GmbH-Geschäftsführer, Haftung für Lohnsteuer: 1. Die erforderliche Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem mit der Haftung geltend gemachten Schaden richtet sich wegen des Schadensersatzcharakters der Haftung nach § 69 AO wie bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach der Adäquanztheorie. - 2. Die erfolgreiche Insolvenzanfechtung einer erst nach Fälligkeit abgeführten Lohnsteuer unterbricht den Kausalverlauf zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt jedenfalls dann nicht, wenn der Fälligkeitszeitpunkt vor dem Beginn der Anfechtungsfrist lag. - 3. Die Pflicht zur Begleichung der Steuerschuld der GmbH im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit ist dem Geschäftsführer nach § 34 Abs. 1 AO, § 41 a EStG nicht allein zur Vermeidung eines durch eine verspätete Zahlung eintretenden Zinsausfalls auferlegt, sondern soll auch die Erfüllung der Steuerschuld nach den rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit sicherstellen. - 4. Der Zurechnungszusammenhang zwischen einer pflichtwidrig verspäteten Lohnsteuerzahlung und dem eingetretenen Schaden (Steuerausfall) ergibt sich daraus, dass dieser Schaden vom Schutzzweck der verletzten Pflicht zur fristgemäßen Lohnsteuerabführung erfasst wird. - Urt.; BFH 11.11.2008, VII R 19/08; SIS 09 06 84
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH.
Er reichte die Lohnsteueranmeldungen für die GmbH für den
Zeitraum April bis Juni 2003 fristgerecht beim Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) ein. Die angemeldete
Steuerschuld wurde durch Zahlung an den Vollziehungsbeamten des FA
am 19.9.2003 beglichen.
Wegen anderer Steuerschulden beantragte das
FA am 22.10.2003 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen der GmbH. Das Insolvenzverfahren wurde
mit Beschluss des Amtsgerichts vom 16.1.2004 eröffnet.
Die Zahlung an den Vollziehungsbeamten
focht die Insolvenzverwalterin nach § 131 Abs. 1 der
Insolvenzordnung (InsO) an. Daraufhin erstattete das FA diesen
Betrag an die Insolvenzmasse. Wegen der demzufolge wieder offenen
Steuerschulden aus den Lohnsteueranmeldungen April bis Juni 2003
sowie der Säumniszuschläge hierzu nahm das FA den
Kläger mit Haftungsbescheid vom 7.4.2005 in Anspruch.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach
erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Das Urteil
ist in EFG 2008, 998 = SIS 08 26 79 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung von Bundesrecht, nämlich von § 69 der
Abgabenordnung (AO). Der Kläger habe die ihm als
Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten
dadurch verletzt, dass er die Lohnsteuer nicht zu den gesetzlichen
Fälligkeitszeitpunkten abgeführt habe. Diese
Pflichtverletzung sei nach der insoweit maßgeblichen
Adäquanztheorie auch kausal für den Steuerausfall
gewesen. Weder der Insolvenzantrag des FA noch die Anfechtung des
Insolvenzverwalters hätten nach der allgemeinen
Lebenserfahrung außerhalb der Wahrscheinlichkeit gelegen. Der
Geschäftsführer einer zahlungsunfähigen GmbH
müsse jederzeit damit rechnen, dass ein Gläubiger
„von der Antragsmöglichkeit des § 17 InsO“
Gebrauch mache. An der Kausalität fehle es auch deshalb nicht,
weil die pflichtgemäße Zahlung der Lohnsteuern zum
Fälligkeitszeitpunkt vor dem dreimonatigen Anfechtungszeitraum
des § 130 Abs. 1 InsO erfolgt wäre. Dem Urteil des
Bundesfinanzhofs vom 5.6.2007 VII R 30/06 (BFH/NV 2008, 1 = SIS 08 04 36) sei entgegen der Darstellung des Klägers zu entnehmen,
dass die Kausalität der pflichtwidrigen Nichtabführung
fällig gewordener Steuerbeträge für den
Steuerschaden nicht durch nachträglich eingetretene
Umstände beseitigt werden könne.
II. Die Revision ist begründet. Das
angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Entscheidung kann nach
§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO ergehen.
Das FA hat den Kläger zu Recht
gemäß § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO als
Haftungsschuldner in Anspruch genommen.
1. Als Geschäftsführer hatte der
Kläger in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter der
GmbH i.S. von § 34 Abs. 1 AO die Pflicht zur Einbehaltung und
fristgerechten Abführung der im Haftungszeitraum von der GmbH
angemeldeten Lohnsteuerabzugsbeträge (§ 38 Abs. 3 Satz 1
und § 41a des Einkommensteuergesetzes - EStG - ). Nach den
gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindenden
Feststellungen des FG hat der Kläger für die Monate April
bis Juni 2003 zwar fristgerecht Lohnsteueranmeldungen abgegeben,
zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt aber die angemeldeten
Beträge nicht entrichtet. Die in der nicht fristgerechten
Entrichtung liegende objektive Pflichtwidrigkeit indiziert den
gegenüber dem Kläger zu erhebenden Schuldvorwurf
(Senatsbeschluss vom 25.7.2003 VII B 240/02, BFH/NV 2003, 1540 =
SIS 03 49 35, m.w.N.).
2. Diese schuldhafte Pflichtverletzung des
Klägers ist auch kausal für den Eintritt des
Vermögensschadens beim Fiskus.
Es entspricht ständiger
Senatsrechtsprechung, dass sich die erforderliche Kausalität
zwischen der Pflichtverletzung und dem mit der Haftung geltend
gemachten Schaden wegen des Schadensersatzcharakters der Haftung
nach § 69 AO wie bei zivilrechtlichen
Schadensersatzansprüchen nach der Adäquanztheorie
richtet. Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg
ursächlich, die allgemein oder erfahrungsgemäß
geeignet sind, den Erfolg zu verursachen. Sofern - wie im
Streitfall - ein Unterlassen in Betracht kommt, muss, um die
Ursächlichkeit bejahen zu können, ein Hinzudenken der
unterbliebenen Handlung zu dem Ergebnis führen, dass der
Schaden ohne das Unterlassen nicht eingetreten wäre; die
bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit
des Nichteintritts des Erfolgs genügen dazu nicht
(Senatsurteil vom 25.4.1995 VII R 100/94, BFH/NV 1996, 97,
m.w.N.).
Hätte der Kläger die angemeldeten
Lohnsteuern bis spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt der
Lohnsteuer für Juni 2003 (nach den unbestrittenen Angaben des
FA am 15.7.2003) gezahlt, wäre es nicht zu dem Steuerausfall
beim Fiskus gekommen, denn der Dreimonatszeitraum vor dem Antrag
auf Insolvenzeröffnung, in dem nach § 130 Abs. 1 InsO
Zahlungen des Schuldners anfechtbar sind (Anfechtungszeitraum),
begann erst am 22.7.2003.
Der Senat vermag der Argumentation des FG
nicht zu folgen, dass der Steuerausfall nicht mehr adäquat
kausal auf der nicht fristgerechten Abführung der angemeldeten
Lohnsteuern beruht, weil diese Kausalkette mit der - wenn auch
verspäteten - Zahlung der Steuerbeträge an den
Vollziehungsbeamten beendet worden sei. Zwar ist richtig, dass im
Streitfall der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
innerhalb der Anfechtungsfrist und die erfolgreiche Anfechtung
durch die Insolvenzverwalterin zur Pflichtverletzung des
Klägers hinzutreten mussten, um den Steuerausfall beim Fiskus
herbeizuführen. Diese weiteren Voraussetzungen für den
Schadenseintritt ändern aber nichts an der Ursächlichkeit
auch des Verhaltens des Klägers. Sie haben nicht einmal ein
„neues“ Steuerschuldverhältnis entstehen
lassen.
Zwar führt die Zahlung der Steuerschuld
regelmäßig zu ihrem Erlöschen und damit zur
Beendigung dieses Steuerschuldverhältnisses. Bei
Steuerfälligkeiten, die in insolvenzreife Zeit fallen, bleibt
dieses Steuerschuldverhältnis aber selbst bei fristgerechter
Zahlung wegen der gesetzlich vorgesehenen
Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zunächst
in der Schwebe. Die erfolgreiche Anfechtung und
Rückgewähr nach § 143 InsO bewirkt gemäß
§ 144 InsO, dass die Steuerschuld rückwirkend wieder
auflebt (Kreft in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 4.
Aufl., § 144 Rz 3, m.w.N.). Die Beendigung des
Steuerschuldverhältnisses ist insoweit auflösend
bedingt.
Die Möglichkeit des Schadenseintritts
beim Fiskus trotz geleisteter Zahlung ist deshalb entgegen der
Ansicht des FG wegen der gesetzlich vorgesehenen Anfechtung
jedenfalls kein untypischer Geschehensablauf.
3. Der Senat hat erwogen, ob die Haftung des
Klägers im Streitfall deshalb ausscheidet, weil der
Zurechnungszusammenhang zwischen der nicht fristgerechten
Lohnsteuerentrichtung des Klägers und dem Steuerausfall beim
Fiskus fehlt. In Fällen, in denen ein Schaden auf mehreren
Ursachen beruht, hat der Bundesgerichtshof (BGH) für das
zivile Schadensersatz- bzw. Haftungsrecht ausnahmsweise eine
Zurechnungsbegrenzung des adäquat verursachten Schadens
angenommen, wenn der Schaden bei wertender Betrachtung in keinem
inneren Zusammenhang zu der Pflichtverletzung steht (BGH-Urteil vom
15.11.2007 IX ZR 44/04, BGHZ 174, 205, m.w.N.). Ein solcher innerer
Zusammenhang wird verneint, wenn der eingetretene Schaden nicht in
den Schutzbereich der nicht beachteten Norm fällt. Mit anderen
Worten ist Voraussetzung für die Schadenszurechnung, dass der
geltend gemachte Schaden nach Sinn und Tragweite der verletzten
Norm durch diese verhütet werden sollte.
Der Senat kann offenlassen, ob diese
zivilrechtlichen Erwägungen - anders als jene zur
Berücksichtigung eines hypothetischen Kausalverlaufs (vgl.
Senatsurteile vom 5.6.2007 VII R 65/05, BFHE 217, 233, BStBl II
2008, 273 = SIS 07 31 56; in BFH/NV 2008, 1 = SIS 08 04 36; vom
19.9.2007 VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18 = SIS 08 04 46; vom
4.12.2007 VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521 = SIS 08 13 84) oder zur
Anwendung der Mitverschuldensregelung des § 254 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 11.5.2000 VII B 217/99, BFH/NV 2000, 1442 = SIS 00 61 02; vom
2.11.2001 VII B 75/01, BFH/NV 2002, 310 = SIS 02 53 08) -
uneingeschränkt auf die steuerrechtliche Haftung nach §
69 AO übertragen werden können, weil sie auch im
Zivilrecht nicht auf das Deliktsrecht beschränkt, sondern
für Schadensersatzansprüche aller Art anerkannt sind
(vgl. Palandt/ Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl.,
Vorbem. v. § 249 Rz 63 f.; zur Steuerberaterhaftung BGH-Urteil
vom 18.1.2007 IX ZR 122/04, HFR 2007, 701 = SIS 07 10 97; zur
Anwaltshaftung BGH-Urteil in BGHZ 174, 205). Die dem
Geschäftsführer nach § 34 AO, § 41a EStG
auferlegte Pflicht zur Begleichung der Steuerschuld der GmbH im
Zeitpunkt ihrer Fälligkeit steht nämlich bei der
gebotenen wertenden Betrachtung in einem inneren Zusammenhang mit
dem Steuerausfall infolge einer späteren
Insolvenzanfechtung.
Vom Normzweck erfasst wird nicht nur die
Vermeidung eines durch eine verspätete Zahlung eintretenden
Zinsausfalls, sondern auch die Erfüllung der Steuerschuld nach
den rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt
ihrer Fälligkeit. Die Pflicht zur pünktlichen
Steuerzahlung dient nicht nur der Vermeidung des Verzugsschadens
beim Fiskus. Denn dieser Schaden wäre bereits durch
Verzugszinsen auszugleichen. Wenn der Gesetzgeber darüber
hinaus mit den kraft Gesetzes verwirkten
Säumniszuschlägen zusätzlich ein besonderes
Druckmittel für die Fälle geschaffen hat, in denen die
rechtzeitige Zahlung noch nicht wegen Überschuldung und
Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist (vgl. z.B. BFH-Urteil
vom 7.7.1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161 = SIS 00 51 01), so zeigt
das, dass er den Steuerpflichtigen auch zur Vermeidung sonstiger
Schadensrisiken - wie etwa verminderter Leistungsfähigkeit -
zur rechtzeitigen Steuerzahlung anhalten wollte. Gerade in Zeiten
der Krise kommt der Pflicht zur pünktlichen Zahlung der Steuer
erhöhte Bedeutung zu. Sie soll den Fiskus nicht nur davor
schützen, dass der Steuerschuldner zahlungsunfähig wird,
bevor er (verspätet) bereit ist, seine Steuerschulden zu
begleichen, sondern auch vor allen sonstigen Risiken
verspäteter Zahlungsbereitschaft, wie sie sich z.B. im
Streitfall realisiert haben.
4. Auch unter dem Gesichtspunkt eines
Mitverschuldens des FA lässt sich im Streitfall ein
Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung nicht
begründen. Selbst wenn der Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens innerhalb der Anfechtungsfrist der
Steuerzahlung dem FA als Mitverschulden an dem Schadenseintritt
anzulasten wäre, würde dieses Mitverschulden die Haftung
des Klägers nicht beschränken. Nach der Rechtsprechung
des Senats ist auf öffentlich-rechtliche
Steuerhaftungsansprüche § 254 BGB nicht (entsprechend)
anwendbar; anders als bei zivilrechtlichen Ersatzleistungen spielt
also ein Mitverschulden des FA für das Entstehen bzw. den
Umfang eines Steuerhaftungsanspruchs keine Rolle. Mitwirkendes
Verschulden des FA am Entstehen eines Steuerausfalls kann
allenfalls die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners
ermessensfehlerhaft machen (Senatsbeschluss in BFH/NV 2000, 1442 =
SIS 00 61 02, m.w.N.). Im Streitfall jedoch kommt die
Berücksichtigung eines etwaigen finanzbehördlichen
Fehlverhaltens schon deshalb nicht in Betracht, weil es
gegenüber dem Verschulden des Klägers keinesfalls
entscheidend ins Gewicht fällt (vgl. Senatsurteil vom
30.8.2005 VII R 61/04, BFH/NV 2006, 232 = SIS 06 07 27, m.w.N.).
Anhaltspunkte dafür, dass das FA im Streitfall die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zu dem von ihm
gewählten Zeitpunkt hätte beantragen dürfen, sind
weder vorgetragen noch - insbesondere angesichts der Eröffnung
des Verfahrens drei Monate nach Antragstellung - sonst
ersichtlich.