Anteile, Emissionsdisagio, aktive Rechnungsabgrenzung: Für ein bei der Ausgabe einer verbrieften festverzinslichen Schuldverschreibung mit bestimmter Laufzeit vereinbartes Disagio ist in der Steuerbilanz ein Rechnungsabgrenzungsposten zu aktivieren. - Urt.; BFH 29.11.2006, I R 46/05; SIS 07 10 39
I. Die Beteiligten streiten über die
steuerliche Behandlung von Emissionsdisagien bei der Ausgabe
festverzinslicher Inhaberschuldverschreibungen.
Die Rechtsvorgängerin der
Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagten
(Klägerin), eine AG, emittierte festverzinsliche
Inhaberschuldverschreibungen, wobei sie diese teils mit einem
Abgeld (Disagio), teils mit einem Aufgeld (Agio) begab. In ihren
Bilanzen stellte die AG die Disagien in einen aktiven Posten der
Rechnungsabgrenzung (RAP) ein; im Streitjahr 1991 beliefen sich die
Aufstockungen auf insgesamt 873.565 DM. Die Agien stellte die
Klägerin in einen passiven RAP ein, diesen stockte sie im
Streitjahr um insgesamt 288.821 DM auf. Auf Einspruch begehrte die
Klägerin im Wege der Bilanzberichtigung die Auflösung der
für Emissionsdisagien angesetzten aktiven RAP. Dem folgte der
Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt
- FA - ) nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage mit dem
Antrag, das Einkommen für das Streitjahr um 873.565 DM
herabzusetzen, hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG)
Köln entschied mit Urteil vom 17.3.2005 13 K 7115/00 (EFG
2005, 1179 = SIS 05 29 63), hinsichtlich der für die Disagien
gebildeten RAP begehre die Klägerin zu Recht im Wege der
Bilanzberichtigung deren Auflösung, da die Voraussetzungen
für ihre Bildung nach den einschlägigen Bestimmungen des
Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorgelegen hätten.
Allerdings habe die Klägerin auch hinsichtlich der Agien kein
Recht auf Ansatz entsprechender passiver RAP; daher seien auch
diese aufzulösen. Somit ergebe sich im Streitjahr (saldiert)
eine Minderung des Einkommens der Klägerin um 873.565 DM
abzüglich 288.821 DM, damit lediglich um 584.744 DM.
Gegen die Vorentscheidung haben beide
Beteiligte Revision eingelegt.
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin insbesondere Verletzung von § 250 Abs. 2, §
252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, § 5 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 und
§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Sie beantragt, die Vorentscheidung
hinsichtlich der Behandlung der passiven RAP für
Emissionsagien aufzuheben und das dort angesetzte Einkommen der
Klägerin 1991 um weitere 288.821 DM herabzusetzen.
Das FA rügt mit seiner Revision
Verletzung von § 250 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs
(HGB) und des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG. Es beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben, soweit dort das zu versteuernde
Einkommen der Klägerin 1991 um 584.744 DM herabgesetzt worden
ist, und die Klage insoweit abzuweisen.
Beide Beteiligte beantragen wechselseitig
die Zurückweisung der Revision des jeweils anderen.
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Die Revision der Klägerin ist als unbegründet
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Die Voraussetzungen für die von der
Klägerin begehrte Bilanzberichtigung durch Auflösung der
aktiven RAP liegen nicht vor. Diese Posten sind von der
Klägerin in ihrer Bilanz des Streitjahres dem Grunde und der
Höhe nach zu Recht ausgewiesen worden.
1. Gemäß § 8 Abs. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 5 Abs. 5 Satz
1 Nr. 1 EStG sind in den Bilanzen der Klägerin auf der
Aktivseite RAP anzusetzen, soweit sie Ausgaben für eine
bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag darstellen.
2. Entgegen der Auffassung des FG sind diese
Voraussetzungen hinsichtlich der Emissionsdisagien bei der Begebung
der streitigen Inhaberschuldverschreibungen erfüllt. Die
Klägerin hat ihre Verpflichtungen aus der jeweiligen
Schuldverschreibung gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m.
§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB mit dem -
über dem vereinnahmten Ausgabebetrag liegenden -
Rückzahlungsbetrag (Erfüllungsbetrag) zu passivieren. Die
nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG vorzunehmende aktive
Rechnungsabgrenzung mit dem Ziel einer periodengerechten
Gewinnermittlung führt zu einer zeitbezogenen
erfolgsmäßigen Verteilung dieses Minderbetrages.
a) Bei der verbrieften Verpflichtung der
Klägerin zur Zahlung des Erfüllungsbetrages handelt es
sich um eine „Ausgabe“ i.S. von § 5 Abs. 5
Satz 1 Nr. 1 EStG. Eine solche setzt nicht notwendig einen
Zahlungsvorgang voraus, sondern kann auch in der Buchung einer
Verbindlichkeit bestehen (Senatsurteil vom 31.5.1967 I 208/63, BFHE
89, 191, BStBl III 1967, 607 = SIS 67 03 78;
Blümich/Schreiber, § 5 EStG Rz 673; Federmann in
Herrmann/ Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 1924; a.A.
Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 25. Aufl., § 5 Rz 247).
b) In Höhe der Emissionsdisagien stellen
die zu festgelegten Zeitpunkten fälligen und damit eine
bestimmte Laufzeit aufweisenden Rückzahlungsverpflichtungen
der Klägerin Aufwand „für eine bestimmte
Zeit“ nach dem Abschlussstichtag dar.
aa) Es steht im Ermessen der Vertragspartner
einer Emission, eine Zinsabrede als Disagio zu gestalten, wobei
dessen Höhe laufzeitabhängig ist und
regelmäßig im umgekehrten Verhältnis zum
vereinbarten Nominalzins steht. Daher stellt das Disagio
wirtschaftlich ein Mittel zur Feineinstellung des Zinses im Sinne
einer zusätzlich geleisteten Vergütung für die
Kapitalüberlassung dar, die die in Form laufender Zinsen
gewährte Vergütung im Ergebnis korrigiert und damit Teil
des Effektivzinses ist (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH -
vom 8.10.1996 XI ZR 283/95, BGHZ 133, 355, m.w.N.; Beschluss des Großen Senats des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6.12.1965 GrS 2/64 S, BFHE 84, 399,
BStBl III 1966, 144 = SIS 66 00 81; BFH-Urteile vom 20.11.1969 IV R
3/69, BFHE 97, 418, BStBl II 1970, 209 = SIS 70 01 16; vom
12.7.1984 IV R 76/82, BFHE 141, 522, BStBl II 1984, 713 = SIS 84 19 12; vom 21.4.1988 IV R 47/85, BFHE 153, 543, BStBl II 1989, 722 =
SIS 88 20 20; vgl. auch Ellrott/Krämer in Beck Bil-Komm., 6.
Aufl., § 250 HGB Rz 60; Adler/Düring/Schmaltz,
Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., HGB
§ 250 Rz 86; Trützschler, in: Küting/Weber, Handbuch
der Rechnungslegung Einzelabschluss, HGB § 250 Rz 75). Dem
Disagio kommt daher eine „zinsorientierte
Funktion“ zu (vgl. Bachem, BB 1991, 1671).
bb) Dies gilt gleichermaßen für
Emissionsdisagien bei der Begebung von Schuldverschreibungen als
festverzinsliche Anleihen wie im Streitfall, in denen die
Gläubigerrechte (Rückzahlungs- und Zinsansprüche)
verbrieft sind. Auch in diesen Fällen beruht ein
Unterschiedsbetrag zwischen Rückzahlungs- und Ausgabebetrag
auf Veränderungen des Kapitalmarktzinses zwischen dem Antrag
auf Genehmigung einer Emission und dem Ausgabetag mit der Folge
einer Minderung des vom Emittenten zu vereinnahmenden Betrages
(vgl. BFH-Urteil vom 13.10.1987 VIII R 156/84, BFHE 151, 512, BStBl
II 1988, 252 = SIS 88 04 01 - zur Beurteilung eines
Kommunaldarlehens - ; Hahne, DB 2003, 1397; Plewka/Schimmele, DB
1998, 2494, 2496 f.).
Zwar begründet das FG seine Beurteilung
des Emissionsdisagios als bloßen
„Kaufpreisabschlag“ beim Erwerb der
Schuldverschreibung (vgl. auch Hahne, DB 2003, 1397; derselbe, DStR
2005, 2000, 2001; derselbe, Steuern und Bilanzen - StuB - 2006,
295, 300; Plewka/Schimmele, DB 1998, 2494, 2496) mit dem Hinweis
darauf, dass zwischen den sich aus dem Wertpapier als solchem
ergebenden Verpflichtungen des Emittenten und der aus dem
Begebungsvertrag folgenden Verpflichtung des Anlegers zur Zahlung
des Kaufpreises für das Wertpapier - zivilrechtlich betrachtet
- ein Gegenseitigkeitsverhältnis nicht bestehe. Eine solche
Beurteilung wird jedoch einer - auch nach Wegfall einer
entsprechenden gesetzlichen Auslegungsregel - der Behandlung
steuerlich relevanter Tatbestände unverändert zugrunde zu
legenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise (BTDrucks 7/4292, S. 15
f.) nicht gerecht. Auch eine Inhaberschuldverschreibung
begründet - unbeschadet ihrer Verbriefung und
Übertragbarkeit - wirtschaftlich eine Kapitalüberlassung
an den Emittenten (BFH-Urteil in BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252
= SIS 88 04 01). Nachdem ein bei ihrer Begebung gewährtes
Emissionsdisagio darauf beruht, dass die vom Emittenten zu
leistenden Zinszahlungen hinter dem aktuellen Marktzins für
vergleichbare Finanzierungen zurückbleiben, ist eine
gegenseitige Abhängigkeit zwischen diesem Disagio und den vom
Emittenten für die erfolgte Kapitalüberlassung zu
erbringenden Leistungen offenbar. Sie wird nicht dadurch
aufgehoben, dass die Kapitalüberlassung nicht in Form einer
bloßen Darlehenshingabe, sondern eines Kaufpreises für
eine verbriefte Forderung erfolgt (BFH-Urteil in BFHE 151, 512,
BStBl II 1988, 252 = SIS 88 04 01). Insoweit ist ein
Emissionsdisagio daher mit einem Auszahlungsdisagio bei einem
„normalen“ Darlehen sehr wohl vergleichbar (vgl.
die Beispiele bei Bachem, BB 1991, 1671; a.A. Plewka/Schimmele, DB
1998, 2494, 2495 f.). Die hierzu getroffene Unterscheidung im
BFH-Urteil in BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252 = SIS 88 04 01
(a.E.) war lediglich für die Frage des Zuflusses des Disagios
im Sinne der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht
i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG beim Darlehensgeber als
Bezieher von (Überschuss-)Einkünften aus
Kapitalvermögen von Bedeutung (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom
21.5.1993 VIII R 1/91, BFHE 172, 42, BStBl II 1994, 93 = SIS 93 22 02).
Gegen diese Beurteilung spricht nicht das zur
Frage der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens eines
Kreditinstituts ergangene BFH-Urteil vom 15.7.1998 II R 40/97 (BFHE
188, 119, BStBl II 1999, 337 = SIS 99 11 18), in dem die
Übernahme aktiver RAP für Emissionsdisagien bei
Schuldverschreibungen in die Vermögensaufstellung - unter
Zugrundelegung einer wie von der Vorinstanz vertretenen
zivilrechtlichen Betrachtung - verneint wurde. Diese Entscheidung
wird ausdrücklich damit begründet, dass der auf
wirtschaftlichen Gesichtspunkten beruhende Gedanke einer
periodengerechten Rechnungsabgrenzung, wie er das Bilanzsteuerrecht
beherrsche und der ertragsteuerrechtlichen Behandlung des
Emissionsdisagios beim Emittenten zugrunde liege, dem
Bewertungsrecht fremd sei.
Auch aus dem Senatsurteil vom 26.4.1995 I R
92/94 (BFHE 177, 444, BStBl II 1995, 594 = SIS 95 16 18 - zum
Wechseldiskontgeschäft - ) lässt sich Gegenteiliges nicht
ableiten. Diesem Urteil ist zu entnehmen, dass die zivilrechtliche
Qualifikation eines Geschäfts bilanzsteuerrechtlich insoweit
zu beachten sei, als sie Aussagen über Bestand und Höhe
von Forderungen betreffe; für den Ansatz einer Forderung (und
eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens) sei beim
Wechseldiskontgeschäft kein Raum. Die Rechtssituation sei
insoweit aber nicht vergleichbar mit der eines Disagios, nachdem
dort eine unbedingte Forderung auf den (vollen)
Rückzahlungsbetrag bestehe.
Schließlich lässt sich gegen die
Beurteilung des Senats nicht anführen, dass das Disagio bei
vorzeitiger Erfüllung der zugrunde liegenden Verpflichtung
nicht (teilweise) zurückzugewähren sei, nachdem im
Streitfall - wie regelmäßig bei
Inhaberschuldverschreibungen - eine vorzeitige Rückzahlung des
vereinnahmten Betrages nicht vorgesehen war.
3. Ob eine Aktivierungspflicht in Bezug auf
die streitbefangenen Disagien auch aus dem handelsrechtlichen
Aktivierungswahlrecht gemäß § 250 Abs. 3 HGB und
dem aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG resultierenden Grundsatz
abgeleitet werden kann, dass in der Steuerbilanz eine
Aktivierungspflicht für Positionen besteht, für die ein
handelsrechtliches Aktivierungswahlrecht begründet ist
(Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3.2.1969 GrS 2/68,
BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291 = SIS 69 01 88), oder ob § 5
Abs. 5 EStG als abschließende Regelung in Bezug auf die
Bildung steuerbilanzieller RAP zu verstehen ist (so z.B. Hahne,
DStR 2005, 2000, 2003; derselbe, StuB 2006, 295, 300; Federmann in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 1945, jeweils m.w.N.),
bedarf keiner Entscheidung.