1
|
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist
verheiratet und hat zwei im April 1986 und im Juni 1990 geborene
Kinder, die mit seiner Ehefrau in Polen leben. In Deutschland
betreibt der Kläger ein Gewerbe.
|
|
|
2
|
Seinen Antrag, ihm für seine beiden
Kinder Kindergeld zu gewähren, lehnte die Beklagte und
Revisionsklägerin (Familienkasse) im Oktober 2006 ab. Den
Einspruch des Klägers wies sie durch Einspruchsentscheidung im
Januar 2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung
führte sie aus, dass der Kläger seit 1991 bei der
Sozialversicherung der Landwirte in Polen (KRUS) als Landwirt
versichert sei und daher allein den polnischen Rechtsvorschriften
unterliege.
|
|
|
3
|
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren, in
dem er beantragte, ihm für seine beiden Kinder ab Januar 2006
Kindergeld zu gewähren, gab der Kläger u.a. an, er sei
über seine Ehefrau bei der KRUS sozialversichert.
|
|
|
4
|
Mit Urteil vom 16.1.2008 2 K 623/07 (juris
= SIS 09 16 87) hob das Finanzgericht (FG) den Ablehnungsbescheid
und die Einspruchsentscheidung der Familienkasse auf und verwies
die Sache nach § 100 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zur weiteren Sachaufklärung an die Familienkasse
zurück.
|
|
|
5
|
Mit ihrer Revision rügt die
Familienkasse eine unzutreffende Auslegung der Art. 1, 2 und 13 der
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung
der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und
Selbständige sowie deren Familienangehörige, die
innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in
ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2.12.1996
- VO Nr. 118/97 - (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
1997 Nr. L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung,
geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.4.2005 - VO Nr.
647/2005 - (Amtsblatt der Europäischen Union - ABlEU - 2005
Nr. L 117, S. 1).
|
|
|
6
|
Die Familienkasse beantragt
sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
|
|
|
7
|
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
8
|
Zur Begründung trägt er u.a. vor,
die VO Nr. 1408/71 sei auf ihn nicht anzuwenden, da er weder in
Deutschland noch in Polen sozialversichert sei. Da er in Polen
keiner Tätigkeit nachgehe, könne er dort nicht versichert
sein; dies ergebe sich aus Art. 5a Abs. 1 und Abs. 10 des
polnischen Gesetzes über die Sozialversicherung der Landwirte
vom 20.12.1990. Richtig sei lediglich, dass er aufgrund eines
Fehlers der KRUS bei dieser als Versicherter geführt werde,
bis der Fehler entdeckt und das angeblich bestehende
Versicherungsverhältnis rückabgewickelt werde. Die
Bescheinigung der KRUS sei unrichtig, die Versicherung nichtig und
daher als Anknüpfungspunkt ungeeignet.
|
|
|
9
|
II. Die Revision der Familienkasse ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz
1 Nr. 2 FGO).
|
|
|
10
|
1. Das FG hat rechtsfehlerhaft angenommen,
dass ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den
§§ 62 f. des Einkommensteuergesetzes (EStG) für
seine Kinder allenfalls nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG
(bzw. für das 1986 geborene Kind auch deshalb, weil das
Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG noch zu
prüfen ist), nicht aber auch nach den vorrangigen Bestimmungen
der VO Nr. 1408/71 ausgeschlossen sein könne. Die bisherigen
Feststellungen des FG ermöglichen allerdings keine
abschließende Entscheidung dazu, ob der Kläger vom
persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird
und ob in diesem Fall deutsches oder polnisches Recht auf ihn
anzuwenden wäre.
|
|
|
11
|
2. Ein Anspruch des Klägers auf
Kindergeld nach den §§ 62 f. EStG könnte durch die
VO Nr. 1408/71 und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom
21.3.1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 (VO
Nr. 574/72) in ihrer durch die VO Nr. 118/97 geänderten und
aktualisierten Fassung, geändert durch die VO Nr. 647/2005,
ausgeschlossen sein.
|
|
|
12
|
a) Auf den Streitfall sind noch diese
Verordnungen anzuwenden. Die VO Nr. 1408/71 wurde zwar ersetzt
durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit - VO Nr. 883/2004 - (ABlEU 2004 Nr.
L 166, S. 1). Letztere gilt jedoch nach ihrem Art. 91 Abs. 2 erst
ab dem Tag des Inkrafttretens der zu ihrer Durchführung
erlassenen Verordnung. Diese - die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur
Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der
VO Nr. 883/2004 - VO Nr. 987/2009 - (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1) -
trat nach ihrem Art. 97 Satz 2 erst am 1.5.2010 in Kraft. Die VO
Nr. 574/72 wurde nach Art. 96 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 erst mit
Wirkung vom 1.5.2010 aufgehoben. Für den Streitfall gelten
demnach noch die VO Nr. 1408/71 und die hierzu ergangene VO Nr.
574/72.
|
|
|
13
|
b) Als Familienleistung i.S. des Art. 1
Buchst. u Ziff. i der VO Nr. 1408/71 unterfällt das Kindergeld
nach den §§ 62 ff. EStG gemäß Art. 4 Abs. 1
Buchst. h dieser Verordnung ihrem sachlichen Geltungsbereich (z.B.
Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - vom
14.10.2010 C-16/09, Schwemmer, Zeitschrift für
europäisches Sozial- und Arbeitsrecht - ZESAR - 2011, 86 = SIS 10 33 42 Rdnr. 33).
|
|
|
14
|
c) Die bisherigen Feststellungen des FG
reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der
Kläger auch dem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr.
1408/71 unterfällt.
|
|
|
15
|
aa) Der persönliche Geltungsbereich der
VO Nr. 1408/71 wird im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des
Titels I in Art. 2 der VO Nr. 1408/71 festgelegt. Nach ihrem Art. 2
Abs. 1 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und
Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines
oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie
Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für
deren Familienangehörige und Hinterbliebene.
|
|
|
16
|
Die in dieser Vorschrift verwendeten Begriffe
„Arbeitnehmer“ und
„Selbständiger“ werden in Art. 1 Buchst. a
der VO Nr. 1408/71 definiert. Sie bezeichnen jede Person, die im
Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71
aufgeführten Systeme der sozialen Sicherheit gegen die in
dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten
Voraussetzungen versichert ist. Eine Person besitzt somit z.B. die
Arbeitnehmereigenschaft i.S. der VO Nr. 1408/71, wenn sie auch nur
gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a
dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der
sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert
ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines
Arbeitsverhältnisses (z.B. EuGH-Urteile vom 7.6.2005 C-543/03,
Dodl und Oberhollenzer, Slg. 2005, I-5049 Rdnrn. 29 ff.; vom
10.3.2011 C-516/09, Borger, Europäische Zeitung für
Wirtschaftsrecht 2011, 436 Rdnrn. 28 ff.). Es ist nicht die
tatsächliche Ausübung der Tätigkeit
maßgeblich, sondern der Versichertenstatus (Helmke in
Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D, I.
Kommentierung, Art. 72 der VO Nr. 1408/71 Rz 5). Die VO Nr. 1408/71
soll also grundsätzlich für alle Personen gelten, die im
Rahmen der für Arbeitnehmer und Selbständige
bereitgestellten Systeme sozialer Sicherheit oder aufgrund der
Ausübung einer Arbeitnehmer- oder
Selbständigentätigkeit versichert sind (vgl. ihren
Erwägungsgrund Nr. 3).
|
|
|
17
|
bb) Für die Frage, ob der
persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet
ist, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bzw.
Selbständige auch die Voraussetzungen erfüllt, die in
ihrem Anhang I Teil I Buchst. D aufgeführt sind. Denn die in
dieser Bestimmung enthaltenen Einschränkungen gelten, wie sich
bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt („Ist ein
deutscher Träger der zuständige Träger für die
Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III
Kapitel 7 der Verordnung, ...“), nur für die
Vorschriften des Titels III Kapitel 7 der VO Nr. 1408/71, d.h. bei
Anwendung ihrer Art. 72 ff. (z.B. EuGH-Urteile vom 12.5.1998
C-85/96, Martinez Sala, Slg. 1998, I-2691 Rdnrn 35 ff., 43 f., und
vom 4.5.1999 C-262/96, Sürül, Slg. 1999, I-2685 Rdnrn. 89
ff.; ferner EuGH-Urteile vom 30.1.1997 C-4/95, 5/95, Stöber
und Pereira, Slg. 1997, I-511 Rdnrn. 26 ff.; vom 12.6.1997
C-266/95, Garcia, Slg. 1997, I-3279 Rdnrn. 21 ff., und vom 5.3.1998
C-194/96, Kulzer, Slg. 1998, I-895 Rdnrn. 35 f., jeweils zu Art. 73
der VO Nr. 1408/71; ferner EuGH-Urteil Schwemmer in ZESAR 2011, 86
Rdnr. 34; Vorlagebeschluss des Senats vom 30.10.2008 III R 92/07,
BFHE 223, 358, BStBl II 2009, 923 = SIS 09 00 46 Rz 16 ff.). Das
setzt voraus, dass die Eröffnung des persönlichen
Geltungsbereichs nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO
Nr. 1408/71 bereits bejaht wurde.
|
|
|
18
|
Sollte sich dem Urteil des Bundesfinanzhofs
(BFH) vom 13.8.2002 VIII R 54/00 (BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869
= SIS 03 01 44) zum Anwendungsbereich des Anhangs I Teil I Buchst.
D der VO Nr. 1408/71 etwas anderes entnehmen lassen, könnte
der Senat dem aus den oben dargelegten Gründen nicht folgen.
Eine Anfrage beim VIII. Senat wäre schon deshalb nicht
erforderlich, weil dieser Senat nach dem
Geschäftsverteilungsplan des BFH für Fragen betreffend
Kindergeld (§§ 62 bis 78 EStG) nicht mehr zuständig
ist.
|
|
|
19
|
cc) Erforderlich, aber auch ausreichend
für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs
der VO Nr. 1408/71 ist, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem
sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit
in irgendeinem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU)
versichert ist. Dass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2
Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in Bezug auf ihre
in Deutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt,
bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen
Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt, denn
dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der
sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet
sein.
|
|
|
20
|
Die VO Nr. 1408/71 gilt personen- und nicht
tätigkeitsbezogen. Ihr Ziel ist die Koordinierung der Systeme
der sozialen Sicherheit. Für Arbeitnehmer und
Selbständige, die innerhalb der EU zu- und abwandern, soll
jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats
gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher
Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise
ergebenden Komplikationen vermieden werden (vgl. ihren
Erwägungsgrund Nr. 8). Um dieses Ziel zu erreichen, ist daher
in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob eine Person die
Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit
geltenden Rechtsvorschriften (irgend) eines, ggf. auch mehrerer,
Mitgliedstaaten besitzt (vgl. auch EuGH-Urteil Sürül in
Slg. 1999, I-2685 Rdnr. 85). Ist danach der persönliche
Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 für eine Person
eröffnet, ist in einem zweiten Schritt das auf sie
anzuwendende Recht nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zu
bestimmen.
|
|
|
21
|
dd) Bezogen auf den vorliegenden Fall ist
daher zunächst zu prüfen, ob der Kläger in Polen
und/oder in Deutschland als Arbeitnehmer und/oder
Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71
gilt.
|
|
|
22
|
(1) Entgegen der Auffassung des FG kann der
Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 nicht bereits mit der
Begründung als nicht eröffnet angesehen werden, dass der
Kläger in Polen keine Tätigkeit ausübe, Art. 13 Abs.
2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 aber die Ausübung einer
selbständigen Tätigkeit voraussetze. Denn die Frage der
Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs beurteilt
sich allein danach, ob der Kläger i.S. des Art. 2 Abs. 1
i.V.m. Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung als Arbeitnehmer bzw.
Selbständiger gilt oder nicht.
|
|
|
23
|
(2) In Deutschland war der Kläger zwar im
Hinblick auf seine Tätigkeit im Rahmen seiner gewerblichen
Tätigkeit nicht versichert und auch nicht
versicherungspflichtig, so dass er insoweit nicht als
Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71
gilt. Die bisherigen Feststellungen des FG ermöglichen jedoch
keine Beurteilung, ob der Kläger ggf. in Polen als
Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der
VO Nr. 1408/71 gilt.
|
|
|
24
|
Nach den Feststellungen des FG ist der
Kläger in Polen über seine Ehefrau in der KRUS
mitversichert. Diese Feststellung allein reicht jedoch nicht aus,
um beurteilen zu können, ob der Kläger deshalb als
Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71
gilt. Denn nicht jede Mitgliedschaft in einem System der sozialen
Sicherheit führt zur Eröffnung des persönlichen
Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71. Diese knüpft insoweit in
Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 vielmehr
daran an, dass eine Person entweder in einem für Arbeitnehmer
und Selbständige bereitgestellten System der sozialen
Sicherheit, oder jedenfalls gerade aufgrund einer Arbeitnehmer-
oder Selbständigentätigkeit versichert ist (vgl. ihren
Erwägungsgrund Nr. 3). Die Mitgliedschaft in einem System der
sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats führt also nur dann
zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO
Nr. 1408/71, wenn sie zugleich die Voraussetzungen des Art. 1
Buchst. a dieser Verordnung erfüllt. Dafür kann ggf. auch
die freiwillige Mitgliedschaft eines Selbständigen ausreichen
(vgl. Art. 1 Buchst. a Ziff. iv der VO Nr. 1408/71). Die
erforderlichen Feststellungen zum polnischen System der sozialen
Sicherheit und zu dem konkreten Versichertenstatus des Klägers
im Rahmen dieses Systems sind daher nun nachzuholen. Insoweit kann
auch von Bedeutung sein, ob, wovon das FG offenbar ausgeht, der
Kläger über seine Ehefrau in der KRUS mitversichert ist,
oder ob die in der Kindergeldakte enthaltenen Bescheinigungen der
KRUS vom 3.11.2006 nicht stattdessen eine Versicherung des
Klägers als Landwirt und eine Mitversicherung seiner Ehefrau
belegen.
|
|
|
25
|
(3) Soweit der Kläger vorträgt, dass
er in Polen nicht versichert sein könne, weil er in Polen
keine Tätigkeit ausübe, und dass er lediglich aufgrund
eines Fehlers der KRUS bei dieser als Versicherter geführt
werde, obliegt es ihm, den Nachweis zu erbringen, dass er im
Streitzeitraum tatsächlich nicht versichert war, die
bestehende Versicherung also rückabgewickelt wurde.
Bescheinigt ein ausländischer Versicherungsträger wie
hier die KRUS das Bestehen einer Versicherung, so sind deutsche
Behörden und Gerichte an diese Bescheinigung
grundsätzlich gebunden, sofern keine Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass die Bescheinigung als solche fehlerhaft ist (vgl.
EuGH-Urteil vom 26.1.2006 C-2/05, Herbosch Kiere, Slg. 2006, I-1079
Rdnrn. 18 ff.). Bescheinigt ein ausländischer
Versicherungsträger also z.B. (weiterhin) das Bestehen einer
Versicherung als Landwirt, weil ein vormals in Polen als Landwirt
tätiger und als solcher Versicherter es unterlässt, dem
zuständigen Versicherungsträger mitzuteilen, dass er
diese Tätigkeit aufgegeben hat und nunmehr im Ausland eine
Tätigkeit ausübt, so muss sich der so Versicherte -
entsprechend der tatsächlich (noch) bestehenden und insoweit
zutreffend bescheinigten Versicherung - an diesem
Versichertenstatus festhalten lassen mit der Folge, dass er
(weiterhin) so behandelt wird, als ob er (weiterhin) als
selbständiger Landwirt in Polen tätig ist. In diesem Fall
gilt er daher nicht nur i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr.
1408/71 als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger, sondern -
entsprechend der tatsächlich noch bestehenden Versicherung -
auch als ein Arbeitnehmer bzw. Selbständiger, der i.S. des
Art. 13 Abs. 2 Buchst. a bzw. b der VO Nr. 1408/71 in Polen eine
Tätigkeit ausübt. Es ist Aufgabe des Versicherten, seiner
Versicherung gegenüber rechtzeitig Änderungen
mitzuteilen, die für sein Versicherungsverhältnis von
Bedeutung sind, und auf diese Weise einen seinen tatsächlichen
Verhältnissen entsprechenden Versichertenstatus zu erreichen.
Solange daher der Kläger nicht den Nachweis erbracht hat, dass
er im Streitzeitraum tatsächlich nicht mehr bei der KRUS
versichert war und die bestehende Versicherung tatsächlich
rückabgewickelt wurde, muss er sich für Zwecke der
Anwendung der VO Nr. 1408/71 entsprechend seines von der KRUS
bescheinigten, tatsächlich bestehenden Versichertenstatus
behandeln lassen.
|
|
|
26
|
ee) Dahinstehen kann, ob die Ehefrau des
Klägers als Arbeitnehmerin bzw. Selbständige i.S. des
Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 und der Kläger als ihr
Familienangehöriger (Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 der VO Nr.
1408/71) anzusehen sind, weil dies entgegen der Auffassung der
Familienkasse nicht dazu führen würde, dass das auf den
Kläger anzuwendende Recht sich nach den Art. 13 ff. der VO Nr.
1408/71 richten würde. Denn diese Bestimmungen knüpfen
nicht an den Familienangehörigen eines Arbeitnehmers bzw.
Selbständigen, sondern an diesen selbst an (vgl. EuGH-Urteil
vom 3.6.1999 C-211/97, Gomez-Rivero, Slg. 1999, I-3219 Rdnrn. 22
ff.).
|
|
|
27
|
3. Sollten die noch erforderlichen
Ermittlungen des FG ergeben, dass der Kläger vom
persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird,
ist das auf ihn anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Titels
II dieser Verordnung (Art. 13 ff.) zu bestimmen.
|
|
|
28
|
a) Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nr.
1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige
Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit
ausgeübt wird (so z.B. in Art. 13 Abs. 2 Buchst. a und b der
VO Nr. 1408/71), bestimmt sich dies entgegen der Auffassung der
Familienkasse grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die
Versicherung besteht, sondern - entsprechend dem insoweit
eindeutigen Wortlaut der jeweiligen Bestimmung - danach, in welchem
Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw.
eine selbständige Tätigkeit ausübt. Dabei ist
grundsätzlich von dem bescheinigten Versichertenstatus des
Versicherten auszugehen (vgl. oben unter II.2.c dd (3)).
|
|
|
29
|
Anzuknüpfen ist allerdings nur an
diejenige(n) Tätigkeit(en), hinsichtlich derer die betreffende
Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1
Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Die Vorschriften des Titels II
der VO Nr. 1408/71 beziehen sich zwar ihrem Wortlaut nach auf
Personen, die abhängig beschäftigt sind bzw. eine
selbständige Tätigkeit ausüben, und nicht auf
Arbeitnehmer oder Selbständige. Eine kohärente Auslegung
des persönlichen Geltungsbereichs dieser Verordnung und des
durch sie geschaffenen Systems von Kollisionsregeln gebietet es
aber, die fraglichen Begriffe des Titels II der VO Nr. 1408/71 im
Lichte der Definitionen ihres Art. 1 Buchst. a auszulegen (vgl.
EuGH-Urteil vom 30.1.1997 C-221/95, Hervein, Slg. 1997, I-609
Rdnrn. 19 f.). Für den Kläger kann sich die Anwendung der
deutschen Rechtsvorschriften daher nicht aus Art. 13 Abs. 2 Buchst.
b der VO Nr. 1408/71 ergeben, denn hinsichtlich seiner in
Deutschland ausgeübten gewerblichen Tätigkeit gilt er
nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr.
1408/71.
|
|
|
30
|
b) Sollte die Prüfung der Art. 13 ff. der
VO Nr. 1408/71 gleichwohl ergeben, dass auf den Kläger
deutsche Rechtsvorschriften anzuwenden sind, müsste - neben
der Frage, ob auch das 1986 geborene Kind die Voraussetzungen des
§ 32 EStG erfüllt - noch ermittelt werden, ob und ggf.
für welche Monate des Streitzeitraums für die Kinder des
Klägers in Polen ein Anspruch auf Familienleistungen bestand.
Soweit ein solcher Anspruch bestand, wäre die dann gegebene
Anspruchskumulierung nach den Antikumulierungsvorschriften der VO
Nr. 1408/71 bzw. der VO Nr. 574/72 zu klären. Dabei wären
bei Anwendung des Art. 76 der VO Nr. 1408/71 bzw. des Art. 10 der
VO Nr. 574/72 die Einschränkungen des Anhangs I Teil I Buchst.
D der VO Nr. 1408/71 zu berücksichtigen.
|
|
|
31
|
c) Sollten nach den Bestimmungen der Art. 13
ff. der VO Nr. 1408/71 die deutschen Rechtsvorschriften nicht
anzuwenden sein, stellte sich die Frage, ob Deutschland als der
nach der VO Nr. 1408/71 dann nicht zuständige Mitgliedstaat
gleichwohl befugt wäre, Kindergeld nach den §§ 62
ff. EStG zu zahlen, und ob in einem solchen Fall der Anwendung des
§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unionsrechtliche Vorschriften
entgegenstünden. Insoweit handelte es sich um die gleichen
Fragestellungen, die bereits Gegenstand der
Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 21.10.2010 III R 5/09
(BFHE 231, 183 = SIS 10 42 37) und III R 35/10 (BFHE 231, 194 = SIS 10 42 35) sind, so dass eine Aussetzung des finanzgerichtlichen
Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in den bei diesem
anhängigen Verfahren C-611/10 und C-612/10 in Betracht kommen
könnte.
|
|
|
32
|
4. Sollte der persönliche Geltungsbereich
der VO Nr. 1408/71 für den Kläger nicht eröffnet
sein, richtete sich sein Kindergeldanspruch allein nach den
§§ 62 ff. EStG. Insoweit wäre, worauf das FG bereits
selbst hingewiesen hat, insbesondere noch zu klären, ob und
ggf. für welche Monate des Streitzeitraums in Polen für
die Kinder des Klägers ein Anspruch auf Familienleistungen
bestand. Zudem wäre noch zu prüfen, ob auch das 1986
geborene Kind die Voraussetzungen des § 32 EStG
erfüllt.
|
|
|
33
|
5. Die Sache ist im Rahmen des
Revisionsbegehrens danach nicht spruchreif und war deshalb nach
§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG
zurückzuverweisen. Ergänzend weist der Senat darauf hin,
dass eine (erneute) Anwendung des § 100 Abs. 3 FGO im zweiten
Rechtsgang nicht in Betracht kommt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom
18.2.1997 IX R 63/95, BFHE 182, 287, BStBl II 1997, 409 = SIS 97 20 96; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 100 FGO Rz 105,
121), so dass dahinstehen kann, ob diese Bestimmung auf den hier
gegebenen Fall der Verpflichtungsklage überhaupt anwendbar ist
(ablehnend z.B. Lange in HHSp, § 101 FGO Rz 36, m.w.N.;
für eine analoge Anwendung z.B. Brandt in Beermann/ Gosch, FGO
§ 101 Rz 20 ff.).
|