tag, mit der es eine
Prüfung nach §§ 2 ff. SchwarzArbG anordnete. Die
Prüfungsverfügung enthielt allgemeine Ausführungen
zum Gegenstand der Prüfung und zur Datenerhebung und
-verarbeitung sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung. Der Text der
Verfügung entsprach in wesentlichen Teilen § 2 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 bis 5 SchwarzArbG und bezeichnete als Gegenstand der
Prüfung u.a. auch „Arbeitsbedingungen nach Maßgabe
des Mindestlohngesetzes“ und „des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes“. In dem Anschreiben wies das
HZA die Klägerin darauf hin, dass seit dem 01.01.2015 jeder
Arbeitnehmer nach § 1 MiLoG Anspruch auf Zahlung des
allgemeinen Mindestlohns von 8,50 EUR pro Zeitstunde habe und dass
diese Pflicht auch gegenüber Arbeitnehmern gelte, die
ausschließlich mobile Tätigkeiten ausübten, solange
die betreffende Arbeitsleistung, ggf. auch nur kurzzeitig, auf
deutschem Staatsgebiet erbracht werde. Die Klägerin habe eine
Meldung nach der Verordnung über Meldepflichten nach dem
Mindestlohngesetz, dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und dem
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (Mindestlohnmeldeverordnung -
MiLoMeldV - ) abgegeben und dabei versichert, dass sie die zur
Kontrolle der Zahlung des allgemeinen Mindestlohns erforderlichen
Unterlagen auf Anforderung in deutscher Sprache den Behörden
der Zollverwaltung zur Verfügung stellen werde. Daher werde
sie hiermit aufgefordert, für den am 23.09.2015 kontrollierten
Fahrer Arbeitsverträge, Lohnabrechnungen und
Zahlungsnachweise, Arbeitszeitaufzeichnungen sowie Namen und
Anschrift der jeweiligen Auftraggeber für die Zeit vom
01.07.2015 bis zum 30.09.2015 zu übersenden.
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Die Klägerin erwiderte, sie sei
aufgrund der unklaren Gesetzeslage und im Hinblick auf die derzeit
laufende Überprüfung des deutschen MiLoG durch die
Europäische Kommission nicht in der Lage, die notwendigen
Dokumente zu übermitteln, werde dies aber nachholen, sobald
die Gesetzeslage bestätigt worden sei.
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Das HZA wertete die Erwiderung als
Einspruch und wies diesen mit Entscheidung vom 29.01.2016 als
unbegründet zurück.
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Die dagegen gerichtete Klage war nur
teilweise erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die
zusammen mit der Prüfungsverfügung übersandte
Aufklärungsanordnung bezogen auf die Vorlage von
Arbeitsverträgen, Lohnabrechnungen und Zahlungsnachweisen
sowie Arbeitszeitaufzeichnungen rechtmäßig gewesen sei,
und wies die Klage insoweit als unbegründet zurück.
Lediglich die Anordnung, Namen und Anschrift der jeweiligen
Auftraggeber der Klägerin mitzuteilen, hob das FG auf. Die
Entscheidung ist in DStRE 2019, 519 veröffentlicht.
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Mit ihrer Revision trägt die
Klägerin im Wesentlichen vor, das HZA sei für den Erlass
der beiden „Prüfungsverfügungen“ nicht
zuständig gewesen, diese seien zudem widersprüchlich.
Ohnehin sei das MiLoG auf sie als ausländisches
Transportunternehmen, das keine Kabotage betreibe, nicht anwendbar,
da keine „Entsendung“ von Arbeitnehmern vorliege.
Außerdem verstoße das MiLoG gegen die bundesstaatliche
Kompetenzordnung, gegen das verfassungsrechtliche
Bestimmtheitsgebot und gegen Unionsrecht. Ungeachtet dessen sei der
Zweck der streitigen Prüfung vollumfänglich entfallen;
denn nicht nur die zweijährige Aufbewahrungsfrist des §
17 Abs. 2 Satz 1 MiLoG sei bereits abgelaufen, vielmehr seien
inzwischen auch sämtliche Verjährungsfristen für die
Ahndung wie auch immer gearteter Verstöße gegen das
MiLoG verstrichen. Es sei damit offensichtlich, dass eine Kontrolle
der Einhaltung der Vorschriften des MiLoG
unverhältnismäßig, sachwidrig und willkürlich
sei, da etwaige Verstöße nicht mehr geahndet werden
könnten.
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Die Klägerin beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben, soweit die
Klage abgewiesen worden ist, und die Prüfungsverfügung in
Form der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
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Das HZA beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Das HZA tritt der Revision
entgegen.
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II. Die Revision ist unbegründet. Das
Urteil des FG entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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Die Prüfungsverfügung vom 21.10.2015
und die damit verbundene Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen
sind rechtmäßig. Die angefochtenen Maßnahmen sind
auf eine verfassungs- und unionsrechtskonforme
Ermächtigungsgrundlage gestützt (1.) und sie sind
ihrerseits formell und materiell rechtmäßig (2.).
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1. Die Ermächtigungsgrundlage für
die streitige Prüfungsverfügung und die Anforderung von
Unterlagen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 5 SchwarzArbG i.V.m.
§ 14, § 15 Satz 1 Nr. 1 und § 20 MiLoG. Diese
Regelungen verstoßen weder gegen Verfassungsrecht noch gegen
Unionsrecht.
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a) Nach § 20 MiLoG sind Arbeitgeber mit
Sitz im In- oder Ausland seit dem 01.01.2015 verpflichtet, ihren im
Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
spätestens am Ende des auf die Arbeitsleistung folgenden
Monats ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des gesetzlichen
Mindestlohns (§ 1 Abs. 2 MiLoG) zu zahlen.
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Für die Prüfung der Einhaltung
dieser Verpflichtung sind nach § 14 MiLoG die Behörden
der Zollverwaltung zuständig. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr.
5 Alternative 1 SchwarzArbG i.V.m. § 15 Satz 1 Nr. 1 MiLoG
können die Behörden der Zollverwaltung hierzu Einsicht in
Arbeitsverträge, Niederschriften nach § 2 des Gesetzes
über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis
geltenden wesentlichen Bedingungen (Nachweisgesetz) und andere
Geschäftsunterlagen nehmen, die mittelbar oder unmittelbar
Auskunft über die Einhaltung des Mindestlohns nach § 20
MiLoG geben. Die Arbeitgeber ihrerseits sind nach § 15 Satz 1
Nr. 2 und § 17 MiLoG i.V.m. § 5 SchwarzArbG verpflichtet,
entsprechende Unterlagen zu erstellen, bereitzuhalten und ggf.
vorzulegen.
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b) Die genannten Regelungen sind formell und
materiell verfassungsgemäß.
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aa) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes
für die genannten Regelungen ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1
Nr. 12 des Grundgesetzes (GG).
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(1) Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG steht dem
Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das
Arbeitsrecht zu.
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Dieser Kompetenztitel begründet eine
umfassende Kompetenz sowohl für privatrechtliche als auch
für öffentlich-rechtliche Bestimmungen über die
Rechtsbeziehungen im Arbeitsverhältnis (vgl. Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 06.06.2018 - 1 BvL 7/14,
BVerfGE 149, 126, Rz 36, und BVerfG-Urteil vom 24.10.2002 - 2 BvF
1/01, BVerfGE 106, 62, unter C.I.3., jeweils m.w.N.; s.a. Rengeling
in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., §
135 Rz 235; Maunz in Maunz/Dürig, 90. EL Februar 2020, GG,
Art. 74 Rz 165).
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Unter die konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt damit insbesondere
auch die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschließlich
gesetzlicher Vorgaben für den Arbeitslohn in Form eines
Mindestlohns (vgl. BVerfG-Urteil vom 10.05.1960 - 1 BvR 190/58, 1
BvR 363/58, 1 BvR 401/58, 1 BvR 409/58, 1 BvR 471/58, BVerfGE 11,
105 zur gesetzlichen Anordnung von Kinderzuschlägen zum
Arbeitslohn; s.a. Urteile des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom
17.12.2014 - 5 AZR 663/13, BAGE 150, 223, Rz 31, und vom 12.01.2005
- 5 AZR 617/01, BAGE 113, 149, Rz 46; Bayerischer
Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 03.02.2009 - Vf.
111-IX-08, VerfGHE BY 62, 1; Oeter in von Mangoldt/ Klein/Starck,
GG, 7. Aufl., Band 2, Art. 74 Rz 103; Degenhart in Sachs,
Grundgesetz, 8. Aufl., Art. 74 Rz 53 f.; Epping/Hillgruber in
Seiler, BeckOK GG, Art. 74 Rz 47).
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Die Regelungskompetenz erstreckt sich in Form
einer Annexkompetenz auch auf Bestimmungen über die Kontrolle
der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zum Mindestlohn; denn
solche Bestimmungen sind erforderlich, um die dem Bund mit Art. 74
Abs. 1 Nr. 12 GG in Bezug auf den Mindestlohn zugewiesene
Zuständigkeit zweckgerecht und effektiv zu entfalten (vgl.
Stern, Staatsrecht, Bd. II, 1980, S. 611; s. allgemein zur
Bedeutung der Annexkompetenz auch Uhle in Maunz/Dürig, GG,
Art. 70 Rz 71 ff.; gleicher Ansicht: Sittard in
Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020,
Vorbemerkung Vor § 1 MiLoG Rz 11 ff.; im Ergebnis ebenso:
Greiner in Rolfs/ Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK
Arbeitsrecht, § 14 MiLoG Rz 4; anderer Ansicht: Rixen,
Staatliche Durchsetzung des Mindestlohns, in Rieble/ Junker/Giesen,
Mindestlohn als politische und rechtliche Herausforderung, 2011, S.
103, 128 ff.; Maschmann, Die staatliche Durchsetzung des
allgemeinen Mindestlohns nach den §§ 14 ff. MiLoG, Neue
Zeitschrift für Arbeitsrecht - NZA - 2014, 929;
Höchstetter, Der Nachweis im mindestlohnrechtlichen
Sanktionsverfahren, Dissertation, 2020, S. 438 f.).
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(2) Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz
des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG unterliegt nicht der
Erforderlichkeitsklausel des § 72 Abs. 2 GG.
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bb) Die Verwaltungskompetenz des Bundes
für die Prüfungsbefugnisse der Zollverwaltung folgt aus
Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG.
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(1) Nach Art. 83 GG führen die
Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit
das GG nichts anderes bestimmt oder zulässt.
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(2) Die Kompetenzzuweisung für die
Bundesfinanzverwaltung in Art. 87 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 108
Abs. 1 GG ist hier nicht einschlägig, weil die Ausführung
des MiLoG keine Verwaltung der in dieser Vorschrift genannten
Abgaben darstellt.
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Art. 87 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 108 Abs. 1
GG schließt es allerdings auch nicht aus, dass der
Bundesgesetzgeber der Zollverwaltung als Teil der
Bundesfinanzverwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau (vgl. §
1 Nr. 3 i.V.m. §§ 3, 5a und 12 des Gesetzes über die
Finanzverwaltung - FVG - ) über die in Art. 108 Abs. 1 GG
genannten fiskalischen Aufgaben hinaus weitere Verwaltungsaufgaben
zuweist, wenn er sich für deren Wahrnehmung auf eine Kompetenz
des GG stützen kann; allerdings dürfen die weiteren
Aufgaben von Verfassungs wegen nicht einem bestimmten
Verwaltungsträger vorbehalten sein, und die Zuweisung der
weiteren Aufgaben muss das grundsätzliche Gepräge des
Zolls wahren (vgl. BVerfG-Beschluss vom 28.01.1998 - 2 BvF 3/92,
BVerfGE 97, 198, unter C.I.3., zur Zulässigkeit der
Übertragung von Aufgaben der Bahnpolizei und der Sicherung der
Flughäfen auf den Bundesgrenzschutz. s.a. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 08.07.2015 - X R 41/13, BFHE 250, 397,
BStBl II 2016, 525 = SIS 15 23 24, Rz 44, zur Übertragung der
Gewährung der Altersvorsorgezulage auf die Deutsche
Rentenversicherung Bund).
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(3) Hinsichtlich der hier streitigen
Prüfungsbefugnisse der Zollverwaltung kann sich der
Bundesgesetzgeber auf den Kompetenztitel des Art. 87 Abs. 3 Satz 2
GG stützen.
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Erwachsen dem Bund auf Gebieten, für die
ihm die Gesetzgebung zusteht, neue Aufgaben, so können nach
Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG bei dringendem Bedarf bundeseigene Mittel-
und Unterbehörden mit Zustimmung des Bundesrates und der
Mehrheit der Mitglieder des Bundestages errichtet werden.
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(aa) Diese Regelung ist auch dann
einschlägig, wenn neue Verwaltungsaufgaben auf bereits
bestehende Mittel- und Unterbehörden übertragen werden
sollen (s. Ibler in Maunz/Dürig, GG, Art. 87 Rz 277. Maiwald
in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Kommentar zum Grundgesetz,
14. Aufl., Art. 87 Rz 41 f.; Sachs in Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl.,
Art. 87 Rz 78; Kment in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die
Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 16. Aufl., Art. 87 Rz 9;
ebenso in Bezug auf Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG: Hermes in Dreier,
Grundgesetz, 3. Aufl., Bd. III, Art. 87 Rz 78).
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Neu ist eine Verwaltungsaufgabe, wenn sie nach
Inkrafttreten des GG entstanden ist (vgl. Ibler in
Maunz/Dürig, a.a.O., Art. 87 Rz 274). Teilweise wird
darüber hinaus gefordert, dass es sich um Aufgaben handeln
muss, die von selbst entstanden und nicht vom Bund
„erfunden“ worden sind (so Sachs in Sachs,
a.a.O., Art. 87 Rz 75; gleicher Ansicht: Ibler in Maunz/Dürig,
a.a.O., Art. 87 Rz 274; Stern, Staatsrecht, 1980, Bd. II, S. 827;
anderer Ansicht: Hermes in Dreier, a.a.O., Art. 87 Rz 99; noch
strenger dagegen: Broß/Mayer in: von Münch/Kunig,
Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl., 2012, Art. 87 Rz 27).
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Ein dringender Bedarf i.S. von Art. 87 Abs. 3
Satz 2 GG liegt vor, wenn dieser gerade für die Verwaltung
durch bundeseigene Mittel- und Unterbehörden besteht (s. Ibler
in Maunz/Dürig, a.a.O., Art. 87 Rz 275; Sachs in Sachs,
a.a.O., Art. 87 Rz 76; Hermes in Dreier, a.a.O., Art. 87 Rz 100;
Broß/Mayer in: von Münch/ Kunig, a.a.O., Art. 87 Rz
28).
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(bb) Mit den Veränderungen des
Arbeitsmarktes seit den 1960 er Jahren, insbesondere mit der
Abnahme der den Lebensstandard sichernden
Normalarbeitsverhältnisse und der Zunahme atypischer,
ertragsschwacher Beschäftigungsformen seit Mitte der 1980er
Jahre, sind dem Bund neue Aufgaben auf einem Gebiet erwachsen,
für das ihm nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (s. oben) die
Gesetzgebungskompetenz zusteht.
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Das BVerfG stellte 1967 in einem der beiden
Urteile vom 04.04.1967 zum Arbeitsvermittlungsmonopol der
(damaligen) Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und
Arbeitslosenversicherung fest, dass der rasche technische
Fortschritt einen ständigen Wandel der Struktur der
Gesamtwirtschaft mit sich bringe, dem sich die
Arbeitsmöglichkeiten anpassen müssten und der eine
ständige Beobachtung und sorgfältige Betreuung durch die
Arbeitsverwaltung erfordere (BVerfG-Urteil vom 04.04.1967 - 1 BvR
126/65, BVerfGE 21, 245, unter C.III.3.c). Eine besondere Dynamik
entwickelte dabei die gewerbsmäßige
Arbeitnehmerüberlassung, die bis zu dem weiteren Urteil des
BVerfG vom 04.04.1967 verboten gewesen war (s. BVerfG-Urteil vom
04.04.1967 - 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261; vgl. zu der Entwicklung
auch Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der
Gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung -
Gesetzentwurf der Bundesregierung - vom 15.06.1971, BTDrucks
VI/2303, Vorblatt und S. 9 f.) und die in der Folgezeit, nach
Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der
gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung vom
07.08.1972 (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - AÜG -, BGBl
1972, 1393), wegen der in diesem Bereich festgestellten
Verstöße gegen Vorschriften des Arbeits-, Vermittlungs-
und Sozialversicherungsrechts und der nur unzureichenden
behördlichen Überwachungsmöglichkeiten (s. BTDrucks
VI/2303, Vorblatt und S. 9) zunächst vor allem durch
Beschränkungen geprägt war.
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Die Zahl der registrierten
Leiharbeitsverhältnisse entwickelte sich dementsprechend bis
zum Ende der 1990er Jahre trotz stetiger Zunahme eher verhalten.
Dokumentiert ist diese Entwicklung in den Berichten der
Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des
AÜG sowie - seit 1984 - über die Auswirkungen des
Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung vom
15.12.1981 (BillBG, BGBl I 1981, 1390). Danach stieg die Zahl der
im Inland beschäftigten Leiharbeitnehmer von zunächst
34.379 im Juni 1973 auf 47.021 im Juni 1980, auf 123.378 im Juni
1990 und auf 339.220 im Juni 2000 an. Auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt wirkte sich dies nach Einschätzung der
Bundesregierung nur geringfügig aus (s. dazu ausführlich
die Unterrichtungen durch die Bundesregierung vom 09.07.1974,
BTDrucks 7/2365, S. 4 ff.; vom 21.07.1976, BTDrucks 7/5631, S. 4 f.
und 9; vom 01.08.1978, BTDrucks 8/2025, S. 5 f. und 12; vom
12.09.1979, BTDrucks 8/4479, S. 7 f. und 16; vom 31.08.1984,
BTDrucks 10/1934, S. 7 ff. und 19; vom 07.07.1988, BTDrucks
11/2639, S. 8 ff. und 13; vom 21.08.1992, BTDrucks 12/3180, S. 8
ff.; vom 06.09.1996, BTDrucks 13/5498, S. 7 ff. und 14; vom
04.10.2000, BTDrucks 14/4220, S. 7 ff. und 14, und vom 30.09.2005,
BTDrucks 15/6008, S. 16 f., 22 und 29).
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Geprägt waren diese Jahrzehnte von einem
starken Anstieg der allgemeinen Arbeitslosigkeit. Lag die
Arbeitslosenquote Anfang der 70er Jahre in den alten
Bundesländern noch bei 0,7 % (1970) und 0,8 % (1971), stieg
sie Mitte der 1980er Jahre auf 9,3 % (1985) und - im gesamten
Bundesgebiet - nach einer Erholung zu Beginn der 1990er Jahre (7,2
% im Jahr 1990 und 6,2 % im Jahr 1991) ab Mitte der 1990er Jahre
auf 9,1 % (1995), 9,9 % (1996) und 10,8 % (1997). In den
Folgejahren sank sie zwar wieder ab, hielt sich aber mit 10,3 %
(1998), 9,6 % (1999) und 8,4 % (2000) auf hohem Niveau (Quelle:
Statistisches Bundesamt, Konjunkturindikatoren – Registrierte
Arbeitslose und Arbeitslosenquote nach Gebietsstand, Stand
07.01.2020, unter: www.destatis.de).
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Der Gesetzgeber reagierte hierauf (u.a.) mit
einer Deregulierung des Rechts der Arbeitnehmerüberlassung
durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I 2002, 4607; zu den Motiven s.
Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen vom 05.11.2002, BTDrucks
15/26, S. 17 ff.). Die Zahl der überlassenen Arbeitnehmer
stieg daraufhin im Juni 2005 auf 453.389, im Juni 2010 auf 806.123
und im Juni 2015 auf 961 162. Der Anteil der
Leiharbeitsverhältnisse an den sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnissen, der Ende der 1970er Jahre
noch 0,18 % betragen hatte, belief sich im Jahr 2015 damit auf 2,6
%, und die Arbeitnehmerüberlassung gewann als Element des
Arbeitsmarktes zunehmend an Bedeutung (s. Unterrichtungen durch die
Bundesregierung vom 18.01.2010, BTDrucks 17/464, S. 7 f., 21 ff.,
33 ff. und 39; vom 26.02.2014, BTDrucks 18/673, S. 8, 31 f. und 38,
und in BTDrucks 14/4220, S. 14; ein Überblick über die
Entwicklung der Leiharbeit findet sich auch in: Statistisches
Bundesamt, Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2008/09, S. 440
ff., und Statistik der Bundesagentur für Arbeit,
Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe, Nürnberg, Januar 2017;
zur internationalen Entwicklung s. Sachverständigenrat zur
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung,
Jahresgutachten 2003/04, S. 150 ff.).
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Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich
seit Mitte der 1980er Jahre auch bei anderen atypischen
Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit, geringfügiger
Beschäftigung und befristeten Arbeitsverhältnissen ab.
Das Normalarbeitsverhältnis verlor zunehmend an Bedeutung,
während die Zahl der atypischen
Beschäftigungsverhältnisse deutlich zunahm. Im Jahr 2007
machten diese fast ein Drittel aller abhängig
Beschäftigten aus (s. Statistisches Bundesamt,
Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2008/09, S. 300
ff. und 420 ff.). In manchen Wirtschaftsbereichen arbeitete sogar
nur noch gut jeder zweite Beschäftigte in einem
Normalarbeitsverhältnis (Statistisches Bundesamt,
Niedrigeinkommen und Erwerbstätigkeit, 2009, S. 11; s.a.
Wingerter, Der Wandel der Erwerbsformen und seine Bedeutung
für die Einkommenssituation Erwerbstätiger, in:
Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 11/2009, S. 1080,
1083 f.).
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Die Erwerbssituation atypisch
Beschäftigter stellte sich dabei deutlich schlechter dar als
die eines Normalbeschäftigten; so verdienten atypisch
Beschäftigte im Jahr 2006 im Schnitt ein Drittel weniger. Fast
die Hälfte erhielten einen Verdienst unterhalb der
Niedriglohngrenze; bei den geringfügig Beschäftigten
betraf dies sogar 81,2 % und bei den Zeitarbeitern 67,2 %. Vor
allem für Haushalte, die nur ein Einkommen aus atypischer
Beschäftigung bezogen oder in denen ausschließlich
atypisch Beschäftigte lebten, führte dies zu einem
starken Anstieg des Armutsrisikos (Statistisches Bundesamt,
Niedrigeinkommen und Erwerbstätigkeit, 2009, S. 13 ff. und 23
ff.; Wingerter, Der Wandel der Erwerbsformen und seine Bedeutung
für die Einkommenssituation Erwerbstätiger, in:
Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 11/2009, S. 1080,
1083 ff. und 1091 ff.).
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Im Jahr 2010 griff die Abteilung Arbeits- und
Sozialrecht des 68. Deutschen Juristentages diese Entwicklung auf
(s. Waltermann, Abschied vom Normalarbeitsverhältnis? –
Gutachten B, Verhandlungen des 68. Deutschen Juristentages, Bd. I,
S. B 13 ff.; s.a. die Referate von Alt und Kohte, Verhandlungen des
68. Deutschen Juristentages, Bd. II/1, S. M 9 ff. und S. M 25 ff.)
und sprach sich für die Einführung eines einheitlichen
allgemeinen Mindestlohns aus (Verhandlungen des 68. Deutschen
Juristentages, Bd. II/1, S. M 64 f.). Drei Jahre später wurde
im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18.
Legislaturperiode die Einführung eines allgemein verbindlichen
Mindestlohns vereinbart (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und
SPD vom 16.12.2013, S. 48 f.; zur politischen Entwicklung s.a.
Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz – Kommentar, 2. Aufl.
2017, Einführung Rz 18 ff. und 30 ff.).
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41
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In Anbetracht dieser Entwicklungen stellen
sich die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen
Mindestlohns zum 01.01.2015 durch § 1 und § 20 MiLoG mit
dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11.08.2014
(BGBl I 2014, 1348) und damit auch die Schaffung von Regelungen zur
Gewährleistung seiner Einhaltung in §§ 14 ff. MiLoG
nach Auffassung des erkennenden Senats als Reaktion des
Bundesgesetzgebers auf eine - nicht nur in quantitativer, sondern
insbesondere auch in qualitativer Hinsicht - erhebliche
Veränderung der tatsächlichen Bedingungen am Arbeitsmarkt
seit der Mitte der 1980er Jahre dar. Es handelt sich daher um eine
neue Aufgabe, die nicht vom Bund „erfunden“
wurde, sondern die ihm auf dem Gebiet des Arbeitsrechts (Art. 74
Abs. 1 Nr. 12 GG) i.S. von Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG
„erwachsen“ ist (gleicher Ansicht: Greiner in
Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, a.a.O., § 14
MiLoG Rz 4; anderer Ansicht: Höchstetter, Der Nachweis im
mindestlohnrechtlichen Sanktionsverfahren, Dissertation, 2020, S.
450 f.; zweifelnd auch Rieble, DB 2009, 789).
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42
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(cc) Es besteht zudem ein dringender Bedarf
für die Ausführung des MiLoG durch bundeseigene Mittel-
und Unterbehörden.
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Die Durchsetzung und Gewährleistung von
Mindestarbeitsbedingungen ist (jedenfalls) seit Beginn der 1970er
Jahre eng verbunden gewesen mit der Bekämpfung von illegaler
Beschäftigung und Schwarzarbeit. Es lag auf der Hand, im
Rahmen der erforderlichen Kontrollen nicht nur festzustellen, ob
Arbeitsschutzvorschriften hinreichend berücksichtigt und
Arbeitszeitregelungen eingehalten wurden, sondern auch zu
überprüfen, ob die betreffenden Personen über die
ggf. erforderlichen Aufenthaltstitel verfügten, ob sie eine
Arbeitserlaubnis besaßen und ob die Arbeitgeber
ordnungsgemäß Sozialversicherungsbeiträge
entrichteten (s.a. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum AÜG
vom 15.06.1971, BTDrucks VI/2303, S. 9 f.).
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44
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Eine Besonderheit der damit verbundenen
Aufgaben war deren internationaler Bezug. Zum einen ging es um den
Schutz und die soziale Sicherung von Leiharbeitnehmern bei der
legalen grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung,
insbesondere auch im Hinblick auf die innerhalb der
Europäischen Gemeinschaft - bzw. später der
Europäischen Union (EU) - geltende Freizügigkeit und die
Freiheit des Dienstleistungsverkehrs, zum andern um die
Bekämpfung der grenzüberschreitenden illegalen
„Vermittlung“ ausländischer Arbeitnehmer
durch zum Teil bandenmäßig organisierte Vermittler und
Verleiher. Dabei lag der - geschätzte - Umfang der illegalen
Arbeitnehmerüberlassung erheblich über dem der legalen,
was den Arbeitsmarkt in den Bereichen, in denen die Schwerpunkte
der Arbeitnehmerüberlassung lagen - ursprünglich vor
allem die Wirtschaftszweige Bauwirtschaft und Metallverarbeitung,
später aber auch das Dienstleistungsgewerbe -, wegen der
Preisunterbietungen durch illegale Verleiher zum Teil erheblich
beeinträchtigte (s. Unterrichtungen durch die Bundesregierung
vom 09.07.1974, BTDrucks 7/2365, S. 8 ff. und 16; vom 21.07.1976,
BTDrucks 7/5631, S. 8; vom 01.08.1978, BTDrucks 8/2025, S. 7 ff.;
vom 12.09.1979, BTDrucks 8/4479, S. 11 f. und 18; vom 31.08.1984,
BTDrucks 10/1934, S. 12 ff. und 21 ff., und vom 07.07.1988,
BTDrucks 11/2639, S. 25 ff.).
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45
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Die Kontrollbefugnisse oblagen
ursprünglich der Bundesanstalt für Arbeit, die hierbei
nicht nur auf eine enge Zusammenarbeit mit Gewerbe- und
Gewerbeaufsichtsämtern, Trägern der Sozialversicherung,
Finanzbehörden, Polizei- und Strafverfolgungsbehörden,
Berufsgenossenschaften und Handwerkskammern angewiesen war, sondern
auch, vor allem bei der Bekämpfung der
grenzüberschreitenden illegalen Arbeitnehmerüberlassung,
auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Dienststellen. Beide
Bereiche, die Überwachung der legalen und die Ermittlung und
Bekämpfung der illegalen Arbeitnehmerüberlassung,
erwiesen sich wegen der Notwendigkeit häufiger und intensiver
Kontrollen in Betrieben, auf Baustellen und an den übrigen
Arbeitsplätzen der Leiharbeitnehmer als besonders zeit- und
personalaufwendig und stellten die Bundesanstalt für Arbeit
zunehmend vor Probleme (s. Unterrichtungen durch die
Bundesregierung vom 09.07.1974, BTDrucks 7/2365, S. 9; vom
21.07.1976, BTDrucks 7/5631, S. 12 f.; vom 01.08.1978, BTDrucks
8/2025, S. 12 ff.; vom 12.09.1979, BTDrucks 8/4479, S. 24 ff., und
vom 31.08.1984, BTDrucks 10/1934, S. 29 ff.).
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46
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Der Gesetzgeber reagierte hierauf mit
Änderungen des AÜG und weiterer Gesetze durch das BillBG
(s.a. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28.09.1981, BTDrucks
9/847, S. 8 ff.). Außerdem wurden von 1982 an zunehmend die
Behörden des Bundesgrenzschutzes mit mobilen
Einsatzkräften an den Prüfungen und Kontrollen beteiligt
(s. Unterrichtungen durch die Bundesregierung vom 31.08.1984,
BTDrucks 10/1934, S. 32; vom 07.07.1988, BTDrucks 11/2639, S. 37;
vom 21.08.1992, BTDrucks 12/3180, S. 35 f., und vom 06.09.1996,
BTDrucks 13/5498, S. 54).
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47
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Zum 01.01.1990 trat das Gesetz zur
Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur
Änderung anderer Sozialgesetze vom 06.10.1989 in Kraft (BGBl I
1989, 1822); die Sozialversicherungsausweise wurden daraufhin
schrittweise bis 1995 eingeführt. Durch Gesetz zur
Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze vom
07.07.1992 (BGBl I 1992, 1222) wurden die Bediensteten der
Zollverwaltung in die Überprüfung der Erfüllung der
Pflichten über die Vorlage und Mitführung des
Sozialversicherungsausweises eingebunden. Mit dem Gesetz zur
Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom
23.06.1993 (BGBl I 1993, 944) wurden weitere
Prüfungsbefugnisse der Hauptzollämter nach dem
Arbeitsförderungsgesetz begründet.
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48
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In der veränderten politischen Situation
der 1990er Jahre, nach der Öffnung der Binnengrenzen in der
Europäischen Gemeinschaft und dem Wegfall von
Reisebeschränkungen, übte Deutschland aufgrund des
Währungs- und Lohngefälles einen starken Sog vor allem
auch auf die Menschen in den ost- und südosteuropäischen
Reformstaaten aus (s. Unterrichtungen durch die Bundesregierung vom
21.08.1992, BTDrucks 12/3180, S. 37 f. und 39 ff.; vom 06.09.1996,
BTDrucks 13/5498, S. 47, 54 und 61; vom 04.10.2000, BTDrucks
14/4220, S. 29 ff. und 46). Für den deutschen Arbeitsmarkt
stellte dies zunehmend eine Belastung dar, und auch der Wettbewerb
zwischen den Unternehmen wurde erheblich gestört, insbesondere
im Baubereich (s. Unterrichtungen durch die Bundesregierung vom
04.10.2000, BTDrucks 14/4220, S. 39 ff., 45 f. und 48 f.). Mit dem
Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
vom 23.12.2003 (BGBl I 2003, 2848) wurden die
Verfolgungszuständigkeiten für die Bekämpfung der
Schwarzarbeit weitgehend bei der Zollverwaltung
zusammengeführt.
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49
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Am 01.05.2004 traten die Tschechische
Republik, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Malta, Ungarn, Polen,
Slowenien und die Slowakische Republik der EU bei; am 01.01.2007
folgten Bulgarien und Rumänien. Für den Bereich der
Arbeitnehmerfreizügigkeit waren zunächst
Übergangsregelungen geschaffen worden, denen zufolge (u.a.)
Deutschland die Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
im Rahmen der Erbringung grenzüberschreitender
Dienstleistungen für bestimmte Branchen (Baugewerbe,
Gebäudereinigung und Innendekoration) beschränken durfte.
Seit dem 01.05.2011 aber gelten Arbeitnehmerfreizügigkeit und
Dienstleistungsfreiheit uneingeschränkt auch für die zum
01.05.2004 beigetretenen mittel- und osteuropäischen
Mitgliedstaaten und seit dem 01.01.2014 auch für Bulgarien und
Rumänien (s.a. Unterrichtung durch die Bundesregierung vom
26.02.2014, BTDrucks 18/673, S. 8 f.).
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50
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Im Jahr 2009 wurde das Gesetz über
zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend
entsandte und für regelmäßig im Inland
beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vom 20.04.2009
(Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG -, BGBl I 2009, 799)
grundlegend neugefasst mit dem Ziel, angemessene
Mindestarbeitsbedingungen für alle grenzüberschreitend
entsandten und für regelmäßig im Inland
beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu schaffen
und faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu
gewährleisten (s. § 1 AEntG). Insbesondere sollte ein
Rechtsrahmen geschaffen werden, um tarifvertragliche
Mindestlöhne für alle Beschäftigten einer Branche
verbindlich zu machen, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber
seinen Sitz im In- oder Ausland hat (s. Gesetzentwurf der
Bundesregierung vom 08.08.2008, BRDrucks 542/08, S. 1 und 12 ff.).
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hatte der Bundesrat darauf
gedrängt, für den Vollzug der Regelungen über die
Mindestarbeitsbedingungen und insbesondere auch über
Mindestlöhne eine einheitliche Zuständigkeit der
Zollbehörden zu schaffen; eine „Vermischung von
Verwaltungszuständigkeiten“ unter Einbeziehung der
Arbeitsbehörden der Länder hatte der Bundesrat abgelehnt
(s. Stellungnahme des Bundesrates vom 19.09.2008, BTDrucks
16/10486, S. 17). Das Gesetz wurde daher unter Hinweis auf Art. 87
Abs. 3 Satz 2 GG (s. Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 21.01.2009, BTDrucks
16/11669, S. 22) mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages
und mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen.
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51
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In gleicher Weise wurde das am 30.07.2011 in
Kraft getretene Gesetz zur Änderung des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und des
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes vom 20.07.2011 (BGBl I 2011,
1506), mit dem der Gesetzgeber den Behörden der Zollverwaltung
auch die Prüfung der Lohnuntergrenzen in der
Arbeitnehmerüberlassung übertragen hat, beschlossen (s.
dazu auch Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom
10.05.2011, BTDrucks 17/5761, S. 1 und 6 ff.).
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52
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An diese - neuen - Zuständigkeiten des
Zolls für den Vollzug von Regelungen über
Mindestarbeitsbedingungen und insbesondere auch für die
Durchsetzung tariflicher Mindestlöhne und Lohnuntergrenzen hat
der Gesetzgeber mit den Regelungen über die Durchsetzung und
Gewährleistung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in
§§ 14 ff. MiLoG angeknüpft.
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53
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Legt man die geschilderte Entwicklung
zugrunde, ist das - auch seitens der Länder bejahte -
dringende Bedürfnis nach einer den Arbeitsmarkt
überwachenden zentral gelenkten Bundesverwaltung, die mit
eigenen Mittel- und Unterbehörden flächendeckend
präsent und mit hoheitlichen Aufgaben vertraut ist, deren
Beamte aufgrund ihrer Ausbildung sowohl
Buchprüfungsfertigkeiten als auch Routine im Umfang mit
Eingriffsbefugnissen besitzen, die über eigene
Ermittlungskompetenzen und darüber hinaus auch über
Erfahrungen bei der Aufklärung grenzüberschreitender
Sachverhalte verfügen, nach Auffassung des erkennenden Senats
evident (gleicher Ansicht: Greiner in Rolfs/
Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, a.a.O., § 14 MiLoG
Rz 5; anderer Ansicht: Maschmann, NZA 2014, 929 f.;
Höchstetter, Der Nachweis im mindestlohnrechtlichen
Sanktionsverfahren, Dissertation, 2020, S. 452 f.). Nur
ergänzend sei hier darauf verwiesen, dass ein Teil der
streitigen Kompetenzen, etwa die Zuständigkeit für die
polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs nach
§ 2 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz
(jetzt: § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Bundespolizeigesetzes), auch
bislang schon in die Zuständigkeit einer Bundesverwaltung mit
eigenem Verwaltungsunterbau gefallen ist.
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54
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(4) Die dem Zoll übertragenen Aufgaben
sind nach der bundesstaatlichen Kompetenzordnung keinem anderen
Verwaltungsträger vorbehalten (vgl. zu dieser Anforderung
BVerfG-Beschluss in BVerfGE 97, 198, unter C.I.3.a).
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55
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(5) Die Zuweisung der Aufgabe nach dem MiLoG
wahrt das grundsätzliche Gepräge der Zollverwaltung (vgl.
zu dieser Anforderung ebenfalls BVerfG-Beschluss in BVerfGE 97,
198, unter C.I.3.b).
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56
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Die Zollverwaltung ist - schon immer - keine
reine Steuerverwaltung gewesen; denn zur Verwaltung der Zölle
gehören untrennbar auch die zollamtliche Überwachung des
Warenverkehrs über die Grenze und die Grenzaufsicht sowie
Aufgaben aus dem Bereich der Wirtschaftsverwaltung (vgl. § 12
Abs. 2 FVG und § 1 des Zollverwaltungsgesetzes; s.a. Art. 3
des Unionszollkodex) wie beispielsweise die Überwachung des
Marktordnungsrechts (vgl. § 37 Abs. 2 bis 4, § 38 Abs. 3
des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen
Marktorganisation und der Direktzahlungen; weitere Beispiele s.
Schmieszek in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 12 FVG
Rz 16 f.). Insofern ist die Wahrnehmung von Aufgaben mit Kontroll-
und Überwachungsbefugnissen und insbesondere auch mit
polizeilichen Komponenten durch die Zollverwaltung nicht neu (s.a.
Huchatz/Materna, Die neue Aufgabe der Zollverwaltung:
Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung,
in: Bönders, Kompetenz und Verantwortung in der
Bundesverwaltung – 30 Jahre Fachhochschule des Bundes
für öffentliche Verwaltung, S. 669 ff.).
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57
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cc) Das Gesetz zur Stärkung der
Tarifautonomie vom 11.08.2014, mit dem die Prüfungsbefugnisse
der Zollverwaltung begründet worden sind, ist
ordnungsgemäß zustande gekommen. Es ist mit der
gemäß Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG erforderlichen Mehrheit
der Mitglieder des Bundestages (Art. 121 GG) und der Zustimmung des
Bundesrates beschlossen worden (s. BGBl I 2014, 1348).
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58
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dd) Die Prüfungsbefugnisse der
Zollverwaltung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 SchwarzArbG i.V.m.
§§ 14 ff. MiLoG sind auch in materieller Hinsicht mit dem
GG vereinbar.
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59
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(1) Die Prüfungsbefugnisse
verstoßen insbesondere weder gegen Art. 9 Abs. 3 noch gegen
Art. 12 Abs. 1 GG.
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60
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Zwar greift das MiLoG in den Schutzbereich der
Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) und ebenso in den der
Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ein. Diese
Eingriffe sind jedoch durch die Ziele des MiLoG, jedem Arbeitnehmer
ein existenzsicherndes Monatseinkommen zu gewährleisten (s.
BTDrucks 18/1558, S. 28; vgl. auch BAG-Urteil vom 21.12.2016 - 5
AZR 374/16, BAGE 157, 356, Rz 23, m.w.N.) und unter
Berücksichtigung der zunehmenden internationalen
Mobilität von Arbeitskräften einen Beitrag zu fairen und
funktionierenden Wettbewerbsbedingungen sowie zur Stabilität
der sozialen Sicherungssysteme zu leisten (s. BTDrucks 18/1558, S.
2 und 26; vgl. auch BAG-Urteil in BAGE 113, 149, unter IV.2.b),
verfassungsrechtlich gerechtfertigt (so im Ergebnis wohl auch
BAG-Urteil vom 17.01.2018 - 5 AZR 69/17 = SIS 18 12 20, NZA 2018,
781; gleicher Ansicht: Sittard in Henssler/Willemsen/ Kalb, a.a.O.,
Vorbemerkung Vor § 1 MiLoG Rz 11 ff.; Riechert/Nimmerjahn,
Mindestlohngesetz, a.a.O., Einführung Rz 107 ff. und 155 ff.;
grds. ebenso Zeising/Weigert, NZA 2015, 15, mit
Einschränkungen lediglich in Bezug auf den zeitlichen
Anwendungsbereich des MiLoG).
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61
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(2) Die Prüfungsbefugnisse die
Zollverwaltung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 SchwarzArbG i.V.m.
§§ 14 ff. MiLoG verstoßen auch nicht gegen den aus
dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) hergeleiteten
Bestimmtheitsgrundsatz.
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62
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Zwar ist, worauf bereits das BVerfG
hingewiesen hat, auslegungsbedürftig, wer unter das
Tatbestandsmerkmal der „im Inland beschäftigten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“ in § 20 MiLoG
fällt, und somit auch, wer als Arbeitgeber der betroffenen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Regelungen zur Durchsetzung
und Kontrolle der Mindestlohnpflicht in §§ 16 ff. MiLoG
unterliegt (Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 25.06.2015 - 1 BvR
555/15, Neuer Juristische Wochenschrift - NJW - 2015, 2242, Rz 14).
Insbesondere ist ungeklärt, ob ausnahmslos jede, auch nur
kurzfristige Tätigkeit auf dem Staatsgebiet Deutschlands eine
Inlandsbeschäftigung darstellt oder ob eine bestimmte Dauer
oder ein Bezug zu den deutschen Sozialversicherungssystemen und zu
den Lebenshaltungskosten in Deutschland vorauszusetzen ist (s.
BVerfG-Urteil in NJW 2015, 2242, Rz 14). Dabei stellt sich auch die
Frage, ob eine Mindestlohnpflicht bei kurzzeitigen Einsätzen
in Deutschland erforderlich ist, um die mit dem MiLoG verfolgten
Ziele zu erreichen (s. dazu unten: II.2.b aa).
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63
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Dass damit aber § 20 MiLoG und demzufolge
auch die §§ 14 ff. MiLoG - wie die Klägerin meint -
zu unbestimmt und demzufolge einer Auslegung nicht (mehr)
zugänglich wären, hat das BVerfG allerdings gerade nicht
festgestellt. Auch der erkennende Senat teilt die
diesbezügliche Auffassung der Klägerin nicht. Allein die
Auslegungsbedürftigkeit einer gesetzlichen Regelung nimmt ihr
nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit (ständige
Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvF 3/92,
BVerfGE 110, 33, unter II.1.e, m.w.N.).
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64
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c) Die Prüfungsbefugnisse der
Zollverwaltung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 SchwarzArbG i.V.m.
§§ 14 ff. MiLoG sind auch unionsrechtskonform. Die
genannten Regelungen verstoßen insbesondere nicht gegen die
Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 und 57 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - ).
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65
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) verwehrt es das
Unionsrecht den Mitgliedstaaten nicht, ihre Rechtsvorschriften
über Mindestlöhne oder die hierüber von den
Sozialpartnern geschlossenen Tarifverträge auf alle Personen
auszudehnen, die in ihrem Staatsgebiet, und sei es auch nur
vorübergehend, eine unselbständige Erwerbstätigkeit
ausüben, und zwar unabhängig davon, in welchem Land der
Arbeitgeber ansässig ist; ebenso wenig verbietet es das
Unionsrecht den Mitgliedstaaten, die Einhaltung dieser Regeln mit
geeigneten Mitteln durchzusetzen (vgl. EuGH-Urteile Seco und
Desquenne & Giral vom 03.02.1982 - C-62-63/81, EU:C:1982:34, Rz 14,
NJW 1982, 1935; Rush Portuguesa vom 27.03.1990 - C-113/89,
EU:C:1990:142, Rz 18, Europäische Zeitschrift für
Wirtschaftsrecht - EuZW - 1990, 256, und Vander Elst vom 09.08.1994
- C-43/93, EU:C:1994:216, Rz 23, EuZW 1994, 600).
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66
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Zwar führt die Anwendung von
Mindestlohnbestimmungen auf Arbeitnehmer, die aus dem Ausland
entsandt werden, zu einer Beschränkung des freien
Dienstleistungsverkehrs, da solche Bestimmungen geeignet sind, die
Tätigkeiten der im Ausland ansässigen Dienstleister zu
behindern oder doch zumindest weniger attraktiv zu machen. Doch
gehören die mit der Einführung eines allgemeinen
gesetzlichen Mindestlohns verfolgten Ziele - Schutz der
Arbeitnehmer, Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen und
Schutz der sozialen Sicherungssysteme - zu den vom EuGH anerkannten
zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die
grundsätzlich geeignet sind, eine solche Beschränkung zu
rechtfertigen (EuGH-Urteil Arblade/Leloup vom 23.11.1999 - C-369/96
und C-376/96, EU:C:1999:575, Rz 36, EuZW 2000, 88; s.
ausführlich auch Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz,
a.a.O., Einführung Rz 171 ff., m.w.N.).
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67
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Es kann daher dem EuGH zufolge
grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der
Aufnahmemitgliedstaat mit der Anwendung seiner Regelungen über
den Mindestlohn auf Dienstleistende, die in einem anderen
Mitgliedstaat ansässig sind, im Allgemeininteresse handelt,
nämlich zum Schutz der Arbeitnehmer (EuGH-Urteil Portugaia
Construções vom 24.01.2002 - C-164/99, EU:C:2002:40,
Rz 22, EuZW 2002, 245). Das gilt gleichermaßen für
Kontrollmaßnahmen, die erforderlich sind, um die Beachtung
von Mindestlohnbestimmungen sicherzustellen (EuGH-Urteile
Arblade/Leloup, EU:C:1999:575, Rz 38, EuZW 2000, 88, und De Clercq
u.a. vom 03.12.2014 - C-315/13, EU:C:2014:2408, Rz 65 f., m.w.N.,
NZA 2015, 290).
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68
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bb) Der danach erforderliche Ausgleich
zwischen der Dienstleistungsfreiheit einerseits und den zwingenden
Gründen des Allgemeininteresses wird auf der Ebene des
Sekundärrechts durch die Richtlinie 96/71/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über
die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von
Dienstleistungen (RL 96/71/EG) und die Richtlinie 2014/67/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.05.2014 zur
Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von
Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur
Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die
Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des
Binnenmarkt-Informationssystems (RL 2014/67/EU) konkretisiert.
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69
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(1) Gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1
Buchst. c RL 96/71/EG sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass
unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis
anwendbaren Recht den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern
die dort geltenden Mindestlohnsätze garantiert werden. Diese
Verpflichtung der Mitgliedstaaten gilt (u.a.) nach Art. 1 Abs. 1
und 3 Buchst. a RL 96/71/EG für Unternehmen mit Sitz in einem
Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden
Erbringung von Dienstleistungen einen Arbeitnehmer in ihrem Namen
und unter ihrer Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
im Rahmen eines Vertrags entsenden, der zwischen dem entsendenden
Unternehmen und dem in diesem Mitgliedstaat tätigen
Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für
die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem
entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht.
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70
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Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 RL 2014/67/EU
sollen die Mitgliedstaaten zudem sicherstellen, dass
gemäß nationalem Recht und nationalen Gepflogenheiten
geeignete und wirksame Kontroll- und Überwachungsmechanismen
eingesetzt werden und die nach nationalem Recht benannten
Behörden in ihrem Hoheitsgebiet wirksame und angemessene
Prüfungen durchführen, um die Einhaltung der Bestimmungen
und Vorschriften der RL 96/71/EG, unter Berücksichtigung der
einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie, zu kontrollieren
und zu überwachen, und so ihre ordnungsgemäße
Anwendung und Durchsetzung zu gewährleisten. Das
schließt gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 2 RL 2014/67/EU
Zufallskontrollen mit ein.
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71
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Nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b und c
RL 2014/67/EU können die Mitgliedstaaten insbesondere auch
vorsehen, dass der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene
Dienstleistungserbringer nach der Entsendung eines Arbeitnehmers
innerhalb einer angemessenen Frist Arbeitsverträge oder
gleichwertige Dokumente, Lohnzettel, Arbeitszeitnachweise mit
Angabe des Beginns, des Endes und der Dauer der täglichen
Arbeitszeit sowie Belege über die Entgeltzahlung oder Kopien
gleichwertiger Dokumente vorlegt, soweit dies notwendig,
gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.
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72
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Diese Dokumentations- und Nachweispflichten
entsprechen im Wesentlichen auch den Leitlinien, die die
Europäische Kommission im Hinblick auf die RL 96/71/EG
herausgegeben hat (Mitteilung der Kommission vom 04.04.2006,
Leitlinien für die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der
Erbringung von Dienstleistungen der Europäischen Kommission,
Kom (2006) 159 endg.).
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73
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(2) Die in Art. 9 RL 2014/67/EU
aufgezählten Maßnahmen - insbesondere auch die
Verfügbarmachung von Arbeitsverträgen, Lohnzetteln und
Belegen über die Entgeltzahlung - zur Gewährleistung
einer wirksamen Überwachung der Einhaltung der aus der RL
96/71/EG und der RL 2014/67/EU resultierenden Pflichten sind nach
der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich nicht zu beanstanden
(vgl. EuGH-Beschluss Bezirkshauptmannschaft
Hartberg-Fürstenfeld vom 19.12.2019 - C-140/19, C-141/19 und
C-492/19 bis C-494/19, EU:C:2019:1103, juris = SIS 20 01 49). Der
EuGH hat allerdings in Bezug auf die in Art. 20 RL 2014/67/EU
niedergelegte Verpflichtung, Vorschriften über Sanktionen bei
Verstößen festzulegen, darauf verwiesen, dass
entsprechende nationale Bestimmungen nur dann als mit der RL
2014/67/EU vereinbar angesehen werden können, sofern diese
Sanktionen verhältnismäßig sind (vgl.
EuGH-Beschluss Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld,
EU:C:2019:1103, Rz 30 f., juris). Das wird man gleichermaßen
auch für die in Art. 9 RL 2014/67/EU genannten
Überwachungsmaßnahmen verlangen müssen.
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Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verlangt nach ständiger
Rechtsprechung des EuGH, dass die betreffenden Maßnahmen
nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der
mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele
geeignet und erforderlich ist, wobei die durch die Maßnahmen
verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den
angestrebten Zielen stehen dürfen (vgl. EuGH-Urteil F vom
25.01.2018 - C-473/16, EU:C:2018:36, Rz 56, m.w.N.,
Europäische Grundrechte Zeitschrift 2018, 168).
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Für grundsätzlich zulässig hat
es der EuGH gehalten, wenn im Ausland ansässige Arbeitgeber
verpflichtet werden, ihre gemäß den Regelungen des
Niederlassungsmitgliedstaats geführten Personal- und
Arbeitsunterlagen einschließlich persönlicher
Arbeitszeitkonten der entsandten Arbeitnehmer vorzulegen (vgl.
EuGH-Urteil Arblade/Leloup, EU:C:1999:575, Rz 66, EuZW 2000, 88).
Ebenfalls grundsätzlich zulässig ist es, von im Ausland
ansässigen Arbeitgebern zu verlangen, die zur Kontrolle
erforderlichen Dokumente in deutscher Sprache vorzuhalten (vgl.
EuGH-Urteil Kommission/Deutschland vom 18.07.2007 - C-490/04,
EU:C:2007:430, Rz 56 ff. und 72, NZA 2007, 917).
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76
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Schließlich hat der EuGH noch darauf
verwiesen, dass es im Einzelfall Sache der nationalen Behörden
und Gerichte ist zu prüfen, ob die entsprechenden Regelungen
im Hinblick auf die Verwirklichung der genannten Ziele unter
Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte
verhältnismäßig sind (vgl. EuGH-Urteil De Clercq
u.a., EU:C:2014:2408, Rz 70, m.w.N., NZA 2015, 290; s.a.
EuGH-Urteile Portugaia Construções, EU:C:2002:40, Rz
24, EuZW 2002, 245; Mazzoleni und ISA vom 15.03.2001 - C-165/98,
EU:C:2001:162, Rz 40, EuZW 2001, 315).
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cc) Ausgehend von diesen
Rechtsgrundsätzen stellen die Prüfungsbefugnisse der
Zollverwaltung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 SchwarzArbG i.V.m.
§§ 14 ff. MiLoG zwar eine Beschränkung des freien
Dienstleistungsverkehrs dar; diese Beschränkung ist aber
verhältnismäßig und damit gerechtfertigt (so im
Ergebnis auch FG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 16.01.2019 - 1 K
1161/17, Recht der Transportwirtschaft - RdTW - 2020, 63, Rz 50,
und 1 K 1174/17, juris = SIS 19 02 87, Vorverfahren zu der
Revision: VII R 12/19; FG Münster, Beschluss vom 26.09.2019 -
9 V 1280/19 AO, EFG 2020, 294 = SIS 19 17 80; Sächsisches FG,
Beschluss vom 23.08.2018 - 4 V 1019/18, RdTW 2019, 76; anderer
Ansicht Hessisches FG, Beschluss vom 07.11.2018 - 7 V 476/18, RdTW
2019, 73).
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78
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Mit den Prüfungsbefugnissen der
Zollverwaltung verfolgt der Gesetzgeber des MiLoG ein
zulässiges Ziel; denn ebenso wie die Verpflichtung zur Zahlung
des gesetzlichen Mindestlohns in § 20 MiLoG (s. oben: II.1.b
dd (1)) dienen die Prüfungsbefugnisse zum einen dem Zweck,
zwischen inländischen Unternehmen und Unternehmen, die
länderübergreifende Dienstleistungen erbringen, einen
lauteren Wettbewerb zu gewährleisten, und sie sollen zum
anderen sicherstellen, dass jedem entsandten Arbeitnehmer ein
existenzsicherndes Monatseinkommen zukommt.
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79
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Die Prüfungsbefugnisse sind auch geeignet
und erforderlich, die Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen
nach § 20 MiLoG zu gewährleisten. Denn nur anhand von
Unterlagen wie Arbeitsverträgen, Lohnzetteln,
Arbeitszeitnachweisen und Belegen über die Entgeltzahlung etc.
kann festgestellt werden, in welchem Umfang die betreffenden
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich im Inland
tätig geworden sind und ob der ihnen für diese
Tätigkeit gezahlte Lohn dem gesetzlichen Mindestlohn
entspricht.
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80
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Gleichermaßen geht der erkennende Senat
im Hinblick auf die oben (II.1.c aa) angeführte Rechtsprechung
des EuGH davon aus, dass die Nachteile, die sich für die
ausländischen Arbeitgeber aus der Verpflichtung ergeben, die
genannten Unterlagen vorzuhalten und auf Anforderung vorzulegen,
grundsätzlich nicht außer Verhältnis zu den mit dem
MiLoG verfolgten Ziele stehen (zur
Verhältnismäßigkeit der streitigen
Prüfungsverfügung s. unten: II.2.b bb).
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81
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2. Die Prüfungsverfügung vom
21.10.2015 und die damit verbundene Aufforderung zur Vorlage von
Unterlagen sind ebenfalls rechtmäßig.
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82
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a) Die angefochtenen Maßnahmen sind
formell rechtmäßig.
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83
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Das HZA war als örtliche
Bundesbehörde gemäß § 1 Nr. 3, § 12 Abs.
2 FVG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 5 SchwarzArbG und §§ 14,
15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MiLoG sachlich und örtlich
zuständig.
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84
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Die Prüfungsverfügung war mit einer
Begründung versehen und ist der Klägerin bekanntgegeben
worden. Weitere besondere Anforderungen stellt das Gesetz nicht
(vgl. bereits Senatsurteil vom 23.10.2012 - VII R 41/10, BFHE 239,
10, BFH/NV 2013, 282 = SIS 12 34 01, Rz 19).
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85
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b) Die angefochtenen Maßnahmen sind auch
materiell rechtmäßig.
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aa) Die Klägerin ist als
ausländische Arbeitgeberin zur Duldung der Prüfung
verpflichtet.
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(1) § 20 MiLoG richtet sich
ausdrücklich an alle in- und ausländischen Arbeitgeber,
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Inland
beschäftigen.
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88
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Eine Differenzierung nach der Art der
erbrachten Leistungen oder nach der Branche, der der Arbeitgeber
angehört, lässt sich dem Wortlaut der Regelung und der
Systematik der §§ 14 ff. MiLoG nicht entnehmen.
Insbesondere wird nicht danach unterschieden, ob es sich bei den
durch das ausländische Unternehmen im Inland erbrachten
Leistungen - wie im vorliegenden Streitfall - um
grenzüberschreitende Transporte handelt oder um
Transitfahrten, bei denen Deutschland lediglich durchfahren wird,
oder um Kabotagefahrten.
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89
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Auch aus den Gesetzesmaterialien zum MiLoG
lässt sich eine solche Beschränkung nicht herleiten. Aus
der Begründung zum Regierungsentwurf geht vielmehr
ausdrücklich hervor, dass die Pflichten nach dem MiLoG
einschließlich der Informations- und Meldepflichten auch
für ausländische Arbeitgeber gelten sollen, soweit diese
Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer innerhalb des
Anwendungsbereichs dieses Gesetzes beschäftigen (s. BTDrucks
18/1558, S. 31). Zudem wird ausdrücklich auf die in § 2a
SchwarzArbG genannten Wirtschaftsbereiche Bezug genommen, u.a. auf
das Transportgewerbe (s. BTDrucks 18/1558, S. 59 f.).
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90
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Eine an Sinn und Zweck der genannten
Regelungen (s. oben: II.1.b dd (1)) orientierte Auslegung
führt hingegen zu keinem eindeutigen Ergebnis. Orientiert man
sich vorrangig an dem Ziel des gesetzlichen Mindestlohns, den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein existenzsicherndes
Monatseinkommen zu gewähren, ließe sich argumentieren,
dass die Frage, was zur Existenzsicherung der ausländischen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer notwendig ist, nur in Bezug auf
ihren gewöhnlichen Aufenthalt und (ggf.) den gewöhnlichen
Aufenthalt ihrer Familien beantwortet werden kann. Arbeitnehmer,
die sich nur vereinzelt oder jeweils nur für kurze Zeit in
Deutschland aufhalten, ihren Lebensmittelpunkt aber in einem
anderen Land haben, sind für die Gewährleistung eines
Existenzminimums nicht auf den deutschen Mindestlohn angewiesen,
wenn in ihrem eigenen Land die Lebenshaltungskosten deutlich unter
den deutschen Verhältnissen liegen. Die Zahlung des in §
20 i.V.m. § 1 Abs. 2 MiLoG festgelegten Mindestlohns wäre
in solchen Fällen zur Gewährleistung eines
existenzsichernden Monatseinkommens nicht erforderlich.
Andererseits lassen sich sowohl faire und funktionierende
Wettbewerbsbedingungen als auch die Stabilität der sozialen
Sicherungssysteme am ehesten durch eine möglichst umfassende
Anwendung des gesetzlichen Mindestlohns auf alle im Inland
tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleisten.
Vor allem dann, wenn ausländische Arbeitgeber immer wieder
Arbeitnehmer im Inland beschäftigen, auch wenn dies bezogen
auf den jeweiligen Arbeitnehmer nur vereinzelt und nur für
kurze Zeiträume geschehen mag, treten sie damit dauerhaft in
Konkurrenz zu inländischen Unternehmen. Zahlt der
ausländische Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern Löhne, die
unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegen, und hat er dadurch die
Möglichkeit, seine Leistungen zu niedrigeren Preisen
anzubieten, als es inländischen Arbeitgebern möglich ist,
die ihrerseits an den gesetzlichen Mindestlohn gebunden sind, kann
dies sowohl den Wettbewerb als auch die sozialen Sicherungssysteme
beeinträchtigen.
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91
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(2) Allerdings sind nach der Rechtsprechung
des EuGH gesetzliche Mindestlohnbestimmungen in Bezug auf
Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer, die nur für kurze Zeit im
Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats tätig sind, eher
einschränkend auszulegen.
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92
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(aa) Bereits für die Zeit vor Ablauf der
Frist zur Umsetzung der RL 96/71/EG am 16.12.1999 hatte der EuGH
entschieden, dass sich die Anwendung nationaler
Mindestlohnbestimmungen auf ausländische Arbeitgeber als
unverhältnismäßig erweisen kann, wenn es um
Beschäftigte eines Unternehmens mit Sitz in einer grenznahen
Region geht, die einen Teil ihrer Arbeit in Teilzeit und nur
für kurze Zeiträume im Hoheitsgebiet eines oder mehrerer
anderer Mitgliedstaaten als desjenigen erbringen, in dem das
Unternehmen seinen Sitz hat (EuGH-Urteil Mazzoleni und ISA,
EU:C:2001:162, Rz 28 ff. und 41, EuZW 2001, 315). Die
zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats
müssen dem EuGH zufolge in solchen Fällen prüfen, ob
und, wenn ja, inwieweit die Anwendung einer nationalen Regelung,
die einen Mindestlohn vorschreibt, auf ein solches Unternehmen
erforderlich und verhältnismäßig ist, um den Schutz
der betroffenen Arbeitnehmer sicherzustellen (EuGH-Urteil Mazzoleni
und ISA, EU:C:2001:162, Rz 34 ff., EuZW 2001, 315).
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93
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(bb) Ebenso legt der EuGH auch in seiner
neueren Rechtsprechung den Begriff „entsandter
Arbeitnehmer“ in Art. 2 Abs. 1 RL 96/71/EG
einschränkend aus.
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94
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Zwar gilt als entsandter Arbeitnehmer nach
Art. 2 Abs. 1 RL 96/71/EG jeder Arbeitnehmer, der während
eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet
eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen
Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet. Eine zeitliche
Mindestdauer oder eine Beschränkung auf bestimmte Branchen
enthält die Regelung damit nicht. Verschiedene - zum Teil
obligatorische, zum Teil fakultative - Ausnahmeregelungen in Art. 1
Abs. 2 und Art. 3 Abs. 2 bis 5 RL 96/71/EG sprechen
grundsätzlich eher dafür, dass es jenseits der dort
ausdrücklich geregelten Anwendungsfälle (die den
vorliegenden Streitfall nicht betreffen) weder auf die Dauer der
Entsendung noch auf den Umfang der zu verrichtenden Arbeiten
ankommen kann.
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95
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Gleichwohl hat der EuGH entschieden, dass
ausgehend von der gesetzlichen Definition in Art. 2 Abs. 1 RL
96/71/EG ein Arbeitnehmer nicht als in das Hoheitsgebiet eines
Mitgliedstaats „entsandt“ angesehen werden kann,
wenn seine Arbeitsleistung keine hinreichende Verbindung zu diesem
Hoheitsgebiet aufweist (EuGH-Urteil Dobersberger vom 19.12.2019 -
C-16/18, EU:C:2019:1110, Rz 30 f., EuZW 2020, 151; ähnlich
bereits EuGH-Urteil Bundesdruckerei vom 18.09.2014 - C-549/13,
EU:C:2014:2235, Rz 33 ff., EuZW 2014, 942). In dem entschiedenen
Fall ging es um Arbeitnehmer eines Subunternehmens der
Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) mit Sitz in Ungarn,
die in Zügen der ÖBB auf der Fahrt durch Österreich
Dienstleistungen wie Bordservice, Reinigungsleistungen oder die
Verpflegung der Fahrgäste erbringen, gleichwohl aber in Ungarn
wohnhaft und sozialversichert sind und dort ihren Lebensmittelpunkt
haben, die ihren Dienst in Ungarn antreten und beenden und dort
auch den wesentlichen Teil ihrer Arbeitsleistungen erbringen. Dem
EuGH zufolge unterhalten diese Arbeitnehmer keine hinreichende
Verbindung zu dem Hoheitsgebiet Österreichs, um als dorthin
„entsandt“ i.S. von Art. 2 Abs. 1 RL 96/71/EG
gelten zu können (EuGH-Urteil Dobersberger, EU:C:2019:1110, Rz
33 ff., EuZW 2020, 151).
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96
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(3) Dementsprechend wird teilweise auch im
Schrifttum gefordert, die Verpflichtung aus § 20 MiLoG nur bei
einem „hinreichenden“ sachlichen und zeitlichen
Inlandsbezug eingreifen zu lassen, sodass neben Transitfahrten vor
allem auch kurzzeitige Beschäftigungen im Inland nicht erfasst
werden sollen (so Sittard, NZA 2015, 78, 80; ders. in
Henssler/Willemsen/Kalb, a.a.O., § 20 MiLoG Rz 3;
Moll/Katerndahl, DB 2015, 555; Moll/Päßler/Reich, MDR
2016, 624, 625; Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20.
Aufl. 2020, § 20 MiLoG Rz 2; Grimm in Tschöpe,
Arbeitsrecht Handbuch, 11. Aufl. 2019, 6. Teil, E. Mindestlohn Rz
63; Birk in Münchner Handbuch z. Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2000,
§ 20 Rz 160; für ein sozialversicherungsrechtliches
Verständnis des Begriffs „Beschäftigung im
Inland“ s. Bissels/ Falter/Evers, Arbeitsrecht Aktuell
2015, 4, 5).
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97
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Teilweise wird allerdings auch vertreten, dass
das Tatbestandsmerkmal „Beschäftigung im
Inland“ in § 20 MiLoG grundsätzlich weit
auszulegen sei in dem Sinne, dass weder eine zeitliche Mindestdauer
der Beschäftigung im Inland noch ein Mindestumfang der im
Inland zu verrichtenden Arbeiten vorausgesetzt wird (so
Insam/Hinrichs/Tacou, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht -
Rechtsprechungsreport 2014, 569, 570; Hantel, NZA 2015, 410;
Lakies, Arbeit und Recht 2016, 14, 15; Mankowski, Recht der Arbeit
2017, 273, 275 f.; Riechert/ Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, a.a.O.,
§ 20 Rz 15 ff.; gleicher Ansicht auch Thüsing/Bayreuther,
MiLoG/AEntG, 2. Aufl. 2016, § 1 MiLoG Rz 73 f., allerdings mit
der Einschränkung, dass jedenfalls Transitfahrten und im
Zweifel auch Kabotagefahrten nicht mindestlohnpflichtig sein
sollen; ähnlich auch Pötters/Krause, in:
Mückl/Pötters/Krause, Das Mindestlohngesetz in der
betrieblichen Praxis, 2015, Rz 254 ff., 272 ff.; Deinert in:
Schlachter/Heinig, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 1.
Aufl. 2016, § 10 Rz 47 ff., spricht sich für eine
teleologische Reduktion (nur) in Bezug auf Transitfahrten aus).
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98
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(4) Für den vorliegenden Streitfall kommt
es hierauf jedoch nicht an. Denn ungeachtet der aufgezeigten
Problematik müssen die Zollbehörden die Möglichkeit
haben, überhaupt erst einmal festzustellen, in welchem Umfang
die betreffenden Arbeitnehmer tatsächlich im Inland
beschäftigt werden bzw. beschäftigt worden sind. Erst im
Anschluss an eine solche Feststellung stellt sich dann die Frage,
ob der festgestellte Umfang der Tätigkeit eine - im Sinne der
EuGH-Rechtsprechung - hinreichende Verbindung zum deutschen
Hoheitsgebiet begründet mit der Folge, dass die Verpflichtung
zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 20 MiLoG im
Einzelfall eingreift.
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99
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Die Prüfungsbefugnis der
Zollbehörden und die korrespondierenden Mitwirkungspflichten
der ausländischen Arbeitgeber werden daher von dem Streit um
die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Beschäftigung
im Inland“ in § 20 MiLoG nicht berührt.
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100
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(5) Aus der Richtlinie (EU) 2020/1057 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.07.2020 zur
Festlegung besonderer Regeln im Zusammenhang mit der Richtlinie
96/71/EG und der Richtlinie 2014/67/EU für die Entsendung von
Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor und zur Änderung
der Richtlinie 2006/22/EG bezüglich der
Durchsetzungsanforderungen und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012
(RL 2020/1057/EU) lässt sich kein anderes Ergebnis
herleiten.
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101
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Zwar gilt nach Art. 1 Abs. 2 und 3 RL
2020/1057/EU ein Kraftfahrer, der bei einem in einem Mitgliedstaat
niedergelassenen Unternehmen beschäftigt ist und bilaterale
Beförderungen von Gütern durchführt, nicht als
„entsandt“ i.S. der RL 96/71/EG. Doch sieht Art.
9 RL 2020/1057/EU eine Umsetzung dieser Richtlinie erst bis zum
02.02.2022 vor, sodass Art. 1 Abs. 3 RL 2020/1057/EU für den
vorliegenden Streitfall nicht maßgeblich ist. Entgegen der
Auffassung der Klägerin handelt es sich - anders als etwa in
Bezug auf Transitfahrten (vgl. den 11. Erwägungsgrund der RL
2020/1057/EU) - insoweit auch nicht lediglich um eine schriftliche
Klarstellung des Begriffs „entsandter
Arbeitnehmer“ in Art. 2 Abs. 1 RL 96/71/EG.
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102
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bb) Die Prüfungsverfügung vom
21.10.2015 ist verhältnismäßig im Sinne der oben
(s. II.1.c bb (2)) dargestellten EuGH-Rechtsprechung.
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103
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Das HZA hat seine Prüfung auf den von ihm
kontrollierten Fahrer und auf den Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum
30.09.2015 beschränkt. Gegenstand des - hier noch streitigen -
Vorlageverlangens sind zudem nur diejenigen Unterlagen, die die
Klägerin ihrer eigenen Meldung nach § 16 MiLoG zufolge
ohnehin in deutscher Sprache bereithält. Der Aufwand, der die
Vorlage dieser Unterlagen für die Klägerin bedeutet, ist
demzufolge nur geringfügig.
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104
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Auf die Vorlage dieser Unterlagen kann auch
nicht deshalb verzichtet werden, weil das FG bereits festgestellt
hätte, dass der Fahrer der Klägerin lediglich
„ein bis zwei Mal pro Monat“ nach B gefahren
ist; denn das FG hat solche Feststellungen gerade nicht getroffen.
Es hat lediglich - sowohl im Tatbestand auf S. 3 des Urteils als
auch in den Entscheidungsgründen auf S. 16 des Urteils -
wiedergegeben, welche Angaben der Fahrer der Klägerin gemacht
hat. Eine Überprüfung dieser Angaben ist bislang nicht
möglich gewesen, weil die Klägerin entsprechende
Unterlagen auch im finanzgerichtlichen Verfahren nicht vorgelegt
hat.
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105
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Ungeachtet dessen hat die Klägerin selbst
eine Meldung nach der damals geltenden MiLoMeldV abgegeben. Demnach
hat es die Klägerin zumindest für möglich gehalten,
dass sie unter das MiLoG fällt, und somit einen Anlass
für die von dem HZA angestrebte Prüfung gegeben.
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106
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cc) Die Prüfungsverfügung vom
21.10.2015 ist nicht in sich widersprüchlich.
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107
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(1) Verwaltungsakte sind, soweit sie objektiv
mehrdeutig sind, nach dem objektiven Empfängerhorizont
auszulegen. Maßgeblich für die Auslegung ist, wie der
Empfänger das Erklärte nach den ihm bekannten
Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben
verstehen durfte (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile
vom 11.04.2018 - X R 39/16, BFH/NV 2018, 1075 = SIS 18 12 35, Rz
26, und vom 30.01.2018 - VIII R 75/13, BFHE 260, 450, BStBl II
2019, 91 = SIS 18 06 65, Rz 35, jeweils m.w.N.). Dabei ist die
Frage, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, vom BFH als
Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten, ohne
Bindung an die Auslegung durch das FG (BFH-Urteile vom 25.07.2019 -
IV R 47/16, BFHE 265, 273, BStBl II 2020, 142 = SIS 19 13 99, Rz
36, und in BFHE 260, 450, BStBl II 2019, 91 = SIS 18 06 65, Rz 35,
m.w.N.).
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108
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Prüfungsverfügungen sind
Verwaltungsakte und dementsprechend im Fall der Mehrdeutigkeit der
Auslegung zugänglich (vgl. BFH-Urteil vom 25.04.2001 - I R
80/97, BFH/NV 2001, 1541 = SIS 01 81 19; BFH-Beschlüsse vom
15.05.2009 - IV B 24/09, BFH/NV 2009, 1402 = SIS 09 26 47, unter
II.2.e 1., und vom 26.06.2007 - V B 97/06, BFH/NV 2007, 1805 = SIS 07 31 88, unter II.1.b aa). Der Inhalt einer
Prüfungsverfügung kann sich insbesondere aus dem mit
„Prüfungsverfügung“
überschriebenen Schriftstück und einem Begleitschreiben
ergeben; beide Schriftstücke zusammen bilden dann den
Verwaltungsakt, der auf seine Rechtmäßigkeit hin zu
überprüfen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 15.02.2008 - II B
79/07, BFH/NV 2008, 1102 = SIS 08 24 48).
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109
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(2) Der erkennende Senat geht davon aus, dass
die beiden Schreiben vom 21.10.2015 zusammen die hier streitige
Prüfungsverfügung bilden.
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110
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Das Begleitschreiben nimmt nicht nur
unmittelbar auf die lediglich allgemein gehaltene, formularhafte
Prüfungsverfügung Bezug, sondern es konkretisiert und
beschränkt diese ausdrücklich in Bezug auf den
Prüfungsgegenstand und den Prüfungszeitraum, während
es sie gleichzeitig in Bezug auf den Prüfungsort modifiziert.
Damit wird nach Ansicht des erkennenden Senats ohne weiteres
deutlich, dass beide Schreiben im Zusammenhang gelesen und
verstanden werden müssen: Während die
Prüfungsverfügung allgemein eine Prüfung nach
§§ 2 ff. SchwarzArbG anordnet, geht aus dem
Begleitschreiben hervor, dass lediglich das
Beschäftigungsverhältnis des bei der Standortkontrolle
angetroffenen Fahrers geprüft werden soll und dass sich diese
Prüfung auf den Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum 30.09.2015
bezieht. Während die Prüfungsverfügung
grundsätzlich eine Prüfung „vor Ort beim
Auftraggeber/Arbeitgeber“ vorsieht, zugleich aber darauf
hinweist, dass auch eine „Herausgabe der zur Prüfung
notwendigen Unterlagen durch den Auftraggeber/Arbeitgeber zur
Prüfung in den Räumen des Hauptzollamtes“
verlangt werden könne, ergibt sich aus dem Begleitschreiben
ausdrücklich und unmissverständlich, dass im vorliegenden
Fall auf eine Prüfung vor Ort verzichtet wird und dass die
Klägerin ihren Verpflichtungen nachkommt, indem sie die
angeforderten Unterlagen entweder persönlich oder per Post
vorlegt.
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111
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Mag man darin mit der Klägerin auf den
ersten Blick einen Widerspruch sehen, so ist dieser jedoch nur
vordergründig und lässt sich ohne weiteres unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände und
Besonderheiten des vorliegenden Falles im Wege der Auslegung
auflösen mit dem Ergebnis, dass das HZA von einer Prüfung
der angeforderten Lohnunterlagen am Sitz der Klägerin
ausdrücklich Abstand genommen hat.
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112
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dd) Die Prüfungsverfügung vom
21.10.2015 ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil seit ihrem
Erlass inzwischen mehr als zwei Jahre vergangen sind.
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113
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Auf den Ablauf der zweijährigen
Bereithaltefrist des § 17 Abs. 2 MiLoG kann sich die
Klägerin nicht berufen, da sie vom HZA bereits mit der
Prüfungsverfügung vom 21.10.2015 - also innerhalb der
Zweijahresfrist - zur Vorlage der betreffenden Unterlagen
aufgefordert worden ist. Es wäre widersinnig, wollte man dem
Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnen, seine
Verpflichtungen nach dem MiLoG dadurch zu unterlaufen, dass er die
Vorlage von Unterlagen verweigert bzw. hinauszögert und auf
diese Weise den Ablauf der Zweijahresfrist herbeiführt. Es
genügt demnach, wenn die Zollbehörden innerhalb der
Zweijahresfrist eine Prüfung anordnen und die Vorlage der vom
Arbeitgeber nach § 17 MiLoG zu erstellenden und
bereitzuhaltenden Unterlagen verlangen.
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114
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ee) Schließlich ist die
Prüfungsverfügung vom 21.10.2015 auch nicht
rechtsmissbräuchlich, weil, wie die Klägerin meint,
sämtliche Verjährungsfristen für die Ahndung von
Verstößen gegen das MiLoG verstrichen wären, sodass
es inzwischen an einem nachvollziehbaren Prüfungszweck fehlen
würde.
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115
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(1) Nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine
Prüfungsanordnung nicht schon deshalb rechtswidrig, weil die
Steueransprüche, die überprüft werden sollen,
möglicherweise verjährt sind oder aus anderen
Gründen nicht mehr durchgesetzt werden können; das gilt
jedenfalls dann, wenn der Eintritt der Verjährung nicht
offensichtlich ist (vgl. BFH-Urteil vom 23.07.1985 - VIII R 48/85,
BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433 = SIS 86 04 44; BFH-Beschlüsse
vom 03.03.2006 - IV B 39/04, BFH/NV 2006, 1250 = SIS 06 25 55; vom
13.03.2002 - XI B 122/01, BFH/NV 2002, 1012 = SIS 02 86 14, und vom
29.05.2001 - VIII B 1/01, BFH/NV 2001, 1569 = SIS 01 81 46; s.a.
Schallmoser in HHSp, § 193 AO Rz 38 und § 196 AO Rz 72).
Diese Rechtsprechung gilt nach Auffassung des erkennenden Senats
sinngemäß auch für Prüfungen nach dem
MiLoG.
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(2) Im vorliegenden Streitfall ist eine
Ahndung möglicher Verstöße gegen das MiLoG nicht
offensichtlich ausgeschlossen.
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Gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 des
Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) i.V.m. § 21
Abs. 3 MiLoG verjährt die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten
nach dem MiLoG, da diese mit einer Geldbuße im
Höchstmaß von mehr als 15.000 EUR bedroht sind, in drei
Jahren. Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG beginnt die
Verjährung, sobald die Handlung beendet ist. Tritt ein zum
Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt
die Verjährung gemäß § 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG
mit diesem Zeitpunkt.
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Maßgebliche
„Handlungen“ können im vorliegenden
Streitfall neben der fehlenden Duldung oder Mitwirkung bei der
Prüfung entgegen § 15 Satz 1 MiLoG i.V.m. § 5 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 oder 3 SchwarzArbG (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 MiLoG) auch
Verstöße gegen die Aufzeichnungs- oder
Aufbewahrungspflichten des § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG (§ 21
Abs. 1 Nr. 7 MiLoG) und gegen die Bereithaltepflichten des §
17 Abs. 2 MiLoG (§ 21 Abs. 1 Nr. 8 MiLoG) sowie die fehlende
bzw. nicht rechtzeitige Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns
entgegen § 20 MiLoG (§ 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG) sein.
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Ob die Klägerin gegen diese Pflichten
verstoßen hat und gegebenenfalls gegen welche und
insbesondere wie lange, lässt sich gegenwärtig nicht
feststellen. Ergibt die angeordnete Prüfung, dass die
Klägerin als ausländische Arbeitgeberin in den
Anwendungsbereich des MiLoG fällt und dass sie
tatsächlich gegen die ihr danach obliegenden Pflichten
verstoßen hat, wäre das HZA berechtigt und unter
Umständen auch verpflichtet, im Wege einer
Anschlussprüfung oder einer sog. Erweiterungsanordnung (zur
Unterscheidung vgl. BFH-Beschluss vom 15.04.2016 - X B 155/15,
BFH/NV 2016, 1139 = SIS 16 14 87, Rz 10) weitere Zeiträume und
ggf. auch weitere Arbeitnehmer in die Prüfung mit
einzubeziehen, um den tatsächlichen Umfang der
Pflichtverstöße zu ermitteln. Dabei tritt der Erfolg der
jeweiligen Handlung i.S. von § 31 Abs. 3 Satz 2 OWiG
jedenfalls in Bezug auf § 21 Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. § 20
MiLoG ohnehin erst mit der letzten Auszahlung eines zu geringen
Monatslohns ein.
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Dementsprechend steht zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch gar nicht fest, ob tatsächlich in Bezug auf
alle - möglichen - Verstöße der Klägerin gegen
das MiLoG Verfolgungsverjährung eingetreten ist.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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