Erststudium nach abgeschlossener Berufsausbildung, Abzugsfähigkeit: 1. § 12 Nr. 5 EStG bestimmt in typisierender Weise, dass bei einer erstmaligen Berufsausbildung ein hinreichend veranlasster Zusammenhang mit einer bestimmten Erwerbstätigkeit fehlt. Die Vorschrift enthält jedoch kein Abzugsverbot für erwerbsbedingte Aufwendungen. - 2. In verfassungskonformer Auslegung steht § 12 Nr. 5 EStG einem Abzug von Aufwendungen als Werbungskosten für ein Erststudium nach abgeschlossener Berufsausbildung nicht entgegen. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 22.9.2010, IV C 4 - S 2227/07/10002 :002, BStBl 2010 I S. 721 = SIS 10 27 84) - Urt.; BFH 18.6.2009, VI R 14/07; SIS 09 28 99
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt werden.
Der Kläger ist als Lehrer tätig.
Die 1967 geborene Klägerin besitzt eine abgeschlossene
Ausbildung als Buchhändlerin. Nach Abschluss der Ausbildung
begann sie zunächst ein Sonderschulpädagogik-Studium,
welches sie allerdings aufgrund einer Schwangerschaft nicht
beendete. Im Jahr 2002 begann die Klägerin ein Studium zur
Grund-, Haupt- und Realschullehrerin.
Bis einschließlich 2004
berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) die im Zusammenhang mit dem Studium geltend
gemachten Kosten der Klägerin, für 2002 nach
Durchführung eines finanzgerichtlichen Klageverfahrens, als
Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus
nichtselbständiger Arbeit.
Auch für das Streitjahr (2005) machte
die Klägerin den Abzug der Aufwendungen für das Studium
geltend, und zwar in Höhe von 6.424 EUR. Das FA sah diese
Ausgaben nunmehr als Berufsausbildungskosten i.S. von § 10
Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an und ließ
sie nur in Höhe von 4.000 EUR zum Abzug zu.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage unter
Hinweis auf § 12 Nr. 5 EStG ab. Das Urteil ist in DStRE 2007,
951 = SIS 07 21 93 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die Kläger
die Verletzung materiellen Rechts. Sie machen vornehmlich die
Verfassungswidrigkeit des § 12 Nr. 5 EStG geltend.
Die Kläger beantragen, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer-Veranlagung
2005, zuletzt geändert durch Bescheid vom 27.4.2009,
dahingehend zu ändern, dass die von der Klägerin geltend
gemachten Aufwendungen in Höhe von 6.214 EUR insgesamt als
vorweggenommene Werbungskosten berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Am 27.4.2009 hat das FA den angefochtenen
Einkommensteuerbescheid geändert.
II. Die Revision der Kläger ist
begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Der Aufhebung des Urteils aus
verfahrensrechtlichen Gründen gemäß § 127 FGO
bedarf es nicht (vgl. dazu etwa Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 15.3.2007 VI R 29/05, BFH/NV 2007, 1076 = SIS 07 15 28).
Die Aufwendungen der Klägerin für
das Studium sind als (vorweggenommene) Werbungskosten
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bei ihren
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu
berücksichtigen. Sie sind keine Kosten der Berufsausbildung
i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
1. Die frühere Rechtsprechung des BFH
unterschied zwischen den als Werbungskosten abziehbaren Kosten
einer Fortbildung in einem bereits ausgeübten Beruf und den
als Sonderausgaben begrenzt abziehbaren Kosten einer Ausbildung zu
einem künftigen Beruf. Als Fortbildungskosten erkannte der BFH
nur Ausgaben an, die ein Steuerpflichtiger tätigt, um in dem
ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben und den
jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden.
Dagegen nahm der BFH Berufsausbildungskosten
bereits dann an, wenn die Aufwendungen dem Ziel dienen, Kenntnisse
zu erwerben, die als Grundlage für einen künftigen Beruf
notwendig sind oder welche die Grundlage dafür bilden sollen,
um von einer Berufs- oder einer Erwerbstätigkeit zu einer
anderen überzugehen, die also einen Berufswechsel vorbereiten
sollen. Derartige Aufwendungen stünden noch nicht mit einer
konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden
Einnahmen im Zusammenhang. Ausgaben dieser Art erwüchsen
grundsätzlich jedem Steuerpflichtigen; sie gehörten daher
zu den Kosten der Lebensführung und seien deshalb nach §
12 Nr. 1 EStG nicht als Werbungskosten abziehbar.
Zu den Berufsausbildungskosten gehörten
stets die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für ein
Erststudium an einer Hochschule (Universität oder
Fachhochschule), weil es dem Steuerpflichtigen eine andere
(höherrangige) berufliche, gesellschaftliche und
wirtschaftliche Stellung eröffne (BFH-Urteil vom 4.12.2002 VI
R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74,
m.w.N.).
Der Senat hat, beginnend mit der Entscheidung
in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74, diese
Rechtsprechung aufgegeben und von der strikten Unterscheidung
zwischen Aus- und Fortbildung Abstand genommen. Nach der
geänderten Rechtsprechung können auch Aufwendungen
für ein erstmaliges Hochschulstudium Werbungskosten i.S. von
§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sein. Ob das Studium eine Basis
für andere Berufsfelder schafft oder einen Berufswechsel
vorbereitet, ist unerheblich (vgl. etwa BFH-Urteile vom 17.12.2002
VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407 = SIS 03 07 75; vom
22.7.2003 VI R 50/02, BFHE 202, 563, BStBl II 2004, 889 = SIS 03 38 24; vom 4.11.2003 VI R 96/01, BFHE 203, 500, BStBl II 2004, 891 =
SIS 04 05 43; vom 20.7.2006 VI R 26/05, BFHE 214, 370, BStBl II
2006, 764 = SIS 06 35 00). Maßgeblich ist das
Veranlassungsprinzip. Dieses Prinzip ist auch im Streitfall
anzuwenden.
2. Der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs.
1 Nr. 7 EStG steht dem ebenso wenig entgegen wie das Abzugsverbot
in § 12 Nr. 5 EStG.
a) Nach dem Einleitungssatz des § 10 Abs.
1 i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG sind Aufwendungen des
Steuerpflichtigen für seine eigene Berufsausbildung nur dann
Sonderausgaben, „wenn sie weder Betriebsausgaben noch
Werbungskosten sind“. Danach hat der Werbungskosten- bzw.
Betriebsausgabenabzug Vorrang vor dem Abzug von Aufwendungen
für die eigene Berufsausbildung als Sonderausgaben, so dass
§ 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG keine Sperrwirkung für
erwerbsbedingte Aufwendungen entfalten kann (vgl. im Einzelnen
BFH-Urteile vom 27.5.2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004,
884 = SIS 03 29 58; in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74; in BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407 = SIS 03 07 75; vom
13.2.2003 IV R 44/01, BFHE 201, 495, BStBl II 2003, 698 = SIS 03 26 67).
b) Nach Auffassung des Senats steht aber auch
§ 12 Nr. 1 EStG einem Abzug von Bildungsaufwendungen im
Allgemeinen und Kosten für ein Studium im Besonderen nicht
entgegen (s. etwa BFH-Urteil in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 =
SIS 03 07 74). Die aus beruflichen Gründen entstandenen Kosten
sind nicht zugleich Aufwendungen für die private
Lebensführung, welche die wirtschaftliche und
gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt
(§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG). Das die Aufwendungen
auslösende, maßgebliche Moment entstammt in diesen
Fällen der beruflichen und nicht der privaten Sphäre (s.
etwa BFH-Urteile in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74; in BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884 = SIS 03 29 58; zur
Veranlassung von Bildung s. Pfab, Die Behandlung von
Bildungsaufwendungen im deutschen Einkommensteuerrecht,
Frankfurt/Main, 2008, 191 ff., 205 ff.).
c) Die durch das Gesetz zur Änderung der
Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21.7.2004 (BGBl I 2004,
1753, BStBl I 2005, 343) rückwirkend in Kraft getretene (s.
Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes) Bestimmung des § 12 Nr. 5 EStG
hindert die Abziehbarkeit von beruflich veranlassten Kosten
für ein sog. Erststudium zumindest dann nicht, wenn diesem -
wie im Streitfall - eine abgeschlossene Berufsausbildung
vorausgegangen ist.
Nach § 12 Nr. 5 EStG dürfen
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige
Berufsausbildung und für ein Erststudium weder bei den
einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte
abgezogen werden. Die Vorschrift bestimmt in typisierender Weise,
dass Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung (und
ein Erststudium) - von dem in Halbsatz 2 der Vorschrift genannten
Fall abgesehen - noch nicht mit einer konkreten beruflichen
Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im
Zusammenhang stehen.
Nach der zitierten Rechtsprechung des Senats
sind Aufwendungen für Bildungsmaßnahmen Werbungskosten
i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, wenn ein erwerbsbezogener
Veranlassungszusammenhang besteht, d.h. wenn der erforderliche
Veranlassungszusammenhang mit der späteren beruflichen
Tätigkeit gegeben ist. Diese Rechtsprechung soll
grundsätzlich auch nach der durch die Einfügung des
§ 12 Nr. 5 EStG beabsichtigten „Neuordnung“
der Ausbildungskosten maßgebend sein (BTDrucks 15/3339, 10).
Insoweit konsequent sind von der Neuregelung grundsätzlich die
Steuerpflichtigen nicht betroffen, denen im Anschluss an eine
erstmalige Berufsausbildung Kosten für eine weitere
Berufsausbildung oder sonstige Bildungsmaßnahmen entstehen.
Es soll dabei bleiben, dass jede berufliche Umschulung - d.h. auch
eine berufliche Neuorientierung - zum Abzug der hierfür
geleisteten Aufwendungen als Werbungskosten führen kann. Auch
soweit Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige
Berufsausbildung im Rahmen eines Dienstverhältnisses
stattfinden, wird der Werbungskostenabzug zugelassen. In diesen
Fällen geht das Gesetz offenkundig von einem erwerbsbezogenen
Veranlassungszusammenhang aus; Aufwendungen für eine
erstmalige Berufsausbildung sind hingegen im Regelfall nicht
ausreichend beruflich veranlasst. Insoweit fehlt es, wie beim
Besuch von allgemeinbildenden Schulen, an der konkreten
Berufsbezogenheit (s. dazu BFH-Urteil vom 22.6.2006 VI R 5/04, BFHE
214, 250, BStBl II 2006, 717 = SIS 06 31 51). Diese Sicht gibt die
typisierende Regelung des § 12 Nr. 5 EStG wieder.
d) Diese Typisierung erfasst auch Aufwendungen
für ein Studium, sofern es sich dabei um eine Erstausbildung
handelt. Nach Auffassung des Senats erstreckt sie sich jedoch nicht
auf Steuerpflichtige, die ein Studium im späteren Berufsleben
berufsbegleitend oder in sonstiger Weise als Zweitausbildung
aufnehmen.
Zwar erfasst § 12 Nr. 5 EStG im ersten
Halbsatz dem Wortlaut nach unterschiedslos alle Steuerpflichtigen,
die ein Erststudium absolvieren, unabhängig davon, ob sie
zuvor bereits eine nichtakademische Berufsausbildung durchlaufen
haben oder nicht. Dies würde jedoch in gleichheitswidriger
Weise Steuerpflichtige, die nach abgeschlossener Berufsausbildung
erstmalig ein Studium aufnehmen, gegenüber den
Steuerpflichtigen benachteiligen, die eine zweite nichtakademische
Ausbildung, ein Zweitstudium oder ein Erststudium im Rahmen eines
Dienstverhältnisses absolvieren.
Bei der hiernach gebotenen
verfassungskonformen Auslegung der §§ 10 Abs. 1 Nr. 7 und
12 Nr. 5 EStG erfasst das Abzugsverbot des § 12 Nr. 5 EStG
allenfalls die Fälle des Erststudiums, das zugleich eine
Erstausbildung vermittelt und nicht im Rahmen eines
Dienstverhältnisses stattfindet.
3. Unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze ergibt sich aus den tatsächlichen
Feststellungen des FG, dass die Aufwendungen der Klägerin
für das Lehramtsstudium dem Grunde nach beruflich veranlasst
sind. Es besteht ein hinreichend konkreter Zusammenhang dieser
Ausgaben mit späteren Einnahmen aus der angestrebten
Tätigkeit als Lehrerin. Mit dem Studium wollte sie die
erforderlichen Fachkenntnisse und Fähigkeiten für den
angestrebten Beruf erwerben. Da das Lehramtsstudium auch konkret
und berufsbezogen auf die spätere Berufstätigkeit
vorbereitet, nicht „ins Blaue hinein“ betrieben
oder aus anderen privaten Gründen aufgenommen worden ist (vgl.
BFH-Urteil vom 1.2.2007 VI R 62/03, BFH/NV 2007, 1291 = SIS 07 19 96, m.w.N.) und damit auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet
ist, sind die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen dem
Grunde nach als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar.
§ 12 Nr. 5 EStG steht einem
Werbungskostenabzug nicht entgegen, weil die Klägerin vor
Aufnahme ihres Studiums bereits eine abgeschlossene Ausbildung als
Buchhändlerin absolviert hatte. Auf die Frage, ob das im Jahr
2002 aufgenommene Studium im Hinblick auf das bereits vorher
durchgeführte, aber nicht abgeschlossene Studium der
Sonderpädagogik überhaupt die Voraussetzungen eines
„Erststudiums“ erfüllte, kommt es nicht an.
Ebenso wenig sind die von den Klägern geäußerten
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit des § 12
Nr. 5 EStG entscheidungserheblich.
4. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Da
das FG - aus seiner Sicht zu Recht - zu den einzelnen von der
Klägerin geltend gemachten Aufwendungen keine Feststellungen
getroffen hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache
an das FG zurückzuverweisen.