Steuerfreier Aufwendungsersatz, Voraussetzungen: 1. § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Erstattung nur solcher Aufwendungen von der Steuer befreit ist, die als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar sind (Bestätigung der Rechtsprechung). - 2. Eine vom Arbeitgeber für die berufliche Nutzung von Wohnraum gezahlte Aufwandsentschädigung (§ 17 BBesG) ist nur steuerfrei, wenn die Voraussetzungen für einen Werbungskostenabzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer gegeben sind. - Urt.; BFH 29.11.2006, VI R 3/04; SIS 07 00 40
I. Streitig ist, ob eine vom Arbeitgeber
gezahlte Mietentschädigung gemäß § 3 Nr. 12
Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei ist.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist als Außendienstmitarbeiterin im
Prüfungsdienst einer Versicherungsanstalt (Arbeitgeber)
beschäftigt. Im Anschluss an ihre Abordnung nach Hessen im
Herbst 1998 bezog sie eine Zweizimmerwohnung in N. Mit Schreiben
vom 7.1.1999 bestimmte der Arbeitgeber diese Wohnung zu ihrem
dienstlichen Wohnsitz und gewährte dafür eine pauschale
Aufwandsentschädigung (Mietentschädigung) in Höhe
von monatlich 213 DM gemäß § 17 des
Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG). Der Arbeitgeber behandelte die
Mietentschädigung als gemäß § 3 Nr. 12 Satz 2
EStG steuerfrei.
Nach einer beim Arbeitgeber
durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung stellte der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) fest,
dass die Klägerin in ihrer Wohnung über keinen
abgeschlossenen Raum als Arbeitszimmer verfügte. Das FA sah
deshalb die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung der
Mietentschädigung nicht als gegeben an und erhöhte in den
geänderten Bescheiden für die Jahre 1999 und 2000
(Streitjahre) die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
entsprechend.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt
(vgl. SIS 04 25 05). Es führte im Wesentlichen aus:
Finanzbehörden und Finanzgerichte hätten zu prüfen,
ob Aufwandsentschädigungen i.S. von § 3 Nr. 12 Satz 2
EStG dem Empfänger erwachsende Aufwendungen nicht offenbar
überstiegen. Bei den Aufwendungen, die durch die Erstattung
nicht offenbar überschritten werden dürften, müsse
es sich um Werbungskosten handeln. Allerdings solle sich diese
Prüfung nicht darauf erstrecken, welche Aufwendungen dem
einzelnen Steuerpflichtigen erwachsen seien, sondern darauf, ob
Personen in gleicher dienstlicher Stellung im Durchschnitt der
Jahre Aufwendungen etwa in Höhe der
Aufwandsentschädigungen erwüchsen. Im Streitfall sei
davon auszugehen, dass der Mehrheit der Betriebsprüfer des
Arbeitgebers tatsächlich Aufwendungen in Höhe der
Entschädigung für das Vorhalten eines Dienstzimmers
erwüchsen und es deshalb auf die tatsächlichen
Verhältnisse der Klägerin nicht ankomme.
Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
§ 3 Nr. 12 Satz 2 EStG komme nicht zur
Anwendung, da Bezüge nur dann als steuerfreie
Aufwandsentschädigung anzuerkennen seien, wenn die gezahlten
Bezüge dazu bestimmt seien, Aufwendungen abzugelten, die
steuerlich als Werbungskosten abziehbar wären. Davon
könne im Streitfall nicht ausgegangen werden. Auch wenn die
Mietaufwendungen der Klägerin zum Teil dienstlich veranlasst
gewesen seien, hätten sie nicht als Werbungskosten
berücksichtigt werden können. Der Abzug von
Werbungskosten für ein häusliches Arbeitszimmer setze die
räumliche Trennung zwischen Wohnbereich und häuslichem
Arbeitszimmer voraus.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Mietentschädigung ist
steuerpflichtiger Arbeitslohn (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG).
§ 3 Nr. 12 Satz 2 EStG kommt nicht zur Anwendung.
1. Zum Arbeitslohn gemäß § 19
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören alle Vorteile, die für
eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst
gewährt werden. Arbeitslohn ist jeder mit Rücksicht auf
das Dienstverhältnis eingeräumte geldwerte Vorteil, der
durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist. Danach
bezog die Klägerin auch in Höhe der
Aufwandsentschädigung gemäß § 17 BBesG
(Mietentschädigung) Arbeitslohn. Die Mietentschädigung
ist nicht im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des
Arbeitgebers gewährt worden (vgl. dazu Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8.3.2006 IX R 76/01, HFR 2006, 1081 =
SIS 06 38 16).
2. Die Mietentschädigung ist nicht nach
§ 3 Nr. 12 Satz 2 EStG steuerfrei.
Nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG sind
Bezüge, die als Aufwandsentschädigung aus
öffentlichen Kassen gezahlt werden, steuerfrei, soweit nicht
festgestellt wird, dass sie für Verdienstausfall oder
Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand, der dem
Empfänger erwächst, offenbar übersteigen. Der BFH
hat die Vorschrift verfassungskonform dahingehend ausgelegt, dass
die Erstattung nur solcher Aufwendungen von der Steuer befreit ist,
die als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar sind
(BFH-Urteile vom 9.7.1992 IV R 7/91, BFHE 169, 144, BStBl II 1993,
50 = SIS 92 23 36; vom 8.10.1993 VI R 9/93, BFH/NV 1994, 312; vom
27.5.1994 VI R 67/92, BFHE 175, 57, BStBl II 1995, 17 = SIS 94 21 58). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Er sieht
sich darin durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) vom 11.11.1998 2 BvL 10/95 (BStBl II 1999, 502 = SIS 99 08 48) zu § 12 Satz 1 EStG bestärkt (vgl. dazu auch
Senatsentscheidung vom 21.10.1994 VI R 15/94, BFHE 175, 368, BStBl
II 1995, 142 = SIS 94 24 04). Nach diesen Grundsätzen kommt
hier § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG nicht zur Anwendung, denn die
Mietaufwendungen sind nicht als Werbungskosten abziehbar.
a) Seit dem Veranlagungszeitraum 1996 sind die
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer
grundsätzlich nicht mehr als Werbungskosten abziehbar (§
9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG). Ein auf
höchstens 2.400 DM (in den Streitjahren) beschränkter
Abzug ist nach Satz 2 i.V.m. Satz 3 Halbsatz 1 der letztgenannten
Vorschrift dann möglich, wenn die berufliche Nutzung des
Arbeitszimmers mehr als 50 v.H. der gesamten beruflichen
Tätigkeit beträgt oder wenn für die berufliche
Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht.
Die Beschränkung der Höhe nach gilt dann nicht, wenn das
Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten beruflichen
Betätigung bildet (Satz 3 Halbsatz 2 der Vorschrift). § 4
Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Sätze 2 und 3 EStG setzen jedoch voraus,
dass das Arbeitszimmer so gut wie ausschließlich beruflich
genutzt wird (Blümich/Wacker, § 4 EStG Rz. 285k;
Blümich/Lindberg, § 12 EStG Rz. 69). Das ist nicht der
Fall, wenn, wie hier, zwischen dem privaten Wohnbereich und dem
Arbeitszimmer keine klare Abgrenzung gegeben ist
(BFH-Entscheidungen vom 6.12.1991 VI R 101/87, BFHE 166, 285, BStBl
II 1992, 304 = SIS 92 07 49; vom 19.5.1995 VI R 3/95, BFH/NV 1995,
880 = SIS 95 18 03; vom 16.8.2005 VI B 8/05, BFH/NV 2005, 2006 =
SIS 05 45 02).
b) Die angefochtene Entscheidung wird der
zitierten Rechtsprechung des BFH nicht gerecht. Denn danach
beschränkt sich die in § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG enthaltene
Besserstellung der Empfänger von Bezügen aus
öffentlichen Kassen gegenüber anderen Steuerpflichtigen
darauf, dass bei der Nachprüfung, ob die Erstattungen
Werbungskosten abdecken, nicht kleinlich verfahren und dem
Empfänger ein ins Einzelne gehender Nachweis nicht zugemutet
werden soll. Diese Privilegierung durch ein
„eingeschränktes“ Nachprüfungsrecht
(von Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 3
Rdnr. B 12/30) ist jedoch von der vorrangig zu beantwortenden Frage
zu trennen, ob die Aufwendungen dem Grunde nach als Werbungskosten
abziehbar sind. Steht, wie im Streitfall, fest, dass ein
Werbungskostenabzug grundsätzlich ausgeschlossen ist, bedarf
es der Klärung, ob und in welcher Höhe dem
Steuerpflichtigen Aufwendungen entstanden sind, nicht. Die vom FG
vertretene Auffassung führt entgegen der vom BFH
vorgenommenen, verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung tragenden
Auslegung von § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG dazu, dass Einkünfte
aus nichtselbständiger Arbeit von der Einkommensteuer frei
bleiben, ohne dass die damit verbundene steuerliche Entlastung
durch den Tatbestand abziehbarer Erwerbsaufwendungen gerechtfertigt
wäre. Dies bedeutet ein gleichheitswidriges Steuerprivileg
(BVerfG in BStBl II 1999, 502 = SIS 99 08 48).
3. Die Lohnsteuer-Richtlinien (LStR)
orientieren sich entgegen der Auffassung der Klägerin an der
Rechtsprechung des BFH (von Beckerath, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Rdnr. B 12/102).
Denn nach Abschn. 13 Abs. 3 Satz 1 LStR 1999 bzw. R 13 Abs. 2 Satz
1 LStR 2000 ist Voraussetzung für die Anerkennung als
steuerfreie Aufwandsentschädigung nach § 3 Nr. 12 Satz 2
EStG, dass die gezahlten Beträge dazu bestimmt sind,
Aufwendungen abzugelten, die steuerlich als Werbungskosten
abziehbar wären. Soweit in Abschn. 13 Abs. 4 LStR 1999 bzw. R
13 Abs. 3 LStR 2000 Anweisungen „zur Erleichterung der
Feststellung, inwieweit es sich in den Fällen des § 3 Nr.
12 Satz 2 EStG um eine steuerfreie Aufwandsentschädigung
handelt“, getroffen werden, geht der Senat davon aus,
dass diese erst zur Anwendung kommen, wenn der Werbungskostenabzug
dem Grunde nach gegeben ist. Sollten die Anweisungen anders zu
verstehen sein, fehlte es an einer gesetzlichen Grundlage (vgl. zu
den Folgen BFH-Urteile vom 9.12.1999 III R 74/97, BFHE 191, 125,
BStBl II 2001, 311 = SIS 00 05 20; vom 4.4.1986 III R 245/83, BFHE
147, 231, BStBl II 1986, 852 = SIS 86 21 02; vom 17.1.1984 VI R
24/81, BFHE 140, 261, BStBl II 1984, 522 = SIS 84 07 02; Birk in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO Rz. 93).