1
|
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig,
ob der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers voraussetzt, dass
der jeweilige Raum (nahezu) ausschließlich für
betriebliche/berufliche Zwecke genutzt wird und ob die Aufwendungen
für ein häusliches Arbeitszimmer entsprechend den
Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21.9.2009 GrS 1/06 (BFHE 227, 1, BStBl
II 2010, 672 = SIS 10 00 37) aufzuteilen sind.
|
|
|
2
|
1. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) bewohnte mit seiner Ehefrau ein beiden
gehörendes Einfamilienhaus in R. Er ist überdies
Eigentümer zweier vermieteter Mehrfamilienhäuser. Der
Kläger erklärte für das Streitjahr 2006
Mieteinnahmen aus der Vermietung der Objekte und sonstiger
Flächen in Höhe von insgesamt 94.047 EUR und
Werbungskosten in Höhe von insgesamt 99.852 EUR.
|
|
|
3
|
Mit seinem Einspruch gegen den
Einkommensteuerbescheid 2006 machte der Kläger erstmals
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in dem
Objekt in R in Höhe von 804 EUR im Rahmen der Einkünfte
aus Vermietung und Verpachtung geltend, da das Arbeitszimmer den
Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit bilde. Dabei
verwies der Kläger auf einen
„Tätigkeitsbericht“ über die Arbeiten, die er
im häuslichen Arbeitszimmer verrichtet habe, sowie auf Fotos
u.a. von einem Schreibtisch, Büroschränken und Regalen
sowie diversen Leitzordnern. Im Arbeitszimmer steht ein Computer.
Die Aufwendungen setzen sich aus Absetzung für Abnutzung (218
EUR) und anteiligen sonstigen Kosten (Gebäudeversicherung,
Niederschlagswasser, Grundbesitzabgaben, Zinsen, Energiekosten in
Höhe von 586 EUR) zusammen.
|
|
|
4
|
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug
zu.
|
|
|
5
|
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage
überwiegend statt und berücksichtigte in seinem in EFG
2012, 2100 = SIS 12 31 40 veröffentlichten Urteil die
Aufwendungen für das Arbeitszimmer in Höhe von 60 % der
entstandenen Raumkosten als gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1
des Einkommensteuergesetzes (EStG) abziehbare Werbungskosten bei
Vermietung und Verpachtung. Der Kläger könne 60 % seiner
Aufwendungen (804 EUR x 60 % = 482 EUR) als Werbungskosten bei den
Einkünften aus Vermietung und Verpachtung absetzen, obwohl er
den Arbeitsraum zur Überzeugung des Senats nicht (nahezu)
ausschließlich zur Einkünfteerzielung nutzte. Eine
Nutzung im Umfang von 60 % habe er indes nachgewiesen.
|
|
|
6
|
2. Hiergegen richtet sich die Revision des
FA, mit der es die Verletzung von § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG
i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG rügt. Das FG
verkenne, dass § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b i.V.m. § 9 Abs.
5 Satz 1 EStG eine Spezialnorm zur Abzugsfähigkeit von
Raumkosten für ein „häusliches Arbeitszimmer“
darstelle. Insoweit unterscheide sich der Fall des Arbeitszimmers
von dem durch den Großen Senat des BFH entschiedenen Fall, in
dem der Abzug von Kosten (Reisekosten) zu beurteilen gewesen sei,
für die das Einkommensteuergesetz keine besondere Regelung
vorhalte (Beschluss des Großen Senats in BFHE 227, 1, BStBl
II 2010, 672 = SIS 10 00 37).
|
|
|
7
|
Das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1
Nr. 6 b Satz 1 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG gelte
ungeachtet der betrieblichen oder beruflichen Veranlassung der
Aufwendungen. Mit Bejahung des Tatbestandsmerkmals
„häusliches Arbeitszimmer“ lägen
grundsätzlich Betriebsausgaben/Werbungskosten gemäß
§§ 4 Abs. 4 bzw. 9 Abs. 1 EStG vor, deren Abziehbarkeit
durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG (i.V.m. § 9 Abs. 5
Satz 1 EStG) eingeschränkt werde; eine Anerkennung gemischter
Aufwendungen, wie sie die Entscheidung des Großen Senats des
BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 = SIS 10 00 37 eröffne,
sei insoweit ausgeschlossen.
|
|
|
8
|
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2006 dahingehend zu
bestätigen, dass die festgesetzte Einkommensteuer 2006 1.082
EUR betrage.
|
|
|
9
|
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
10
|
3. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Verfahren beigetreten. Es führt im Wesentlichen
Folgendes aus:
|
|
|
11
|
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG sei
eine von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG unabhängige,
abschließende Regelung zur Abzugsmöglichkeit für
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer. Nur durch
das Merkmal der ausschließlichen betrieblichen/beruflichen
Nutzung sei gewährleistet, dass das Arbeitszimmer vom privaten
Bereich der Lebensführung hinreichend abgegrenzt werde. Auch
das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe in seinem Beschluss vom
6.7.2010 2 BvL 13/09 (BVerfGE 126, 268 = SIS 10 19 16) seiner
Prüfung die ausschließliche berufliche Nutzung als
zwingende Voraussetzung zugrunde gelegt. Ein Verstoß gegen
Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes wurde nur insoweit festgestellt,
als Aufwendungen für ein ausschließlich betrieblich oder
beruflich genutztes häusliches Arbeitszimmer auch dann von der
steuerlichen Berücksichtigung ausgeschlossen werden, wenn
für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein
anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stehe.
|
|
|
12
|
Lasse man eine Aufteilung im Einzelfall zu,
müsse der betriebliche und private Nutzungsanteil ermittelt
werden; eine pauschale Schätzung genüge nicht.
Praktikabilitätserwägungen sprächen indes gegen eine
solche Aufteilung der Aufwendungen. Auch bilanziell sei das ganze
Arbeitszimmer ein Wirtschaftsgut. Der Typus des häuslichen
Arbeitszimmers gestatte mithin keine Einbeziehung von
Arbeitsecken.
|
|
|
13
|
II. Der Senat verneint die erste und bejaht
die zweite Vorlagefrage. Er beabsichtigt, die Revision des FA als
unbegründet zurückzuweisen. Der Senat vertritt die
Auffassung, dass der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers die
(nahezu) ausschließliche betriebliche/berufliche Nutzung des
jeweiligen Raumes nicht voraussetzt. Die Aufwendungen für ein
häusliches Arbeitszimmer sind daher entsprechend den
Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des BFH in
BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 = SIS 10 00 37 aufzuteilen.
|
|
|
14
|
1. Bisherige Rechtsprechung
|
|
|
15
|
a) Vor Geltung der Sonderregelung zum
Arbeitszimmer in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG ging der BFH
davon aus, dass Aufwendungen für ein häusliches
Arbeitszimmer nach § 4 Abs. 4 EStG als Betriebsausgaben
abzuziehen sind, wenn der fragliche Raum ausschließlich oder
fast ausschließlich beruflich genutzt wird; bei einer mehr
als nur geringfügigen privaten Mitbenutzung stand § 12
Nr. 1 EStG einem Abzug solcher Aufwendungen entgegen (BFH-Urteil
vom 6.2.1992 IV R 85/90, BFHE 167, 114, BStBl II 1992, 528 = SIS 92 10 15).
|
|
|
16
|
Der gesetzlich nicht näher bestimmte
Begriff des häuslichen Arbeitszimmers in § 4 Abs. 5 Satz
1 Nr. 6 b EStG erfasste nach bisheriger ständiger
Rechtsprechung das häusliche Büro, d.h. einen
Arbeitsraum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die
häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist
und vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder
verwaltungstechnischer Arbeiten dient. Der Nutzung entsprechend sei
das häusliche Arbeitszimmer typischerweise mit
Büromöbeln eingerichtet, wobei der Schreibtisch
regelmäßig das zentrale Möbelstück darstellt
(BFH-Urteil vom 20.6.2012 IX R 56/10, BFH/NV 2012, 1776 = SIS 12 27 23, m.w.N.). Die Grenzen seien fließend. Ob ein Raum als
häusliches Arbeitszimmer anzusehen sei, lasse sich nur
aufgrund einer Gesamtwürdigung der Einzelumstände
entscheiden (BFH-Urteile vom 18.4.2012 X R 57/09, BFHE 237, 311,
BStBl II 2012, 770 = SIS 12 24 00; vom 10.10.2012 VIII R 44/10,
BFH/NV 2013, 359 = SIS 13 04 12). Vorrangig und maßgeblich
sei dabei auf die Qualität des betroffenen Raumes abzustellen
(BFH-Urteile vom 28.8.2003 IV R 53/01, BFHE 203, 324, BStBl II
2004, 55 = SIS 03 51 61; vom 20.11.2003 IV R 3/02, BFHE 205, 46,
BStBl II 2005, 203 = SIS 04 21 41).
|
|
|
17
|
b) War eine Zuordnung zum Typus des
häuslichen Arbeitszimmers i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr.
6 b EStG nicht möglich, hat der BFH zum Teil ebenfalls die von
der Rechtsprechung zu § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG entwickelten
Kriterien zur Abgrenzung einer nahezu ausschließlich
betrieblichen Veranlassung der Nutzung gegenüber einer nicht
unwesentlichen privaten Mitveranlassung berücksichtigt
(BFH-Urteil vom 22.11.2006 X R 1/05, BFHE 216, 110, BStBl II 2007,
304 = SIS 07 07 62).
|
|
|
18
|
c) Auch unter Geltung des § 4 Abs. 5 Satz
1 Nr. 6 b EStG wurde seitens der Rechtsprechung für den Abzug
von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer zum
Teil verlangt, dass dieses „so gut wie
ausschließlich beruflich genutzt“ werde (BFH-Urteil
vom 29.11.2006 VI R 3/04, BFHE 216, 163, BStBl II 2007, 308 = SIS 07 00 40; Beschluss vom 13.11.2007 VI B 100/07, BFH/NV 2008, 219 =
SIS 08 07 72) oder „ausschließlich oder zumindest
nahezu ausschließlich betrieblichen oder beruflichen Zwecken
diente“ (BFH-Beschlüsse vom 19.7.2005 VI B 175/04,
BFH/NV 2005, 2000 = SIS 05 44 94; vom 4.5.2005 VI B 35/04, BFH/NV
2005, 1549 = SIS 05 37 00). Dies wurde insbesondere damit
begründet, dass zwischen dem privaten Wohnbereich und dem
Arbeitszimmer eine klare Abgrenzung gegeben sein müsse (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 216, 163, BStBl II 2007, 308 = SIS 07 00 40,
m.w.N.). Denn für Aufwendungen, die nicht nur unerheblich
privat mitveranlasst seien und bei denen sich private und
betriebliche Veranlassung nicht leicht und zweifelsfrei trennen
ließen, gelte das von der Rechtsprechung aus § 12 Nr. 1
Satz 2 EStG abgeleitete Aufteilungs- und Abzugsverbot (vgl.
BFH-Urteil vom 5.12.2002 IV R 7/01, BFHE 201, 166, BStBl II 2003,
463 = SIS 03 19 04). Die Berechtigung für die
Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG
erwachse daraus, dass die Aufwendungen für ein häusliches
Arbeitszimmer die private Lebensführung berührten
(BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 2000 = SIS 05 44 94): Der
Gesetzgeber gehe davon aus, dass ein häusliches Arbeitszimmer
aufgrund seiner Eigenart eine gewisse Nähe zum privaten Wohnen
habe; diesem Umstand, der gemäß § 12 Nr. 1 EStG zu
einem vollständigen Abzugsverbot führen könne, nehme
er berechtigterweise zum Anlass, die Abziehbarkeit der Aufwendungen
zu beschränken (vgl. BFH-Urteil vom 16.10.2002 XI R 89/00,
BFHE 201, 27, BStBl II 2003, 185 = SIS 03 09 01).
|
|
|
19
|
2. Auffassung der Finanzverwaltung
|
|
|
20
|
Die Finanzverwaltung setzt für die
Qualifikation eines Raumes als häusliches Arbeitszimmer eine
(nahezu) ausschließliche betriebliche/berufliche Nutzung
voraus. Lediglich eine untergeordnete private Mitbenutzung soll
unschädlich sein (Schreiben des BMF vom 2.3.2011, BStBl I
2011, 195 = SIS 11 06 10, Tz 3). Dies gelte insbesondere auch unter
Berücksichtigung der Ausführungen im Beschluss des
Großen Senats in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 = SIS 10 00 37 (s. BMF-Schreiben vom 6.7.2010, BStBl I 2010, 614 = SIS 10 19 10, Tz 7).
|
|
|
21
|
3. Auffassungen im Schrifttum
|
|
|
22
|
Die Literatur hält teilweise die
Aufteilung der Aufwendungen für ein häusliches
Arbeitszimmer wegen der Aufgabe der Rechtsprechung zum Aufteilungs-
und Abzugsverbot durch die Entscheidung des Großen Senats
für geboten oder zumindest die Voraussetzung der (nahezu)
ausschließlichen Nutzung für zweifelhaft (Wied in
Blümich, § 4 EStG Rz 832; Nacke in Littmann/ Bitz/Pust,
Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 4 EStG Rz 1769;
Wesselbaum-Neugebauer, FR 2007, 416<418> im Vorgriff auf die
Entscheidung des Großen Senats). Der Wortlaut des § 4
Abs. 5 Nr. 6 b EStG stehe einer Aufteilung der Kosten nicht
entgegen (Bergkemper, juris PraxisReport Steuerrecht 2/2011, Anm.
1). Eine Aufteilung sei bei nahezu allen gemischt genutzten
Wirtschaftsgütern anerkannt (Paus, DStZ 2010 - DStZ -, 688,
690).
|
|
|
23
|
Die Gegenansicht (Paul in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 4 EStG Anm. 1513) verweist
darauf, dass der häusliche Bereich in den Bereich der privaten
Lebensführung des § 12 Nr. 1 EStG falle und kein
hinreichend abzugrenzender betrieblicher oder beruflicher
Mehraufwand vorliege.
|
|
|
24
|
4. Auffassung des vorlegenden Senats
|
|
|
25
|
Nach Auffassung des vorlegenden Senats sind
die Vorlagefragen dahin zu entscheiden, dass der Begriff des
häuslichen Arbeitszimmers eine (nahezu) ausschließliche
betriebliche/berufliche Nutzung nicht voraussetzt und die
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer
entsprechend den Grundsätzen des Beschlusses des Großen
Senats des BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 = SIS 10 00 37
aufzuteilen sind.
|
|
|
26
|
a) Die Annahme, ein häusliches
Arbeitszimmer setze eine (nahezu) ausschließliche Nutzung zu
betrieblichen/beruflichen Zwecken voraus, korrespondiert mit dem in
der früheren Rechtsprechung sog. Aufteilungs- und Abzugsverbot
für gemischte Aufwendungen gemäß § 12 Nr. 1
EStG. Denn Aufwendungen für eine Wohnung sind solche der
privaten Lebensführung. Die Verwendung der eigenen Wohnung
für betriebliche/berufliche Zwecke führt zu gemischten
Aufwendungen, für die das bisherige Aufteilungs- und
Abzugsverbot nur dann nicht galt, wenn das Wohnen von
untergeordneter Bedeutung war, d.h. die Aufwendungen ausnahmsweise
nahezu ausschließlich beruflich veranlasst waren. Eine solche
Veranlassung wurde nur angenommen, wenn der jeweilige Raum so gut
wie ausschließlich für berufliche Zwecke genutzt
wurde.
|
|
|
27
|
Nur vor diesem Hintergrund ist das
grundsätzliche Abzugsverbot gemäß § 4 Abs. 5
Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 (i.V.m. § 9 Abs. 5 Satz 1) EStG mit der
Einschränkung auf eine (nahezu) ausschließliche
betriebliche/berufliche Nutzung schlüssig. Die Aufgabe des
Aufteilungs- und Abzugsverbots wirkt sich auf die Auslegung und
Anwendung des Arbeitszimmerbegriffs aus.
|
|
|
28
|
b) Dem Gesetzeswortlaut ist eine
Einschränkung auf eine (nahezu) ausschließliche
betriebliche/berufliche Nutzung nicht zu entnehmen. Vielmehr ist
der Begriff des Arbeitszimmers ausschließlich am Raumtypus
festzumachen. Arbeitszimmer ist lediglich ein Raum, der seiner
Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche
Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und vorwiegend
der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder
verwaltungstechnischer Arbeiten dient (vgl. HHR/Paul, § 4 EStG
Rz 1510, m.w.N.).
|
|
|
29
|
Wollte man den Begriff des Arbeitszimmers
darüber hinaus auf (nahezu) ausschließlich steuerbar
genutzte Räume reduzieren, würde die
Abzugsbeschränkung von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG
für - in einer häuslichen Umgebung liegende - Räume,
die (in zeitlicher Hinsicht) nur teilweise steuerbar genutzt
werden, nicht greifen. Über die Abziehbarkeit der Aufwendungen
für solche Räume wäre allein nach § 4 Abs. 4
EStG zu entscheiden. Angesichts der Einbindung des Zimmers in die
private Lebensführung des Steuerpflichtigen lägen
gemischte Aufwendungen vor, die - bei Vorliegen entsprechender
Aufteilungskriterien - nach den vom Großen Senat für
Reisekosten entwickelten Grundsätzen zum Teil abziehbar
wären. Dass die Abzugsbeschränkung auf zum Teil steuerbar
genutzte Räume nicht, auf (nahezu) ausschließlich
beruflich genutzte Räume aber schon anwendbar sein sollte,
erschiene jedoch weder vor dem Hintergrund der ratio legis
schlüssig noch gleichheitsgerecht.
|
|
|
30
|
c) Nach dem Wegfall des Aufteilungs- und
Abzugsverbots fehlt es für die Einschränkung auf (nahezu)
ausschließlich genutzte Räume an systematischen
Gründen. Aufwendungen i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b
EStG sind nur solche, die durch die jeweilige steuerbare
Tätigkeit veranlasst sind (§ 9 Abs. 1 EStG). Im Ergebnis
sind danach auch die Aufwendungen für ein häusliches
Arbeitszimmer i.S. der Entscheidung des Großen Senats des BFH
in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 = SIS 10 00 37
grundsätzlich aufzuteilen. Es handelt sich um gemischte
Aufwendungen, da in Gestalt des häuslichen Arbeitszimmers
private Lebensführung (Häuslichkeit der Wohnung) und
steuerbare Tätigkeit (Arbeiten) zusammentreffen. Diese
gemischten Aufwendungen sind im Interesse einer Ertragsbesteuerung
nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
sowie entsprechend dem objektiven Nettoprinzip (vgl. eingehend
Pezzer, DStR 2010, 93 ff.) grundsätzlich in abziehbare und
nicht abziehbare Teile aufzuteilen (vgl. dazu Jochum, DStZ 2010,
665<671>). Es fehlt auch nicht an sachgerechten
Aufteilungskriterien, insbesondere in Gestalt von Nutzungszeiten,
soweit ein Arbeitszimmer nicht gleichzeitig beruflich und privat
genutzt wird, etwa als Arbeits- und Spielzimmer. Bei einem
abgeschlossenen Arbeitszimmer handelt es sich im Übrigen nicht
um private Aufwendungen, die pauschal durch das steuerliche
Existenzminimum im Grundfreibetrag berücksichtigt werden.
|
|
|
31
|
d) Auch die Auslegung von § 4 Abs. 5 Satz
1 Nr. 6 b EStG als lex specialis ergibt nicht, dass Aufwendungen
für ein häusliches Arbeitszimmer nicht aufzuteilen
wären. Vielmehr setzt die Abzugsbeschränkung des § 4
Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG das Vorliegen von nach allgemeinen
Grundsätzen (§ 4 Abs. 4 EStG) abziehbaren Aufwendungen
voraus und begrenzt deren Abzug typisierend im Hinblick auf die
allgemeine Einbindung des Arbeitszimmers in den privaten
Wohnbereich (vgl. BFH-Urteil in BFHE 201, 27, BStBl II 2003, 185 =
SIS 03 09 01). Der Beschluss des BVerfG in BVerfGE 126, 268 = SIS 10 19 16 steht einer dahin gehenden Auslegung nicht entgegen, da
das BVerfG keine Detailauslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b
EStG vornimmt.
|
|
|
32
|
e) Weder die Abzugsbegrenzung auf 1.250 EUR in
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 EStG noch
Praktikabilitätserwägungen geben eine zwingende Auslegung
vor. Eine Anwendung der Grundsätze des Großen Senats zur
Aufteilung von Reisekosten würde einen sachgerechten Ausgleich
zwischen objektivem Nettoprinzip und der erforderlichen
Praktikabilität schaffen.
|
|
|
33
|
f) Der zu entscheidende Fall betrifft weder
eine Arbeitsecke noch einen Bilanzierungsfall, sodass die
diesbezüglichen Argumente der Verwaltung nicht
durchgreifen.
|
|
|
34
|
g) Dem Argument in der Literatur, das
häusliche Arbeitszimmer lasse sich dem häuslichen Bereich
zuordnen und es sei kein hinreichend abzugrenzender
betrieblicher/beruflicher Mehraufwand gegeben, ist
entgegenzuhalten, dass sich der Mehraufwand gerade im höheren
Mietzins niederschlägt, der für eine Wohnung fällig
wird, die einen zusätzlichen, als Arbeitszimmer genutzten Raum
enthält.
|
|
|
35
|
III. Die Vorlagefragen sind
entscheidungserheblich.
|
|
|
36
|
1. Folgt man der Auffassung des vorlegenden
Senats, dass der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers die
(nahezu) ausschließliche betriebliche/berufliche Nutzung des
jeweiligen Raumes nicht voraussetzt, sind die Aufwendungen des
Klägers für sein häusliches Arbeitszimmer
entsprechend den Grundsätzen des Beschlusses des Großen
Senats des BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 = SIS 10 00 37
aufzuteilen. Würde dagegen eine (nahezu) ausschließliche
Nutzung für betriebliche/berufliche Zwecke vorausgesetzt,
wäre der Abzug der Aufwendungen ausgeschlossen und die
Revision des FA begründet.
|
|
|
37
|
2. Die Sache ist spruchreif. Die Aufwendungen
des Klägers für sein häusliches Arbeitszimmer sind
der Höhe nach unstreitig und vom FG i.S. des § 118 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindend festgestellt.
|
|
|
38
|
IV. Eine Vorlage ist nach § 11 Abs. 4 FGO
geboten.
|
|
|
39
|
1. An einer Vorlage wegen grundsätzlicher
Bedeutung gemäß § 11 Abs. 4 FGO ist der Senat
insbesondere nicht wegen einer vorrangigen Divergenzvorlage
gemäß § 11 Abs. 2 FGO gehindert (Sunder-Plassmann
in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 11 FGO Rz 24). Der III.,
IV., VIII. und X. Senat haben auf Anfrage des vorlegenden Senats
erklärt, dass keine Abweichung zu ihren Urteilen vom 23.3.2005
III R 17/03 (BFH/NV 2005, 1537 = SIS 05 36 91), in BFHE 201, 166,
BStBl II 2003, 463 = SIS 03 19 04, und vom 27.9.2001 X R 92/98
(BFHE 197, 40, BStBl II 2002, 51 = SIS 02 02 82) und dem
Beschluss vom 27.3.2009 VIII B 184/08
(BFHE 224, 458, BStBl II 2009, 850 = SIS 09 13 26) vorliege. Der VI. Senat hat auf die
Anfrage des vorlegenden Senats der Abweichung von seinem Urteil in
BFHE 216, 163, BStBl II 2007, 308 = SIS 07 00 40 zugestimmt.
|
|
|
40
|
2. Der vorlegende Senat misst den
Vorlagefragen grundsätzliche Bedeutung bei. Die
Voraussetzungen eines häuslichen Arbeitszimmers und die Frage,
ob die Aufwendungen für dieses bei gemischter Nutzung
aufzuteilen sind, stellt sich nicht nur im Rahmen der
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, sondern kann sich
auch bei anderen für Ertragssteuern zuständigen Senaten
des BFH ergeben (vgl. Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
EStG, § 4 Anm. Lb 36 f.). Die Vorlagefragen entfalten
große Breitenwirkung.
|
|
|
41
|
Beim IX. Senat sind unter den Aktenzeichen IX
R 20/13 und IX R 21/13 (Vorinstanz: jeweils FG Köln, Urteile
vom 15.5.2013 4 K 1384/10 und 4 K 1242/13, Streitjahre: 2007 und
2008) zwei weitere Verfahren zu der Frage anhängig, ob die
Kosten für als Arbeitszimmer eingerichtete (separate)
Räume, die (zeit)anteilig (zu 70 %) für die Verwaltung
vermieteter Immobilien und (zeit)anteilig (zu 30 %) für eine
wissenschaftliche, vom FA jedoch als Liebhaberei qualifizierte und
damit private Tätigkeit genutzt werden, anteilig als
Werbungskosten abziehbar sind.
|
|
|
42
|
3. Im Zuge ihrer Antworten auf die Anfragen
des vorlegenden Senats haben die betroffenen Senate sich teilweise
zu den Vorlagefragen geäußert.
|
|
|
43
|
a) Der IV. Senat (Beschluss vom 27.6.2013)
teilt die Auffassung des IX. Senats, dass gemischt genutzte
Räume begrifflich Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz
1 Nr. 6 b EStG sein können und dass bei Vorliegen
objektivierbarer Kriterien zur Aufteilung zwischen
betrieblichen/beruflichen und privaten Veranlassungsbeiträgen
die anteilig durch die Einkünfteerzielung veranlassten
Aufwendungen für das Arbeitszimmer im Rahmen der
Abzugsbeschränkung Einkünfte mindernd zu
berücksichtigen seien.
|
|
|
44
|
b) Der VIII. Senat (Beschluss vom 19.6.2013)
stimmt vorsorglich mit Hinweis auf Gesetzessystematik und
–zweck der maßgeblichen Regelung der beabsichtigten
Aufteilung von Kosten eines häuslichen Arbeitszimmers nicht
zu.
|
|
|
45
|
c) Der X. Senat (Beschluss vom 21.8.2013)
verweist darauf, dass bei ihm unter dem Aktenzeichen X R 32/11 ein
Revisionsverfahren mit einer vergleichbaren Thematik anhängig
sei, das in absehbarer Zeit zur Entscheidung anstehe. Der X. Senat
beabsichtige, die Aufteilung der Kosten eines gemischt genutzten
Zimmers in der häuslichen Sphäre generell nicht
zuzulassen. Entschiede der IX. Senat nunmehr wie beabsichtigt,
wäre sodann ohnehin die Anrufung des Großen Senats
geboten.
|
|
|
46
|
Im Verfahren X R 32/11 (Streitjahr 2006) ist
zu entscheiden, ob die Aufwendungen für einen teils als
(privates) Wohnzimmer, teils als (beruflich genutztes)
Arbeitszimmer („Arbeitsecke“) genutzten Raum
anteilig steuermindernd zu berücksichtigen sind. Es geht also
nicht um einen einheitlich als Arbeitszimmer ausgestatteten Raum,
sondern um eine (offene) „Arbeitsecke“ im
Wohnzimmer des Steuerpflichtigen. Eine Vergleichbarkeit beider
Fallgestaltungen liegt danach - unbeschadet der
grundsätzlichen Bedeutung der Vorlagefragen - nach Auffassung
des vorlegenden Senats nicht vor.
|
|
|
47
|
Der X. Senat wirft - wie auch der VIII. Senat
- in der Sache die Frage auf, ob der Typusbegriff des
häuslichen Arbeitszimmers eine so gut wie
ausschließliche betriebliche oder berufliche Nutzung des
betreffenden Zimmers impliziere. Darüber hinaus sei er der
Ansicht, dass objektiv überprüfbare Aufteilungskriterien
weder bei der Aufteilung von Zimmern in räumlich
unterschiedliche Nutzungsbereiche
(„Arbeitsecke“) noch bei der Aufteilung in
zeitlich unterschiedliche Nutzungsarten existieren würden.
|
|
|
48
|
d) Der III. Senat (Beschluss vom 18.7.2013)
und der VI. Senat haben (Beschluss vom 13.6.2013) zu den
Vorlagefragen keine Aussage getroffen.
|