Rangrücktrittserklärung, Darlehensausfall, Veräußerungsverlust: Bei insolvenzfreier Liquidation einer GmbH realisiert sich der durch eine eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe als nachträgliche Anschaffungskosten bedingte Veräußerungsverlust eines ehemals wesentlich beteiligten Gesellschafters bereits in dem Zeitpunkt, in dem er erklärt, mit seiner Forderung gegenüber allen gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten der vermögenslosen und überschuldeten GmbH aus einer bankmäßigen Geschäftsverbindung im Rang zurückzutreten. - Urt.; BFH 22.7.2008, IX R 79/06; SIS 08 35 57
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) gründete im Jahr 1993 zusammen mit einer anderen
Person eine GmbH, an deren Stammkapital er mit 49 % beteiligt war.
Die GmbH erwirtschaftete in den Anfangsjahren Verluste, im
Streitjahr (1996) aber einen Jahresüberschuss. Sie war in
allen Jahren überschuldet. Ihre Umsätze stiegen in der
Zeit ihrer Geschäftsverbindungen mit einem ausländischen
Reiseveranstalter in den Jahren ab 1996; ihre
Geschäftstätigkeit kam aber nach dessen Konkurs ganz zum
Erliegen.
Im Jahr 1995 schloss der Kläger mit
der GmbH einen Darlehensvertrag. Danach stellte er der GmbH Mittel
in Höhe von 160.000 DM zur Verfügung. Das Darlehen sollte
zum Ausgleich von Liquiditätsengpässen, zur
Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft sowie
zur Vermeidung einer eventuell auftretenden Überschuldung
dienen. Die GmbH war berechtigt, das Darlehen in Teilbeträgen
abzurufen und verpflichtet, die Darlehensmittel
ausschließlich zur Begleichung von unbezahlten Rechnungen und
von Steuerschulden zu verwenden. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage
der GmbH verzichtete der Kläger zunächst auf eine
Verzinsung. Die GmbH nahm das Darlehen Anfang des Streitjahres in
Höhe von 159.000 DM in Anspruch, tilgte es in den Folgejahren
zum Teil, so dass ihre Verbindlichkeit Ende 1998 aus diesem
Darlehen noch 81.665,45 DM betrug.
Im Streitjahr veräußerte der
Kläger seinen Geschäftsanteil für 1 DM an den
Mitgesellschafter. In einer Bindungs- und
Rangrücktrittserklärung vom Februar 1999 erklärte
der Kläger den Rangrücktritt seiner Darlehensforderung
gegenüber den gesamten gegenwärtigen und künftigen
Forderungen anderer Gläubiger aus einer bankmäßigen
Geschäftsverbindung. Außerdem verpflichtete er sich,
über seine Forderung ohne die Zustimmung der anderen
Gesellschaftsgläubiger nicht zu verfügen, sie nicht
einzuziehen, nicht auf sie zu verzichten, nicht an einen Dritten
abzutreten oder zu verpfänden. Ausweislich der Erklärung
hatte die GmbH „per 31.12.97 einen Bilanzverlust in Höhe
von 422.865,79 DM“ ausgewiesen, „der vorgetragen
wird.“
Die GmbH wurde mit Gesellschafterbeschluss
vom Dezember 2001 aufgelöst; im Jahr 2003 wurde sie im
Handelsregister gelöscht.
In seiner im Jahr 1998 eingereichten
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr gab der
Kläger einen Veräußerungsverlust nach § 17 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 25.525,40 DM an,
der sich aus dem Unterschied von Veräußerungspreis (1
DM) und den Anschaffungskosten bei Gründung (24.400 DM) sowie
den Veräußerungskosten (1.026,40 DM) ergab. Dieser
Veräußerungsverlust wurde vom Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) in den
Einkommensteuerbescheiden u.a. vom 29.9.2000 nicht
berücksichtigt, nachdem der Kläger die vom FA geforderten
Unterlagen nicht vorgelegt hatte. Einspruch wie auch Klage blieben
ohne Erfolg.
Im Rahmen der im Jahr 2003 abgegebenen
Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 beantragte der
Kläger die Berücksichtigung des Darlehensverlustes als
Veräußerungsverlust, weil es sich bei diesem
Gesellschafterdarlehen um ein Krisendarlehen gehandelt habe, das
den nachträglichen Anschaffungskosten zuzurechnen sei. Der
Darlehensverlust habe nicht schon im Jahr 1996, sondern erst
geltend gemacht werden können, als der Verlust mit der
Auflösung der GmbH endgültig festgestanden habe, wovon
der Kläger erst im Jahr 2002 erfahren habe. Das FA lehnte eine
Berücksichtigung dieses Verlustes für das Jahr 2002 ab.
Daraufhin beantragte der Kläger im Mai 2005, den
Einkommensteuerbescheid des Streitjahres vom 29.9.2000 in Gestalt
der Einspruchsentscheidung nachträglich gemäß
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu
ändern und den Darlehensverlust als
Veräußerungsverlust gemäß § 17 EStG
anzusetzen. Das FA lehnte diesen Antrag wegen Bestandskraft ab;
auch der Einspruch blieb erfolglos: Weil der Abzug des damals
beantragten Verlusts nach § 17 EStG bereits dem Grunde nach
unterblieben sei, könnten spätere Ereignisse, die sich
nur der Höhe nach auf einen solchen Verlust auswirkten, nicht
mehr berücksichtigt werden.
Die Klage blieb erfolglos: Das
Finanzgericht (FG) begründete sein in EFG 2007, 352 = SIS 07 01 11, veröffentlichtes Urteil alternativ. Habe sich die GmbH
schon im Jahr 1995 in der Krise befunden, wofür die
Überschuldung spreche, könne zwar dem endgültigen
Ausfall des Darlehens steuerliche Wirkung für die
Vergangenheit zukommen. Da aber das rückwirkende Ereignis im
Jahr 1999 eingetreten sei (Indiz: Bindungs- und
Rangrücktrittserklärung), sei die sich
anschließende vierjährige Festsetzungsfrist schon Ende
2003, also vor der Antragstellung im Jahr 2005 abgelaufen gewesen.
Habe sich die GmbH allerdings 1995 noch nicht in der Krise
befunden, könne sie erst 1999 eingetreten sein, als der
Kläger die Erklärung abgegeben habe. In diesem Zeitpunkt
sei der Kläger aber nicht mehr Gesellschafter gewesen, so dass
es an einer gesellschaftlichen Veranlassung für das
Stehenlassen des Darlehens fehle.
Hiergegen richtet sich die Revision des
Klägers. Rechtsfehlerhaft sei die Auffassung des FG, eine
Änderung der Steuerfestsetzung scheitere am Ablauf der
Festsetzungsfrist. Die Hingabe des Darlehens sei gesellschaftlich
veranlasst gewesen. Das rückwirkende Ereignis sei aber noch
nicht im Jahr 1999 mit der Bindungs- und
Rücktrittserklärung eingetreten, sondern erst mit dem
endgültigen Darlehensausfall im Jahr 2001.
Der Kläger beantragt, das angefochtene
Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, den
Einkommensteuerbescheid 1996 vom 29.9.2000 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 2.2.2006 in der Weise zu ändern,
dass ein Veräußerungsverlust gemäß § 17
EStG in Höhe von 81.685,95 DM berücksichtigt
wird.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen. Im Ergebnis zutreffend hat es das FG
abgelehnt, das FA zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid des
Streitjahres zu ändern. Denn der Sachverhalt erfüllt
keinen Korrekturtatbestand. Zwar hat das FG zu Unrecht auf den
Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 175 Abs. 1
Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO abgestellt. Da
indes der Kläger schon die Voraussetzungen von § 175 Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt, stellt sich die angefochtene
Entscheidung aus diesem Grund als richtig dar (§ 126 Abs. 4
FGO).
1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist
ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt,
das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Als
Voraussetzung für eine Änderung gemäß §
175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO muss dieses Ereignis aber
nachträglich eintreten, weil nur in diesem Fall die
Notwendigkeit besteht, die Bestandskraft zu durchbrechen. Konnte
das Ereignis bei Erlass des betreffenden Bescheides bereits
berücksichtigt werden, greift § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO nicht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10.7.2002 I
R 69/00, BFH/NV 2002, 1545 = SIS 03 02 18, und BFH-Beschluss vom
13.5.2005 VIII B 205/03, BFH/NV 2005, 1741 = SIS 05 40 07, jeweils
m.w.N.).
a) So verhält es sich hier; denn das FG
ist zutreffend davon ausgegangen, das Darlehen des Klägers sei
im Jahr 1999 endgültig ausgefallen. Zwar stellt der Ausfall
des Darlehens ein den Veräußerungsgewinn
rückwirkend beeinflussendes Ereignis im Sinne dieser
Vorschrift dar (vgl. BFH-Urteil vom 1.7.2003 VIII R 71/02, BFH/NV
2003, 1398 = SIS 03 45 66, und - allgemein zu
Veräußerungsgewinnen - BFH-Beschluss vom 19.7.1993 GrS
2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, 900 f. = SIS 93 23 33).
Hier konnte der endgültige Ausfall des Darlehens bereits im
Rahmen der Veranlagung des Streitjahres berücksichtigt werden,
die erst mit der die Klage als unzulässig verwerfenden
Entscheidung durch das FG in der Mitte des Jahres 2001
bestandskräftig abgeschlossen wurde.
b) Dem FG ist darin beizupflichten, den zu
nachträglichen Anschaffungskosten der veräußerten
Anteile führenden endgültigen Ausfall des Darlehens
bereits im Jahr 1999 anzunehmen.
aa) Zu den Einkünften aus Gewerbetrieb
gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG - unter weiteren,
hier nicht problematischen Voraussetzungen - auch der Gewinn aus
der Veräußerung von Anteilen an einer
Kapitalgesellschaft. Das ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz
1 EStG der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach
Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten
übersteigt. Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1
Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) Aufwendungen, die geleistet
werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Dazu
gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die
nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen
Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten)
Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung,
wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und
weder Werbungskosten bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen noch Veräußerungskosten sind. Das
ist bei einem Darlehen des Gesellschafters an die
Kapitalgesellschaft der Fall, wenn und insoweit es Eigenkapital
ersetzt (vgl. § 32a Abs. 1 des Gesetzes betreffend die
Gesellschaften mit beschränkter Haftung), weil der
Gesellschafter es in einem Zeitpunkt gewährt, in dem er als
ordentlicher Kaufmann Eigenkapital zugeführt hätte
(ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 4.3.2008 IX R
80/06, BStBl II 2008, 577 = SIS 08 20 31, und IX R 78/06, BStBl II
2008, 575 = SIS 08 20 30).
bb) Im Streitfall konnte es das FG
offenlassen, ob der Kläger als Gesellschafter der GmbH das
Darlehen im Jahr 1995 in einem Zeitpunkt gewährte, in dem ihr
die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital
zugeführt hätten. Denn jedenfalls im Jahr 1999 konnte der
Kläger nicht mehr mit einer Rückzahlung des Darlehens
rechnen.
Zwar lässt sich die Frage, ob und in
welcher Höhe dem Steuerpflichtigen aus seiner Beteiligung ein
Verlust entstanden ist, im Fall der Auflösung der
Kapitalgesellschaft grundsätzlich erst in dem Zeitpunkt
beurteilen, in dem die Liquidation abgeschlossen ist. Ausnahmsweise
kann nach der ständigen Rechtsprechung indes der Zeitpunkt, in
dem der Verlust realisiert ist, schon vor dem Abschluss der
Liquidation liegen, wenn mit einer wesentlichen Änderung des
bereits festgestellten Verlusts nicht mehr zu rechnen ist (vgl.
dazu BFH-Urteil vom 27.11.2001 VIII R 36/00, BFHE 197, 394, BStBl
II 2002, 731 = SIS 02 06 22, m.w.N.). Diese Grundsätze gelten
für die Ermittlung eines Veräußerungsgewinns i.S.
des § 17 Abs. 1 EStG gleichermaßen.
Im Streitfall konnte das FG diese
Voraussetzungen bejahen. Die GmbH war nach seinen Feststellungen,
die den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO binden, im Zeitpunkt der
Bindungs- und Rangrücktrittserklärung (1999)
vermögenslos und überschuldet. Wenn das FG aus dieser
Erklärung des Klägers als Indiz folgert, dass bereits zu
diesem Zeitpunkt mit einer Begleichung der restlichen
Darlehensforderung nicht zu rechnen gewesen sei, so lässt dies
Rechtsfehler nicht erkennen. Die Erklärung des Klägers
gegenüber anderen Gläubigern der GmbH mit
bankmäßiger Geschäftsverbindung ist als
Beweisanzeichen für eine Verlustrealisation ergiebig. Sie
stellt die Rückzahlungsforderung aus dem Darlehen in das
Belieben dieser Gläubiger und enthält nicht nur einen
vollständigen Rangrücktritt gegenüber allen, auch
künftigen bedingten oder befristeten Forderungen aus einer
bankmäßigen Geschäftsverbindung, sondern
überdies eine Verpflichtung den anderen Gläubigern
gegenüber, über das Recht nicht zu verfügen (vgl.
§ 137 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Aus ihr
ergibt sich im Zusammenwirken mit den Tatsachen der
Vermögenslosigkeit und Überschuldung der GmbH
folgerichtig, dass der Kläger bereits im Jahr 1999 davon
ausgehen musste, mit seiner Rückzahlungsforderung
endgültig auszufallen.
2. Der Kläger kann auch nicht
beanspruchen, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr
aufgrund von § 173 Abs. 1 AO zu ändern.
Zwar mag es sein, dass der vom FG
festgestellte Sachverhalt die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1
Nr. 2 AO erfüllt. Denn dem FA wurden erst nach Abschluss der
Veranlagung des Streitjahres die Umstände der
Darlehensgewährung bekannt. Unbeschadet des Vorliegens der
weiteren Voraussetzungen dieser Norm ist bereits
Festsetzungsverjährung eingetreten. Selbst wenn das FA im
Rahmen der Veranlagungsarbeiten für das Jahr 2002 bereits im
Jahr 2003 von den Umständen Kenntnis erlangte, war die in
ihrem Ablauf gehemmte Festsetzungsfrist für das Streitjahr
(§ 171 Abs. 3a AO: hier bis Mitte 2001) bereits abgelaufen
(vgl. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr.
1 AO).