Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Köln vom 24.01.2020 - 1 K 1041/17 =
SIS 19 22 48 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) versteuert seit dem Jahr 2007 Sachzuwendungen an
eigene Arbeitnehmer pauschal nach § 37b des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Hierbei handelte es sich im
Streitzeitraum (01.01.2012 bis 31.12.2014) im Wesentlichen um
Kosten für Veranstaltungen der Klägerin, beispielsweise
um die Kosten einer Band bei einem „Get
Together“ im Rahmen einer
Schulungsveranstaltung. Eine
Individualisierung/Verteilung/Zuordnung der Kosten auf die
einzelnen Teilnehmer fand nicht statt. Die Klägerin ging
zunächst davon aus, dass es sich bei den pauschal versteuerten
Sachzuwendungen nicht um sozialversicherungspflichtiges Entgelt der
Arbeitnehmer handele, und führte hierauf dementsprechend keine
Sozialversicherungsbeiträge ab. Auch in Kenntnis der
Ergänzung von § 1 Abs. 1 Satz 1 der
Sozialversicherungsentgeltverordnung um Nr. 14 (keine
Beitragsfreiheit von nach § 37b EStG pauschal versteuerten
Sachzuwendungen an eigene Arbeitnehmer) durch Art. 1 Nr. 1 Buchst.
b der Ersten Verordnung zur Änderung der
Sozialversicherungsentgeltverordnung vom 18.11.2008 (BGBl I 2008,
2220) zum 01.01.2009, mit der die bis dahin umstrittene Frage durch
den Verordnungsgeber entschieden wurde, änderte die
Klägerin ihr Vorgehen nicht.
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Um eine konzerneinheitliche
sozialversicherungsrechtliche Behandlung pauschal versteuerter
Sachzuwendungen an Arbeitnehmer herbeizuführen, traf die
Konzernmutter der Klägerin mit der Deutschen
Rentenversicherung Bund (DRV Bund) eine schriftliche Vereinbarung,
nach der die Zuwendungen nicht individuell den betroffenen
Lohnkonten zugerechnet werden, sondern die Erhebung der
Sozialversicherungsbeiträge über pauschalierte
Summenbescheide gemäß § 28f Abs. 2 des Vierten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) erfolgt.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) griff unter anderem diesen Sachverhalt im
Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei der
Klägerin für den Streitzeitraum auf. Aus den
entsprechenden Summenbescheiden der DRV Bund vom 19.12.2012,
03.06.2013 und 01.07.2014 ermittelte der Prüfer
Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von
… EUR für 2009, … EUR für 2010 und …
EUR für 2011.
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Diese Beträge unterwarf das FA der
Nachversteuerung gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG und
erließ mit Datum vom 22.07.2016 einen insoweit auf § 40
EStG gründenden Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid.
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Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen
Klage, mit der die Klägerin die Änderung des
Lohnsteuer-Nachforderungsbescheids betreffend die Nachversteuerung
der pauschal bemessenen Arbeitnehmeranteile am
Gesamtsozialversicherungsbeitrag begehrte, gab das Finanzgericht
(FG) mit den in EFG 2020, 728 = SIS 19 22 48 veröffentlichten Gründen statt.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat die
Lohnsteuernachforderung zu Recht um die Beträge herabgesetzt,
die auf den Prüfungsfeststellungen „Übernahme von
Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung durch pauschale
Beitragsentrichtungen an die
Sozialversicherungsträger“ beruhen.
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1. Die Nachforderung von Lohnsteuer beim
Arbeitgeber durch Steuerbescheid kommt in Betracht, wenn die
Lohnsteuer vorschriftswidrig nicht angemeldet wurde und es sich um
eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers handelt. Eine eigene
Steuerschuld des Arbeitgebers liegt auch vor, wenn die
Voraussetzungen für eine Pauschalierung der Lohnsteuer nach
§ 40 EStG gegeben sind (Senatsurteil vom 06.06.2018 - VI R
32/16, BFHE 261, 516, BStBl II 2018, 764 = SIS 18 12 18, Rz 13,
m.w.N.).
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a) Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 EStG kann das FA auf Antrag zulassen, dass die Lohnsteuer
nach einem unter Berücksichtigung der Vorschriften des §
38a EStG zu ermittelnden Pauschsteuersatz erhoben wird, wenn in
einer größeren Zahl von Fällen der Arbeitgeber die
Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig, das heißt nicht
nach § 38 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 1, § 38a EStG,
bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des
Arbeitnehmers einbehalten hat.
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b) Zu den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG alle Güter, die in
Geld oder Geldeswert bestehen. Hierzu zählen neben
Gehältern und Löhnen auch andere „Bezüge und
Vorteile“, die
„für“ eine Beschäftigung im
öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden.
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c) Zum Arbeitslohn können daher auch
Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des
Arbeitnehmers gehören (z.B. Senatsurteil vom 05.07.2012 - VI R
11/11, BFHE 238, 408, BStBl II 2013, 190 = SIS 12 33 46, Rz 13).
Die Arbeitslohnqualität von Zukunftssicherungsleistungen, bei
denen die Leistung des Arbeitgebers an einen Dritten (Versicherer)
erfolgt, hängt davon ab, ob sich der Vorgang - wirtschaftlich
betrachtet - so darstellt, als ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer
Mittel zur Verfügung gestellt und der Arbeitnehmer sie zum
Zweck seiner Zukunftssicherung verwendet hat. Davon ist auszugehen,
wenn dem Arbeitnehmer gegen die Versorgungseinrichtung, an die der
Arbeitgeber die Beiträge geleistet hat, ein unentziehbarer
Rechtsanspruch auf die Leistung zusteht (Senatsurteil vom
24.08.2017 - VI R 58/15, BFHE 259, 321, BStBl II 2018, 72 = SIS 17 20 67, Rz 16, m.w.N.).
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d) Demgemäß sind nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch die
Arbeitnehmeranteile zur Arbeitslosen-, Kranken- und
Rentenversicherung (Gesamtsozialversicherung) als Gegenleistung
für die Erbringung der Arbeitsleistung und damit als
Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs.
1 EStG anzusehen (vgl. z.B. Senatsurteile vom 13.09.2007 - VI R
54/03, BFHE 219, 49, BStBl II 2008, 58 = SIS 07 37 86, Rz 9 und vom
11.12.2008 - VI R 9/05, BFHE 224, 70, BStBl II 2009, 385 = SIS 09 05 70 sowie BFH-Urteil vom 16.01.2007 - IX R 69/04, BFHE 216, 329,
BStBl II 2007, 579 = SIS 07 13 19, m.w.N.).
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Zwar hat der Arbeitgeber als alleiniger
Schuldner den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle
zu zahlen und durch Lohnabzug beim Arbeitnehmer einzubehalten;
wirtschaftlich hat aber der Arbeitnehmer die Beiträge zur
Gesamtsozialversicherung zur Hälfte (Arbeitnehmeranteil) aus
dem ihm zustehenden Bruttoentgelt zu tragen. Der einbehaltene
Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung ist danach ein dem
Arbeitnehmer verschaffter Vermögensvorteil; daher sind die
Arbeitnehmerbeiträge - bei eigenem Rechtsanspruch des
Arbeitnehmers gegen die Versorgungseinrichtung - als Arbeitslohn
mit ihrer Abführung durch den Arbeitgeber gegenwärtig
zugeflossen (ausführlich hierzu BFH-Urteil vom 16.01.2007 - IX
R 69/04, BFHE 216, 329, BStBl II 2007, 579 = SIS 07 13 19, Rz 21,
m.w.N.).
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2. Nach Maßgabe dieser
Rechtsgrundsätze ist das FG im Streitfall zu Recht zu dem
Ergebnis gelangt, dass die streitigen Zahlungen der Klägerin
auf die nach § 28f Abs. 2 SGB IV ergangenen Summenbescheide
keinen Arbeitslohn darstellen. Denn es handelt sich insoweit nicht
um „fremdnützige“ Leistungen
zugunsten ihrer Arbeitnehmer, sondern um
„systemnützige“ Zahlungen zum
Vorteil der Sozialkassen.
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a) Gemäß § 28f Abs. 2 Satz 1
SGB IV kann der prüfende Träger der Rentenversicherung
den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur
Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten
Arbeitsentgelte geltend machen (sogenannter Summenbescheid, Urteil
des Bundessozialgerichts vom 07.02.2002 - B 12 KR 12/01 R, BSGE
89,158), wenn ein Arbeitgeber - wie vorliegend die Klägerin -
die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß
erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder
Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt
werden können. Dies gilt nicht, soweit ohne
unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand
festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren
oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet
werden kann (§ 28f Abs. 2 Satz 2 SGB IV).
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b) Zweck der Regelung ist es, Einnahmeverluste
der Sozialkassen infolge einer Aufzeichnungspflichtverletzung
weitgehend zu vermeiden und zugleich auszuschließen, dass
Arbeitgeber mittels einer Aufzeichnungspflichtverletzung
Wettbewerbsvorteile erlangen könnten (Werner in: jurisPK-SGB IV, Aufl. 2021, §
28f SGB IV Rz 54). Der nicht personenbezogenen Beitragsrechnung
kommt dabei die Wirkung einer
„Sonderabgabe“ zu Lasten des
Arbeitgebers zu (Werner in: jurisPK-SGB IV, Aufl. 2021, § 28f
SGB IV Rz 56). Denn ein Summenbescheid führt zwar für die
beteiligten Versicherungsträger zu Einnahmen,
Leistungsausgaben sind hierfür in der Regel jedoch nicht zu
erbringen (Sehnert in Hauck/Noftz, SGB IV, § 28f Rz 9).
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c) Wegen der tatbestandlich vorausgesetzten
„Unmöglichkeit“ einer
personenbezogenen Beitragserhebung beim Arbeitnehmer und der damit
einhergehenden „Unmöglichkeit“, die
pauschaliert erhobenen Arbeitnehmeranteile zur
Gesamtsozialversicherung deren individuellen Beitragskonten
zuzuordnen, bewirken Zahlungen auf einen Summenbescheid
gemäß § 28f Abs. 2 SGB IV folglich ebenso wie der
Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung dem Grunde nach weder
einen individuellen mitgliedschafts- oder beitragsrechtlichen
Vorteil der Arbeitnehmer noch einen leistungsrechtlichen oder
sonstigen Zuwachs ihres Vermögens.
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3. Aus dem Senatsurteil vom 13.09.2007 - VI R
54/03 (BFHE 219, 49, BStBl II 2008, 58 = SIS 07 37 86) folgt -
entgegen der Auffassung des FA - nichts anderes.
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a) Danach führt die Nachentrichtung
hinterzogener Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung
ungeachtet der Verschiebung der Beitragslast auf den Arbeitgeber
gemäß § 28g SGB IV auf Seiten der Arbeitnehmer zwar
zu einem zusätzlichen geldwerten Vorteil. Diese Folge ist aber
dem Umstand geschuldet, dass der Arbeitnehmer in einem solchen Fall
hinsichtlich seines gesetzlichen Sozialversicherungsschutzes
nachträglich so gestellt wird, als ob der hälftige
Gesamtsozialversicherungsbeitrag bereits durch Abzug von dem ihm
zustehenden Bruttoentgelt vom Arbeitgeber einbehalten und
abgeführt worden wäre. Denn dem Arbeitnehmer steht
dadurch - nicht anders als nach einem ordnungsgemäßen
(ebenfalls personenbezogenen) Beitragsabzug - auch insoweit ein
eigener Rechtsanspruch auf Leistung gegen den jeweiligen
Sozialversicherungsträger zu (Senatsurteil vom 13.09.2007 - VI
R 54/03, BFHE 219, 49, BStBl II 2008, 58 = SIS 07 37 86, Rz
10).
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b) Eine vorteilsbegründende Zuordnung der
Zahlungen des Arbeitgebers zu einem Beitragskonto bewirkt die
(Nach-)Entrichtung von Beiträgen zur Gesamtsozialversicherung
aufgrund eines Summenbescheids nach § 28f Abs. 2 SGB IV jedoch
gerade nicht. Denn bei einer Zahlung des Arbeitgebers aufgrund
eines Summenbescheids werden die Beiträge zur
Gesamtsozialversicherung - anders als bei dem personenbezogenen
Beitragsabzug gemäß § 28g SGB IV - nicht nach dem
zu verbeitragenden Arbeitsentgelt individualisiert, sondern wegen
der dahingehenden „Unmöglichkeit“
anhand der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte
pauschaliert erhoben. Pauschalierte Zahlungen des Arbeitgebers
aufgrund eines Summenbescheids kommen aber - wie dargelegt und
anders als die individualisierte Beitragserhebung nach § 28g
SGB IV - nicht dem einzelnen Arbeitnehmer, sondern nur den
Sozialversicherungsträgern zugute, ohne dass diesen Zahlungen
dem Grunde nach (zukünftige) Leistungsansprüche der
Versicherungsnehmer gegenüberstehen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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