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GmbH, Insolvenz, Haftung des Geschäftsführers

GmbH, Insolvenz, Haftung des Geschäftsführers: 1. Werden fällig gewordene Steuerbeträge pflichtwidrig nicht an das FA abgeführt, kann die Kausalität dieser Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden. - 2. Die Frage, ob ein hypothetischer Kausalverlauf bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme Berücksichtigung finden kann, ist im Rahmen der Schadenszurechnung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von § 69 AO zu beantworten. - 3. Die Funktion und der Schutzzweck des in § 69 AO normierten Haftungstatbestandes schließen die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe aus. Deshalb entfällt die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre. - Urt.; BFH 5.6.2007, VII R 65/05; SIS 07 31 56

Kapitel:
Verschiedenes > Haftung für Steuern
Fundstellen
  1. BFH 05.06.2007, VII R 65/05
    BStBl 2008 II S. 273
    LEXinform 0587057

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 4.3.2008
    R.R. in StC 11/2007 S. 12
    M.M. in AktStR 4/2007 S. 541
    T.C. in DStZ 21/2007 S. 683
    H.J. in HFR 11/2007 S. 1073
Normen
[EStG] § 41 a
[AO 1977] § 69, § 34
[InsO] § 130 Abs. 1
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: FG Rheinland-Pfalz, 13.10.2005, SIS 06 05 24, Geschäftsführerhaftung, Insolvenz, Pflichtverletzung, Kausalität
Zitiert in... / geändert durch...
  • FG Berlin-Brandenburg 28.9.2021, SIS 22 02 03, Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers einer GmbH bei Auszahlung der Nettolöhne, Unterlassen des Lo...
  • OVG Berlin-Brandenburg 23.4.2021, SIS 21 10 92, Steuerrechtlicher Haftungsbescheid, bestandskräftige oder entstandene Steuerschuld der vertretenen jurist...
  • Sächsisches FG 8.3.2018, SIS 18 19 84, Beweiskraft der Zustellungsurkunde, Rechtsbehelfseinlegung vor Bekanntgabe des Verwaltungsakts, Geschäfts...
  • Niedersächsisches FG 19.9.2017, SIS 18 03 44, Aussetzung der Vollziehung, Haftung für Lohnsteuer: 1. Die in §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen haften g...
  • Thüringer FG 28.9.2016, SIS 17 09 58, Kein Verschulden des Vorstands einer AG als Voraussetzung für eine Lohnsteuerhaftung bei sicherem Vertrau...
  • FG Mecklenburg-Vorpommern 4.7.2016, SIS 16 19 97, Geschäftsführerhaftung für Lohnsteuer der GmbH, keine Einwendungen gegen den Haftungsbescheid bei Nichter...
  • BFH 26.1.2016, SIS 16 09 72, Umfang der Haftung nach § 69 AO i.V.m. § 34 Abs. 1 AO, Kausalzusammenhang zwischen schuldhafter Pflichtve...
  • FG Bremen 26.11.2015, SIS 15 29 83, Interne Aufgabenverteilung zwischen mehreren GmbH-Geschäftsführern, Haftung eines nicht mit den steuerlic...
  • FG Berlin-Brandenburg 3.9.2015, SIS 15 24 66, Geschäftsführerhaftung bei ungekürzter Lohnzahlung trotz Kenntnis der Zahlungsschwierigkeiten der GmbH, k...
  • FG Köln 6.11.2014, SIS 15 07 30, Umfang der Haftung eines Geschäftsführers bei späterer (hypothetischer) Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO: ...
  • FG Köln 25.2.2014, SIS 14 17 75, Lohnsteuerhaftung des GmbH-Geschäftsführers nach Insolvenzantrag: 1. Die Lohnsteuer-Haftung des GmbH-Gesc...
  • BFH 19.12.2013, SIS 14 11 26, Keine Haftung nach § 71 AO bei Subventionsbetrug: 1. Wer einen Subventionsbetrug begeht oder an einer sol...
  • FG Rheinland-Pfalz 10.12.2013, SIS 14 09 78, Haftung des Mitgeschäftsführers einer geschäftsführenden Komplementär-GmbH für Lohnsteuerschulden der KG:...
  • BFH 20.11.2013, SIS 14 01 01, Keine Entschädigung bei Rechtsprechungsänderung: Hat der Kläger im Ausgangsverfahren ausschließlich wegen...
  • BFH 23.7.2013, SIS 13 24 89, Leichtfertige Steuerverkürzung, abweichende Angaben in Einkommensteuer- und Gewinnfeststellungserklärung:...
  • FG München 19.12.2012, SIS 13 09 18, Haftung des Geschäftsführers bei Beendigung der Geschäftstätigkeit einer GmbH und Begleichung aller offen...
  • FG Berlin-Brandenburg 20.12.2011, SIS 12 18 02, Lohnsteuerhaftung eines GmbH-Geschäftsführers, Pflicht zur anteiligen Lohnauszahlung bei Liquiditätsschwi...
  • FG Berlin-Brandenburg 11.8.2010, SIS 10 34 77, Haftung des GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers für Lohnsteuer der GmbH bei ungekürzter Auszahlung der L...
  • FG des Saarlandes 19.4.2010, SIS 10 34 21, Erlass eines ergänzenden Haftungsbescheids: 1. Hat das FA einen Haftungsgegenstand durch einen bestandskr...
  • FG Rheinland-Pfalz 18.2.2009, SIS 09 39 37, Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Finanzamts bei einer Haftungsinanspruchnahme: Bei einer Haftun...
  • FG München 15.12.2008, SIS 09 11 05, Geschäftsführerhaftung wegen Lohnsteuern bei geduldetem Überziehungskredit: 1. Zeichnet sich bei Auszahlu...
  • BFH 11.11.2008, SIS 09 06 84, GmbH-Geschäftsführer, Haftung für Lohnsteuer: 1. Die erforderliche Kausalität zwischen der Pflichtverletz...
  • BFH 23.9.2008, SIS 08 44 58, Insolvenzreife, Geschäftsführerhaftung: 1. Allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befrei...
  • FG des Landes Sachsen-Anhalt 15.9.2008, SIS 09 03 87, Verfügungsberechtigung des Sequesters im Gesamtvollstreckungsverfahren, Entstehung von Arbeitslohn und Lo...
  • FG Hamburg 24.6.2008, SIS 08 40 09, Haftung des faktischen Geschäftsführers: Nach § 69 AO haften die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Persone...
  • FG Hamburg 22.4.2008, SIS 09 01 87, Haftung von Strohmann- und faktischem Geschäftsführer der GmbH: 1. Die Inanspruchnahme des bestellten Str...
  • FG des Saarlandes 15.1.2008, SIS 08 13 47, Haftung für Lohnsteuer im Krisenfall: Die Haftungsinanspruchnahme eines Geschäftsführers für Lohnsteuer i...

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde am 26.7.2001 neben dem bisherigen Geschäftsführer zum weiteren allein vertretungsberechtigten Geschäftsführer einer GmbH bestellt. Am 22.4.2002 stellte die GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 19.7.2002 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach erfolgter Anhörung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) aufgrund rückständiger Lohnsteuern der GmbH sowie rückständiger Solidaritäts- und Säumniszuschläge gegenüber dem Kläger einen auf § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid. Im Einspruchsverfahren nahm das FA den Haftungsbescheid teilweise zurück und setzte die Haftungssumme herab. Die daraufhin erhobene Klage hatte teilweise Erfolg.

 

Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger zu Unrecht für die nach dem 22.1.2002 fällig gewordenen Beträge in Anspruch genommen worden sei (vgl. SIS 06 05 24). Darüber hinaus könne er nicht für Säumniszuschläge in Anspruch genommen werden, die vor seiner Bestellung zum Geschäftsführer fällig geworden seien. Der Haftungsbescheid sei zumindest deshalb rechtswidrig, weil das FA das ihm zustehende Ermessen nur unzureichend ausgeübt habe. Es habe nämlich in der Begründung des Haftungsbescheides keinerlei tatsächliche Feststellungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Kausalität der Pflichtverletzung des Klägers für den beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden im Hinblick auf die mögliche Anfechtbarkeit einer fristgerechten Abführung der geschuldeten Steuerbeträge nach § 130 der Insolvenzordnung (InsO) getroffen. Denn an der erforderlichen Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden könne es fehlen, wenn der Insolvenzverwalter geleistete Zahlungen vom FA zurückverlangen könne. Unter Annahme einer fristgerechten Abführung der Lohnsteuern spreche im Streitfall alles dafür, dass die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anfechtung der drei Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleisteten Zahlungen vorgelegen hätten. Ein Bargeschäft i.S. des § 142 InsO sei hinsichtlich gezahlter Lohnsteuern nicht anzunehmen, insoweit sei der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH - (Urteil vom 22.1.2004 IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350 = SIS 04 18 59) zu folgen. Hinsichtlich der Inanspruchnahme für Säumniszuschläge fehle es bereits an einer ordnungsgemäßen Anhörung, denn insoweit sei der Kläger nicht auf die Grundsätze der anteiligen Haftung hingewiesen worden. Es sei nicht auszuschließen, dass die fehlende Anhörung ursächlich dafür gewesen sei, dass der Kläger zum Umfang der Befriedigung der übrigen Gläubiger nichts vorgetragen habe. Zudem fehle es hinsichtlich der vor der Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer fällig gewordenen Säumniszuschläge an den Voraussetzungen des § 69 AO.

 

Mit seiner Revision macht das FA geltend, dass eine lediglich hypothetische Anfechtbarkeit nach den §§ 129 ff. InsO bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 69 AO außer Betracht bleiben müsse. Es handle sich dabei nicht um ein Problem der Kausalität, sondern um eine Frage der Schadenszurechnung. Diese Wertungsfrage sei unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 69 AO und des § 41a des Einkommensteuergesetzes (EStG) dahingehend zu beantworten, dass hypothetische Anfechtungsmöglichkeiten den Haftungsschuldner nicht entlasten könnten. Darüber hinaus stehe es im Zeitpunkt der dem Geschäftsführer vorgeworfenen Pflichtverletzung nicht fest, ob es überhaupt zur Insolvenzeröffnung und zu einer Ausübung von Anfechtungsrechten durch den Insolvenzverwalter komme. Entsprechende Ermessenserwägungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides habe das FA deshalb auch nicht anstellen müssen.

 

In Bezug auf verwirkte Säumniszuschläge zur Lohnsteuer finde der Grundsatz der anteiligen Haftung keine Anwendung. Die Haftung für Säumniszuschläge ergebe sich aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 69 Satz 2 AO. Im Übrigen seien im Streitfall Säumniszuschläge in vollem Umfang nur bis zum Tag der Antragstellung in die Haftungssumme einbezogen worden; die nach Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung verwirkten Säumniszuschläge hätten unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur zur Hälfte Berücksichtigung gefunden.

 

Der Kläger schließt sich der Rechtsauffassung des FG an.

 

II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG, das Bundesrecht verletzt (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ), ist insoweit aufzuheben, als das FG den Haftungsbescheid hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und zum Solidaritätszuschlag Juli bis Dezember 2001 sowie Januar und Februar 2002 und Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlägen Januar und Februar 2002 für rechtswidrig erachtet und infolgedessen aufgehoben hat (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Im gleichen Umfang ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Die vom FG angenommenen Ermessensfehler liegen nicht vor. Da hypothetische Kausalverläufe bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 69 AO keine Berücksichtigung finden können, bestand für das FA kein Anlass, in seine Ermessenserwägungen die Möglichkeit einer Anfechtung gedachter Steuerzahlungen nach §§ 130 ff. InsO aufzunehmen.

 

1. Der Kläger hat die ihm als GmbH-Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten zumindest grob fahrlässig verletzt. Denn als Geschäftsführer und gesetzlichem Vertreter der GmbH i.S. von § 34 Abs. 1 AO oblag ihm die Pflicht zur Einbehaltung und fristgerechten Abführung der im Haftungszeitraum (April 2001 bis Februar 2002) von der GmbH angemeldeten Lohnsteuerabzugsbeträge (§ 38 Abs. 3 Satz 1 und § 41a EStG). Eine Entrichtung der dem FA geschuldeten Lohnsteuer ist indes nicht erfolgt. Den hierzu vom FG getroffenen Feststellungen ist der Kläger nicht entgegengetreten.

 

2. Zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers und dem Eintritt des durch die Nichtentrichtung der Lohnsteuer entstandenen Vermögensschadens besteht ein adäquater Kausalzusammenhang, der nicht dadurch entfällt, dass der Insolvenzverwalter Zahlungen, wenn diese vom Kläger innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet worden wären, nach § 130 InsO hätte anfechten können.

 

a) Den zivilrechtlichen Schadensersatznormen, vor allem § 823 und § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), ist § 69 AO zwar angenähert, dennoch bestehen zwischen den Schadensersatznormen des Zivilrechts und der steuerrechtlichen Haftungsvorschrift verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Unterschiede (vgl. BFH-Urteil vom 21.1.1972 VI R 187/68 zu § 109 der Reichsabgabenordnung - RAO -, BFHE 104, 294, BStBl II 1972, 364 = SIS 72 02 18), die eine uneingeschränkte Übertragung der zum Schadensersatzrecht, insbesondere zur Berücksichtigung von hypothetischen Kausalverläufen und zur Schadenszurechnung, ergangenen BGH-Rechtsprechung nicht geboten erscheinen lassen.

 

aa) Gemeinsam ist den angesprochenen Vorschriften des Zivil- und Steuerrechts, dass eine Ausgleichspflicht nur dann in Betracht kommt, wenn zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem dadurch herbeigeführten Schaden ein schadensersatz- bzw. haftungsbegründender Kausalzusammenhang besteht. Der nach der BFH-Rechtsprechung erforderliche adäquate Kausalzusammenhang ist nicht mehr gegeben, wenn der Steuerausfall als Vermögensschaden des Fiskus mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens des Steuerpflichtigen unabhängig davon eingetreten ist, ob Steueranmeldungen fristgerecht eingereicht und die geschuldeten Steuerbeträge innerhalb der gesetzlich hierfür bestimmten Fristen entrichtet worden sind (Senatsurteil vom 6.3.2001 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100 = SIS 01 72 03, m.w.N.).

 

bb) Von den Fällen des tatsächlichen Unvermögens zur fristgerechten Entrichtung der geschuldeten Steuerbeträge zu unterscheiden sind die Fälle der sonstigen Reserveursachen. Bei der sog. hypothetischen Kausalität handelt es sich um die Frage, ob eine Ausgleichspflicht des Schädigers bzw. Haftenden allein deshalb entfällt, weil der verursachte Schaden aufgrund eines anderen Ereignisses ohnehin eingetreten bzw. nicht zu vermeiden gewesen wäre. Die überwiegende Literatur und die Rechtsprechung gehen davon aus, dass es sich dabei nicht um ein Problem der Kausalität, sondern um eine Frage der Schadenszurechnung handelt (Schiemann in Staudinger/Eckpfeiler (2005), BGB, § 249 Rz 93; MünchKommBGB/Oetker, 5. Aufl., § 249 Rz 201 f.; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl., Vorbem. zu § 249 Rz 96; BGH-Urteil vom 7.6.1988 IX ZR 144/87, BGHZ 104, 355). Denn ein nur gedachter Geschehensablauf kann die Kausalität einer realen Ursache nicht beseitigen. Nach der BGH-Rechtsprechung ist es daher eine für verschiedene Fallgruppen durchaus unterschiedlich zu beantwortende Wertungsfrage, inwieweit hypothetische Kausalverläufe geeignet sind, eine an sich gegebene Haftung zu beeinflussen (BGH-Urteil in BGHZ 104, 355, 360). Auszugehen ist dabei vom Schutzzweck der jeweils verletzten Norm (Schiemann in Staudinger/Eckpfeiler, a.a.O., § 249 Rz 94; im Ergebnis auch MünchKommBGB/Oetker, a.a.O., § 249 Rz 214).

 

cc) Durch die pflichtwidrige Nichtabführung fällig gewordener Steuerbeträge wird eine reale Ursache für den Eintritt eines Vermögensschadens in Form eines Steuerausfalls gesetzt, so dass die Kausalität dieser Ursache für den Schadenseintritt durch eine gedachte Anfechtung des Insolvenzverwalters nicht rückwirkend beseitigt werden kann. Es bleibt dabei, dass durch die Pflichtverletzung des Haftungsschuldners dem Fiskus ein diesem geschuldeter Abgabenbetrag vorenthalten worden ist.

 

Der vom Gesetzgeber § 69 AO beigemessene Schutzzweck und die vom BGH geforderte wertende Beurteilung lassen es nicht geboten erscheinen, den hypothetischen Kausalverlauf im Falle einer gedachten Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO im Rahmen der Schadenszurechnung zu berücksichtigen und infolgedessen die Haftung des von § 69 AO erfassten Personenkreises (vgl. § 34 und § 35 AO) entfallen zu lassen (im Ergebnis ebenso Urteile des Sächsischen FG vom 24.5.2005 1 K 2361/04, EFG 2005, 1238 = SIS 05 33 60; des FG Köln vom 12.9.2005 8 K 5677/01, EFG 2006, 86 = SIS 06 06 21 und 8 K 5395/01, EFG 2006, 241 = SIS 06 06 20, und des Schleswig-Holsteinischen FG vom 1.12.2005 2 K 174/04, EFG 2006, 321 = SIS 06 10 19; a.A. Entscheidungen des FG Baden-Württemberg vom 28.7.2004 1 V 30/04, EFG 2004, 1425 = SIS 05 00 36, und vom 30.8.2004 1 V 49/03, EFG 2005, 2 = SIS 05 00 37; des FG des Saarlandes vom 20.12.2004 2 V 385/04, EFG 2005, 680 = SIS 05 14 36; des FG Münster vom 23.6.2004 7 K 5031/00, EFG 2006, 13 = SIS 06 00 99; des FG Rheinland-Pfalz vom 13.10.2005 6 K 2803/04, EFG 2006, 83 = SIS 06 05 24, und des FG Düsseldorf vom 10.1.2006 10 K 4216/02 H (L), EFG 2006, 618 = SIS 06 19 42).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH besitzt § 69 AO Schadensersatzcharakter (Senatsentscheidungen vom 1.8.2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271 = SIS 00 14 29; vom 5.3.1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678 = SIS 91 15 49; vom 26.7.1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859 = SIS 88 19 46; vgl. auch Begründung des Entwurfs für eine Reichsabgabenordnung zu § 83 Abs. 2 bis 86 RAO, in Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 338 Nr. 759). Ziel der Haftung ist es, Steuerausfälle auszugleichen, die durch grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzungen der in § 34 und § 35 AO bezeichneten Personen verursacht worden sind. Die auf § 69 AO gestützte Haftung begründet eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus, die den Individualansprüchen aus rechtsgeschäftlicher Haftung, Vertrauenshaftung und unerlaubter Handlung vergleichbar ist (Senatsbeschluss vom 2.11.2001 VII B 155/01, BFHE 197, 1, BStBl II 2002, 73 = SIS 02 04 80).

 

Die Regelung der steuerlichen Haftung geht auf § 109 RAO zurück, mit dem das zivilrechtliche Vertretungsrecht in der RAO berücksichtigt und den steuerlichen Bedürfnissen angepasst werden sollte (Beermann, Haftungsbescheid nach der AO und Entschließungsermessen, in Festschrift für Franz Klein, S. 953, 961). Der haftungsrechtliche Zugriff auf gesetzliche Vertreter und Verfügungsberechtigte kann damit legitimiert werden, dass ihnen die Erfüllung steuerlicher Pflichten obliegt, die der Steuerpflichtige mangels eigener Handlungs- und Geschäftsfähigkeit nicht selbst erfüllen kann. Andererseits kommt in der Haftungsvorschrift auch das Bemühen des Gesetzgebers zum Ausdruck, der steuerrechtlichen Stellvertretung Schranken zu setzen und der Gefahr entgegenzuwirken, dass der Steuerpflichtige durch die Stellvertretung das Steueraufkommen gefährdende Vorteile erlangt (Tipke in Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 109 Rz 1, m.w.N.). Durch den in § 69 AO normierten Haftungsanspruch soll der Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten angehalten und das Steueraufkommen durch Schaffung einer Rückgriffsmöglichkeit gesichert werden.

 

Das Erreichen dieser Ziele würde durch die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe gefährdet. Denn ein gesetzlicher Vertreter könnte innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Erfüllung der ihm als Vertreter obliegenden steuerlichen Pflichten mit dem Hinweis vernachlässigen, dass, wenn er Steuerzahlungen vornähme, diese ohnehin der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO ausgesetzt seien und er infolgedessen auch nicht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden könne. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Zeitpunkt der pflichtwidrigen Nichtzahlung des geschuldeten Abgabenbetrages keine zuverlässige Feststellung darüber getroffen werden kann, ob es tatsächlich zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommen wird und ob im Falle der Eröffnung eines solchen Verfahrens eine Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO überhaupt erfolgen und auch erfolgreich sein würde. Denn zum einen ist es nicht auszuschließen, dass ein Insolvenzverwalter auch im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von bestehenden Anfechtungsmöglichkeiten keinen Gebrauch macht; zum anderen kann eine Anfechtung daran scheitern, dass das FA die Umstände nicht kannte, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätten schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO).

 

Bei einer Berücksichtigung von insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbeständen wäre die Durchsetzung des Haftungsanspruchs mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Denn das FA müsste beim Erlass des Haftungsbescheides und der Ausübung des ihm zustehenden Ermessens eine Prognoseentscheidung treffen und die Möglichkeit und die Erfolgsaussichten einer Ausübung von Anfechtungsrechten nach §§ 130 ff. InsO prüfen. Eine solche Überprüfung wäre nur dann entbehrlich, wenn es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens überhaupt nicht kommt. Denn wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom 23.4.2007 VII B 92/06 = SIS 07 27 21, zur Veröffentlichung bestimmt), kommt die Berücksichtigung von hypothetischen Kausalverläufen ohnehin nicht in Betracht, wenn das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 26 Abs. 1 InsO

mangels Masse ablehnt. Zwischen Antragstellung und Bescheidung des Antrags kann jedoch ein längerer Zeitraum verstreichen, wenn z.B. der vom Insolvenzgericht eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden ist (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO). Die zur Durchsetzung des Haftungsanspruchs erforderliche Handlungsfähigkeit des FA wäre in unzumutbarer Weise eingeschränkt, wenn es verpflichtet wäre, die Beendigung des Eröffnungsverfahrens abzuwarten, bevor gegen den Vertreter ein Haftungsbescheid erlassen werden könnte. Aber auch das Erfordernis einer Prognoseentscheidung über das Vorliegen der in §§ 130 ff. InsO normierten Anfechtungsvoraussetzungen, insbesondere über das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners i.S. von § 17 InsO, würde die Durchführung des Haftungsverfahrens erheblich erschweren und die Funktion der Haftungsvorschrift für diesen Zeitraum in Frage stellen. Neben dem Sicherungszweck sprechen somit auch Effektivitätsgesichtspunkte und Praktikabilitätserwägungen dafür, bei der Anwendung von § 69 AO hypothetische Kausalverläufe im Rahmen der Schadenszurechnung unberücksichtigt zu lassen.

 

b) Mit diesem Ergebnis setzt sich der erkennende Senat nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH. Die zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen getroffenen Entscheidungen (Urteile vom 18.4.2005 II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, DStR 2005, 978, und vom 14.11.2000 VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80) betreffen eine mögliche Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a des Strafgesetzbuchs und damit einen deliktischen Schadensersatzanspruch. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich um einen solchen bei § 69 AO jedoch nicht. Vielmehr normiert § 69 AO einen öffentlich-rechtlichen - und zivilrechtlich nicht abdingbaren - Haftungsanspruch, der eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus begründet. Der Haftung kommt eine Ausgleichsfunktion und lediglich der Charakter eines Schadensersatzanspruchs zu (Jatzke in Beermann/Gosch, AO § 69 Rz 3, m.w.N.). Daneben verfolgt § 69 AO den Zweck, das bei steuerrechtlich nicht geschäfts- und handlungsfähigen Steuerpflichtigen auftretende Erfordernis der Stellvertretung an die besonderen Bedürfnisse des Steuerrechts anzupassen und damit zur Aufkommenssicherung beizutragen. Aus diesen Gründen kann die zum Deliktsrecht entwickelte Rechtsprechung des BGH nicht ohne weiteres auf die Haftung nach den Vorschriften der AO übertragen werden.

 

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass bei einem mitwirkenden Verschulden der Finanzbehörde eine unmittelbare Anwendung der Regelung in § 254 BGB ebenfalls nicht in Betracht kommt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein solches Mitverschulden allenfalls bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen (BFH-Entscheidungen vom 2.11.2001 VII B 75/01, BFH/NV 2002, 310 = SIS 02 53 08, und vom 11.5.2000 VII B 217/99, BFH/NV 2000, 1442 = SIS 00 61 02, m.w.N.). Dies unterstützt den Befund, dass es sich bei § 69 AO nicht um eine Schadensersatznorm handelt, auf die sich Schadensersatzregelungen des BGB und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH ohne weiteres übertragen lassen.

 

3. Da die Berücksichtigung einer hypothetischen Anfechtungsmöglichkeit nach § 130 Abs. 1 InsO im Rahmen einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 69 AO nicht in Betracht kommt, kann es der Senat dahingestellt sein lassen, ob die Abführung von Lohnsteuern in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine anfechtbare Rechtshandlung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO darstellt, oder ob ein Bargeschäft nach § 142 InsO vorliegt, so dass eine Anfechtung nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO möglich wäre (vgl. zur Problemstellung Senatsbeschluss vom 11.8.2005 VII B 244/04, BFHE 210, 410, BStBl II 2006, 201 = SIS 05 41 70, und Kayser, Insolvenzrechtliche Bargeschäfte (§ 142 InsO) bei der Erfüllung gesetzlicher Ansprüche?, ZIP 2007, 49).

 

4. Hinsichtlich der Säumniszuschläge hat das FA seine Revision auf die Zuschläge begrenzt, die erst nach der Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer erhoben worden sind. Wie das FG zu Recht entschieden hat, kann der Kläger für Säumniszuschläge nur insoweit in Anspruch genommen werden, als diese während seiner Tätigkeit als GmbH-Geschäftsführer infolge seiner schuldhaften Pflichtverletzung entstanden sind (Senatsurteile vom 26.7.1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859 = SIS 88 19 46 und VII R 84/87, BFH/NV 1988, 685). Da der Kläger erst am 26.7.2001 zum Geschäftsführer bestellt worden ist, kann er nur für die ab diesem Zeitpunkt entstandenen Säumniszuschläge in Anspruch genommen werden. Dabei ist die Inanspruchnahme in Höhe der Hälfte der nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH entstandenen Säumniszuschläge nicht zu beanstanden. Denn nach der BFH-Rechtsprechung rechtfertigt der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit für sich allein keinen vollständigen Erlass der Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit; diese sind vielmehr in der Regel nur zur Hälfte zu erlassen, wenn sie lediglich ihren Zweck verloren haben, als Druckmittel zur pünktlichen Steuerzahlung zu dienen (Senatsurteil vom 19.12.2000 VII R 63/99, BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217 = SIS 01 05 77). Im Streitfall hat das FA diese Vorgaben berücksichtigt und die Säumniszuschläge nur zur Hälfte in die Haftungssumme mit einbezogen. Ausweislich des Sachverhalts ist der Kläger vor seiner haftungsrechtlichen Inanspruchnahme angehört worden. In Bezug auf die Säumniszuschläge bedurfte es keines ausdrücklichen Hinweises auf die Grundsätze der anteiligen Haftung.

 

Da der vom FG beanstandete Ermessensfehler nicht vorliegt, war das erstinstanzliche Urteil in dem Umfang aufzuheben, als das FG den angefochtenen Haftungsbescheid hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und zum Solidaritätszuschlag Juli bis Dezember 2001 sowie Januar und Februar 2002 sowie der Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlägen Januar und Februar 2002 für rechtswidrig erachtet und daher aufgehoben hat. In diesem Umfang war die Klage als unbegründet abzuweisen.