1
|
A. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) betreibt eine Schmiede als gewerbliches
Einzelunternehmen. Er ermittelt seinen Gewinn durch
Einnahmen-Überschuss-Rechnung. In seiner Erklärung zur
gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb
für das Streitjahr 2006 wies er ausdrücklich darauf hin,
dass er die Anlage EÜR nicht beigefügt habe, weil nach
seiner Auffassung keine wirksame gesetzliche Grundlage für die
Verpflichtung zur Einreichung dieses Vordrucks existiere.
Stattdessen reichte er eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung ein,
die er unter Anwendung der DATEV-Software erstellt hatte.
|
|
|
2
|
Mit Bescheid vom 15.2.2008 stellte der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) den
Gewinn aus Gewerbebetrieb erklärungsgemäß auf 27.303
EUR fest. Die Feststellung erging nicht unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung. In einer Anlage zum Bescheid bat das FA um
Nachreichung der Anlage EÜR innerhalb von vier Wochen nach
Erhalt des Bescheids. In der Rechtsmittelbelehrung ist lediglich
von der Möglichkeit eines Einspruchs gegen den
Gewinnfeststellungsbescheid die Rede. Mit Schreiben vom 18.3.2008
erinnerte das FA den Kläger an die Abgabe der Anlage
EÜR.
|
|
|
3
|
Am 27.3.2008 legte der Kläger
Einspruch gegen die Erinnerung vom 18.3.2008 ein. Auf Hinweis des
FA erweiterte er seinen Einspruch am 28.4.2008 auch auf die
Aufforderung vom 15.2.2008. Er vertrat die Auffassung, die
Aufforderung habe keine Rechtsgrundlage, da § 60 Abs. 4 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) unwirksam sei.
Die in der DATEV-Gliederung eingereichte Gewinnermittlung enthalte
wesentlich detailliertere Informationen als die Anlage EÜR, so
dass nicht erkennbar sei, welcher Vorteil für die
Finanzverwaltung mit der Anlage EÜR verbunden sei. Der Aufwand
für das Umrechnen der vorhandenen Daten in die Gliederung der
Anlage EÜR sei unverhältnismäßig. Zur
Überführung der DATEV-Gliederung in die Gliederung der
Anlage EÜR sei die Einrichtung von 60 neuen Konten
erforderlich.
|
|
|
4
|
Das FA verwarf den Einspruch gegen die
Erinnerung vom 18.3.2008 als unzulässig, weil es sich dabei
nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Den Einspruch gegen
die Aufforderung vom 15.2.2008 hielt es hingegen für
zulässig, insbesondere für fristgerecht erhoben. Denn
mangels eigenständiger Rechtsbehelfsbelehrung sei die
Jahresfrist des § 356 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO)
anzuwenden. Der Einspruch sei aber unbegründet, weil § 60
Abs. 4 EStDV wirksam sei und der Finanzverwaltung keinen
Ermessensspielraum belasse.
|
|
|
5
|
Die Klage - die der Kläger im Verlauf
des Verfahrens auf die Aufforderung vom 15.2.2008 beschränkt
hat - hatte Erfolg (EFG 2009, 818 = SIS 09 17 30). Das
Finanzgericht (FG) hielt § 60 Abs. 4 EStDV für unwirksam,
weil diese Vorschrift sich nicht im Rahmen ihrer
Ermächtigungsgrundlage halte. Zum einen führe die Anlage
EÜR nicht zu der von § 51 Abs. 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) vorausgesetzten Vereinfachung des
Besteuerungsverfahrens. Denn bei allen Steuerpflichtigen, die ihre
Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach anderen
Gliederungsstandards erstellten, entstehe ein Mehraufwand.
|
|
|
6
|
Zum anderen werde auch der in § 51
Abs. 1 Nr. 1 EStG alternativ vorgesehene Verordnungszweck der
Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung durch die
Anlage EÜR nicht erfüllt. Zwar dienten die durch die
Anlage EÜR ermöglichten maschinellen Abgleiche und
Plausibilitätsprüfungen durchaus der
Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie seien Teil des
zulässigen Konzepts eines maßvollen Gesetzesvollzugs
einschließlich eines Risikomanagements, von dem die meisten
Steuerpflichtigen profitieren würden. Auch sei der Aufwand der
Steuerpflichtigen für das Ausfüllen der Anlage EÜR
vernachlässigbar, weil zu erwarten sei, dass die meisten
Steuerpflichtigen ihre Aufzeichnungen an die Anlage EÜR
anpassen und gewerbliche Softwareanbieter ihre Systeme entsprechend
angleichen würden. Zudem seien durch dasselbe Gesetz, mit dem
§ 60 Abs. 4 EStDV angefügt worden sei, die
Buchführungsgrenzen erheblich angehoben worden, so dass
zahlreiche Steuerpflichtige aus der - nur mit wesentlich
größerem Aufwand zu erfüllenden -
Buchführungspflicht herausgefallen seien. Gleichwohl diene
§ 60 Abs. 4 EStDV nicht der Gleichmäßigkeit der
Besteuerung, weil die Anlage EÜR die von ihr betroffenen
Steuerpflichtigen benachteilige, indem die Kontrolldichte im
Vergleich zu Land- und Forstwirten sowie zu Bilanzierenden
erhöht werde. Denn für die zuletzt genannten
Personenkreise seien im Streitjahr 2006 noch keine
rechnergestützten Plausibilitätskontrollen vorgesehen
gewesen.
|
|
|
7
|
In jedem Fall hätte aber die in §
60 Abs. 4 EStDV getroffene Anordnung eines Parlamentsgesetzes
bedurft. Denn zuvor seien für die Fälle des § 4 Abs.
3 EStG weder bestimmte Formen der Gewinnermittlung noch allgemeine
Aufzeichnungspflichten vorgeschrieben gewesen. Die nunmehr
vorgesehene Form der Einnahmen-Überschuss-Rechnung entspreche
von ihrem Sinngehalt her der Verpflichtung zur Erstellung von
Bilanzen, die aber auf einem formellen Gesetz (Handelsgesetzbuch)
beruhe.
|
|
|
8
|
Mit seiner Revision bringt das FA vor, die
Befugnis zur Einführung der Anlage EÜR folge - ohne
Notwendigkeit der Heranziehung des § 60 Abs. 4 EStDV - bereits
aus § 51 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. c EStG in der im Streitjahr 2006
geltenden Fassung (Ermächtigung, die Vordrucke für die
Erklärungen zur Einkommensbesteuerung zu bestimmen; ab 2009
§ 51 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. b EStG). Hilfsweise seien aber auch
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG
erfüllt. Die Anlage EÜR diene der Vereinfachung des
Besteuerungsverfahrens. Das FG habe übersehen, dass die
Prüfung sich nicht allein an den Verhältnissen eines
einzelnen Steuerpflichtigen orientieren dürfe, sondern auch
solche Vereinfachungswirkungen einbeziehen müsse, die sich
für die Finanzverwaltung und die Gesamtheit der
Steuerpflichtigen ergäben.
|
|
|
9
|
Daneben diene die Anlage EÜR auch der
Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Im Gegensatz zur
Auffassung des FG gelte die Regelung des § 60 Abs. 4 EStDV
uneingeschränkt auch für Land- und Forstwirte. Die
Nichtanwendung auf bilanzierende Steuerpflichtige stelle keine
relevante Ungleichbehandlung dar. Zum einen würden diese
Personen - je nach Betriebsgröße - in erheblich
kürzeren Zeitabständen als Überschussrechner der
Außenprüfung unterliegen und schon auf diesem Wege
intensiv geprüft. Zum anderen habe der Gesetzgeber seit
Einführung des § 60 Abs. 4 EStDV das Ziel verfolgt, bei
allen Formen der Gewinnermittlung die Standardisierung zu
erhöhen. Dieses Vorhaben sei zwischenzeitlich durch § 5b
EStG verwirklicht worden. Die - vom FG geforderte - gleichzeitige
Umsetzung mehrerer derartiger EDV-technischer Großprojekte
würde die Kapazitäten sowohl der Finanzverwaltung als
auch der Steuerpflichtigen und ihrer Berater
überfordern.
|
|
|
10
|
Die Einführung der Anlage EÜR sei
nicht dem Parlamentsgesetzgeber vorbehalten gewesen. Der Charakter
der in § 4 Abs. 3 EStG vorgesehenen Gewinnermittlungsart
ändere sich durch die Vorgabe eines bestimmten
Gliederungsschemas nicht.
|
|
|
11
|
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
12
|
Das dem Revisionsverfahren beigetretene
Bundesministerium der Finanzen (BMF) unterstützt das
Vorbringen des FA, stellt aber keinen Antrag.
|
|
|
13
|
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
14
|
Er bezieht sich im Wesentlichen auf die
Entscheidung der Vorinstanz, die seine Argumentation
übernommen habe. Ergänzend behauptet er, die
Finanzverwaltung fordere in vielen Fällen zusätzlich zur
gesetzlichen Anlage EÜR noch eine ausführliche
Kontenaufgliederung nach dem DATEV-System nach. Daher sei eine
Vereinfachungswirkung nicht erkennbar. Die Anlage EÜR sei
weder für die betriebswirtschaftliche Information des
Steuerpflichtigen selbst noch für die Vorlage bei Banken,
Mitgesellschaftern, „shareholdern“ oder
„stakeholdern“ geeignet. Für die Erstellung der
Anlage EÜR genüge eine bloße Umstellung der
verwendeten Software nicht; vielmehr müssten bereits die
Geschäftsvorfälle in anderer und aufwändigerer Weise
„verbucht“ werden. Die Finanzverwaltung sollte besser
die Daten der DATEV elektronisch übernehmen und auf
Plausibilität prüfen.
|
|
|
15
|
B. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
16
|
I. Die Klage war zulässig und als
Anfechtungsklage statthaft. Insbesondere handelt es sich bei der in
der Anlage zum Feststellungsbescheid vom 15.2.2008 enthaltenen
Aufforderung, die Anlage EÜR innerhalb von vier Wochen
nachzureichen, um einen anfechtbaren Verwaltungsakt.
|
|
|
17
|
In Teilen der instanzgerichtlichen
Rechtsprechung sowie der Literatur wird der Regelungsgehalt einer
Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung bzw. zur
Einreichung bestimmter Unterlagen - und damit das Vorliegen eines
Verwaltungsaktes - verneint, wenn sich die
Steuererklärungspflicht bzw. die Pflicht zur Beifügung
bestimmter Unterlagen als solche bereits aus dem Gesetz ergibt (FG
München, Beschluss vom 10.4.1995 1 V 2335/94, EFG 1995, 752,
rkr.; Söhn in Hübschmann/ Hepp/Spitaler - HHSp -, §
118 AO Rz 543, Stand Juni 2006). Dies wäre vorliegend
angesichts der Vorschrift des § 60 Abs. 4 EStDV - dessen
Wirksamkeit unterstellt - der Fall.
|
|
|
18
|
Nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung stellt indes auch eine gesetzeskonkretisierende
Aufforderung zur Einreichung von Unterlagen, die der
Steuererklärung beizufügen sind, einen Verwaltungsakt dar
(Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22.12.1993 I B 59/93,
nicht veröffentlicht, juris, unter 3.a, betr. Beifügung
der Bilanz i.S. des § 60 Abs. 1 EStDV). Denn das für die
Unterscheidung zwischen einem Verwaltungsakt und einer bloßen
Vorbereitungshandlung entscheidende Kriterium ist im Steuerrecht
die Erzwingbarkeit der Maßnahme nach den Vorschriften der
§§ 328 ff. AO (BFH-Urteil vom 10.11.1998 VIII R 3/98,
BFHE 187, 386, BStBl II 1999, 199 = SIS 99 07 40, unter 1.a;
kritisch Söhn in HHSp, § 118 AO Rz 179 ff.). Erzwingbar
sind gemäß §§ 328 ff. AO aber allein
Verwaltungsakte. Die abstrakte Pflicht zur Abgabe von
Steuererklärungen oder zur Beifügung bestimmter
Unterlagen kann daher nicht bereits als solche mit Zwangsmitteln
durchgesetzt werden; sie bedarf vielmehr einer Konkretisierung und
Individualisierung durch einen Verwaltungsakt, der erst die
Grundlage für den Einsatz von Zwangsmitteln darstellen
kann.
|
|
|
19
|
Die bloße Erinnerung an die Befolgung
einer früheren Aufforderung zur Einreichung von Unterlagen zur
Steuererklärung stellt hingegen mangels Regelungsgehalts
keinen Verwaltungsakt dar (BFH-Urteil vom 2.7.1997 I R 45/96,
BFH/NV 1998, 14; anders möglicherweise BFH-Urteil vom
11.10.1989 I R 101/87, BFHE 159, 98, BStBl II 1990, 280 = SIS 90 08 50, unter II.A.1.).
|
|
|
20
|
Zu Recht haben FA und FG die Einspruchsfrist
als gewahrt angesehen, da die Rechtsbehelfsbelehrung
unvollständig war. Weil dies zwischen den Beteiligten nicht
streitig ist, sieht der Senat insoweit von weiteren
Ausführungen ab.
|
|
|
21
|
II. Die Aufforderung des FA an den
Kläger, die Anlage EÜR nachzureichen, ist
rechtmäßig. Dieses Verlangen beruht auf einer wirksamen
Rechtsgrundlage (dazu unten 1.) und ist auch im Übrigen zu
Recht ergangen (dazu unten 2.).
|
|
|
22
|
1. Rechtsgrundlage für die an den
Kläger gerichtete Aufforderung ist § 60 Abs. 4 EStDV.
Danach ist der Steuererklärung eine Gewinnermittlung nach
amtlich vorgeschriebenem Vordruck beizufügen, wenn der Gewinn
nach § 4 Abs. 3 EStG durch den Überschuss der
Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ermittelt wird.
Den Steuererklärungen müssen die Unterlagen
beigefügt werden, die nach den Steuergesetzen - zu denen auch
der im Range einer Rechtsverordnung stehende § 60 Abs. 4 EStDV
gehört - vorzulegen sind (§ 150 Abs. 4 Satz 1 AO).
|
|
|
23
|
Die Vorschrift des § 60 Abs. 4 EStDV
beruht auf einer Ermächtigungsgrundlage, die ihrerseits
verfassungsgemäß ist (unten a). Auch die Rechtsverordnung
ist formell (dazu unten b) und materiell (unten c)
verfassungsgemäß.
|
|
|
24
|
a) Formell-gesetzliche
Ermächtigungsgrundlage für § 60 Abs. 4 EStDV ist die
Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG. Danach wird
die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates
zur Durchführung des EStG Rechtsverordnungen zu erlassen,
soweit dies zur Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der
Besteuerung ... oder zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens
erforderlich ist, und zwar u.a. über die den
Einkommensteuererklärungen beizufügenden Unterlagen.
|
|
|
25
|
aa) Die genannte Norm enthält i.S. von
Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) eine hinreichende
Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten
Ermächtigung. Inhalt der Ermächtigung ist die Festlegung
der den Einkommensteuererklärungen beizufügenden
Unterlagen. Ihr Zweck liegt in der Wahrung der
Gleichmäßigkeit der Besteuerung oder der Vereinfachung
des Besteuerungsverfahrens. Das Ausmaß der Ermächtigung
wird zwar in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht
ausdrücklich genannt; die Grenzen der Ermächtigung lassen
sich insoweit aber ihrem Inhalt und Zweck entnehmen. Danach geht
das Ausmaß der Ermächtigung hier nicht über das zur
Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung oder der
Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens Erforderliche hinaus.
|
|
|
26
|
bb) Sonstige Bedenken gegen die
Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage sind
weder vom FG noch den Beteiligten vorgebracht worden noch sonst
ersichtlich.
|
|
|
27
|
b) § 60 Abs. 4 EStDV ist - was weder vom
FG noch von den Beteiligten angesprochen worden ist - formell
verfassungsgemäß. Weder der Normerlass durch einen nicht
in Art. 80 Abs. 1 GG genannten Normgeber (dazu unten aa) noch die -
entgegen Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG - unterbliebene Zitierung der
Ermächtigungsgrundlage (dazu unten bb) führen zur Annahme
eines durchgreifenden formellen Mangels. Der Bundesrat hat
zugestimmt (unten cc).
|
|
|
28
|
aa) Die Rechtsverordnung ist insoweit zwar
nicht durch einen der in Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 4 GG genannten
exekutivischen Normgeber erlassen worden, sondern durch den
parlamentarischen Gesetzgeber selbst. Ein solches Verfahren ist
aber nicht generell unzulässig. Wegen der Einzelheiten nimmt
der Senat auf die ausführlichen Darlegungen im Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13.9.2005 2 BvF 2/03
(BVerfGE 114, 196, unter C.II.2.) Bezug.
|
|
|
29
|
Die vom BVerfG (in BVerfGE 114, 196, unter
C.II.2.c) genannten einschränkenden Voraussetzungen sind
vorliegend gegeben: So darf der Parlamentsgesetzgeber eine
Verordnung nur ändern, wenn es sich um eine Anpassung handelt,
die im Rahmen der - anderweitigen - Änderung eines
Sachbereichs durch den Gesetzgeber liegt. Dies ist hier der Fall,
da mit dem Kleinunternehmerförderungsgesetz (im Folgenden:
KleinUntFördG) vom 31.7.2003 (BGBl I 2003, 1550) an mehreren
Stellen im formellen Gesetz (EStG, UStG, AO) Änderungen in
Bezug auf Kleinunternehmer, insbesondere Erleichterungen bei den
Buchführungspflichten, vorgenommen worden sind. Das Verfahren
nach Art. 76 ff. GG ist eingehalten worden. Zwar ist auch der
parlamentarische Gesetzgeber, der selbst eine Verordnung
ändert, an die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage
gebunden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 114, 196, unter C.II.2.c cc).
Diese Grenzen sind aber beachtet worden (unten c aa).
|
|
|
30
|
bb) Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG
ist in der Verordnung allerdings die Rechtsgrundlage
(Ermächtigungsgrundlage) anzugeben. Dieses Zitiergebot ist bei
der Anfügung des § 60 Abs. 4 EStDV durch das
KleinUntFördG nicht beachtet worden. Seine Einhaltung ist bei
Verordnungen, die durch den Parlamentsgesetzgeber erlassen werden,
indes entbehrlich.
|
|
|
31
|
Zweck des Zitiergebots ist es, die Delegation
von Rechtsetzungskompetenzen auf die Exekutive in ihren
gesetzlichen Grundlagen verständlich und kontrollierbar zu
machen. Es soll die Feststellung ermöglichen, ob der
Verordnungsgeber beim Erlass der Regelungen von einer gesetzlichen
Ermächtigung überhaupt hat Gebrauch machen wollen. Die
Exekutive muss sich selbst durch Angabe der von ihr in Anspruch
genommenen Ermächtigungsgrundlage des ihr aufgegebenen
Normsetzungsprogramms vergewissern und hat sich auf dieses zu
beschränken. Daneben dient Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG der
Offenlegung des Ermächtigungsrahmens gegenüber dem
Adressaten der Verordnung, dem die Kontrolle ermöglicht werden
soll, ob die Verordnung mit dem ermächtigenden Gesetz
übereinstimmt (zum Ganzen BVerfG-Urteil vom 6.7.1999 2 BvF
3/90, BVerfGE 101, 1, unter D.I.1.).
|
|
|
32
|
Zumindest die erstgenannten Zwecke des
Zitiergebots sind bei Rechtsverordnungen, die nicht durch die
Exekutive, sondern im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren
gemäß Art. 76 ff. GG erlassen werden, allenfalls von
abgeschwächter Bedeutung. Denn einer Vergewisserung der
Exekutive über den ihr zustehenden, beschränkten
Normsetzungsrahmen bedarf es nicht, wenn die Normsetzung gar nicht
durch die Exekutive erfolgt.
|
|
|
33
|
Soweit in der Literatur darüber hinaus
angeführt wird, das Zitiergebot diene auch der erleichterten
Abgrenzung zwischen den Handlungsformen der Rechtsverordnung
einerseits und der Verwaltungsvorschrift andererseits (Brenner, in
v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, 6. Aufl., Art. 80 Rz 48), hat dieser
Gesichtspunkt bei solchen Verordnungen, die im parlamentarischen
Verfahren erlassen werden, erkennbar keine Bedeutung.
|
|
|
34
|
Nach Auffassung des Senats kann dann allein
der vom BVerfG ergänzend genannte Gesichtspunkt der
verbesserten Möglichkeit einer Kontrolle durch die Adressaten
ein formales Festhalten am Zitiergebot bei Verordnungen, die wie
ein Parlamentsgesetz erlassen werden, nicht rechtfertigen.
Entsprechend hat das BVerfG zur - parallelen - Frage der
Notwendigkeit einer Zustimmung des Bundesrates zu
Rechtsverordnungen entschieden, dass eine
Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon dann besteht, wenn die
Rechtsverordnung aufgrund eines Bundesgesetzes erlassen wird, das
seinerseits der Zustimmung des Bundesrates bedarf (so Art. 80 Abs.
2 Alternative 4 GG), sondern sich dies allein nach den Regeln
für die Zustimmungsbedürftigkeit förmlicher Gesetze
beurteilt (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 114, 196, unter C.I.3.c,
C.II.2.c dd).
|
|
|
35
|
Der Senat sieht sich in seiner Auffassung
dadurch bestärkt, dass das BVerfG die Anfügung von §
6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 6 der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) durch
das Beitragssatzsicherungsgesetz vom 23.12.2002 (BGBl I 2002, 4637)
trotz einer intensiven Prüfung der formellen
Verfassungsmäßigkeit dieser Verordnung nicht beanstandet
hat, obwohl in dem genannten Änderungsgesetz die
formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die
Ergänzung der BPflV - ebenso wie bei der Anfügung des
§ 60 Abs. 4 EStDV durch das KleinUntFördG - nicht
angegeben worden ist (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 114, 196,
insbesondere die detaillierten Vorgaben zu dem vom
Parlamentsgesetzgeber bei Änderungen von Rechtsverordnungen
einzuhaltenden Verfahren unter C.II.2.c aa-ee der genannten
Entscheidung, in denen von der Notwendigkeit einer Beachtung des
Zitiergebots nicht die Rede ist; ebenso im Ergebnis Seiler, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff - KSM -, EStG, § 51 Rz B 152;
siehe auch Bauer in Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl., Art.
80 Rz 50). Im Sondervotum zweier Richter zu der genannten
Entscheidung (BVerfGE 114, 196, 250, unter 3.b am Ende) wird die
fehlende Anwendung des Zitiergebots als
„inkonsequent“ gerügt, was im Umkehrschluss
zeigt, dass die Entscheidung der Senatsmehrheit des BVerfG auf
einer bewussten Nichtanwendung des Zitiergebots auf
Rechtsverordnungen, die im parlamentarischen Verfahren erlassen
werden, beruht.
|
|
|
36
|
cc) Der Bundesrat hat zugestimmt; die
Notwendigkeit der Zustimmung beruht nach den unter bb dargestellten
Grundsätzen zwar nicht auf Art. 80 Abs. 2 Alternative 4 GG,
wohl aber auf Art. 105 Abs. 3 i.V.m. Art. 106 Abs. 3 GG.
|
|
|
37
|
c) § 60 Abs. 4 EStDV ist auch materiell
verfassungsgemäß. Die Vorschrift hält sich innerhalb
des durch die Ermächtigungsgrundlage gezogenen Rahmens (unten
aa). Sie wahrt die Anforderungen sowohl des Parlamentsvorbehalts
(unten bb) als auch des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit (unten cc).
|
|
|
38
|
aa) Die in § 60 Abs. 4 EStDV getroffene
Anordnung überschreitet nicht den durch ihre
formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gezogenen
Rahmen.
|
|
|
39
|
(1) Grundvoraussetzung des § 51 Abs. 1
Nr. 1 EStG ist, dass die aufgrund dieser Vorschrift zu erlassenden
Rechtsverordnungen „zur Durchführung dieses
Gesetzes“ dienen. Dies ist bei der Pflicht zur Abgabe der
Anlage EÜR, einer standardisierten Form der in § 4 Abs. 3
EStG vorgesehenen vereinfachten Gewinnermittlung, der Fall.
|
|
|
40
|
(2) Rechtsverordnungen nach § 51 Abs. 1
Nr. 1 EStG können erlassen werden, wenn dies zur Wahrung der
Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung erforderlich ist.
Dies trifft auf die in § 60 Abs. 4 EStDV getroffene Anordnung
zu.
|
|
|
41
|
(a) Bereits das FG hat - jedenfalls als
Ausgangspunkt seiner Überlegungen - ausgeführt, die durch
die Anlage EÜR ermöglichten maschinellen Abgleiche und
Plausibilitätsprüfungen dienten der
Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Dem tritt der Senat bei.
Es bedarf keiner näheren Begründung, dass durch
routinemäßige maschinelle Abgleiche und
Plausibilitätsprüfungen in steuerlichen Massenverfahren
eine wesentlich höhere Kontrolldichte erreicht werden kann als
durch eine rein personelle Bearbeitung der Gewinnermittlungen. Die
Erhöhung der Kontrolldichte dient aber der
Gleichmäßigkeit der Besteuerung.
|
|
|
42
|
(b) Soweit das FG im Ergebnis gleichwohl zu
dem Schluss gekommen ist, die Einführung der Anlage EÜR
diene nicht der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, vermag
der Senat dem nicht zu folgen.
|
|
|
43
|
(aa) Das FG hat seine Auffassung zum einen
damit begründet, dass Land- und Forstwirte die Anlage EÜR
nicht ausfüllen müssten und § 60 Abs. 4 EStDV
insoweit nicht zur Herstellung der Gleichmäßigkeit der
Besteuerung, sondern zu einer stärkeren Ungleichbehandlung
zwischen den Steuerpflichtigen führe. Dies erweist sich
bereits im Ansatz als unzutreffend. Denn § 60 Abs. 4 EStDV
enthält die vom FG angenommene Ausnahme für Land- und
Forstwirte nicht. Vielmehr hat nach dem klaren Wortlaut dieser Norm
jeder Steuerpflichtige, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG
ermittelt, der Steuererklärung eine Gewinnermittlung nach
amtlich vorgeschriebenem Vordruck beizufügen. Hierunter fallen
auch Land- und Forstwirte, die ihren Gewinn durch
Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln.
|
|
|
44
|
(bb) Des Weiteren hat das FG angenommen, auch
die im Vergleich zu bilanzierenden Steuerpflichtigen
ermöglichte höhere Kontrolldichte führe zu
Ungleichbehandlungen, die die Anwendbarkeit der
Ermächtigungsgrundlage „Gleichmäßigkeit bei
der Besteuerung“ ausschließe. Dieser Erwägung
folgt der Senat ebenfalls nicht.
|
|
|
45
|
Dabei ist zu berücksichtigen, dass es
sich bei der im Streitjahr 2006 geltenden Rechtslage nur um eine
Momentaufnahme im Rahmen eines grundlegenden, einen längeren
Zeitraum beanspruchenden Umstellungsprozesses in der - insoweit
rechtlich determinierten - Arbeitsweise der Finanzverwaltung
handelt. Vor 2005 konnten nur die Einzelangaben von Arbeitnehmern
zu ihren Werbungskosten durch die entsprechende Aufgliederung der
Steuererklärungsvordrucke und die Zuweisung individueller
Kennziffern für die maschinelle Verarbeitung
(„Verkennzifferung“) einer automatisierten
Plausibilitätskontrolle unterzogen werden. Diese
Möglichkeit wurde ab 2005 durch die im vorliegenden Verfahren
auf ihre Wirksamkeit zu prüfende Regelung des § 60 Abs. 4
EStDV auch auf Steuerpflichtige ausgedehnt, die
Gewinneinkünfte erzielen und diese durch
Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln. Durch das
Steuerbürokratieabbaugesetz vom 20.12.2008 (BGBl I 2008, 2850)
ist dann die Vorschrift des § 5b EStG eingefügt worden,
die auch in Fällen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1,
§ 5 EStG die Übermittlung des Inhalts der Bilanz und der
Gewinn- und Verlustrechnung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz
anordnet. Ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung des § 5b
EStG (vgl. hierzu BMF-Schreiben vom 28.9.2011, BStBl I 2011, 855 =
SIS 11 30 86, Rz 7, 26, 27: grundsätzlich für
Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2011 beginnen) wird daher auch
bei bilanzierenden Steuerpflichtigen ein maschineller Abgleich
möglich sein. Diese Änderung wird wiederum
Rückwirkungen auf das Veranlagungsverfahren in Fällen der
Einnahmen-Überschuss-Rechnung haben: Denn ebenfalls durch das
Steuerbürokratieabbaugesetz ist § 60 Abs. 4 EStDV - mit
Wirkung ab dem 1.1.2011 (vgl. § 84 Abs. 3d EStDV) -
dahingehend geändert worden, dass die Anlage EÜR
grundsätzlich in Form eines amtlich vorgeschriebenen
Datensatzes durch Datenfernübertragung zu übermitteln
ist.
|
|
|
46
|
Dass der Gesetzgeber die Umstellung auf
maschinell unterstützte Formen der Veranlagung nicht bei allen
Einkunfts- und Gewinnermittlungsarten gleichzeitig durchführt,
erweist sich bei einer am Gleichheitssatz orientierten Betrachtung
- die auch die Vielgestaltigkeit der hinter der Einkunfts- und
Gewinnermittlung stehenden Lebenssachverhalte einbeziehen muss -
als sachgerecht. Bei Arbeitnehmern lassen sich die Werbungskosten
einer relativ geringen Zahl von Fallgruppen (Kennziffern) zuordnen.
Zudem ist die Zahl der zu veranlagenden Arbeitnehmer erheblich
höher als diejenige der Steuerpflichtigen mit
Gewinneinkünften, so dass das Bedürfnis nach maschineller
Unterstützung im Veranlagungsverfahren hier wesentlich
dringender war. Dass der Gesetzgeber als nächsten Schritt der
Rationalisierung der Veranlagungsarbeiten noch nicht bei der
Standardisierung der Bilanzen - der
„Königsdisziplin“ der Gewinnermittlung -
angesetzt hat, sondern bei der wesentlich einfacher strukturierten
Einnahmen-Überschuss-Rechnung, erweist sich nicht nur als
zulässig, sondern geradezu als geboten: Während die
Anlage EÜR des Streitjahrs 2006 aus lediglich 56 Zeilen
besteht - und damit den Umfang der Anlage N nicht wesentlich
überschreitet -, enthält das für § 5b EStG
vorgesehene Datenschema der Taxonomie bereits im Stammdaten-Modul
56 Felder und im Jahresabschluss-Modul zusätzlich 458 Zeilen
mit maximal 550 Feldern (vgl. DATEV-Lexinform-Dokument 5228358).
Die in Form einer Excel-Tabelle veröffentlichte Taxonomie
(www.esteuer.de/#schnittstellen) umfasst nahezu 600 Druckseiten.
Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, dass der Gesetzgeber
zunächst die Erfahrungen abgewartet hat, die die
Finanzverwaltung, die Steuerpflichtigen und ihre Berater mit dem -
wesentlich einfacheren - Vordruck der Anlage EÜR sammeln,
bevor er das erheblich komplexere Vorhaben einer Standardisierung
und „Verkennzifferung“ der Bilanzen und Gewinn-
und Verlustrechnungen in Angriff nimmt.
|
|
|
47
|
In jedem Fall ist erkennbar, dass der
Gesetzgeber für alle Einkunfts- und Gewinnermittlungsarten
einen stärkeren Einsatz maschineller
Kontrollmöglichkeiten anstrebt. Eine zeitgleiche Umstellung
für sämtliche Lebenssachverhalte wird von Verfassungs
wegen nicht gefordert. Der mit einer solchen zeitgleichen
Umstellung verbundene, geballt anfallende Organisationsaufwand
wäre zudem - wie das FA zu Recht ausführt - weder den
steuerberatenden Berufen noch der Finanzverwaltung zuzumuten.
|
|
|
48
|
Das FG hat nicht festgestellt, dass die Anlage
EÜR bereits in der Übergangs- und Erprobungszeit bis zum
Inkrafttreten des § 5b EStG tatsächlich zu einer derart
erhöhten Kontrolldichte bei Steuerpflichtigen mit
Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG geführt hätte,
die im Vergleich mit der Kontrolldichte bei bilanzierenden
Steuerpflichtigen einer Prüfung am Maßstab des
Gleichheitssatzes nicht mehr standhielte. Für einen solchen
Befund ist auch sonst nichts ersichtlich.
|
|
|
49
|
Ergänzend ist zu berücksichtigen,
dass Gewerbetreibende, die - wie der Kläger - die
Buchführungsgrenzen des § 141 AO nicht erreichen, nur in
sehr großen zeitlichen Abständen einer
Außenprüfung unterzogen werden und die Prüfung im
Veranlagungsverfahren daher die einzige Möglichkeit ist, die
Angaben in den Steuererklärungen der - verfassungsrechtlich
gebotenen - Verifikation zu unterziehen. Demgegenüber
unterliegen Steuerpflichtige, die die Buchführungsgrenzen des
§ 141 AO überschreiten und daher ihren Gewinn durch
Betriebsvermögensvergleich ermitteln, in kürzeren
Zeitabständen der Außenprüfung. Zudem sind
Buchführungspflichtige bereits seit 2002 verpflichtet, den
Finanzbehörden im Rahmen von Außenprüfungen den
Zugriff auf ihre Datenverarbeitungssysteme zu gewähren (§
147 Abs. 6 AO).
|
|
|
50
|
(3) Auch wenn bereits die vorstehenden
Ausführungen unter (2) die Vereinbarkeit des § 60 Abs. 4
EStDV mit seiner formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage
hinreichend zeigen, ist der Senat ergänzend der Auffassung,
dass die zu prüfende Rechtsverordnung daneben auch auf den -
ebenfalls in § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten - Gesichtspunkt
der „Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens“
gestützt werden kann.
|
|
|
51
|
Das FG hat dies verneint. Dabei ist es - ohne
weitere Begründung - davon ausgegangen, dass die
Verfahrensvereinfachung ausschließlich den Steuerpflichtigen
zugutekommen dürfe, eine Vereinfachung des Verfahrens auf
Seiten der Finanzverwaltung hingegen nicht ausreiche.
|
|
|
52
|
Für diese Auslegung des FG spricht
nichts. Der Wortlaut des § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG enthält
keinen Anhaltspunkt dafür, dass die vom FG vorgenommene
Beschränkung zutreffend sein könnte. Im Gegenteil folgt
bereits aus dem Wortbestandteil „Verfahren“ der
eindeutige Hinweis darauf, dass - zumindest auch -
Verfahrensvereinfachungen auf Seiten der Finanzverwaltung von der
Ermächtigungsgrundlage gedeckt sein sollten. Denn der Begriff
des „Verfahrens“ nimmt erkennbar die
Terminologie des Dritten Teils (§§ 78-133) der AO auf,
der mit „Allgemeine Verfahrensvorschriften“
überschrieben ist. Die AO regelt aber unzweifelhaft allein das
Verfahren der Finanzbehörden, nicht das Verfahren in Kanzleien
der steuerberatenden Berufe oder bei einzelnen Steuerpflichtigen.
Zum selben Ergebnis führt eine systematische Auslegung. Denn
die anderen im Einleitungssatz des § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG
genannten Verordnungszwecke (Wahrung der Gleichmäßigkeit
bei der Besteuerung, Beseitigung von Unbilligkeiten in
Härtefällen, Steuerfreistellung des Existenzminimums)
sind entweder ausschließlich oder zumindest in erster Linie an
die Finanzverwaltung gerichtet, nicht aber an die Steuerpflichtigen
oder ihre Berater. Vor diesem Hintergrund spricht alles dafür,
dass es sich bei dem Verordnungszweck „Vereinfachung des
Besteuerungsverfahrens“ ebenso verhält.
|
|
|
53
|
Dass durch eine standardisierte und zudem
maschinell verarbeitungsfähige Form der
Einnahmen-Überschuss-Rechnung auf Seiten der Finanzverwaltung
eine erhebliche Verfahrensvereinfachung im Vergleich zur rein
personellen Prüfung von Gewinnermittlungen, die auf einer
Vielzahl unterschiedlicher Gliederungsschemata basieren, eintritt,
liegt auf der Hand.
|
|
|
54
|
Die - nicht näher begründete -
Behauptung des Klägers, die Bedeutung der Anlage EÜR
erschöpfe sich darin, den Steuerpflichtigen eine Arbeitshilfe
anzubieten, wird durch die Gesetzesmaterialien widerlegt. Die
Regierungsfraktionen haben die Anlage EÜR bei Einbringung des
Gesetzentwurfs zum KleinUntFördG (BTDrucks 15/537, 10) zwar
auch als Beitrag zur erleichterten Erfüllung der
Erklärungs- und Auskunftspflichten des Steuerpflichtigen
bezeichnet. Gleichrangig haben sie aber auf die Möglichkeiten
der Finanzverwaltung hingewiesen, computerunterstützte
Verprobungen und Abgleiche vorzunehmen, und dadurch die
Veranlagungsarbeiten und Betriebsprüfungen ökonomischer
und effizienter zu gestalten.
|
|
|
55
|
Danach sind die Voraussetzungen auch dieses
Verordnungszwecks erfüllt.
|
|
|
56
|
(4) Schließlich begrenzt § 51 Abs. 1
Nr. 1 Buchst. a EStG den Inhalt der Rechtsverordnungen, die auf
diese Ermächtigungsgrundlage gestützt werden, u.a. auf
die Festlegung der „den Einkommensteuererklärungen
beizufügenden Unterlagen“. Auch diese Voraussetzung
ist erfüllt, da die Anlage EÜR - ebenso wie die in §
60 Abs. 1 EStDV genannte Bilanz - zu den der
Einkommensteuererklärung beizufügenden Unterlagen
gehört.
|
|
|
57
|
bb) Die Grundsätze über den
Parlamentsvorbehalt stehen der Wirksamkeit des § 60 Abs. 4
EStDV nicht entgegen.
|
|
|
58
|
(1) Der im Rechtsstaatsprinzip und im
Demokratiegebot wurzelnde Parlamentsvorbehalt gebietet es, in
grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der
Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung
zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen dem
Gesetzgeber zu überlassen. Die Normierungspflicht betrifft
sowohl die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt
gesetzlich geregelt werden muss, als auch, wie weit diese
Regelungen im Einzelnen zu gehen haben (BVerfG-Urteil in BVerfGE
101, 1, unter C.II.1.c vor aa, mit zahlreichen weiteren Nachweisen;
zur „Wesentlichkeitstheorie“ siehe auch
KSM/Seiler, a.a.O., § 51 Rz B 4 ff., Stand November 2000, mit
zahlreichen Nachweisen).
|
|
|
59
|
(2) Das FG hat zwar den rechtlichen
Maßstab des Parlamentsvorbehalts nicht erwähnt, seine
Einhaltung aber im Ergebnis verneint, indem es die Auffassung
vertreten hat, § 60 Abs. 4 EStDV konstituiere eine besondere
Form der Gewinnermittlung, deren Einführung dem
Parlamentsgesetzgeber vorbehalten sei. Dem vermag der Senat nicht
zu folgen.
|
|
|
60
|
Weder durch § 60 Abs. 4 EStDV noch durch
die Anlage EÜR wird eine neue Form der Gewinnermittlung
eingeführt. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine
Konkretisierung und Standardisierung derjenigen Angaben, die die
Steuerpflichtigen in Fällen der
Einnahmen-Überschuss-Rechnung bereits vor Inkrafttreten des
§ 60 Abs. 4 EStDV zu machen hatten.
|
|
|
61
|
Unter den Parlamentsvorbehalt fällt im
Steuerrecht jedenfalls die Festlegung der grundlegenden Merkmale
wie Steuerschuldner, Steuergegenstand, Bemessungsgrundlage und
Steuersatz (KSM/ Seiler, a.a.O., § 51 Rz B 31). Von derart
grundrechtsrelevanten Regelungen ist die bloße Pflicht zur
Beifügung eines bestimmten Vordrucks zur Steuererklärung
weit entfernt. Dies gilt umso mehr, als die inhaltlichen
Grundsätze der Einnahmen-Überschuss-Rechnung auf der
formell-gesetzlichen Regelung des § 4 Abs. 3 EStG beruhen und
durch § 60 Abs. 4 EStDV nicht angetastet werden.
|
|
|
62
|
cc) Die in § 60 Abs. 4 EStDV enthaltene
Pflicht zur Beifügung einer Gewinnermittlung nach amtlich
vorgeschriebenem Vordruck erweist sich auch als
verhältnismäßig.
|
|
|
63
|
(1) Sie ist zur Erreichung der verfolgten,
legitimen Zwecke (Gleichmäßigkeit der Besteuerung,
Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens) geeignet.
|
|
|
64
|
Gerade bei routinemäßig
durchzuführenden Plausibilitätskontrollen solcher
Angaben, die jährlich sowie bei einer größeren
Anzahl von Steuerpflichtigen wiederkehren, zeigt sich der Vorteil
einer maschinellen Prüfung im Vergleich zu einer rein
personellen Bearbeitung. Letztere benötigt erheblich mehr Zeit
und verursacht damit - bei gleichbleibenden
Qualitätsanforderungen - entweder einen höheren
Personalbedarf und damit höhere Verwaltungskosten oder
führt - auf der Grundlage eines durch den Haushaltsgesetzgeber
fest vorgegebenen Personalbestands - zu Arbeitsergebnissen von
geringerer Qualität als sie mittels einer durch geeignete
maschinelle Vorprüfungen unterstützten Veranlagung
erzielt werden könnten.
|
|
|
65
|
(2) Die in § 60 Abs. 4 EStDV getroffene
Anordnung ist auch erforderlich. Ein milderes, zur Erreichung des
vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks aber gleich geeignetes Mittel ist
nicht ersichtlich.
|
|
|
66
|
Insbesondere wäre die vom Kläger
vorgeschlagene Verwendung der DATEV-Daten durch die
Finanzverwaltung kein gleich geeignetes Mittel. Denn dies
würde, weil die Verwaltung nicht einen einzigen kommerziellen
Software-Anbieter bevorzugen darf, aus
Gleichbehandlungsgründen die Notwendigkeit mit sich bringen,
ein Verfahren zu entwickeln, das auch für alle anderen
Anbieter elektronischer Einnahmen-Überschuss-Rechnungen offen
wäre. Die Notwendigkeit, zahllose private
Gliederungs-Systematiken in das von der Finanzverwaltung
vorgesehene Format umzuschlüsseln, würde aber einen
unverhältnismäßigen Programmier-Mehraufwand auf
Seiten der Finanzverwaltung auslösen.
|
|
|
67
|
(3) Die gesetzliche Anordnung steht auch in
angemessenem Verhältnis zu den mit ihr verfolgten Zwecken.
|
|
|
68
|
(a) Dabei ist auf der einen Seite zu
berücksichtigen, dass es sich sowohl bei der Sicherstellung
der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (vgl. Art. 3 Abs. 1
GG) als auch bei der Gewährleistung einer effektiven,
möglichst einfachen Verwaltung (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) um
hochrangige Rechts- und Verfassungsgüter handelt. Die
Standardisierung und maschinelle Bearbeitungsfähigkeit der
Gewinnermittlung sind in besonderem Maße geeignet, die
Verwirklichung der genannten Rechtsgüter zu fördern.
|
|
|
69
|
(b) Auf der anderen Seite erweisen sich die
Belastungen, die für den Kläger und andere
Steuerpflichtige mit der Befolgung der in § 60 Abs. 4 EStDV
enthaltenen Anordnung verbunden sind, als vergleichsweise gering.
Das FG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass kommerzielle
Softwareanbieter ihr System der Anlage EÜR angleichen oder
zumindest automatisierte Umschlüsselungsfunktionen anbieten
werden. Steuerpflichtige, die ihre
Einnahmen-Überschuss-Rechnung manuell anfertigen, haben
innerhalb der Umstellungsphase Gelegenheit, ihre Gliederung der
Anlage EÜR anzupassen.
|
|
|
70
|
Dass der mit der Beachtung des § 60 Abs.
4 EStDV verbundene Aufwand eher gering ist, zeigt gerade der
Streitfall, in dem sich die vom Kläger eingereichte
Gewinnermittlung problemlos in das durch die Anlage EÜR
vorgegebene Gliederungsschema umschlüsseln lässt.
Entgegen der - nicht näher substantiierten - Behauptung des
Klägers benötigt man dazu nicht etwa 60 zusätzliche
Konten, sondern kein einziges zusätzliches Konto. Im
Einzelnen:
|