Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.11.2017 - 3 K 3189/17
aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die
Kläger zu tragen.
1
|
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt.
|
|
|
2
|
Die Klägerin hat drei ältere
Geschwister. Am XX.03.1994 schlossen die Eltern der Klägerin
und die vier Kinder einen notariell beurkundeten
Pflichtteilsverzichtsvertrag ab. Die Eltern gaben an, sich
wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt zu haben. Die Kinder
verzichteten gegenüber dem überlebenden Elternteil auf
ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht gegen Zahlung eines Betrages in
Höhe von je 150.000 DM (umgerechnet 76.693,78 EUR). Die
Zahlung sollte bis zum 31.12.1994 erfolgen. Die Klägerin
verzichtete in derselben Urkunde auf die Auszahlung der 150.000 DM
(= 76.693,78 EUR) zum 31.12.1994. An sie sollte der Betrag nebst 5
% Zinsen erst nach dem Ableben des letztversterbenden Elternteils
ausgezahlt werden. Zur Sicherung bewilligten und beantragten die
Eltern die Eintragung einer Grundschuld in Höhe von 150.000 DM
nebst 5 % Zinsen.
|
|
|
3
|
Mit gemeinschaftlichem Testament vom
XX.01.2015 ordneten die Eltern unter Verweis auf den
Pflichtteilsverzichtsvertrag vom XX.03.1994 an, dass an die
Klägerin die Auszahlung der 150.000 DM (= 76.693,78 EUR) nebst
5 % Zinsen Zug um Zug gegen Löschung der Grundschuld erfolgen
sollte. Am XX.11.2015 wurden der Klägerin 157.705,52 EUR
(150.000 DM = 76.693,78 EUR zzgl. 81.011,74 EUR Zinsen für die
Zeit vom XX.09.1994 bis XX.11.2015) ausbezahlt.
|
|
|
4
|
Die Kläger erklärten in ihrer
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2015) aus
dem Vorgang keine Einkünfte aus Kapitalvermögen. Sie
stellten jedoch den Sachverhalt dar und vertraten die Auffassung,
dass die Auszahlung für den geleisteten Pflichtteilsverzicht
in Höhe von 157.705,52 EUR nicht der Besteuerung unterliege.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - )
vertrat dagegen die Auffassung, dass die Zahlung in Höhe von
81.011,74 EUR als Zinsen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) der Besteuerung unterliege. Der
hiergegen erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg.
|
|
|
5
|
Mit ihrer Klage machten die Kläger
geltend, dass der Klägerin von den Eltern insgesamt ein Betrag
in Höhe von 157.705, 52 EUR als Schenkung zu Lebzeiten
zugewendet worden sei, der nicht der Einkommensteuer unterliege.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit Urteil vom 22.11.2017 - 3
K 3189/17 (EFG 2018, 379 = SIS 18 01 26) statt. Zur Begründung
führt es aus, dass in der Zahlung der Eltern kein
steuerpflichtiger Zinsanteil enthalten sei. Aus dem Urteil des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9.2.2010 - VIII R 43/06 (BFHE 229, 104,
BStBl II 2010, 818 = SIS 10 18 88) folge, dass die Klägerin
aufgrund des Pflichtteilsverzichts lediglich einen Anspruch
erhalten habe, der auf die Zahlung eines noch unbestimmten
Gesamtbetrags gerichtet gewesen sei. Zuvor habe die Klägerin
kein Kapital erhalten, das sie ihren Eltern hätte
überlassen können. Wenn nach dem Urteil des BFH vom
09.02.2010 - VIII R 35/07 (BFH/NV 2010, 1793 = SIS 10 27 20) selbst
bei wiederkehrenden Zahlungen infolge eines Pflichtteilsverzichts
keine Kapitalüberlassung vorliege, müsse dies bei einer
Einmalzahlung erst recht gelten.
|
|
|
6
|
Mit der vom FG zugelassenen Revision
rügt das FA eine Verletzung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
Die im Pflichtteilsverzichtsvertrag vereinbarten
Zahlungsmodalitäten stellten eine Kreditgewährung der
Klägerin an die Eltern im abgekürzten Zahlungsweg dar.
Dementsprechend sei die vereinbarte Verzinsung eine Gegenleistung
für die Kapitalüberlassung, die nach § 20 Abs. 1 Nr.
7 EStG zu besteuern sei. Den vom FG angeführten Urteilen
lägen keine vergleichbaren Sachverhalte zugrunde.
|
|
|
7
|
Das FA beantragt sinngemäß, das
angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
|
|
|
8
|
Die Kläger beantragen, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
Zur Begründung nehmen sie Bezug auf
die vorinstanzliche Entscheidung.
|
|
|
10
|
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Die rechtliche Würdigung des
Pflichtteilsverzichtsvertrags vom XX.03.1994 durch das FG hält
einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Entgegen der
Auffassung des FG handelt es sich bei dem an die Klägerin im
Streitjahr ausgezahlten Betrag in Höhe von 81.011,74 EUR um
Zinsen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Der
Einkommensteuerbescheid ist danach rechtmäßig und die
Klage abzuweisen.
|
|
|
11
|
1. Die Zahlung der im Vertrag über den
Pflichtteilsverzicht vom XX.03.1994 vereinbarten Zinsen in
Höhe von 5 % jährlich ab dem 01.01.1995 für die
Stundung der Ausgleichszahlung in Höhe von 150.000 DM
(umgerechnet 76.693,78 EUR) führt im Streitjahr zum Zufluss
von Kapitalerträgen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in
Höhe von 81.011,74 EUR.
|
|
|
12
|
a) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG
gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen
Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die
Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt
für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung
zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des
Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt
unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen
Ausgestaltung der Kapitalanlage.
|
|
|
13
|
aa) Kapitalforderungen in diesem Sinne sind
alle auf Geldleistung gerichtete Forderungen ohne Rücksicht
auf die Dauer der Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des
Anspruchs (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom
27.10.2015 - VIII R 70/13, BFH/NV 2016, 736 = SIS 16 07 11, Rz 28).
Ebenso unerheblich ist, ob die zugrunde liegende Kapitalforderung
selbst steuerbar und die Kapitalüberlassung freiwillig erfolgt
ist (vgl. BFH-Urteile vom 13.11.2007 - VIII R 36/05, BFHE 220, 35,
BStBl II 2008, 292 = SIS 08 10 28, unter II.2.; vom 09.06.2015 -
VIII R 18/12, BFHE 250, 105, BStBl II 2016, 523 = SIS 15 21 51, Rz
12; vom 20.10.2015 - VIII R 40/13, BFHE 252, 260, BStBl II 2016,
342 = SIS 16 04 66, Rz 26).
|
|
|
14
|
bb) Erforderlich ist aber in jedem Fall die
Überlassung von privatem Geldvermögen an Dritte. Dabei
kann die Kapitalüberlassung in unterschiedlicher Art und Weise
erfolgen, etwa durch Hingabe als (endfälliges oder in Raten zu
tilgendes) Darlehen, durch Novation eines bestehenden
Zahlungsanspruchs in ein Darlehen oder durch zeitliche Streckung
eines Zahlungsanspruchs mittels Verrentung (BFH-Urteil in BFHE 229,
104, BStBl II 2010, 818 = SIS 10 18 88, unter II.2.a aa, m.w.N.).
Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20
Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören sodann alle Vermögensmehrungen,
die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die
überlassene Kapitalnutzung sind (BFH-Urteil vom 20.11.2012 -
VIII R 57/10, BFHE 239, 422, BStBl II 2014, 56 = SIS 13 04 87,
unter II.2.a, m.w.N.).
|
|
|
15
|
b) Nach diesen Grundsätzen handelt es
sich bei dem an die Klägerin im Streitjahr ausgezahlten Betrag
in Höhe von 81.011,74 EUR um Kapitalerträge i.S. des
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
|
|
|
16
|
aa) Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen,
dass sich aus dem notariell beurkundeten
Pflichtteilsverzichtsvertrag vom XX.03.1994 ergebe, dass in dem am
XX.11.2015 ausgezahlten Betrag in Höhe von 157.705,52 EUR kein
Entgelt für die Überlassung von Kapital enthalten sei.
Die rechtliche Einordnung des von den Vertragspartnern Gewollten am
Maßstab der jeweils einschlägigen Normen durch das FG
ist für den BFH als Revisionsgericht nicht nach § 118
Abs. 2 FGO bindend, sondern in vollem Umfang nachprüfbare
Rechtsanwendung (BFH-Urteil vom 17.05.2017 - II R 35/15, BFHE 258,
95, BStBl II 2017, 966 = SIS 17 11 78, Rz 26 f.). Der BFH ist
danach an die unzutreffende rechtliche Würdigung der
eindeutigen und somit nicht auslegungsfähigen Regelungen des
Pflichtteilsverzichtsvertrags vom XX.03.1994 durch das FG nicht
gebunden.
|
|
|
17
|
bb) Nach den Feststellungen des FG wurde in
dem Pflichtteilsverzichtsvertrag vom XX.03.1994 vereinbart, dass
die Klägerin durch den Verzicht auf ihren Pflichtteil eine
Forderung gegen ihre Eltern in Höhe von 150.000 DM
(umgerechnet 76.693,78 EUR) erwarb, die am 31.12.1994 fällig
war. Diese Forderung hatte sie zunächst bis zum Tod des
letztversterbenden Elternteils verzinslich gestundet. Aufgrund der
Anordnung im gemeinschaftlichen Testament der Eltern vom XX.01.2015
wurde der gestundete Betrag ausgezahlt und es flossen der
Klägerin die bis dahin entstandenen Zinsen von 5 % pro Jahr in
Höhe von insgesamt 81.011,74 EUR zu. Zwar unterliegt das
Entgelt für den Verzicht auf den Pflichtteil nicht der
Besteuerung, da es sich bei der Regulierung der
Vermögensnachfolge um einen erbrechtlich,
bürgerlich-rechtlich und steuerrechtlich unentgeltlichen
Vertrag handelt (BFH-Urteile in BFH/NV 2010, 1793; in BFHE 229,
104, BStBl II 2010, 818 = SIS 10 18 88; in BFHE 239, 422, BStBl II
2014, 56 = SIS 13 04 87). Anders verhält es sich bei den
Zinsen, die die Eltern der Klägerin als Entgelt für die
Stundung der Ausgleichsforderung gezahlt haben. Die Klägerin
hatte den Eltern durch die Stundung einen Kredit in Höhe von
150.000 DM (umgerechnet 76.693,78 EUR) gewährt (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 252, 260, BStBl II 2016, 342 = SIS 16 04 66).
Die hierfür gezahlten Zinsen unterliegen der Besteuerung nach
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
|
|
|
18
|
cc) Die BFH-Urteile jeweils in BFHE 229, 104,
BStBl II 2010, 818 = SIS 10 18 88 und in BFH/NV 2010, 1793
führen zu keiner anderen Beurteilung. Entgegen der Auffassung
des FG kann aus diesen BFH-Urteilen nicht der Schluss gezogen
werden, dass wenn schon wiederkehrende Zahlungen keinen steuerbaren
Zinsanteil enthalten, dies bei einer Einmalzahlung erst recht
gelten müsse. Entscheidend ist, dass die Klägerin durch
den Verzicht auf ihren Pflichtteil einen fälligen Anspruch auf
eine Ausgleichszahlung erhalten hat, den sie erst in einem zweiten
Schritt gestundet hat. Hierdurch wurden die Eltern von ihrer
Verpflichtung zur Auszahlung befreit, so dass eine
Kreditgewährung vorliegt. Die hierfür gezahlten Zinsen in
Höhe von 81.011,74 EUR unterliegen der Besteuerung
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG .
|
|
|
19
|
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO.
|