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I. Streitig ist, ob der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) verpflichtet ist,
aufgrund der im Streitjahr 2008 geltenden
Geringfügigkeitsgrenze in § 44 Abs. 1 der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) eine
Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a des
Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr (2008) anzuwendenden
Fassung (UStG) beim Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) rückgängig zu machen.
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Der Kläger ist Landwirt und
versteuerte in 2007 seine Umsätze nach den allgemeinen
Vorschriften (§ 24 Abs. 4 UStG). Im Kalenderjahr 2007 erwarb
der Kläger von einem Viehhändler aufgrund eines Vertrags
vom 31.8.2007.893 Ferkel zum Preis von brutto 38.783 EUR. Noch in
2007 veräußerte er hiervon 474 Tiere.
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Mit Wirkung auf den Beginn des Streitjahres
(2008) kehrte der Kläger zur Besteuerung nach
Durchschnittssätzen zurück. Den Restbestand der 2007
erworbenen Tiere veräußerte der Kläger am 8.1.2008
(209 Ferkel) und am 23.1.2008 (141 Ferkel). Für die im
Streitjahr (2008) veräußerten Ferkel hatte er beim
Erwerb im Jahr 2007 Vorsteuer in Höhe von 2.765 EUR (= 350
Schweine zu je 7,90 EUR Vorsteuer) in Anspruch genommen.
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Der Kläger ging in seiner
Umsatzsteuer-Voranmeldung für das I. Quartal 2008 davon aus,
dass aufgrund des Wechsels der Besteuerungsform auch die
Vorsteuerbeträge aus Aufwendungen für die im Jahr 2007
erworbenen und im Streitjahr veräußerten Ferkel
gemäß § 15a UStG zu berichtigen seien.
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Später berief sich der Kläger
gemäß § 44 Abs. 1 UStDV darauf, die
Vorsteuerberichtigung für die 350 Ferkel zu seinen Lasten habe
zu unterbleiben. Berichtigungsobjekt im Sinne der Regelung sei
jedes einzelne Ferkel, so dass die Vorsteuerberichtigung wegen
Unterschreitens des Mindestbetrags von 1.000 EUR je
Berichtigungsobjekt ausscheide.
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Der Kläger beantragte die
Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für das I. Quartal
2008, die das FA ablehnte. Im anschließenden
Einspruchsverfahren reichte der Kläger am 25.2.2010 die
Umsatzsteuererklärung für 2008 ein, die gemäß
§ 168 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) als
Umsatzsteuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
wirkte. Das Einspruchsverfahren wurde durch die
Einspruchsentscheidung vom 12.4.2010 abgeschlossen, in der das FA
die Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum aus anderen
Gründen herabsetzte. Die weiter gehend begehrte Änderung
unter Berücksichtigung des § 44 Abs. 1 UStDV in Bezug auf
die veräußerten Ferkel lehnte das FA erneut ab. Zudem
erließ das FA unter dem 12.4.2010 einen
Umsatzsteuer-Jahresbescheid für das Streitjahr 2008, in dem es
Änderungen gegenüber der Jahressteuererklärung
vornahm, dem Begehren des Klägers aber ebenfalls nicht
abhalf.
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Der Kläger erhob gegen die
Umsatzsteuerfestsetzung für das I. Quartal 2008 Klage. Das
Finanzgericht (FG) gab der Klage „wegen Umsatzsteuer
2008“ aus den in EFG 2010, 2130 = SIS 10 37 20 mitgeteilten
Gründen statt und verpflichtete das FA zur
antragsgemäßen Änderung des Umsatzsteuerbescheids
2008 vom 12.4.2010.
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Jedes der im Streitjahr 2008
veräußerten 350 Ferkel sei ein
„Wirtschaftsgut“ i.S. des § 44 Abs. 1 UStDV, so
dass für jedes Tier die Geringfügigkeitsgrenze von 1.000
EUR einzeln zu prüfen sei. Jedem Tier komme im
Geschäftsverkehr ein eigener wirtschaftlicher Wert zu, es
könne einzeln bewertet werden und habe eine gewisse
Lebensdauer. Diese Auffassung werde auch vom Bayerischen Landesamt
für Steuern in der Verfügung vom 23.7.2008 für die
Vorsteuerberichtigung bei Vieh vertreten (S 7316.2.1-3/1 St 34, UR
2008, 868).
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Das FA stützt seine Revision auf
Verletzung materiellen Rechts. Für beide im Streitjahr 2008
veräußerte Partien Ferkel sei die
Geringfügigkeitsgrenze in § 44 Abs. 1 UStDV von 1.000 EUR
(Verkäufe vom 8.1.2008: 1.651,10 EUR und vom 23.1.2008:
1.113,90 EUR) überschritten.
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Berichtigungsobjekt gemäß §
15a UStG sei das „Wirtschaftsgut“, das nach spezifisch
umsatzsteuerrechtlichen Kriterien zu bestimmen sei. Bei
vertretbaren Sachen sei nach Abschn. 218 Abs. 1 Satz 4 der
Umsatzsteuer-Richtlinien 2008 (UStR) im Streitjahr 2008 nicht die
einzelne Sache, sondern bei Berichtigungen aufgrund einer
Veräußerung der bezogenen Gegenstände, die zwischen
dem leistenden Unternehmer und dem Leistungsempfänger
geschlossene Vereinbarung maßgeblich. Tiere, die im
Massentierhandel verkauft würden, seien gemäß
§§ 90a, 91 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)
vertretbare Sachen. Nach den vertraglichen Vereinbarungen habe der
Kläger im Streitjahr 209 Tiere und 141 Tiere als einheitlichen
Liefergegenstand jeweils für einen Gesamtpreis
veräußert. Die Vereinbarung eines Gesamtkaufpreises
für eine bestimmte Anzahl von Mastschweinen, die jeweils nicht
individualisiert seien, führe zu einer Sachgesamtheit (der
„Partie“), die Liefergegenstand und Berichtigungsobjekt
sei (Hinweis auf Abschn. 24 Abs. 1 Satz 2, 214 Abs. 1 Sätze 4
und 5 UStR 2008). Die „Partie“ der Tiere werde im
Geschäftsverkehr als Sachgesamtheit bewertet, habe einen
eigenen wirtschaftlichen Wert, der mit der Summe der Einzeltiere
nicht identisch sei und eine eigene Vermarktbarkeit.
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Das FA beantragt sinngemäß, die
Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Mastschweine seien entgegen der Auffassung
des FA keine vertretbaren Sachen i.S. des § 91 BGB. Werde eine
Partie mehrerer Tiere veräußert, seien die
Verhältnisse jedes einzelnen Tieres maßgeblich für
die Bildung des Gesamtkaufpreises, da dieser nach dem Fettgehalt
der Tiere berechnet werde und einzelne Tiere aussortiert werden
müssten. Es sei zweifelhaft, ob für die Regelungen zur
Vorsteuerberichtigung zwischen vertretbaren und unvertretbaren
Sachen zu unterscheiden sei. Die Vorentscheidung vertrete
zutreffend, dass sich hierfür im Gesetz keine Stütze
finde.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat im Ergebnis zu Recht
die Voraussetzungen einer Vorsteuerberichtigung zu Lasten des
Klägers verneint.
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1. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon
ausgegangen, dass Gegenstand des Klageverfahrens der
Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2008 vom 12.4.2010 war.
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a) Ergeht während des Verfahrens
über den Einspruch gegen einen
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid ein
Umsatzsteuer-Jahresbescheid, wird dieser gemäß §
365 Abs. 3 AO Gegenstand des Einspruchsverfahrens (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4.11.1999 V R 35/98, BFHE 190, 67,
BStBl II 2000, 454 = SIS 00 03 04). Ebenso wie die entsprechende
Regelung in § 68 FGO für das Klageverfahren (hierzu
BFH-Entscheidungen vom 29.11.2001 IV R 66/99, BFH/NV 2002, 524 =
SIS 02 58 67; vom 18.12.2003 II B 31/00, BFHE 204, 35, BStBl II
2004, 237 = SIS 04 05 68; vom 27.4.2004 X R 28/02, BFH/NV 2004,
1287 = SIS 04 33 09) gilt § 365 Abs. 3 AO auch für
Verpflichtungsbegehren. Der Anwendung des § 365 Abs. 3 AO
steht somit nicht entgegen, dass es sich bei einem Antrag auf
Herabsetzung des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids um ein
Verpflichtungsbegehren handelt, während ein gegen einen
Umsatzsteuer-Jahresbescheid erhobener Einspruch ein
Anfechtungsbegehren enthält. Dem Zweck der Vorschrift
entsprechend ist entscheidend, ob der angefochtene
ursprüngliche und der neue Bescheid „dieselbe
Steuersache“ betreffen (vgl. zur entsprechenden Regelung
im FG-Verfahren - § 68 FGO - das BFH-Urteil in BFH/NV 2004,
1287 = SIS 04 33 09). Das ist nach ständiger Rechtsprechung im
Verhältnis des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids zum
Umsatzsteuer-Jahresbescheid der Fall (vgl. BFH-Entscheidungen in
BFHE 190, 67, BStBl II 2000, 454 = SIS 00 03 04; vom 3.11.2005 V R
63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337 = SIS 06 12 75; vom
10.11.2010 XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311 = SIS 10 42 41; vom 12.4.2010 V B 115/09, BFH/NV 2010, 1829 = SIS 10 27 40).
Gegenstand des Einspruchsverfahrens gegen die abgelehnte
Änderung des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids für das
I. Quartal des Streitjahres 2008 wurde daher mit ihrer Abgabe am
25.2.2010 die gemäß § 168 Satz 1 AO als
Umsatzsteuerfestsetzung wirkende
Umsatzsteuer-Jahreserklärung.
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b) Das FA hat ungeachtet dessen in der
Einspruchsentscheidung vom 12.4.2010 zu Unrecht nur über die
abgelehnte Änderung des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids
für das I. Quartal des Streitjahres 2008 entschieden und der
Kläger hiergegen Klage erhoben. Streitgegenstand der Klage ist
gleichwohl wegen der Identität des Streitgegenstands im
Einspruchs- und anschließendem Klageverfahren der
Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2008 vom 12.4.2010 (vgl. hierzu
BFH-Entscheidungen vom 21.4.1993 XI R 37-54/92 u.a., BFH/NV 1994,
45; vom 2.7.2008 VII B 67/08, BFH/NV 2008, 1901 = SIS 08 38 48;
Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 44
Rz 32). Dass der Kläger in Übereinstimmung mit dem Inhalt
der Einspruchsentscheidung zunächst den
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das I. Quartal des
Streitjahres 2008 als Klagegegenstand bezeichnet hat, ist nach der
Anpassung seines Klagebegehrens unerheblich (vgl. hierzu den
BFH-Beschluss vom 23.4.2009 X B 43/08, BFH/NV 2009, 1443 = SIS 09 26 72). Der Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2008 in Gestalt der
Umsatzsteuererklärung vom 25.2.2010 ist durch den zeitgleich
mit der Einspruchsentscheidung vom 12.4.2010 bekannt gegebenen
Umsatzsteueränderungsbescheid 2008 des FA vom 12.4.2010
ersetzt worden.
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c) Die Einspruchsentscheidung vom 12.4.2010
und der geänderte Jahressteuerbescheid 2008 vom selben Tage
gelten gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tage
nach ihrer Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn
sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sind. Im
Streitfall kann offen bleiben, ob die Einspruchsentscheidung und
der geänderte Jahressteuerbescheid für das Streitjahr
2008 dem Kläger gleichzeitig oder nacheinander und in welcher
Reihenfolge bekannt gegeben worden sind. Denn entweder ist der
Umsatzsteuer-Änderungsbescheid 2008 vom 12.4.2010 noch
Gegenstand des Einspruchsverfahrens und deshalb auch des
Klageverfahrens geworden oder - wenn der Änderungsbescheid vom
12.4.2010 erst nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung wirksam
geworden sein sollte - er ist gemäß § 68 Abs. 1 FGO
zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden.
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2. Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut,
das nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet
wird, die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug
maßgebenden Verhältnisse, ist gemäß §
15a Abs. 2 UStG eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs für den
Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem das Wirtschaftsgut
verwendet wird. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall
erfüllt.
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a) Zu Recht gehen das FG und die Beteiligten
davon aus, dass eine Änderung der für den Vorsteuerabzug
maßgebenden Verhältnisse nach § 15a Abs. 7 UStG
durch den Übergang des Klägers von der allgemeinen
Besteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG
eingetreten ist.
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Der Kläger hat im Streitjahr die noch
veräußerten 350 Ferkel einmalig zur Ausführung von
Umsätzen im Sinne der Regelung verwendet.
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b) „Wirtschaftsgut“ im
Sinne der Regelung und damit Berichtigungsobjekt ist entgegen der
Auffassung des FA das einzelne Ferkel und nicht der erworbene oder
veräußerte Bestand an Tieren.
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aa) § 15a Abs. 2 UStG ist durch Art. 5
Nr. 12 des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes (EURLUmsG) vom 9.12.2004
(BGBl I 2004, 3310) eingeführt worden. Unionsrechtlich sind
„Investitionsgüter“ Berichtigungsobjekte
(vgl. Art. 187 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem -
MwStSystRL - und die Vorgängerregelung in Art. 20 Abs. 2 der
Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern 77/388/EWG -
Richtlinie 77/388/EWG - ). Art. 189 Buchst. a MwStSystRL (zuvor
Art. 20 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG) erlaubt den
Mitgliedstaaten, bei Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht
den Begriff „Investitionsgüter“ und damit
einzelne Berichtigungsobjekte zu definieren. Nach nationalem Recht
sind Berichtigungsobjekte
„Wirtschaftsgüter“, die nicht nur einmalig
zur Ausführung von Umsätzen verwendet werden (§ 15a
Abs. 1), Wirtschaftsgüter, die nur einmalig zur
Ausführung von Umsätzen verwendet werden (§ 15a Abs.
2 UStG), die in § 15a Abs. 3 genannten Bestandteile und
sonstigen Leistungen, die in § 15a Abs. 4 UStG bezeichneten
sonstigen Leistungen sowie unter den Voraussetzungen des § 15a
Abs. 6 UStG auch nachträgliche Anschaffungs- und
Herstellungskosten.
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bb) Für eine Einzelbetrachtung bei der
Auslegung des Merkmals „Wirtschaftsgut“ spricht,
dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union (EuGH) im Rahmen des Leistungsaustauschs bei Vorliegen eines
Bündels von Einzelleistungen und Handlungen jede Leistung als
eigene selbständige Leistung anzusehen ist (vgl. z.B.
EuGH-Urteile vom 25.2.1999 C-349/96, Card Protection Plan (CPP),
Slg. 1999, I-973 = SIS 99 10 25 Rdnrn. 29, 30; vom 27.10.2005
C-41/04, Levob, Slg. 2005, I-9433, BFH/NV Beilage 2006, 38 = SIS 06 02 01 Rdnrn. 19 bis 22; zum Ganzen BFH-Beschluss vom 28.10.2010 V R
9/10, BFHE 231, 360, BStBl II 2011, 306 = SIS 11 02 28, unter
II.3.a aa, m.w.N.). Hiervon gilt eine Ausnahme, wenn die
Einzelbetrachtung dazu führt, dass eine wirtschaftlich
einheitliche Leistung künstlich aufgespalten wird. Dies ist
etwa der Fall, wenn sog. untrennbare Leistungen vorliegen (vgl. im
Einzelnen Senatsbeschluss in BFHE 231, 360, BStBl II 2011, 306 =
SIS 11 02 28, unter II.3.a cc (2), m.w.N.). Ob eine einheitliche
Leistung vorliegt, ist aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers
zu bestimmen und im Wesentlichen das Ergebnis einer
tatsächlichen Würdigung durch das FG (vgl. z.B.
BFH-Urteile vom 17.4.2008 V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712 = SIS 08 36 15, unter II.2.d; vom 6.9.2007 V R 14/06, BFH/NV 2008, 624 = SIS 08 14 54, unter II.2. und 3.; vom 6.12.2007 V R 66/05, BFHE 221, 60,
BStBl II 2008, 638 = SIS 08 12 04, unter II.3.; vom 13.1.2011 V R
63/09, BFHE 233, 64, BStBl II 2011, 461 = SIS 11 08 86, unter
II.1.a). Aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers ist ein
„Wirtschaftsgut“ ein Gut, das nach der
Verkehrsauffassung selbständig verkehrsfähig und
bewertbar ist (vgl. Widmann in Plückebaum/Malitzky/Widmann,
Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 15a Rz 44). Auf dieser
Grundlage ist das FG zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass es
sich bei den einzelnen Ferkeln jeweils um eigenständige
Wirtschaftsgüter handelt. Es hat darauf abgestellt, dass jedem
einzelnen Tier im Geschäftsverkehr ein eigener
wirtschaftlicher Wert zukomme, und es könne einzeln bewertet
werden. Die „Partie“ der einzelnen Schweine
bilde - so das FG - auch deshalb keine einheitliche Sache
(Sachgesamtheit), weil die Tiere für gewöhnlich nicht
über die gesamte Nutzungsdauer beieinander blieben. Die
zivilrechtliche Wertung gemäß § 90a Satz 1 BGB,
dass Tiere keine Sachen sind, sondern nur entsprechend der für
Sachen geltenden Vorschriften zu behandeln sind, spricht nach
Auffassung des Senats unter Berücksichtigung der den
Mitgliedstaaten zustehenden Definitionsbefugnis (s. oben II.2.b aa)
ebenfalls dafür, dass nach Sicht des Durchschnittsverbrauchers
einzelne Tiere für sich betrachtet
„Wirtschaftsgüter“ sind.
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cc) Hierfür spricht weiter, dass jeder
Erwerbsvorgang gleich behandelt wird. Die Auslegung des FA
hätte demgegenüber zur Folge, dass bei Lieferungen an den
Steuerpflichtigen auf der Grundlage eines Vertrags, in dem die
einzelnen Tiere als Liefergegenstände nicht individualisiert
wären, stets die Sachgesamtheit (Partie) der Tiere
Liefergegenstand und Berichtigungsobjekt wäre. Die
Anwendbarkeit des § 44 Abs. 1 UStDV hinge dann davon ab, ob
mit den Vorsteuerbeträgen, die auf die jeweils erworbene
Anzahl von Tieren entfielen, der Grenzbetrag überschritten
würde. Eine solche Auslegung vermag nicht zu überzeugen.
Die Auslegung des Merkmals „Wirtschaftsgut“ muss
den Umständen jedes einzelnen Erwerbsvorgangs gerecht
werden.
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dd) Das vorstehende Auslegungsergebnis wird
schließlich durch die handelsrechtlichen und
ertragsteuerlichen Wertungen gestützt. Tiere, die - wie im
Streitfall - ertragsteuerlich dem Umlaufvermögen zuzurechnen
sind, sind grundsätzlich einzeln zu bewerten. Die
Möglichkeit, aus Gründen der Praktikabilität bei der
Bewertung von Tierbeständen von einer Gruppenbewertung
gemäß § 240 Abs. 4 des Handelsgesetzbuchs Gebrauch
machen zu können, führt nicht zu einer Zusammenfassung
mehrerer Wirtschaftsgüter zu einem Wirtschaftsgut, sondern
lediglich zu einem einheitlichen Wertansatz für mehrere
Wirtschaftsgüter (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 6.8.1998 IV R
67/97, BFHE 186, 402, BStBl II 1999, 14 = SIS 98 22 18; vom
13.2.2003 IV R 72/00, BFH/NV 2003, 1155 = SIS 03 36 85, unter
II.2.d; Leingärtner/Wendt, Besteuerung der Landwirte, Kap. 29a
Rz 191).
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3. Die Vorsteuerberichtigung zu Lasten des
Klägers hat im Streitfall gemäß § 15a Abs. 11
Nr. 1 UStG i.V.m. § 44 Abs. 1 UStDV zu unterbleiben, da die
auf die Anschaffungs- und Herstellungskosten jedes Tieres
entfallende Vorsteuer den Betrag von 1.000 EUR nicht
übersteigt, ebenso Wenzel in Rau/ Dürrwächter,
Umsatzsteuergesetz, § 15a Rz 181; Bülow in Vogel/
Schwarz, UStG, § 15a Rz 201; a.A. Hundt-Eßwein in
Offerhaus/ Söhn/Lange, § 15a UStG Rz 134a, 135; Schreiben
des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 6.12.2005, BStBl I
2005, 1068 = SIS 06 01 88, Tz. 58). Der abweichenden Auffassung des
BMF in Abschn. 218 Abs. 1 Satz 4 UStR 2008 (nunmehr Abschn. 15a.11.
Abs. 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses), die bei vertretbaren
Sachen zur Bestimmung des Wirtschaftsguts auf die vertraglichen
Vereinbarungen - den Vertragsgegenstand - zwischen leistendem
Unternehmer und Leistungsempfänger abstellt, folgt der Senat
jedenfalls für Mastschweine nicht (wie hier auch
Verfügung des Bayerischen Landesamts für Steuern vom
23.7.2008 S-7316.2.1, UR 2008, 868; anders anscheinend nunmehr in
Verfügung vom 10.2.2011 S 7316.2.1-3/3 St 33, juris, unter Tz.
2, 6 und Beispiel 3 zu Tz. 9).
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