GmbH, Insolvenz, Haftung des Geschäftsführers: 1. Werden fällig gewordene Steuerbeträge pflichtwidrig nicht an das FA abgeführt, kann die Kausalität dieser Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden. - 2. Die Frage, ob ein hypothetischer Kausalverlauf bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme Berücksichtigung finden kann, ist im Rahmen der Schadenszurechnung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von § 69 AO zu beantworten. - 3. Die Funktion und der Schutzzweck des in § 69 AO normierten Haftungstatbestandes schließen die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe aus. Deshalb entfällt die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre. - Urt.; BFH 5.6.2007, VII R 65/05; SIS 07 31 56
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) wurde am 26.7.2001 neben dem bisherigen
Geschäftsführer zum weiteren allein
vertretungsberechtigten Geschäftsführer einer GmbH
bestellt. Am 22.4.2002 stellte die GmbH wegen
Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag. Mit Beschluss des
Insolvenzgerichts vom 19.7.2002 wurde das Insolvenzverfahren
eröffnet. Nach erfolgter Anhörung erließ der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) aufgrund
rückständiger Lohnsteuern der GmbH sowie
rückständiger Solidaritäts- und
Säumniszuschläge gegenüber dem Kläger einen auf
§ 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützten
Haftungsbescheid. Im Einspruchsverfahren nahm das FA den
Haftungsbescheid teilweise zurück und setzte die Haftungssumme
herab. Die daraufhin erhobene Klage hatte teilweise Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der
Kläger zu Unrecht für die nach dem 22.1.2002 fällig
gewordenen Beträge in Anspruch genommen worden sei (vgl. SIS 06 05 24). Darüber hinaus könne er nicht für
Säumniszuschläge in Anspruch genommen werden, die vor
seiner Bestellung zum Geschäftsführer fällig
geworden seien. Der Haftungsbescheid sei zumindest deshalb
rechtswidrig, weil das FA das ihm zustehende Ermessen nur
unzureichend ausgeübt habe. Es habe nämlich in der
Begründung des Haftungsbescheides keinerlei tatsächliche
Feststellungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der
Kausalität der Pflichtverletzung des Klägers für den
beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden im Hinblick auf die
mögliche Anfechtbarkeit einer fristgerechten Abführung
der geschuldeten Steuerbeträge nach § 130 der
Insolvenzordnung (InsO) getroffen. Denn an der erforderlichen
Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem
eingetretenen Schaden könne es fehlen, wenn der
Insolvenzverwalter geleistete Zahlungen vom FA zurückverlangen
könne. Unter Annahme einer fristgerechten Abführung der
Lohnsteuern spreche im Streitfall alles dafür, dass die
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anfechtung der drei
Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleisteten
Zahlungen vorgelegen hätten. Ein Bargeschäft i.S. des
§ 142 InsO sei hinsichtlich gezahlter Lohnsteuern nicht
anzunehmen, insoweit sei der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
- BGH - (Urteil vom 22.1.2004 IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350 = SIS 04 18 59) zu folgen. Hinsichtlich der Inanspruchnahme für
Säumniszuschläge fehle es bereits an einer
ordnungsgemäßen Anhörung, denn insoweit sei der
Kläger nicht auf die Grundsätze der anteiligen Haftung
hingewiesen worden. Es sei nicht auszuschließen, dass die
fehlende Anhörung ursächlich dafür gewesen sei, dass
der Kläger zum Umfang der Befriedigung der übrigen
Gläubiger nichts vorgetragen habe. Zudem fehle es hinsichtlich
der vor der Bestellung des Klägers zum
Geschäftsführer fällig gewordenen
Säumniszuschläge an den Voraussetzungen des § 69
AO.
Mit seiner Revision macht das FA geltend,
dass eine lediglich hypothetische Anfechtbarkeit nach den
§§ 129 ff. InsO bei der haftungsrechtlichen
Inanspruchnahme nach § 69 AO außer Betracht bleiben
müsse. Es handle sich dabei nicht um ein Problem der
Kausalität, sondern um eine Frage der Schadenszurechnung.
Diese Wertungsfrage sei unter Berücksichtigung des
Schutzzwecks des § 69 AO und des § 41a des
Einkommensteuergesetzes (EStG) dahingehend zu beantworten, dass
hypothetische Anfechtungsmöglichkeiten den Haftungsschuldner
nicht entlasten könnten. Darüber hinaus stehe es im
Zeitpunkt der dem Geschäftsführer vorgeworfenen
Pflichtverletzung nicht fest, ob es überhaupt zur
Insolvenzeröffnung und zu einer Ausübung von
Anfechtungsrechten durch den Insolvenzverwalter komme.
Entsprechende Ermessenserwägungen in der Begründung des
angefochtenen Bescheides habe das FA deshalb auch nicht anstellen
müssen.
In Bezug auf verwirkte
Säumniszuschläge zur Lohnsteuer finde der Grundsatz der
anteiligen Haftung keine Anwendung. Die Haftung für
Säumniszuschläge ergebe sich aus dem insoweit eindeutigen
Wortlaut des § 69 Satz 2 AO. Im Übrigen seien im
Streitfall Säumniszuschläge in vollem Umfang nur bis zum
Tag der Antragstellung in die Haftungssumme einbezogen worden; die
nach Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung verwirkten
Säumniszuschläge hätten unter Beachtung der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur zur Hälfte
Berücksichtigung gefunden.
Der Kläger schließt sich der
Rechtsauffassung des FG an.
II. Die Revision ist begründet. Das
Urteil des FG, das Bundesrecht verletzt (§ 118 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ), ist insoweit aufzuheben, als das
FG den Haftungsbescheid hinsichtlich der Säumniszuschläge
zur Lohnsteuer und zum Solidaritätszuschlag Juli bis Dezember
2001 sowie Januar und Februar 2002 und Lohnsteuer nebst
Solidaritätszuschlägen Januar und Februar 2002 für
rechtswidrig erachtet und infolgedessen aufgehoben hat (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Im gleichen Umfang ist die Klage als
unbegründet abzuweisen. Die vom FG angenommenen
Ermessensfehler liegen nicht vor. Da hypothetische
Kausalverläufe bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme
nach § 69 AO keine Berücksichtigung finden können,
bestand für das FA kein Anlass, in seine
Ermessenserwägungen die Möglichkeit einer Anfechtung
gedachter Steuerzahlungen nach §§ 130 ff. InsO
aufzunehmen.
1. Der Kläger hat die ihm als
GmbH-Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten
zumindest grob fahrlässig verletzt. Denn als
Geschäftsführer und gesetzlichem Vertreter der GmbH i.S.
von § 34 Abs. 1 AO oblag ihm die Pflicht zur Einbehaltung und
fristgerechten Abführung der im Haftungszeitraum (April 2001
bis Februar 2002) von der GmbH angemeldeten
Lohnsteuerabzugsbeträge (§ 38 Abs. 3 Satz 1 und §
41a EStG). Eine Entrichtung der dem FA geschuldeten Lohnsteuer ist
indes nicht erfolgt. Den hierzu vom FG getroffenen Feststellungen
ist der Kläger nicht entgegengetreten.
2. Zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung
des Klägers und dem Eintritt des durch die Nichtentrichtung
der Lohnsteuer entstandenen Vermögensschadens besteht ein
adäquater Kausalzusammenhang, der nicht dadurch entfällt,
dass der Insolvenzverwalter Zahlungen, wenn diese vom Kläger
innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Antrags auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet worden wären,
nach § 130 InsO hätte anfechten können.
a) Den zivilrechtlichen Schadensersatznormen,
vor allem § 823 und § 826 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB), ist § 69 AO zwar angenähert, dennoch
bestehen zwischen den Schadensersatznormen des Zivilrechts und der
steuerrechtlichen Haftungsvorschrift verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandende Unterschiede (vgl. BFH-Urteil vom 21.1.1972 VI R
187/68 zu § 109 der Reichsabgabenordnung - RAO -, BFHE 104,
294, BStBl II 1972, 364 = SIS 72 02 18), die eine
uneingeschränkte Übertragung der zum Schadensersatzrecht,
insbesondere zur Berücksichtigung von hypothetischen
Kausalverläufen und zur Schadenszurechnung, ergangenen
BGH-Rechtsprechung nicht geboten erscheinen lassen.
aa) Gemeinsam ist den angesprochenen
Vorschriften des Zivil- und Steuerrechts, dass eine
Ausgleichspflicht nur dann in Betracht kommt, wenn zwischen der
schuldhaften Pflichtverletzung und dem dadurch herbeigeführten
Schaden ein schadensersatz- bzw. haftungsbegründender
Kausalzusammenhang besteht. Der nach der BFH-Rechtsprechung
erforderliche adäquate Kausalzusammenhang ist nicht mehr
gegeben, wenn der Steuerausfall als Vermögensschaden des
Fiskus mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren
Vermögens des Steuerpflichtigen unabhängig davon
eingetreten ist, ob Steueranmeldungen fristgerecht eingereicht und
die geschuldeten Steuerbeträge innerhalb der gesetzlich
hierfür bestimmten Fristen entrichtet worden sind
(Senatsurteil vom 6.3.2001 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100 = SIS 01 72 03, m.w.N.).
bb) Von den Fällen des tatsächlichen
Unvermögens zur fristgerechten Entrichtung der geschuldeten
Steuerbeträge zu unterscheiden sind die Fälle der
sonstigen Reserveursachen. Bei der sog. hypothetischen
Kausalität handelt es sich um die Frage, ob eine
Ausgleichspflicht des Schädigers bzw. Haftenden allein deshalb
entfällt, weil der verursachte Schaden aufgrund eines anderen
Ereignisses ohnehin eingetreten bzw. nicht zu vermeiden gewesen
wäre. Die überwiegende Literatur und die Rechtsprechung
gehen davon aus, dass es sich dabei nicht um ein Problem der
Kausalität, sondern um eine Frage der Schadenszurechnung
handelt (Schiemann in Staudinger/Eckpfeiler (2005), BGB, § 249
Rz 93; MünchKommBGB/Oetker, 5. Aufl., § 249 Rz 201 f.;
Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl., Vorbem.
zu § 249 Rz 96; BGH-Urteil vom 7.6.1988 IX ZR 144/87, BGHZ
104, 355). Denn ein nur gedachter Geschehensablauf kann die
Kausalität einer realen Ursache nicht beseitigen. Nach der
BGH-Rechtsprechung ist es daher eine für verschiedene
Fallgruppen durchaus unterschiedlich zu beantwortende
Wertungsfrage, inwieweit hypothetische Kausalverläufe geeignet
sind, eine an sich gegebene Haftung zu beeinflussen (BGH-Urteil in
BGHZ 104, 355, 360). Auszugehen ist dabei vom Schutzzweck der
jeweils verletzten Norm (Schiemann in Staudinger/Eckpfeiler,
a.a.O., § 249 Rz 94; im Ergebnis auch
MünchKommBGB/Oetker, a.a.O., § 249 Rz 214).
cc) Durch die pflichtwidrige
Nichtabführung fällig gewordener Steuerbeträge wird
eine reale Ursache für den Eintritt eines
Vermögensschadens in Form eines Steuerausfalls gesetzt, so
dass die Kausalität dieser Ursache für den
Schadenseintritt durch eine gedachte Anfechtung des
Insolvenzverwalters nicht rückwirkend beseitigt werden kann.
Es bleibt dabei, dass durch die Pflichtverletzung des
Haftungsschuldners dem Fiskus ein diesem geschuldeter Abgabenbetrag
vorenthalten worden ist.
Der vom Gesetzgeber § 69 AO beigemessene
Schutzzweck und die vom BGH geforderte wertende Beurteilung lassen
es nicht geboten erscheinen, den hypothetischen Kausalverlauf im
Falle einer gedachten Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO im
Rahmen der Schadenszurechnung zu berücksichtigen und
infolgedessen die Haftung des von § 69 AO erfassten
Personenkreises (vgl. § 34 und § 35 AO) entfallen zu
lassen (im Ergebnis ebenso Urteile des Sächsischen FG vom
24.5.2005 1 K 2361/04, EFG 2005, 1238 = SIS 05 33 60; des FG
Köln vom 12.9.2005 8 K 5677/01, EFG 2006, 86 = SIS 06 06 21
und 8 K 5395/01, EFG 2006, 241 = SIS 06 06 20, und des
Schleswig-Holsteinischen FG vom 1.12.2005 2 K 174/04, EFG 2006, 321
= SIS 06 10 19; a.A. Entscheidungen des FG Baden-Württemberg
vom 28.7.2004 1 V 30/04, EFG 2004, 1425 = SIS 05 00 36, und vom
30.8.2004 1 V 49/03, EFG 2005, 2 = SIS 05 00 37; des FG des
Saarlandes vom 20.12.2004 2 V 385/04, EFG 2005, 680 = SIS 05 14 36;
des FG Münster vom 23.6.2004 7 K 5031/00, EFG 2006, 13 = SIS 06 00 99; des FG Rheinland-Pfalz vom 13.10.2005 6 K 2803/04, EFG
2006, 83 = SIS 06 05 24, und des FG Düsseldorf vom 10.1.2006
10 K 4216/02 H (L), EFG 2006, 618 = SIS 06 19 42).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
besitzt § 69 AO Schadensersatzcharakter (Senatsentscheidungen
vom 1.8.2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271 = SIS 00 14 29; vom 5.3.1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991,
678 = SIS 91 15 49; vom 26.7.1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl
II 1988, 859 = SIS 88 19 46; vgl. auch Begründung des Entwurfs
für eine Reichsabgabenordnung zu § 83 Abs. 2 bis 86 RAO,
in Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen
Nationalversammlung, Bd. 338 Nr. 759). Ziel der Haftung ist es,
Steuerausfälle auszugleichen, die durch grob fahrlässige
oder vorsätzliche Pflichtverletzungen der in § 34 und
§ 35 AO bezeichneten Personen verursacht worden sind. Die auf
§ 69 AO gestützte Haftung begründet eine
Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus, die den
Individualansprüchen aus rechtsgeschäftlicher Haftung,
Vertrauenshaftung und unerlaubter Handlung vergleichbar ist
(Senatsbeschluss vom 2.11.2001 VII B 155/01, BFHE 197, 1, BStBl II
2002, 73 = SIS 02 04 80).
Die Regelung der steuerlichen Haftung geht auf
§ 109 RAO zurück, mit dem das zivilrechtliche
Vertretungsrecht in der RAO berücksichtigt und den
steuerlichen Bedürfnissen angepasst werden sollte (Beermann,
Haftungsbescheid nach der AO und Entschließungsermessen, in
Festschrift für Franz Klein, S. 953, 961). Der
haftungsrechtliche Zugriff auf gesetzliche Vertreter und
Verfügungsberechtigte kann damit legitimiert werden, dass
ihnen die Erfüllung steuerlicher Pflichten obliegt, die der
Steuerpflichtige mangels eigener Handlungs- und
Geschäftsfähigkeit nicht selbst erfüllen kann.
Andererseits kommt in der Haftungsvorschrift auch das Bemühen
des Gesetzgebers zum Ausdruck, der steuerrechtlichen
Stellvertretung Schranken zu setzen und der Gefahr
entgegenzuwirken, dass der Steuerpflichtige durch die
Stellvertretung das Steueraufkommen gefährdende Vorteile
erlangt (Tipke in Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl.,
§ 109 Rz 1, m.w.N.). Durch den in § 69 AO normierten
Haftungsanspruch soll der Vertreter zur ordnungsgemäßen
Erfüllung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten
angehalten und das Steueraufkommen durch Schaffung einer
Rückgriffsmöglichkeit gesichert werden.
Das Erreichen dieser Ziele würde durch
die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe
gefährdet. Denn ein gesetzlicher Vertreter könnte
innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten vor dem Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Erfüllung der ihm
als Vertreter obliegenden steuerlichen Pflichten mit dem Hinweis
vernachlässigen, dass, wenn er Steuerzahlungen vornähme,
diese ohnehin der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO ausgesetzt
seien und er infolgedessen auch nicht als Haftungsschuldner in
Anspruch genommen werden könne. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass im Zeitpunkt der pflichtwidrigen
Nichtzahlung des geschuldeten Abgabenbetrages keine
zuverlässige Feststellung darüber getroffen werden kann,
ob es tatsächlich zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens
kommen wird und ob im Falle der Eröffnung eines solchen
Verfahrens eine Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO
überhaupt erfolgen und auch erfolgreich sein würde. Denn
zum einen ist es nicht auszuschließen, dass ein
Insolvenzverwalter auch im Falle der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens von bestehenden Anfechtungsmöglichkeiten
keinen Gebrauch macht; zum anderen kann eine Anfechtung daran
scheitern, dass das FA die Umstände nicht kannte, die zwingend
auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätten
schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO).
Bei einer Berücksichtigung von
insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbeständen wäre die
Durchsetzung des Haftungsanspruchs mit erheblichen Unsicherheiten
behaftet. Denn das FA müsste beim Erlass des
Haftungsbescheides und der Ausübung des ihm zustehenden
Ermessens eine Prognoseentscheidung treffen und die
Möglichkeit und die Erfolgsaussichten einer Ausübung von
Anfechtungsrechten nach §§ 130 ff. InsO prüfen. Eine
solche Überprüfung wäre nur dann entbehrlich, wenn
es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens überhaupt nicht
kommt. Denn wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss
vom 23.4.2007 VII B 92/06 = SIS 07 27 21, zur Veröffentlichung
bestimmt), kommt die Berücksichtigung von hypothetischen
Kausalverläufen ohnehin nicht in Betracht, wenn das
Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens nach § 26 Abs. 1 InsO
mangels Masse ablehnt. Zwischen Antragstellung
und Bescheidung des Antrags kann jedoch ein längerer Zeitraum
verstreichen, wenn z.B. der vom Insolvenzgericht eingesetzte
vorläufige Insolvenzverwalter mit der Erstellung eines
Sachverständigengutachtens beauftragt worden ist (vgl. §
22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO). Die zur Durchsetzung des
Haftungsanspruchs erforderliche Handlungsfähigkeit des FA
wäre in unzumutbarer Weise eingeschränkt, wenn es
verpflichtet wäre, die Beendigung des
Eröffnungsverfahrens abzuwarten, bevor gegen den Vertreter ein
Haftungsbescheid erlassen werden könnte. Aber auch das
Erfordernis einer Prognoseentscheidung über das Vorliegen der
in §§ 130 ff. InsO normierten Anfechtungsvoraussetzungen,
insbesondere über das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit
des Schuldners i.S. von § 17 InsO, würde die
Durchführung des Haftungsverfahrens erheblich erschweren und
die Funktion der Haftungsvorschrift für diesen Zeitraum in
Frage stellen. Neben dem Sicherungszweck sprechen somit auch
Effektivitätsgesichtspunkte und
Praktikabilitätserwägungen dafür, bei der Anwendung
von § 69 AO hypothetische Kausalverläufe im Rahmen der
Schadenszurechnung unberücksichtigt zu lassen.
b) Mit diesem Ergebnis setzt sich der
erkennende Senat nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH.
Die zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen
getroffenen Entscheidungen (Urteile vom 18.4.2005 II ZR 61/03, ZIP
2005, 1026, DStR 2005, 978, und vom 14.11.2000 VI ZR 149/99, ZIP
2001, 80) betreffen eine mögliche Haftung aus § 823 Abs.
2 BGB i.V.m. § 266a des Strafgesetzbuchs und damit einen
deliktischen Schadensersatzanspruch. Wie bereits ausgeführt,
handelt es sich um einen solchen bei § 69 AO jedoch nicht.
Vielmehr normiert § 69 AO einen öffentlich-rechtlichen -
und zivilrechtlich nicht abdingbaren - Haftungsanspruch, der eine
Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus begründet. Der
Haftung kommt eine Ausgleichsfunktion und lediglich der Charakter
eines Schadensersatzanspruchs zu (Jatzke in Beermann/Gosch, AO
§ 69 Rz 3, m.w.N.). Daneben verfolgt § 69 AO den Zweck,
das bei steuerrechtlich nicht geschäfts- und
handlungsfähigen Steuerpflichtigen auftretende Erfordernis der
Stellvertretung an die besonderen Bedürfnisse des Steuerrechts
anzupassen und damit zur Aufkommenssicherung beizutragen. Aus
diesen Gründen kann die zum Deliktsrecht entwickelte
Rechtsprechung des BGH nicht ohne weiteres auf die Haftung nach den
Vorschriften der AO übertragen werden.
Ergänzend weist der Senat darauf hin,
dass bei einem mitwirkenden Verschulden der Finanzbehörde eine
unmittelbare Anwendung der Regelung in § 254 BGB ebenfalls
nicht in Betracht kommt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein
solches Mitverschulden allenfalls bei der Ermessensausübung zu
berücksichtigen (BFH-Entscheidungen vom 2.11.2001 VII B 75/01,
BFH/NV 2002, 310 = SIS 02 53 08, und vom 11.5.2000 VII B 217/99,
BFH/NV 2000, 1442 = SIS 00 61 02, m.w.N.). Dies unterstützt
den Befund, dass es sich bei § 69 AO nicht um eine
Schadensersatznorm handelt, auf die sich Schadensersatzregelungen
des BGB und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH ohne
weiteres übertragen lassen.
3. Da die Berücksichtigung einer
hypothetischen Anfechtungsmöglichkeit nach § 130 Abs. 1
InsO im Rahmen einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach
§ 69 AO nicht in Betracht kommt, kann es der Senat
dahingestellt sein lassen, ob die Abführung von Lohnsteuern in
den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens eine anfechtbare Rechtshandlung nach § 130
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO darstellt, oder ob ein Bargeschäft
nach § 142 InsO vorliegt, so dass eine Anfechtung nur unter
den erschwerten Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO
möglich wäre (vgl. zur Problemstellung Senatsbeschluss
vom 11.8.2005 VII B 244/04, BFHE 210, 410, BStBl II 2006, 201 = SIS 05 41 70, und Kayser, Insolvenzrechtliche Bargeschäfte (§
142 InsO) bei der Erfüllung gesetzlicher Ansprüche?, ZIP
2007, 49).
4. Hinsichtlich der Säumniszuschläge
hat das FA seine Revision auf die Zuschläge begrenzt, die erst
nach der Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer
erhoben worden sind. Wie das FG zu Recht entschieden hat, kann der
Kläger für Säumniszuschläge nur insoweit in
Anspruch genommen werden, als diese während seiner
Tätigkeit als GmbH-Geschäftsführer infolge seiner
schuldhaften Pflichtverletzung entstanden sind (Senatsurteile vom
26.7.1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859 = SIS 88 19 46 und VII R 84/87, BFH/NV 1988, 685). Da der Kläger erst
am 26.7.2001 zum Geschäftsführer bestellt worden ist,
kann er nur für die ab diesem Zeitpunkt entstandenen
Säumniszuschläge in Anspruch genommen werden. Dabei ist
die Inanspruchnahme in Höhe der Hälfte der nach Eintritt
der Zahlungsunfähigkeit der GmbH entstandenen
Säumniszuschläge nicht zu beanstanden. Denn nach der
BFH-Rechtsprechung rechtfertigt der Eintritt der
Zahlungsunfähigkeit für sich allein keinen
vollständigen Erlass der Säumniszuschläge wegen
sachlicher Unbilligkeit; diese sind vielmehr in der Regel nur zur
Hälfte zu erlassen, wenn sie lediglich ihren Zweck verloren
haben, als Druckmittel zur pünktlichen Steuerzahlung zu dienen
(Senatsurteil vom 19.12.2000 VII R 63/99, BFHE 193, 524, BStBl II
2001, 217 = SIS 01 05 77). Im Streitfall hat das FA diese Vorgaben
berücksichtigt und die Säumniszuschläge nur zur
Hälfte in die Haftungssumme mit einbezogen. Ausweislich des
Sachverhalts ist der Kläger vor seiner haftungsrechtlichen
Inanspruchnahme angehört worden. In Bezug auf die
Säumniszuschläge bedurfte es keines ausdrücklichen
Hinweises auf die Grundsätze der anteiligen Haftung.
Da der vom FG beanstandete Ermessensfehler
nicht vorliegt, war das erstinstanzliche Urteil in dem Umfang
aufzuheben, als das FG den angefochtenen Haftungsbescheid
hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und zum
Solidaritätszuschlag Juli bis Dezember 2001 sowie Januar und
Februar 2002 sowie der Lohnsteuer nebst
Solidaritätszuschlägen Januar und Februar 2002 für
rechtswidrig erachtet und daher aufgehoben hat. In diesem Umfang
war die Klage als unbegründet abzuweisen.