1
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I. Streitig ist, ob Aufwendungen für
eine Berufsausbildung als Verkehrsflugzeugführer zu
vorweggenommenen Werbungskosten führen. Der Kläger und
Revisionskläger (Kläger) absolvierte ab 5.7.2004 seine
erstmalige Berufsausbildung, eine Ausbildung als Verkehrspilot, bei
der C, einer Tochtergesellschaft der Y. Dem Kläger entstanden
dafür nach seinen eigenen Angaben im Streitjahr (2004)
Ausbildungskosten in Höhe von 27.879 EUR. Die Y stellte den
Kläger im Anschluss an dessen Ausbildung ab März 2006 als
Verkehrsflugzeugführer an, nachdem sie ihm bereits im Jahr
2005 eine dementsprechende Zusage erteilt hatte. Daneben war der
Kläger vom 1.9.2004 bis zum 1.10.2005 bei C im Rahmen einer
geringfügigen Beschäftigung tätig.
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Der Kläger beantragte mit seiner
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr einen
verbleibenden Verlustvortrag in Höhe von 27.879 EUR auf den
31.12.2004 festzustellen. Er sah in den von ihm in dieser Höhe
getragenen und darlehensfinanzierten Ausbildungskosten
vorweggenommene Werbungskosten für seine künftige
nichtselbständige Tätigkeit als Pilot.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) lehnte das mit Hinweis auf die Neuregelung in
§ 12 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab. Der
Einspruch dagegen blieb erfolglos.
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Die dagegen erhobene und auf Feststellung
eines verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum
31.12.2004 in Höhe von 27.879 EUR gerichtete Klage wies das
Finanzgericht (FG) aus den in EFG 2010, 1686 = SIS 10 25 67
veröffentlichten Gründen ab.
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Mit der dagegen eingelegten Revision
rügt der Kläger die Verletzung materiellen
Rechts.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des
FG des Saarlandes vom 4.5.2010 aufzuheben und den
Ablehnungsbescheid vom 25.7.2005 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 20.10.2005 über die Feststellung
des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum
31.12.2004 dahingehend abzuändern, dass der verbleibende
Verlustvortrag um Werbungskosten in Höhe von 27.879 EUR
erhöht wird.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
hat mit Schriftsatz vom 6.5.2011 den Beitritt zum Verfahren nach
§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
erklärt.
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II. Die Revision des Klägers ist
begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat die Aufwendungen des
Klägers für dessen Ausbildung als Berufspilot zu Unrecht
vom Abzug als (vorweggenommene) Werbungskosten gemäß
§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ausgeschlossen. Die Sache ist
allerdings nicht entscheidungsreif. Denn das FG hat zur Höhe
der dem Kläger im Einzelnen entstandenen Kosten keine
Feststellungen getroffen.
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1. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1
Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der
Einnahmen. Nach Angleichung des Begriffs der Werbungskosten an den
der Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4.3.1986 VIII R 188/84, BFHE 146, 151,
BStBl II 1986, 373 = SIS 86 10 14) liegen Werbungskosten vor, wenn
sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger
Einnahmen veranlasst sind. Nach dem einkommensteuerrechtlichen
Nettoprinzip ist für die Abgrenzung beruflicher Aufwendungen
das Veranlassungsprinzip maßgebend. Die Aufwendungen sind
danach beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit
dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung
des Berufs geleistet werden (Urteil des Bundesverfassungsgerichts -
BVerfG - vom 9.12.2008 2 BvL 1/07 u.a., BVerfGE 122, 210 = SIS 08 43 42; BFH-Beschluss vom 21.9.2009 GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl II
2010, 672 = SIS 10 00 37). Dabei ist ausreichend, wenn die Ausgaben
den Beruf des Arbeitnehmers im weitesten Sinne fördern
(Urteile des erkennenden Senats vom 4.12.2002 VI R 120/01, BFHE
201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74; vom 17.12.2002 VI R
137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407 = SIS 03 07 75; jeweils
m.w.N.).
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a) Dies gilt nach ständiger
Rechtsprechung des BFH grundsätzlich auch dann, wenn der
Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt.
Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten
abziehbar, wenn sie in einem hinreichend konkreten, objektiv
feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren
Einnahmen stehen (BFH-Urteile vom 18.4.1996 VI R 89/93, BFHE 180,
353, BStBl II 1996, 449 = SIS 96 16 43; vom 19.4.1996 VI R 24/95,
BFHE 180, 360, BStBl II 1996, 452 = SIS 96 18 03).
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b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile
in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74; in BFHE 201,
211, BStBl II 2003, 407 = SIS 03 07 75) kann der erforderliche
Veranlassungszusammenhang auch bei berufsbezogenen
Bildungsmaßnahmen erfüllt sein. Denn § 9 EStG
enthält keine Sonderregelung zu Berufsbildungskosten.
Entscheidend bleibt daher nach den vorgenannten Grundsätzen
auch insoweit, ob die Aufwendungen in einem hinreichend konkreten
Veranlassungszusammenhang zur nachfolgenden auf die Erzielung von
Einkünften gerichteten Berufstätigkeit stehen.
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c) Der Werbungskostenabzug ist gegenüber
dem Abzug von Aufwendungen als Sonderausgaben vorrangig. Das ist
ein allgemeiner, für alle Sonderausgaben durch den
Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG normierter Grundsatz. Wie
der Senat schon früher entschieden hatte (Urteile in BFHE 201,
156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74; in BFHE 201, 211, BStBl II
2003, 407 = SIS 03 07 75), steht § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG dem
Abzug der Berufsbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen.
Denn nach dem Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG sind
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung
nur dann Sonderausgaben, „wenn sie weder Betriebsausgaben
noch Werbungskosten sind“.
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Dieser Vorrang für den
Werbungskostenabzug gilt unverändert und insbesondere auch
nach der Neuregelung des Abzugs der Berufsausbildungskosten und der
Einführung des § 12 Nr. 5 EStG durch das Gesetz zur
Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21.7.2004
(BGBl I 2004, 1753). Denn auch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG i.d.F.
dieses Änderungsgesetzes (BGBl I 2004, 1753) sieht den Abzug
der Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine
Berufsausbildung nur dann als Sonderausgaben vor, „wenn
sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind“.
Danach entfaltet § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG unverändert keine
Sperrwirkung gegenüber dem Werbungskostenabzug (vgl. zuletzt
Senatsentscheidung vom 18.6.2009 VI R 14/07, BFHE 225, 393, BStBl
II 2010, 816 = SIS 09 28 99, m.w.N.). Der Abzug der Aufwendungen
als Erwerbsaufwendungen bleibt danach vielmehr gegenüber deren
Abzug als Sonderausgaben vorrangig.
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d) Auch § 12 Nr. 5 EStG lässt den
Vorrang des Werbungskostenabzugs gegenüber dem als
Sonderausgaben unberührt und steht daher dem Abzug der
Berufsbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen. Dies gilt
nicht nur für den vom Senat schon entschiedenen Fall, dass der
Ausbildung oder dem sog. Erststudium eine abgeschlossene
Berufsausbildung vorangegangen ist (dazu Urteil in BFHE 225, 393,
BStBl II 2010, 816 = SIS 09 28 99), sondern auch dann, wenn die
Ausbildung eine Erstausbildung ist und die dafür
getätigten Aufwendungen in einem hinreichend konkreten
Veranlassungszusammenhang mit der späteren der
Einkünfteerzielung dienenden Berufstätigkeit stehen.
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aa) Nach § 12 Nr. 5 EStG sind
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige
Berufsausbildung und für ein Erststudium nur insoweit weder
bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der
Einkünfte abzuziehen, als „in § 10 Abs. 1 Nr. 1,
2, 4, 6, 7 und 9, § 10a, § 10b und §§ 33 bis
33c nichts anderes bestimmt ist“. § 12 Nr. 5 EStG
schließt damit nicht per se und ausnahmslos den
Betriebsausgaben- und Werbungskostenabzug aus, wie dies etwa §
4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 bis 11 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG als
allgemeines einkommensteuerrechtliches Regelungsmodell zur
Begrenzung des Abzugs normiert, wenn der Aufwand zugleich auch die
private Lebenssphäre berührt (BVerfG-Urteil in BVerfGE
122, 210 = SIS 08 43 42, C.II.1.). § 12 Nr. 5 EStG steht
vielmehr - wie auch § 12 Nrn. 1 bis 4 EStG und vergleichbar
mit § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG - unter dem Anwendungsvorbehalt
seines Einleitungssatzes. Danach bestimmt der dort in Bezug
genommene § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG insoweit etwas anderes, als
die Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung als
Sonderausgaben abgezogen werden können, wenn sie weder
Werbungskosten noch Betriebsausgaben sind. Wenn indessen § 12
Nr. 5 EStG den vorrangigen Sonderausgabenabzug anordnet, der
vorrangige Sonderausgabenabzug aber seinerseits - wie dargelegt -
unter dem Vorbehalt steht, dass die Aufwendungen nicht als
Erwerbsaufwendungen (Werbungskosten, Betriebsausgaben) zu
beurteilen sind, bleibt im Ergebnis auch durch § 12 Nr. 5 EStG
der vorrangige Werbungskostenabzug grundsätzlich
unberührt. Deshalb sind Aufwendungen für die eigene
Berufsausbildung auch unter Geltung des § 12 Nr. 5 EStG als
Werbungskosten abziehbar, sofern ein hinreichend konkreter
Veranlassungszusammenhang zwischen den Aufwendungen und der
späteren auf Einkünfteerzielung gerichteten
Berufstätigkeit besteht.
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bb) Das (klarstellende) Abzugsverbot in §
12 Nr. 5 EStG ist damit allerdings nicht gegenstandslos. § 12
Nr. 5 EStG hat eine ähnliche Funktion wie der systematisch
gleichrangige § 12 Nr. 1 EStG. § 12 Nr. 5 EStG begrenzt
den Werbungskostenabzug in keinem größeren Umfang als
etwa § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG, der zwar privat veranlasste
Kosten im einkommensteuerrechtlich Unerheblichen belässt, aber
deren beruflich veranlassten Teil nicht vom Werbungskostenabzug
ausnimmt, so etwa die dem beruflichen Teil zuzuordnenden Reise-,
PKW- oder Telefonkosten (BFH-Beschluss in BFHE 227, 1, BStBl II
2010, 672 = SIS 10 00 37). Der Senat (Urteile in BFHE 201, 156,
BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74; in BFHE 201, 211, BStBl II 2003,
407 = SIS 03 07 75) hatte bereits vor Ergänzung des § 12
EStG durch dessen Nr. 5 entschieden, dass § 12 Nr. 1 Satz 1
und Satz 2 EStG einem Abzug der Aufwendungen für ein aus
beruflichen Gründen aufgenommenes Erststudium als
Werbungskosten nicht entgegensteht, weil solche Kosten nicht
zugleich Aufwendungen für die private Lebensführung
darstellten, welche die wirtschaftliche oder gesellschaftliche
Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt. § 12 Nr. 1
EStG wolle insbesondere verhindern, dass ein Steuerpflichtiger die
Aufwendungen für seine Lebensführung nur deshalb
steuerlich geltend machen könne, weil er einen entsprechenden
Beruf habe, während andere Steuerpflichtige gleichartige
Aufwendungen aus versteuerten Einkommen decken müssten. Sind
die Aufwendungen indessen aus beruflichen Gründen entstanden,
liegen eben keine Aufwendungen der privaten Lebensführung vor,
die i.S. des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG die wirtschaftliche und
gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt.
Das die Aufwendungen auslösende, maßgebliche Moment
entstammt dann der beruflichen und nicht der privaten Sphäre
(so zuletzt Senatsurteil in BFHE 225, 393, BStBl II 2010, 816 = SIS 09 28 99, m.w.N.). Die Aufwendungen sind dann als Werbungskosten
abziehbar; das gebietet nicht zuletzt auch das Gebot der
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
(BFH-Beschluss in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 = SIS 10 00 37).
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In vergleichbarer Weise regelt § 12 Nr. 5
EStG den Bereich der Aufwendungen für die eigene
Berufsausbildung. Danach sind allgemeine Bildungsaufwendungen, die
in keinem hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zu einer
gegenwärtigen oder künftigen beruflichen Tätigkeit
stehen, auf Grundlage des Anwendungsvorbehalts des § 10 Abs. 1
Nr. 7 EStG als Sonderausgaben abziehbar. Besteht indessen ein
hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen diesen
Aufwendungen und einer beruflichen Tätigkeit, schließt
§ 12 Nr. 5 EStG mit seinem ausdrücklichen Verweis auf
§ 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG den dort normierten Anwendungsvorrang
des Betriebsausgaben- und Werbungskostenabzugs nicht aus.
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e) Das FA und das beigetretene BMF können
sich zur Begründung ihrer entgegenstehenden Rechtsauffassung
nicht auf den Willen des Gesetzgebers stützen. Denn die allein
im Ausschussbericht (BTDrucks 15/3339, S. 10 f.) erkennbar
gewordene Auffassung, nach der jedenfalls die Ausschussmehrheit die
Aufwendungen für die erste Berufsausbildung den Kosten der
Lebensführung zurechnen wollte, bildet sich nicht in einer
Weise hinreichend konkret in dem an § 12 EStG angefügten
Nr. 5 und dem im Übrigen unveränderten Normengefüge
ab, dass darauf gestützt der Werbungskostenabzug für
Aufwendungen der ersten Berufsausbildung auch dann ausgeschlossen
ist, wenn die Aufwendungen einen hinreichend konkreten
Veranlassungszusammenhang zur späteren Berufstätigkeit
und den damit erzielten Einkünften aufweisen. Im Zweifel ist
mangels eindeutiger gesetzlicher Regelungen bei der Auslegung der
Norm dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenwirken der
§§ 9 Abs. 1, 10 Abs. 1 Nr. 7, 12 EStG sowie dem für
den Werbungskostenabzug tragenden Veranlassungsprinzip der Vorzug
zu geben.
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aa) Ausweislich der Einzelbegründung zu
§ 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG und § 12 Nr. 5 EStG (BTDrucks
15/3339, S. 10 f.) sollte die jüngste Rechtsprechung des BFH
zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung der Ausbildungskosten zum
Anlass genommen werden, diese einkommensteuerrechtliche Behandlung
neu zu ordnen, um die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für
seine Ausbildung in erheblich größerem Umfang als bisher
gesetzlich zu berücksichtigen. Unter Bezugnahme auf die
Rechtsprechung des BFH (Urteile in BFHE 201, 156, BStBl II 2003,
403 = SIS 03 07 74; in BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407 = SIS 03 07 75; vom 27.5.2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884
= SIS 03 29 58), welche die Aufwendungen für eine
Umschulungsmaßnahme, die Aufwendungen für ein
berufsbegleitendes erstmaliges Hochschulstudium sowie die
Aufwendungen für eine - nach abgebrochenem Studium -
erstmalige Berufsausbildung als Pilot jeweils als Werbungskosten
qualifizierte, sollte sich die Neuordnung der
Berufsausbildungskosten weitgehend an diesem grundsätzlichen
Ansatz des BFH orientieren. Andererseits gehöre - so die
Begründung - auch in einer modernen entwickelten Gesellschaft
die erste Berufsausbildung typischerweise zu den
Grundvoraussetzungen für eine Lebensführung. Das Erlernen
der Grundlage eines Berufs diene dem Erwerb einer
selbständigen und gesicherten Position, so dass die
Aufwendungen für die erste Berufsausbildung und für ein
Erststudium ebenso wie die für Erziehung und andere
Grundbedürfnisse schwerpunktmäßig und untrennbar zu
den Kosten der Lebensführung gehörten.
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bb) Der neu geschaffene § 12 Nr. 5 EStG
setzt jedoch, wie dargelegt, nach Wortlaut und systematischem
Zusammenhang das für den Werbungskostenabzug tragende
Veranlassungsprinzip nicht außer Kraft. Aber auch unter
Berücksichtigung der vorgefundenen Gesetzesmaterialien
lässt sich kein grundlegender Systemwechsel erkennen, der das
gesamte und insbesondere unverändert fortgeltende übrige
Normengefüge des Werbungskosten- und Sonderausgabenabzugs
(§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 bis 11, § 9 Abs. 1, 5, §
10 Abs. 1 Nr. 7 EStG) außer Kraft setzen sollte. Denn zum
einen sollten danach die aus § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Nr.
7 EStG hergeleiteten Grundsätze der Rechtsprechung des BFH zu
dem für den Werbungskostenabzug erforderlichen und für
die Zuordnungsentscheidung tragenden Veranlassungszusammenhang
zwischen Berufsausbildungskosten und späteren Einkünften
offenbar unverändert fortgelten. Zum anderen ordnet sogar der
mit der Neuregelung geschaffene § 12 Nr. 5 2. Halbsatz EStG
selbst die Aufwendungen für eine auch erste Berufsausbildung
nicht vorrangig dem Sonderausgabenabzug zu. Die Neuregelung selbst
geht damit offensichtlich davon aus, dass solche Aufwendungen
jedenfalls dann Werbungskosten sein können, soweit sie im
Rahmen eines Dienstverhältnisses entstehen, also offenkundig
einen hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zur
Berufstätigkeit aufweisen. Und dieses Wortlautverständnis
wird gerade durch die Begründung zu § 12 Nr. 5 2.
Halbsatz EStG bestätigt. Denn danach dienen diese Kosten
unmittelbar dazu, Einnahmen in einem bestehenden
Dienstverhältnis zu erzielen, und werden daher zu mit
positiven Einkünften verrechenbaren Werbungskosten
erklärt (BTDrucks 15/3339, S. 11).
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cc) Ein grundlegender Systemwechsel setzt die
Schaffung eines wirklich neuen Regelwerks voraus. Davon kann
insbesondere dann nicht ausgegangen werden, wenn trotz Bekundungen
im Gesetzgebungsverfahren bei der Neuregelung im Übrigen
unverändert an bisherigen Grundentscheidungen und
Grundprinzipien festgehalten wird. Lässt sich aus der neu
geschaffenen materiellen Rechtslage ein solcher grundlegender
Systemwechsel nicht entnehmen, kann nach dem Urteil des BVerfG zur
Verfassungswidrigkeit der Pendlerpauschale (in BVerfGE 122, 210 =
SIS 08 43 42 zur Neuregelung des § 9 Abs. 2 Sätze 1, 2
EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2007 - StändG
2007 - vom 19.7.2006, BGBl I 2006, 1652) die gesetzliche
Neuregelung mangels verfassungsrechtlich erforderlicher
Folgerichtigkeit verfassungswidrig sein. Vergleichbar damit bietet
mangels eines festzustellenden grundlegenden Systemwechsels allein
eine Äußerung im Gesetzgebungsverfahren auch noch keine
tragfähige Grundlage für eine Auslegung, die aus den
vorgenannten Gründen dem Wortlaut und einer im Übrigen
erkennbar beibehaltenen Systematik zuwiderläuft.
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dd) Angesichts dessen kann hier dahinstehen,
ob und inwieweit der Gesetzgeber von Verfassungs wegen berechtigt
wäre, abweichend von der bisherigen einfachrechtlichen
einkommensteuerrechtlichen Qualifikation der
Berufsausbildungsaufwendungen als Werbungskosten diese als privat
mitveranlasst anzusehen und insoweit den Betriebsausgaben- und
Werbungskostenabzug auszuschließen. Denn auch bei einem auf
multikausale und multifinale Wirkungszusammenhänge
gestützten weiten Typisierungsspielraum des Gesetzgebers
(BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210 = SIS 08 43 42, C.II.4.)
wäre zu beachten, dass die einkommensteuerrechtliche
Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands nicht ohne
weiteres zur Disposition des Gesetzgebers steht. Nach der
Rechtsprechung des BVerfG kommt es nicht auf die einfachrechtliche
Differenzierung zwischen beruflichem und privatem
Veranlassungszusammenhang an, sondern auf die Unterscheidung
zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und
zwangsläufigem und pflichtbestimmtem Aufwand andererseits
(BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210 = SIS 08 43 42, C.I.3.c,
m.w.N.).
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24
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Ebenso kann deshalb die Frage dahinstehen, ob
die Neuregelung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
verstößt, weil sie - etwa vergleichbar mit § 9 Abs.
2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 EStG i.d.F. des StÄndG 2007 - von dem
nach dem einkommensteuerrechtlichen Nettoprinzip für die
Abgrenzung beruflicher Aufwendungen maßgeblichen
Veranlassungsprinzip singulär abweicht (BVerfG-Urteil in
BVerfGE 122, 210 = SIS 08 43 42, C.II.1.). Entsprechendes gilt
schließlich für die Frage, ob das aus Art. 20 Abs. 3 des
Grundgesetzes hergeleitete Prinzip des rechtsstaatlichen
Vertrauensschutzes einer rückwirkenden Anwendung des § 12
Nr. 5 EStG entgegensteht.
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f) Auf Grundlage der vorgenannten Gründe
hält der erkennende Senat nicht mehr an der in seinen Urteilen
vom 18.6.2009 (in BFHE 225, 393, BStBl II 2010, 816 = SIS 09 28 99;
VI R 31/07, BFH/NV 2009, 1797 = SIS 09 32 46; u.a.) vertretenen,
dort allerdings nicht entscheidungserheblichen Auffassung fest,
wonach § 12 Nr. 5 EStG in typisierender Weise bestimme, dass
Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung - von dem in
Halbsatz 2 der Vorschrift genannten Fall abgesehen - noch nicht mit
einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus
fließenden Einnahmen im Zusammenhang stehen. Denn diese
Auffassung könnte zwar der Sichtweise der Begründung des
§ 12 Nr. 5 EStG (BTDrucks 15/3339, S. 10) entsprechen, findet
aber, wie dargelegt, keine hinreichende Grundlage im Wortlaut der
Norm.
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2. Nach Maßgabe der vorgenannten
Rechtsgrundsätze sind die vom Kläger geleisteten
Aufwendungen für seine Ausbildung zum Berufspiloten auf
Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG dem Grunde
nach vorweggenommene Werbungskosten. Denn es besteht ein
hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen diesen
Aufwendungen zur Ausbildung als Pilot und der nachfolgenden
Berufstätigkeit des Klägers als Pilot und den daraus
erzielten Einkünften.
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3. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Denn
das FG hat - aus seiner Sicht zu Recht - zu den einzelnen vom
Kläger geltend gemachten Aufwendungen noch keine
Feststellungen getroffen. Das angefochtene Urteil war daher
aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
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