Haftungsbescheid, Ersetzung während FG-Verfahren: Ersetzt das Finanzamt während eines Klageverfahrens den mit der Klage angefochtenen Haftungsbescheid durch einen anderen Haftungsbescheid, in dem es erstmals seine Ermessenserwägungen erläutert, so wird dieser Bescheid zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Im weiteren Verlauf jenes Verfahrens sind die nunmehr angestellten Ermessenserwägungen in vollem Umfang zu berücksichtigen. - Urt.; BFH 16.12.2008, I R 29/08; SIS 09 15 23
I. Die Beteiligten streiten über die
verfahrensrechtlichen Folgen der Ersetzung eines Haftungsbescheids
durch einen anderen Haftungsbescheid.
Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger), ein Verein, veranstaltet Konzerte. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) nahm an, dass der
Kläger in diesem Zusammenhang seiner Verpflichtung zum
Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes nicht nachgekommen sei, und erließ
deshalb gegen ihn einen Haftungsbescheid über
Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag für den
Anmeldungszeitraum I/2000. Der Einspruch des Klägers gegen
diesen Bescheid hatte keinen Erfolg. Nach den Feststellungen des
Finanzgerichts (FG) enthalten weder der Bescheid selbst noch die
Einspruchsentscheidung Ausführungen zur
Ermessensbetätigung.
Der Kläger focht den Haftungsbescheid
mit einer Klage an. Daraufhin hob das FA den Bescheid am 27.2.2008
auf. Gleichzeitig erließ es einen neuen Haftungsbescheid, der
im Hinblick auf den Haftungsgegenstand und die Haftungsbeträge
mit dem ursprünglichen identisch ist. In diesem Bescheid
heißt es u.a., der Kläger werde als Haftungsschuldner in
Anspruch genommen, weil er den maßgeblichen Vertrag
geschlossen und die für die Steuerschuld maßgebliche
Vergütung gezahlt habe und weil der Steuerschuldner im Ausland
ansässig sei; von einer Inanspruchnahme des gesetzlichen
Vertreters des Klägers werde zunächst abgesehen. Der
Bescheid enthält ferner den Hinweis, dass er gemäß
§ 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des
anhängigen Klageverfahrens werde.
Nach Erhalt dieses Bescheids erklärte
der Kläger im Klageverfahren den Rechtsstreit in der
Hauptsache für erledigt. Das FA gab keine
Erledigungserklärung ab. Daraufhin erließ das FG ein
Urteil mit dem Tenor, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache
erledigt habe (Niedersächsisches FG, Urteil vom 6.3.2008 11 K
300/01). Das Urteil ist in EFG 2008, 1051 = SIS 08 23 28
abgedruckt.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision
rügt das FA eine Verletzung des § 68 FGO. Es beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, dass der
Haftungsbescheid vom 27.2.2008 zum Gegenstand des
finanzgerichtlichen Verfahrens geworden ist und dass die darin
enthaltenen Ermessenserwägungen bei der Entscheidung des FG zu
berücksichtigen sind.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 FGO). Dieses hat zu Unrecht angenommen, dass der
Haftungsbescheid vom 27.2.2008 nicht zum Gegenstand des bei ihm
anhängigen Verfahrens geworden ist.
1. Ein vor dem FG geführter Rechtsstreit
ist in der Hauptsache erledigt, wenn nach Eintritt der
Rechtshängigkeit ein Ereignis eingetreten ist, durch welches
das gesamte im Verfahren streitige - nach Maßgabe des
Klageantrags zu bestimmende - Klagebegehren objektiv gegenstandslos
geworden ist (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 20.10.2004 II R
74/00, BFHE 207, 355, BStBl II 2005, 99, 100 = SIS 05 02 13;
Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,
§ 138 FGO Rz 9, m.w.N.). Ist eine Erledigung eingetreten und
erklärt daraufhin nur der Kläger den Rechtsstreit
für erledigt, während das FA der
Erledigungserklärung widerspricht, so muss das FG die
Erledigung durch Urteil feststellen (BFH-Urteile vom 19.1.1971 VII
R 32/69, BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307 = SIS 71 01 67; vom
29.11.1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, 105, BStBl II 1985, 370, 372
= SIS 85 09 40; Brandt in Beermann/Gosch, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 138 FGO Rz 191, m.w.N.). So ist das
FG im Streitfall verfahren.
2. Das FG hat das erledigende Ereignis darin
gesehen, dass das FA den ursprünglich angefochtenen
Haftungsbescheid aufgehoben hat. Es hat dabei dem Umstand, dass
zugleich ein neuer Haftungsbescheid erlassen wurde, keine Bedeutung
beigemessen. Insbesondere hat es angenommen, dass jener neue
Bescheid nicht gemäß § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand
des anhängigen Klageverfahrens geworden sei. Dem ist nicht
beizupflichten.
a) Nach § 68 Satz 1 FGO wird, wenn ein
angefochtener Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der
Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird, der neue
Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Ergeht jener
Verwaltungsakt während eines Klageverfahrens und wird durch
ihn dem Begehren des Klägers nicht in vollem Umfang
abgeholfen, so wird durch seinen Erlass das Klageverfahren nicht
erledigt. Es ist vielmehr fortzusetzen, wobei Gegenstand der
gerichtlichen Überprüfung nunmehr der ändernde oder
ersetzende Verwaltungsakt ist.
b) § 68 Satz 1 FGO greift u.a. dann ein,
wenn ein angefochtener Verwaltungsakt aus formellen Gründen
aufgehoben und inhaltsgleich wiederholt wird (BFH-Urteile vom
8.2.2001 VII R 59/99, BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506 = SIS 01 09 18; vom 26.11.1986 I R 256/83, BFH/NV 1988, 82). Denn dieser
Vorgang ist als „Ersetzung“ des angefochtenen
Bescheids i.S. des § 68 Satz 1 FGO anzusehen (ebenso
Stöcker in Beermann/ Gosch, a.a.O., § 68 FGO Rz 30;
Schallmoser in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 68 FGO Rz 39). Er unterfällt
§ 68 Satz 1 FGO auch dann, wenn der ursprüngliche
Bescheid keine hinreichenden Ausführungen zur
Ermessensausübung enthielt und diese in dem
„ersetzenden“ Bescheid nachgeholt werden. Das
hat der Senat zu § 68 FGO i.d.F. vor der Geltung des Zweiten
Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer
Gesetze vom 19.12.2000 (BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567)
entschieden (Urteil in BFH/NV 1988, 82), und insoweit hat die
Neufassung des Gesetzes die Reichweite der Vorschrift nicht
verändert.
c) Das FG hat dies erkannt. Es hat jedoch
angenommen, dass § 68 Satz 1 FGO nicht eingreife, wenn der
ersetzte Bescheid eine Ermessensentscheidung zum Gegenstand gehabt
und keinerlei Erläuterung zur Ermessensbetätigung
enthalten habe. Die Finanzbehörde dürfe nämlich im
gerichtlichen Verfahren ihre Ermessenserwägungen nur
ergänzen (§ 102 Satz 2 FGO), nicht aber erstmalig
Ermessenserwägungen anstellen (BFH-Urteil vom 11.3.2004 VII R
52/02, BFHE 205, 14, BStBl II 2004, 579 = SIS 04 18 37). Deshalb
müssten, wenn solche Erwägungen erstmals in einem
ersetzenden Bescheid angestellt würden und dieser Bescheid
Gegenstand des Klageverfahrens werde, jene Erwägungen
unbeachtet bleiben. Das sei nicht sachgerecht, weshalb § 68
Satz 1 FGO im Wege der teleologischen Reduktion dahin auszulegen
sei, dass er einen solchen Sachverhalt nicht erfasse. Vielmehr sei
in dieser Situation der Rechtsstreit wegen des ursprünglichen
Bescheids in der Hauptsache erledigt und in Bezug auf den
ersetzenden Bescheid die Möglichkeit des Einspruchs
eröffnet.
d) Dem ist nicht beizupflichten. Zwar mag
zwischen den Regelungen in § 102 FGO einerseits und in §
68 FGO andererseits insofern ein gewisser Widerspruch bestehen, als
§ 102 Satz 2 FGO nur die „Ergänzung“
von Ermessenserwägungen gestattet, während § 68 Satz
1 FGO die vollständige Ersetzung des angefochtenen Bescheids
erlaubt und im Hinblick auf die Ermessensausübung keine
Einschränkung enthält. Ein solcher Widerspruch
könnte aber nicht in der Weise ausgeräumt werden, dass
die in § 102 Satz 2 FGO enthaltene Einschränkung auf den
Anwendungsbereich des § 68 Satz 1 FGO übertragen wird.
Vielmehr stehen beide Regelungen gleichrangig nebeneinander mit der
Folge, dass die Ersetzung eines Verwaltungsakts auch dann unter
§ 68 Satz 1 FGO fällt, wenn aus Rechtsgründen
Ausführungen zur Ermessensausübung notwendig sind und der
ersetzende Verwaltungsakt erstmals solche Ausführungen
enthält.
aa) § 68 FGO dient u.a. der
Verfahrensbeschleunigung (BFH-Urteil vom 25.7.1991 XI R 2/86, BFHE
165, 324, BStBl II 1992, 37 = SIS 92 01 53; Stöcker in
Beermann/Gosch, a.a.O., § 68 FGO Rz 3). Seine Zielsetzung
besteht insoweit darin, dass ein einmal anhängig gewordenes
Klageverfahren ungeachtet einer Änderung der Bescheidlage
fortgeführt werden kann und dass dadurch Verzögerungen
vermieden werden, die mit der Unterbrechung jenes Verfahrens und
der Einleitung eines weiteren - auf den Änderungsbescheid
bezogenen - Rechtsbehelfsverfahrens verbunden sein könnten.
Dieses Anliegen besteht auch in der hier in Rede stehenden
Situation. Es entspricht daher dem Grundgedanken des § 68 Satz
1 FGO, die Norm in dieser Situation uneingeschränkt
anzuwenden.
bb) Allerdings darf die Anwendung des §
68 FGO nicht dazu führen, dass die von der Finanzbehörde
getroffene Regelung einer inhaltlichen Überprüfung durch
die Gerichte entzogen wird. Deshalb ist § 68 Satz 1 FGO nach
verbreiteter Ansicht nicht anwendbar, wenn ein mit einer Klage
angefochtener Verwaltungsakt geändert oder ersetzt wird, die
Klage gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt aber
unzulässig ist (Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
a.a.O., § 68 FGO Rz 89, m.w.N.). Mit diesem Sachverhalt ist
der hier zu beurteilende aber nicht vergleichbar.
Denn die Unzulässigkeit der Klage hindert
einerseits das Gericht an einer Sachentscheidung. Sie kann
andererseits nach der Rechtsprechung des BFH nicht vermittels einer
Anwendung des § 68 FGO behoben werden (BFH-Urteile vom
11.12.1986 IV R 184/84, BFHE 148, 422, BStBl II 1987, 303 = SIS 87 07 54; vom 19.2.1993 VI R 70/92, BFH/NV 1993, 552). Auf dieser
Basis hätte eine Anwendung des § 68 FGO im Fall der
unzulässigen Klage zur Folge, dass die Klage gegen den
ändernden oder ersetzenden Verwaltungsakt abgewiesen werden
müsste, ohne dass es auf dessen inhaltliche
Rechtmäßigkeit ankäme. Da zudem § 68 Satz 2
FGO für den Anwendungsbereich des § 68 Satz 1 FGO den
Einspruch ausschließt, wäre der ändernde oder
ersetzende Bescheid im Ergebnis keiner gerichtlichen
Rechtmäßigkeitskontrolle zugänglich. Deshalb ist
der Gesetzgeber erklärtermaßen davon ausgegangen, dass
in einer solchen Situation der Einspruch gegen den
„neuen“ Bescheid zulässig sein soll; er hat
dies durch die Einfügung des Wortes
„insoweit“ in § 68 Satz 2 FGO klarstellen
wollen (Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BTDrucks
14/4549, S. 11).
Im Zusammenhang mit § 102 Satz 2 FGO
fehlt es dagegen nicht nur an einer vergleichbaren
Äußerung des Gesetzgebers, sondern auch an einer
entsprechend eindeutigen Ausgangssituation. Dem
Rechtsschutzinteresse des Bürgers kann vielmehr in vollem
Umfang durch eine Gesetzesauslegung des Inhalts Rechnung getragen
werden, dass im Anwendungsbereich des § 68 FGO die Nachholung
von Ermessenserwägungen nicht gemäß § 102 Satz
2 FGO beschränkt ist. Einer solchen Auslegung stehen weder der
Gesetzestext noch die Gesetzesmaterialien entgegen. Daher
lässt sich der vom FG angenommene Vorrang des § 102 Satz
2 FGO vor § 68 Satz 1 FGO aus dem Gesetz nicht ableiten.
cc) Zu einer abweichenden Beurteilung der
Rechtslage führt nicht die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG), auf die das FG verwiesen hat. Danach
ist es der Verwaltungsbehörde verwehrt, einen mit der Klage
angefochtenen Verwaltungsakt durch einen anderen Verwaltungsakt zu
ersetzen und in dem ersetzenden Verwaltungsakt erstmals eine vom
Gesetz geforderte Ermessensbetätigung zum Ausdruck zu bringen.
Ein solches Vorgehen verstoße gegen den seinerzeit in §
41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB
X) verankerten Grundsatz, dass die notwendige Erläuterung
einer Ermessensausübung (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X) nur
bis zur Erhebung der Klage nachgeholt werden könne
(BSG-Urteile vom 24.8.1988 7 RAr 53/86, BSGE 64, 36; vom 15.2.1990
7 RAr 28/88, BSGE 66, 204, m.w.N.). Die genannte Rechtsprechung
besagt indessen nicht, dass in einem solchen Fall der ersetzende
Bescheid nicht gemäß § 96 Abs. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum Gegenstand eines den
ursprünglichen Bescheid betreffenden Klageverfahrens werde; im
Gegenteil geht das BSG ausdrücklich davon aus, dass in der von
ihm behandelten Situation § 96 Abs. 1 SGG eingreift
(BSG-Urteil in BSGE 64, 36). Nichts anderes gilt im
Anwendungsbereich des § 68 FGO, dessen Regelungsgehalt
insoweit demjenigen des § 96 SGG entspricht.
3. Im Streitfall ist hiernach der
Haftungsbescheid vom 27.2.2008 zum Gegenstand des beim FG
anhängigen Verfahrens geworden. Daher hatte der Kläger
sein mit der Klage verfolgtes Ziel, eine endgültige Aufhebung
des Haftungsbescheids zu erwirken, nicht erreicht. Daraus folgt,
dass eine inhaltliche Erledigung des Klageverfahrens nicht
eingetreten ist. Das FG hätte mithin dem Feststellungsantrag
des Klägers nicht stattgeben dürfen, weshalb sein Urteil
aufgehoben werden muss.
4. Doch kann der Senat nicht zugleich in der
Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
Insbesondere kann er nicht deshalb, weil nur der Kläger den
Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hat
und eine Erledigung tatsächlich nicht eingetreten ist, die
Klage abweisen. Vielmehr muss die Sache an das FG
zurückverwiesen werden, damit dieses das Klageverfahren
fortsetzen und über die Rechtmäßigkeit des
Haftungsbescheids vom 27.2.2008 befinden kann.
a) Erklärt der Kläger einen
Rechtsstreit für erledigt und widerspricht das FA dieser
Erklärung, so beschränkt sich der Rechtsstreit in der
Folge grundsätzlich auf die Erledigungsfrage. Für eine
Entscheidung über den ursprünglichen Klageantrag ist dann
kein Raum (BFH-Urteil vom 27.9.1979 IV R 70/72, BFHE 128, 492,
BStBl II 1979, 779 = SIS 79 03 99; BFH-Beschluss vom 20.3.2003 III
B 74/01, BFH/NV 2003, 935 = SIS 03 33 22). Der Kläger kann
aber, wenn er eine Erledigungserklärung abgibt, hilfsweise an
seinem früheren Antrag festhalten (BFH-Urteil in BFHE 207,
355, BStBl II 2005, 99, 101 = SIS 05 02 13; Brandis in Tipke/Kruse,
a.a.O., § 138 FGO Rz 36, m.w.N.). Ist das geschehen und die
Erledigung nicht eingetreten, so muss das FG über jenen Antrag
entscheiden.
b) Im Streitfall hat der Kläger in der
mündlichen Verhandlung vor dem FG eine
Erledigungserklärung abgegeben, nachdem das FG darauf
hingewiesen hatte, dass seiner Ansicht nach der Rechtsstreit in der
Hauptsache erledigt sei. Er hatte aber zuvor mitgeteilt, dass er an
einer Klärung der streitigen Sachfrage interessiert sei und in
erster Linie eine Entscheidung des FG zu dieser Frage anstrebe
(Schriftsatz vom 16.1.2008). Angesichts dessen muss der in der
mündlichen Verhandlung gestellte Antrag ergänzend dahin
ausgelegt werden, dass er ein hilfsweises Festhalten an dem
ursprünglichen Klageantrag beinhaltet. Zu dieser Auslegung ist
der erkennende Senat befugt, da das Revisionsgericht
Prozesserklärungen ohne Bindung an Tatsachenfeststellungen des
FG auslegen darf (Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6.
Aufl., § 118 Rz 48, m.w.N.). Mit der Situation, in der ein
fachkundig vertretener Kläger trotz eines Hinweises auf
Zweifel am Eintritt der Erledigung von einem entsprechenden
Hilfsantrag absieht und keine anderen Gründe für ein
fortbestehendes Interesse an einer Sachentscheidung erkennbar sind
(dazu Senatsbeschluss vom 3.4.2000 I B 68/99, BFH/NV 2000, 1226 =
SIS 00 59 48), ist der Streitfall nicht vergleichbar.
c) Dem hiernach zu bescheidenden Hilfsantrag
des Klägers kann nicht schon deshalb stattgegeben werden, weil
der ursprünglich angefochtene Haftungsbescheid keine
Ermessenserwägungen enthalten hat. Denn Gegenstand der
gerichtlichen Prüfung muss wegen § 68 Satz 1 FGO der
Bescheid vom 27.2.2008 sein, und darin hat das FA seine
Ermessensausübung erläutert. Eine nachträgliche
Ermessensbetätigung, die nur in den Grenzen des § 102
Satz 2 FGO zulässig wäre, liegt in Bezug auf diesen
Bescheid nicht vor. Nur darauf kommt es jedoch an, da § 102
Satz 2 FGO ausschließlich die Ergänzung von
Ermessenserwägungen „hinsichtlich des
Verwaltungsakts“ regelt.
Dieser Beurteilung steht die Rechtsprechung
des BSG zur Ersetzung von Verwaltungsakten während eines
sozialgerichtlichen Verfahrens (dazu oben II.2.d cc) nicht
entgegen. Denn die verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen, auf
denen sie beruht, weichen von den hier maßgeblichen in
entscheidungserheblicher Weise ab. Die für Haftungsbescheide
geltende Regelungslage ist u.a. dadurch gekennzeichnet, dass die
Anfechtung eines solchen Bescheids den Ablauf der
maßgeblichen Festsetzungsfrist hemmt (§ 171 Abs. 3a der
Abgabenordung - AO - ) und dass diese Hemmung fortwirkt, wenn - wie
im Streitfall - ein angefochtener Haftungsbescheid durch einen
anderen Haftungsbescheid ersetzt wird (BFH-Urteil vom 5.10.2004 VII
R 18/03, BFHE 208, 292, BStBl II 2005, 323 = SIS 05 17 04). Das
Gesetz geht mithin davon aus, dass die Finanzbehörde einen
angefochtenen Haftungsbescheid bis zum Abschluss eines
Rechtsbehelfsverfahrens ohne zeitliche Einschränkung ersetzen
kann. Diese Möglichkeit muss auch die Ergänzung des
Bescheids um Ermessenserwägungen umfassen, da anderenfalls die
in § 171 Abs. 3a AO getroffene Regelung in diesem Bereich
häufig versagen würde: Würde einerseits ein
ersetzender Haftungsbescheid zum Gegenstand eines anhängigen
Klageverfahrens und könnten andererseits die in ihm
angestellten Ermessenserwägungen in jenem Verfahren nicht
berücksichtigt werden, so könnte die Finanzbehörde
eine nachträgliche Ermessensausübung nur dadurch wirksam
vornehmen, dass sie nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils
und vor Ablauf der das Urteil betreffenden Rechtsmittelfrist erneut
einen Haftungsbescheid erlässt; dass das dem Willen des
Gesetzgebers entspricht, ist angesichts der in § 171 Abs. 3a
AO getroffenen Regelung nicht anzunehmen. Eine vergleichbare
Regelungslage besteht in Bezug auf diejenigen Fragen, auf die sich
die Rechtsprechung des BSG bezieht, nicht. Daher kann jene
Rechtsprechung nicht auf die hier anstehende Fragestellung
übertragen werden.
5. Im Ergebnis ist bei der Entscheidung des
Rechtsstreits der nunmehr streitbefangene Bescheid auch insoweit zu
berücksichtigen, als es um die darin enthaltenen
Erläuterungen zur Ermessensbetätigung geht. Mit diesen
Erwägungen hat sich das FG, von seinem rechtlichen Standpunkt
aus folgerichtig, nicht befasst. Ebenso hat es zu Grund und Umfang
einer Haftung des Klägers weder nähere tatsächliche
Feststellungen getroffen noch rechtliche Überlegungen
angestellt. Die hiernach fehlenden Prüfungsschritte
können im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden, weshalb
die Sache zu diesem Zweck an das FG zurückverwiesen werden
muss.