Erststudium, Werbungskosten: Vorab entstandene Werbungskosten können auch bei einem im Anschluss an das Abitur durchgeführten Hochschulstudium anzuerkennen sein. - Urt.; BFH 20.7.2006, VI R 26/05; SIS 06 35 00
I. Streitig ist, ob Aufwendungen für
ein Studium an einer Universität nach dem Abitur als
Werbungskosten anzuerkennen sind.
Der 1982 geborene Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) begann nach Abitur und Zivildienst
im Oktober 2003 mit dem Studium der Wirtschaftswissenschaften an
der Universität H. Er will später als Diplom-Ökonom
Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielen. In
der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2003
machte er Aufwendungen für das Universitätsstudium in
Höhe von 3.327 EUR als Werbungskosten bei den Einkünften
aus nichtselbstständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) versagte den
Werbungskostenabzug in der beantragten Höhe und
berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr, mit dem die Einkommensteuer auf 0 DM festgesetzt wurde,
die Aufwendungen nur als Sonderausgaben in Höhe von 920 EUR.
Ferner lehnte das FA die gesonderte Feststellung eines am Schluss
des Veranlagungszeitraums 2003 verbleibenden Verlustvortrags zur
Einkommensteuer ab und wies den hiergegen erhobenen Einspruch im
Ergebnis als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG)
gab der Klage teilweise statt (vgl. SIS 05 23 70). Es entschied,
dass die Aufwendungen für das Studium dem Grunde nach als
vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus
nichtselbstständiger Arbeit abziehbar seien. Es stellte den
verbleibenden Verlustvortrag auf 1.118 EUR fest.
Mit der vom FG zugelassenen Revision
rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet;
sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat die Aufwendungen des
Klägers für sein Studium zu Recht als vorab entstandene
Werbungskosten bei den Einkünften aus
nichtselbstständiger Arbeit berücksichtigt.
1. Aufwendungen für eine
Bildungsmaßnahme können, sofern sie beruflich veranlasst
sind, Werbungskosten sein. Liegt ein erwerbsbezogener
Veranlassungszusammenhang vor, kommt es für die steuerliche
Berücksichtigung der Aufwendungen nicht darauf an, ob ein
neuer, ein anderer oder ein erstmaliger Beruf ausgeübt werden
soll. Eine berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver
Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv
zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dabei ist
ausreichend, wenn die Ausgaben den Beruf des Arbeitnehmers im
weitesten Sinn fördern. Der erforderliche
Veranlassungszusammenhang kann bei jedweder berufsbezogenen
Bildungsmaßnahme erfüllt sein. Zur Begründung im
Einzelnen wird auf die Urteile des Senats vom 4.12.2002 VI R 120/01
(BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74, zur Umschulung),
vom 17.12.2002 VI R 137/01 (BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407 = SIS 03 07 75, zum berufsbegleitenden Erststudium) und vom 22.7.2003 VI
R 50/02 (BFHE 202, 563, BStBl II 2004, 889 = SIS 03 38 24, zum
Universitätsstudium im Anschluss an ein Fachhochschulstudium)
verwiesen.
Erzielt der Steuerpflichtige noch keine
Einnahmen, können vorab entstandene Werbungskosten
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) vorliegen. Sie können auch bei einer erstmaligen
Berufsausbildung anzuerkennen sein. Maßgebend ist, dass die
Aufwendungen beruflich veranlasst sind. Sie müssen in einem
hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang mit
künftigen steuerbaren Einnahmen aus einer beruflichen
Tätigkeit stehen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - in BFHE
201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74, unter II. 3. b,
m.w.N.; vom 27.5.2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884
= SIS 03 29 58). Dies verlangt weder einen unmittelbaren
(zutreffend Söhn, Steuer und Wirtschaft - StuW - 2002, 97,
101) noch einen bestimmten zeitlichen Zusammenhang mit Einnahmen
(BFH-Beschluss vom 19.8.2002 IX B 190/01, BFH/NV 2003, 147 = SIS 03 08 04). Die Frage, ob Aufwendungen beruflich veranlasst sind,
obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch
das FG (BFH-Urteil vom 26.1.2005 VI R 71/03, BFHE 208, 572, BStBl
II 2005, 349 = SIS 05 16 32).
2. Für den Veranlagungszeitraum bis 2003
und damit für den Zeitraum vor In-Kraft-Treten von § 12
Nr. 5 EStG durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung
und weiterer Gesetze vom 21.7.2004 (BGBl I 2004, 1753, BStBl I
2005, 343) war bislang höchstrichterlich noch nicht
ausdrücklich entschieden, ob auch die Kosten für ein im
Anschluss an das Abitur durchgeführtes Hochschulstudium auf
der Grundlage der neuen Rechtsprechung zur steuerlichen
Berücksichtigung von Bildungsaufwendungen zum
Werbungskostenabzug führen können. Der Senat ist der
Auffassung, dass insoweit die gleichen Grundsätze gelten
(gl.A. Söhn, a.a.O.; Schmidt/Drenseck, EStG, 25. Aufl., §
19 Rz. 60 Stichwort Ausbildungskosten; Drenseck, DStR 2004, 1766;
Thomas in Kommentierte Finanzrechtsprechung - KFR -, F. 3 EStG
§ 9, 3/03, 123; Buciek, DStZ 2003, 541; Loschelder in
Herrmann/ Heuer/Raupach - HHR -, Jahresband 2005, § 12 EStG
Anm. J 04-3; Marx, BB 2003, 2267; Oberfinanzdirektion - OFD -
Münster vom 11.3.2005, DB 2005, 641 = SIS 05 17 33; zur
Reaktion der Finanzverwaltung auf die neue Rechtsprechung im
Übrigen vgl. HHR/Loschelder, a.a.O., m.w.N.; a.A.
Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz. 600 Stichwort
Ausbildung/Fortbildung; von Bornhaupt, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rdnr. B 277 ff.;
Fischer in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 10 Rn. 28). Ist der
Veranlassungszusammenhang zu bejahen, bestehen keine Gründe
danach zu differenzieren, ob eine akademische oder eine nicht
akademische Bildungsmaßnahme zu beurteilen ist. Denn in
beiden Fällen werden die Voraussetzungen dafür
geschaffen, dass der Steuerpflichtige das erworbene Berufswissen am
Markt einsetzen kann, um Einnahmen zu erzielen (BFH-Urteil in BFHE
201, 211, BStBl II 2003, 407 = SIS 03 07 75).
3. Nach diesen Grundsätzen ist im
Streitfall - unter Berücksichtigung der tatsächlichen
Feststellungen des FG - der erforderliche erwerbsbezogene
Veranlassungszusammenhang zu bejahen. Das FG hat zu Recht
entschieden, dass die Aufwendungen des Klägers für das
Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität H dem
Grunde nach beruflich veranlasst sind. Es besteht ein hinreichend
klarer Zusammenhang dieser Ausgaben mit späteren Einnahmen aus
der angestrebten Tätigkeit als Diplom-Ökonom. Dieser
ergibt sich daraus, dass das vom Kläger aufgenommene Studium
Berufswissen vermittelt sowie konkret und berufsbezogen auf eine
Berufstätigkeit vorbereitet und damit Berufsausbildung
darstellt. Eine der Berufsausbildung dienende
Bildungsmaßnahme ist regelmäßig auf die Erzielung
von steuerbaren Einnahmen gerichtet. Es handelt sich bei dem
Studium wie bei jeder Berufsausbildung um die erste Maßnahme
bzw. Vorbereitungshandlung (vgl. HHR/Kreft, § 9 EStG Anm. 162)
zur Begründung der späteren Erwerbstätigkeit. Die
erwarteten späteren Einnahmen beruhen auf der vorherigen
(akademischen) Ausbildung.
Der Senat teilt die Auffassung des FA nicht,
dass zwischen Hochschulstudium und der künftigen
Berufstätigkeit grundsätzlich kein ausreichender
Veranlassungszusammenanhang bestehe. Entscheidend ist, dass auf der
Grundlage der durch ein Studium angestrebten Qualifizierung
regelmäßig Erwerbseinnahmen angestrebt werden, was die
Behandlung der entsprechend aufgewendeten Kosten als
Erwerbsaufwendungen zur Folge hat. Es kommt insoweit nicht darauf
an, dass das Studium bzw. der Studiengang bereits auf eine ganz
bestimmte berufliche Tätigkeit zugeschnitten ist (Drenseck,
DStR 2004, 1766). Der notwendige Veranlassungszusammenhang fehlt
nur dann, wenn „gleichsam ins Blaue hinein“
studiert wird (BFH-Urteil vom 19.4.1996 VI R 24/95, BFHE 180, 360,
BStBl II 1996, 452 = SIS 96 18 03) oder ansonsten private
Gründe für die Aufnahme des Studiums nicht ausgeschlossen
werden können (BFH-Urteil in BFHE 208, 572, BStBl II 2005, 349
= SIS 05 16 32; BFH-Beschluss vom 19.2.2005 VI B 33/04, BFH/NV
2005, 1056 = SIS 05 25 79). Im Übrigen ist nach der neuen
Rechtsprechung des Senats die Aneignung von Berufswissen auch bei
Aufnahme eines Studiums kein Vorgang, der die private
Lebensführung berührt.
Da im Streitfall das Studium auf die Erzielung
von Einnahmen gerichtet ist, sind die damit in Zusammenhang
stehenden Aufwendungen dem Grunde nach als vorab entstandene
Werbungskosten abziehbar. Die Entscheidung der Vorinstanz ist
insoweit revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Frage, in
welcher Höhe die geltend gemachten Aufwendungen als
Werbungskosten zu berücksichtigen sind, ist nicht im
Streit.