1
|
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) war zu 50 % Gesellschafter und
Geschäftsführer einer GmbH. In den Jahren 1995 und 1997
verpflichtete er sich für die GmbH als Bürge. Nach seiner
Inanspruchnahme aus der Bürgschaft im Jahr 1998 wurde ein
Schuldanerkenntnis von 800.000 DM zugunsten der Gläubigerin
beurkundet.
|
|
|
2
|
Im Streitjahr (1999) wurde die GmbH
aufgelöst. Am 12.9.2000 schloss der Kläger mit der
Gläubigerin einen Erlassvertrag. Der Kläger hatte danach
200.000 DM zinslos in gleichbleibenden Jahresraten von 20.000 DM zu
zahlen.
|
|
|
3
|
Wie beantragt berücksichtigte der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) bei der
Ermittlung des Auflösungsverlusts (in einem vorläufigen
und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden
Feststellungsbescheid) die abgezinste Bürgschaftsverpflichtung
von 154.900 DM.
|
|
|
4
|
Der Kläger zahlte bis Ende 2003
insgesamt 60.000 DM an die Bank, dann aber nicht mehr. Aufgrund
einer neuen Teilzahlungsvereinbarung vom Januar 2007 zahlte der
Kläger ab dem Jahr 2007 monatlich 700 EUR auf die ausstehende
Forderung. Das FA erließ einen geänderten
Verlustfeststellungsbescheid, in dem es erneut abzinste und nunmehr
eine (abgezinste) Bürgschaftsverpflichtung von 127.642 DM
zugrunde legte.
|
|
|
5
|
Die hiergegen gerichtete Klage hatte
Erfolg. Zur Begründung führt das Finanzgericht (FG) in
seinem in EFG 2012, 2021 = SIS 12 26 38 veröffentlichten
Urteil aus, durch die Zahlungsvereinbarung mit der Gläubigerin
sei keine Änderung des Auflösungsverlusts eingetreten.
Eine (weitere) Abzinsung komme nicht in Betracht, da es sich um
Auflösungsverluste handele, die im Ergebnis nachträgliche
Anschaffungskosten auf die Beteiligung darstellten. Dabei sei der
Nennbetrag der Forderung auch dann als Anschaffungskosten
anzusetzen, wenn die Forderung unverzinslich gestundet sei. Die
Unverzinslichkeit oder niedrige Verzinslichkeit beträfen nicht
die Höhe der Anschaffungskosten, sondern den - wie sich aus
dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30.11.1988 I R 114/84
(BFHE 155, 337, BStBl II 1990, 117 = SIS 89 06 16) ergebe - den
Teilwert der Forderung.
|
|
|
6
|
Hiergegen richtet sich die Revision des FA.
Anschaffungskosten entstünden nur in Höhe des
Tilgungsanteils, so dass die Schuld abzuzinsen sei. Eine
geänderte Teilzahlungsverpflichtung führe zu
geänderten Anschaffungskosten.
|
|
|
7
|
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
|
|
|
8
|
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
Der auf den Nennwert abstellende Ansatz des
FG sei zutreffend. Die Berücksichtigung der
Ratenzahlungsvereinbarung stehe im Widerspruch zur Ratio der
Stichtagsbewertung. Die Modifizierung der Ratenzahlungsvereinbarung
stelle kein im Rahmen von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der
Abgabenordnung (AO) bedeutsames Ereignis dar. Maßgeblich
für die Bewertung sei die Inanspruchnahme und nicht die
Leistung.
|
|
|
10
|
II. Die Revision ist begründet und
führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung zur Entscheidung in der Sache selbst,
nämlich zur Abweisung der Klage. Unzutreffend hat das FG die
Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verneint und
damit diese Norm verletzt. Das FA war vielmehr berechtigt und auch
verpflichtet, im angefochtenen Änderungsbescheid die
Teilzahlungsvereinbarung vom Januar 2007 im Wege der Abzinsung zu
berücksichtigen.
|
|
|
11
|
1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m.
§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Feststellungsbescheid zu
ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung
für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Muss
dieses Ereignis nachträglich eintreten (BFH-Urteil vom
22.7.2008 IX R 79/06, BFHE 222, 464, BStBl II 2009, 227 = SIS 08 35 57), so bestimmt sich nach dem einschlägigen materiellen
Recht, ob ihm eine rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt
(Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.7.1993 GrS 2/92,
BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 = SIS 93 23 33).
|
|
|
12
|
2. Nach § 17 Abs. 1 und 4 des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) gehört
zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der -
regelmäßig bei Abschluss der Liquidation entstehende -
Verlust aus der Auflösung von Kapitalgesellschaften, wenn der
Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der
Gesellschaft qualifiziert beteiligt war und er die Beteiligung in
seinem Privatvermögen hielt (ständige Rechtsprechung,
vgl. BFH-Urteil vom 14.3.2012 IX R 37/11, BFHE 236, 522, BStBl II
2012, 487 = SIS 12 13 84; zur Entstehung vgl. auch BFH-Urteil vom
28.10.2008 IX R 100/07, BFH/NV 2009, 561 = SIS 09 08 93, m.w.N.).
Als in diesen Verlust einzubeziehende nachträgliche
Anschaffungskosten der Beteiligung kommen - bezogen auf den
Streitfall - Leistungen des GmbH-Gesellschafters aus einer für
Verbindlichkeiten der Kapitalgesellschaft eingegangenen
Bürgschaftsverpflichtung in Betracht, wenn die Übernahme
der Bürgschaft durch das Gesellschaftsverhältnis
veranlasst und die Rückgriffsforderung gegen die Gesellschaft
wertlos ist (zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. die
ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 4.3.2008 IX R
80/06, BFHE 220, 451, BStBl II 2008, 577 = SIS 08 20 31). Die
Anschaffungskosten erhöhen sich um den Nennwert der wertlos
gewordenen Rückgriffsforderung, wenn die Gesellschaft im
Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme bereits in der Krise
war (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 26.1.1999 VIII R 32/96, BFH/NV 1999,
922 = SIS 98 58 45).
|
|
|
13
|
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall
erfüllt. Die Beteiligten stellen sie mit dem FG nicht in
Zweifel. Sie streiten lediglich über die Fragen, welche
Auswirkungen eine nachträglich getroffene
Teilzahlungsvereinbarung des als Bürge in Anspruch genommenen
GmbH-Gesellschafters mit der ihn in Anspruch nehmenden Bank auf
seine nachträglichen Anschaffungskosten hat (3.) und ob sie
auf den Auflösungszeitpunkt zurückzubeziehen ist (4.).
Beide Fragen sind so zu beantworten, wie es das FA im Vorverfahren
getan hat.
|
|
|
14
|
3. Eine Teilzahlungsvereinbarung des als
Bürge in die Pflicht genommenen Gesellschafters mit der ihn
für Verbindlichkeiten der GmbH in Anspruch nehmenden Bank
führt zu einer Reduzierung der nachträglichen
Anschaffungskosten in Höhe der Differenz zwischen Nennwert und
abgezinsten Betrag.
|
|
|
15
|
a) Der Auflösungsverlust ist nach §
17 Abs. 2, Abs. 4 EStG aufgrund einer Stichtagsbewertung der in
diesen Vorschriften genannten Faktoren auf den Zeitpunkt der
Auflösung zu ermitteln (ständige Rechtsprechung, vgl.
BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 922 = SIS 98 58 45). Erhöht der
Nennwert der (ausgefallenen) Rückgriffsforderung
gegenüber der GmbH die nachträglichen Anschaffungskosten
(s. zu 2.), richtet sich dieser Wert danach, inwieweit der
GmbH-Gesellschafter aus der Bürgschaft in Anspruch genommen
wurde. Denn insoweit kann er vom Hauptschuldner - der GmbH -
Aufwendungsersatz gemäß §§ 675, 670 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verlangen. Auch die Forderung
der Gläubiger-Bank gegen die GmbH geht nach § 774 Abs. 1
BGB auf den Bürgen (den Gesellschafter) über, soweit er
die Gläubiger-Bank befriedigt.
|
|
|
16
|
Der Wert der Bürgschaftsverbindlichkeit
gegenüber der Bank bestimmt also - bezogen auf den Stichtag
der Auflösung (Liquidation) - den Nennwert der
Rückgriffsforderung als Bemessungsgrundlage für die
nachträglichen Anschaffungskosten. Die Verbindlichkeit aus der
Bürgschaft ist im Rahmen der an den §§ 4, 5 EStG
orientierten Gewinnermittlungsvorschrift des § 17 Abs. 2 EStG
nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG abgezinst zu bewerten (zur
Anwendbarkeit des § 6 EStG s. BFH-Urteil vom 13.4.2010 IX R
22/09, BFHE 229, 189, BStBl II 2010, 790 = SIS 10 19 28, und
BFH-Beschluss vom 6.4.2009 IX B 204/08, BFH/NV 2009, 1262 = SIS 09 21 50). Auch jenseits dessen wäre sie als betagte
Verbindlichkeit des Privatvermögens für die Zwecke der
Einkommensbesteuerung nach § 12 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes
(BewG) in nämlicher Weise abgezinst zu bewerten, § 1 BewG
(so der Ansatz im BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 922 = SIS 98 58 45).
|
|
|
17
|
b) Damit entstehen dem qualifiziert an einer
Kapitalgesellschaft beteiligten Gesellschafter, der vom
Gläubiger der Kapitalgesellschaft aus einer
eigenkapitalersetzenden Bürgschaft in Anspruch genommen wird
und der seine Schuld vereinbarungsgemäß ratierlich
begleicht, nachträgliche Anschaffungskosten nur in Höhe
des Tilgungsanteils (so bereits BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 922 =
SIS 98 58 45; dem folgend das einhellige Schrifttum, vgl.
Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 692; Gosch in Kirchhof,
EStG, 11. Aufl., § 17 Rz 100; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 31.
Aufl., § 17 Rz 178). Der Zinsanteil ist Ausgleich für den
Vorteil, die Bürgschaftsverbindlichkeit in Raten begleichen zu
dürfen.
|
|
|
18
|
c) Nach diesen Grundsätzen hat das FA
zutreffend den am Maßstab der abgezinsten
Bürgschaftsverpflichtung bewerteten Nennbetrag der
Rückgriffsforderung des Klägers als nachträgliche
Anschaffungskosten berücksichtigt. Die Gläubiger-Bank und
der Kläger haben eine Teilzahlungsvereinbarung getroffen.
Aufgrund dessen führt nur der Tilgungsanteil, nicht aber der
Zinsanteil zu nachträglichen Anschaffungskosten.
|
|
|
19
|
Das BFH-Urteil in BFHE 155, 337, BStBl II
1990, 117 = SIS 89 06 16, auf das sich das FG zur Begründung
seiner abweichenden Auffassung stützt, ist hier nicht
einschlägig; denn es geht in jener Entscheidung nicht um die
Bilanzierung einer unverzinslichen Darlehensforderung mit ihrem
Nennbetrag als Anschaffungskosten, sondern um die vorgelagerte
Fragestellung, in welcher Weise der Nennbetrag zu ermitteln
ist.
|
|
|
20
|
4. Die weitere im Jahr 2007 getroffene
Teilzahlungsvereinbarung führt zu einer erneuten Reduzierung
der nachträglichen Anschaffungskosten mit Wirkung zurück
auf den Zeitpunkt des Entstehens des Auflösungsverlusts.
|
|
|
21
|
Aus dem punktuellen Erfassen des
Auflösungsverlusts folgt, später eintretende
Veränderungen der in die Ermittlung des
Auflösungsverlusts einfließenden Faktoren
grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Entstehens des
Auflösungsverlusts zurückzubeziehen. Eine
materiell-rechtliche und deshalb nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 AO auch verfahrensrechtliche Rückwirkung liegt bezogen auf
den Streitfall vor, wenn der Rechtsgrund für die später
geleistete Zahlung im ursprünglichen Rechtsgeschäft
angelegt ist (BFH-Urteil vom 23.5.2012 IX R 32/11, BFHE 237, 234,
BStBl II 2012, 675 = SIS 12 17 05; in diesem Sinne Beschluss des
Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 =
SIS 93 23 33).
|
|
|
22
|
Nach diesen Maßstäben wirkt die
weitere Ratenzahlungsvereinbarung aus dem Jahr 2007
materiell-rechtlich wie auch verfahrensrechtlich auf den Zeitpunkt
des Entstehens des Auflösungsverlusts zurück. Denn sie
beeinflusst mit der Bürgschaftsinanspruchnahme die
nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung, die sich
(nur) bei der Ermittlung des Auflösungsverlusts auswirken
(vgl. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 922 = SIS 98 58 45; s. auch
Schneider, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C
291, C 20; Eilers/R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17
EStG Rz 202). Der Rechtsgrund für die Ratenzahlung ist
ersichtlich allein in der Bürgschaftsverpflichtung angelegt.
Der aufgrund der Bürgschaft vom Kläger geschuldete
Betrag, den die Parteien des Bürgschaftsvertrags auf 200.000
DM festgelegt haben, hat sich durch die weitere Ratenvereinbarung
nicht geändert.
|
|
|
23
|
5. Da das Urteil der Vorinstanz diesen
Maßstäben nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache
ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Das FA hat die Abzinsung
der Bürgschaftsverpflichtung nach den obigen
Maßstäben zutreffend berechnet. Das wird von den
Beteiligten auch nicht angegriffen.
|