1
|
I. Streitig ist, ob
Versicherungsbeiträge als Arbeitslohn zu beurteilen sind, wenn
der Arbeitgeber Ansprüche aus einer von ihm mit einem
Versicherer abgeschlossenen Rückdeckungsversicherung an den
Arbeitnehmer abtritt und im Anschluss hieran Beiträge an den
Versicherer leistet.
|
|
|
2
|
Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) war nichtselbständig tätig. Seine
Arbeitgeberin hatte ihm eine Alters- und
Berufsunfähigkeitsrente zugesagt, zu deren Sicherung und
Finanzierung sie eine Versicherung abgeschlossen hatte. Für
diese Rückdeckungsversicherung leistete sie jährlich
Versicherungsprämien in Höhe von 96.152 DM. Der
Versicherungsvertrag sah für den Fall der
Berufsunfähigkeit des Klägers eine Beitragsfreistellung
sowie eine Berufsunfähigkeitsrente vor.
|
|
|
3
|
Im Rahmen einer im Jahr 1990 geschlossenen
Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
verpflichtete sich die Arbeitgeberin, die
Versicherungsbeiträge weiterhin zu entrichten. Gleichzeitig
trat sie dem Kläger sämtliche Ansprüche aus dem
Rückdeckungsversicherungsvertrag ab.
|
|
|
4
|
Im April 1991 teilte der Kläger der
Arbeitgeberin mit, dass er seit Februar 1991 berufsunfähig
sei. Er machte sowohl ihr gegenüber als auch gegenüber
der Versicherungsgesellschaft Ansprüche auf Zahlung einer
Berufsunfähigkeitsrente geltend. Die Versicherungsgesellschaft
bestritt den Eintritt des Versicherungsfalls. Daher führte der
Kläger in der Folgezeit gegen die Versicherungsgesellschaft
einen Zivilprozess, in dem er Ansprüche aus der
Berufsunfähigkeitsversicherung geltend machte. Im Jahr 2000
entschied ein Zivilgericht rechtskräftig, dass die
Versicherungsgesellschaft eine Berufsunfähigkeitsrente an den
Kläger zu leisten habe, da mit der Berufsunfähigkeit des
Klägers der Versicherungsfall eingetreten sei.
|
|
|
5
|
Die Arbeitgeberin entrichtete während
der zivilrechtlichen Auseinandersetzung um den Eintritt des
Versicherungsfalls auch weiterhin die Versicherungsbeiträge an
die Versicherungsgesellschaft.
|
|
|
6
|
Im August 1993 zeigte die Arbeitgeberin die
Nichtabführung der Lohnsteuer gegenüber dem Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) an, woraufhin dieser die
von der Arbeitgeberin in dem Streitjahr 1992 gezahlten
Versicherungsprämien als steuerpflichtigen Arbeitslohn
behandelte und gegenüber dem Kläger im Januar 1997 einen
Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid erließ. Der hiergegen
eingelegte Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
|
|
|
7
|
Das Finanzgericht (FG) gab der daraufhin
erhobenen Klage statt. Die Leistungen der Arbeitgeberin seien kein
Arbeitslohn aus einem früheren Arbeitsverhältnis, da dem
Kläger hierdurch kein Vorteil zugewandt worden sei. Denn da
die nach dem Eintritt des Versicherungsfalls geleisteten Zahlungen
wegen der daraus resultierenden Beitragsfreiheit rechtsgrundlos
erfolgt seien, hätten sie für den Kläger keinen
unentziehbaren Rechtsanspruch gegen die Versorgungseinrichtung
begründen können.
|
|
|
8
|
Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
|
|
|
9
|
Es beantragt, das Urteil des FG vom
26.1.2011 1 K 1159/07 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
10
|
Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
11
|
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung unter Aufhebung der Vorentscheidung zur
Abweisung der Klage. Entgegen der Auffassung des FG war das FA
berechtigt, zu wenig erhobene Lohnsteuer nach § 41c Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 41c
Abs. 4 Satz 2 EStG von dem Kläger nachzufordern.
|
|
|
12
|
1. Die Lohnsteuer wird bei Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit erhoben, soweit der Arbeitslohn von
einem inländischen Arbeitgeber gezahlt wird (§ 38 Abs. 1
Satz 1 EStG).
|
|
|
13
|
a) Zum Arbeitslohn können auch Ausgaben
gehören, die ein Arbeitgeber leistet, um einen Arbeitnehmer
oder diesem nahestehende Personen für den Fall der Krankheit,
des Unfalls, der Invalidität, des Alters oder des Todes
abzusichern (sog. Zukunftssicherungsleistungen, z.B. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11.12.2008 VI R 9/05, BFHE 224, 70,
BStBl II 2009, 385 = SIS 09 05 70). Die Arbeitslohnqualität
von Zukunftssicherungsleistungen, bei denen die Leistung des
Arbeitgebers an einen Dritten (Versicherer) erfolgt, hängt
davon ab, ob sich der Vorgang - wirtschaftlich betrachtet - so
darstellt, als ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mittel zur
Verfügung gestellt und der Arbeitnehmer sie zum Zweck seiner
Zukunftssicherung verwendet hat. Davon ist auszugehen, wenn dem
Arbeitnehmer gegen die Versorgungseinrichtung, an die der
Arbeitgeber die Beiträge geleistet hat, ein unentziehbarer
Rechtsanspruch auf die Leistung zusteht (z.B. BFH-Urteile vom
12.4.2007 VI R 55/05, BFHE 217, 558, BStBl II 2007, 619 = SIS 07 16 97; vom 5.7.2007 VI R 47/02, BFH/NV 2007, 1876 = SIS 07 32 30; vom
15.11.2007 VI R 30/04, BFH/NV 2008, 550 = SIS 08 13 99; in BFHE
224, 70, BStBl II 2009, 385 = SIS 09 05 70; vom 9.12.2010 VI R
57/08, BFHE 232, 158, BStBl II 2011, 978 = SIS 11 06 53; jeweils
m.w.N.).
|
|
|
14
|
b) Bejaht wird die Arbeitslohnqualität
von Beitragsleistungen in den Fällen der Direktversicherung,
bei der der Arbeitgeber gegenüber dem selbst
bezugsberechtigten Arbeitnehmer verpflichtet ist, die Beiträge
für die Versorgung des Arbeitnehmers einzubehalten und an den
Versicherer abzuführen (BFH-Entscheidungen vom 16.4.1999 VI R
60/96, BFHE 188, 334, BStBl II 2000, 406 = SIS 99 16 04; VI R
75/97, BFH/NV 1999, 1590 = SIS 99 53 55; vom 26.7.2005 VI R 115/01,
BFH/NV 2005, 1804 = SIS 05 40 59; vom 26.1.2006 VI R 2/03, BFH/NV
2006, 1045 = SIS 06 20 81; in BFHE 217, 558, BStBl II 2007, 619 =
SIS 07 16 97). Demgegenüber handelt es sich bei Ausgaben, die
nur dazu dienen, dem Arbeitgeber die Mittel zur Leistung einer dem
Arbeitnehmer zugesagten Versorgung zu verschaffen
(Rückdeckungsversicherung), nicht um Arbeitslohn (§ 2
Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 der
Lohnsteuer-Durchführungsverordnung).
|
|
|
15
|
c) Tritt ein Arbeitgeber Ansprüche aus
einer von ihm mit einem Versicherer abgeschlossenen
Rückdeckungsversicherung an den Arbeitnehmer ab und leistet
der Arbeitgeber im Anschluss hieran Beiträge an den
Versicherer, sind diese Ausgaben Arbeitslohn.
|
|
|
16
|
aa) Die Abtretung von Ansprüchen aus
einem Versicherungsverhältnis bewirkt im Allgemeinen, dass der
Neugläubiger hinsichtlich der Forderung aus dem
Versicherungsvertrag in die Gläubigerstellung des
Versicherungsnehmers einrückt und mithin materiell zum Inhaber
des Rechtsanspruchs gegenüber dem Versicherer wird (vgl.
Fausten in Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum
Versicherungsvertragsgesetz, § 17 VVG Rz 35; Prölss/
Martin, VVG, 28. Aufl., § 17 VVG Rz 15). Im Übrigen
bleibt das Versicherungsverhältnis jedoch unverändert, so
dass der Versicherungsnehmer weiterhin Vertragspartei bleibt
(Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.3.1956 II ZR 32/55,
Versicherungsrecht 1956, 276) und insbesondere zur Leistung der
Versicherungsprämien verpflichtet ist (Fausten in Langheid/
Wandt, a.a.O.; Prölss/Martin, a.a.O.).
|
|
|
17
|
bb) Dementsprechend hat der Arbeitgeber nach
der Abtretung einer Rückdeckungsversicherung an den
Arbeitnehmer die Versicherungsbeiträge für den
Arbeitnehmer einzubehalten und abzuführen, während der
Arbeitnehmer bzw. seine Hinterbliebenen selbst bezugsberechtigt
sind. Diese mit der Abtretung einhergehende Änderung des
Versicherungsverhältnisses begründet die Umwandlung der
Rückdeckungsversicherung in eine Direktversicherung (vgl. auch
Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, § 19 EStG Rz 407;
Ahrend/Förster/Rössler, Steuerrecht der betrieblichen
Altersversorgung, 2. Teil Rz 1421). Nachfolgende Beitragsleistungen
des Arbeitgebers an den Versicherer werden damit wie bei einer
Direktversicherung erbracht, wodurch die Arbeitgeberleistungen nach
den oben genannten Rechtsprechungsgrundsätzen als Arbeitslohn
zu beurteilen sind.
|
|
|
18
|
2. Das FG ist von einer anderen
Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung ist deshalb
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
19
|
a) Die streitgegenständlichen Zahlungen
sind Arbeitslohn. Denn die Abtretung der Ansprüche aus dem
Rückdeckungsversicherungsvertrag bewirkte im Streitfall, dass
der Kläger als Arbeitnehmer einen eigenen unentziehbaren
Rechtsanspruch gegen die Versorgungseinrichtung, die
Versicherungsgesellschaft, erlangte. Die sodann durch die
Arbeitgeberin des Klägers geleisteten Beitragszahlungen
stellen damit nach den angeführten Rechtsgrundsätzen
Arbeitslohn dar. Hieran ändert auch nichts, dass der
Kläger ab dem Jahr 2001 berufsunfähig war und daher eine
Pflicht aus dem Versicherungsvertrag zur Zahlung der Beiträge
nicht mehr bestand. Denn die Arbeitgeberin hatte ihm die Mittel
gleichwohl zur Verfügung gestellt und der Kläger hatte
sie zum Zwecke seiner Zukunftssicherung verwendet.
|
|
|
20
|
b) Entgegen der Auffassung des Klägers
war die Festsetzungsverjährung nicht im Zeitpunkt der
Bekanntgabe des Lohnsteuer-Nachforderungsbescheides im Januar 1997
eingetreten.
|
|
|
21
|
aa) Die Festsetzungsfrist für die
Lohnsteuer beträgt, soweit für den Streitfall von
Interesse, vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der
Abgabenordung - AO - ). Sie beginnt regelmäßig mit
Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden oder eine
bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs.
1 AO). Da die Lohnsteuer mit dem Zufluss des Arbeitslohns entsteht
(§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG) und der hier maßgebliche
Arbeitslohn dem Kläger im Jahr 1992 zugeflossen ist,
hätte nach dieser Regelung die Frist im Streitfall mit Ablauf
des Jahres 1992 begonnen und - vorbehaltlich einer Ablaufhemmung
oder Unterbrechung - mit Ablauf des Jahres 1996 geendet.
|
|
|
22
|
bb) Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO
beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Anzeige zu erstatten ist,
allerdings erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Anzeige
eingereicht wird, und spätestens mit Ablauf des dritten
Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer
entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach §
170 Abs. 1 AO später beginnt.
|
|
|
23
|
Im Streitfall war die Arbeitgeberin des
Klägers für die in Rede stehende Lohnsteuer zur Anzeige
ihrer Nichtabführung nach § 41c Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG
verpflichtet, weil der Kläger von ihr Arbeitslohn nicht mehr
bezog. Da die Arbeitgeberin des Klägers diese Anzeige im
August 1993 erstattete, begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des
Jahres 1993.
|
|
|
24
|
cc) Dass die Anzeige vom Arbeitgeber und nicht
vom Arbeitnehmer als dem Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2
Satz 1 EStG, § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG) selbst abzugeben ist,
ist für die Anwendbarkeit des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AO nicht von Bedeutung (vgl. BFH-Urteil vom 6.3.2008 VI R 5/05,
BFHE 220, 307, BStBl II 2008, 597 = SIS 08 20 70, m.w.N.). Der
Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO setzt lediglich
voraus, dass „eine Steueranmeldung einzureichen ...
ist“ bzw. „eine Anzeige zu erstatten
ist“. Diese Formulierung bringt nicht zum Ausdruck, dass
die Regelung nur Fälle erfassen soll, in denen die
Verpflichtung zur Steueranmeldung bzw. zur Anzeigeerstattung den
Steuerschuldner trifft (vgl. BFH-Urteil vom 29.1.2003 I R 10/02,
BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687 = SIS 03 32 15).
|
|
|
25
|
Dies entspricht auch Sinn und Zweck des §
170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Denn die Vorschrift soll verhindern,
dass für eine Steuerfestsetzung nur noch unangemessen wenig
Zeit bleibt, wenn die Finanzbehörde infolge einer Verletzung
von Erklärungs-, Steueranmeldungs- oder Anzeigepflichten einen
steuerpflichtigen Vorgang erst mit erheblicher Verspätung zur
Kenntnis bekommt. Dieses Ziel besteht aber unabhängig davon,
ob die Pflichtverletzung dem Steuerschuldner selbst oder einem
Dritten anzulasten ist. Das rechtfertigt es, die
Fristverlängerung auch in der letztgenannten Konstellation
eintreten zu lassen (BFH-Urteil in BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687
= SIS 03 32 15).
|