Option auf Aktienerwerb, Arbeitslohn, Zuflusszeitpunkt bei Sperr- bzw. Verfallsklausel: 1. Bei einem Aktienerwerb fließt dem Arbeitnehmer der geldwerte Vorteil in dem Zeitpunkt zu, in dem der Anspruch auf Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die Aktien erfüllt wird. - 2. Dem Zufluss steht es nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Sperr- bzw. Haltefrist die Aktien für eine bestimmte Zeit nicht veräußern kann. Der Erwerber ist rechtlich und wirtschaftlich bereits von dem Augenblick an Inhaber der Aktie, in dem sie auf ihn übertragen oder auf seinen Namen im Depot einer Bank hinterlegt wird. - 3. Der geldwerte Vorteil fließt dem Arbeitnehmer auch dann mit der Verschaffung der Verfügungsmacht zu, wenn die Aktien unter der auflösenden Bedingung einer Rückzahlungsverpflichtung (§ 158 Abs. 2 BGB) überlassen werden und diese Bedingung eintritt (sog. Istprinzip). - Urt.; BFH 30.9.2008, VI R 67/05; SIS 08 44 55
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2000) zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er war seit dem
12.6.1999 bei der ... Aktiengesellschaft (im Folgenden AG)
angestellt.
Der Vorstand der AG war ermächtigt,
nach dem für die Mitarbeiter aufgelegten
„Aktienoptionsprogramm 2000 (AOP 2000)“
Wandelschuldverschreibungen auszugeben und dabei den Inhabern der
Wandelschuldverschreibungen Umtauschrechte auf Aktien der AG
einzuräumen.
Das AOP 2000 sah eine Sperr- bzw.
Haltefrist vor. Danach durfte das Wandlungsrecht grundsätzlich
erstmals nach Ablauf von drei Jahren nach Zeichnung der
Wandelschuldverschreibung ausgeübt werden. Es enthielt zudem
eine Verfallsklausel, wonach eine Wandlung in Aktien nicht mehr
möglich sein sollte, wenn das Arbeitsverhältnis des
Mitarbeiters der AG innerhalb der dreijährigen Sperrfrist
endete. Erklärte der Mitarbeiter die ordentliche
Kündigung seines Arbeitsverhältnisses bzw. kündigte
die Gesellschaft ihm aus wichtigem Grund innerhalb dieser Frist,
mussten die bereits gewandelten Aktien auf die AG
zurückübertragen werden. Bei einer Beendigung des
Arbeitsverhältnisses aus sonstigen Gründen innerhalb der
Sperrfrist konnte der Arbeitgeber von einer
Rückübertragung eines Teils der bereits gewandelten
Aktien nach dem Ermessen des Vorstandes absehen.
Der Kläger nahm an dem AOP 2000 teil
und zeichnete im Jahr 1999 Wandelschuldverschreibungen, die er
bereits im selben Jahr in Aktien umwandelte. Er erhielt 73.008
Aktien zu einem Stückpreis von 1,45 DM.
Durch Aufhebungsvertrag vom 15.8.2000 wurde
das Arbeitsverhältnis des Klägers einvernehmlich auf
Veranlassung des Arbeitgebers mit Wirkung zum 1.9.2000 beendet.
Gemäß der Aufhebungsvereinbarung sollte der Kläger
von den gewandelten 73.008 Aktien 48.008 auf die AG
zurückübertragen. Im Gegenzug sollte er den für den
Erwerb der Aktien gezahlten Kaufpreis und den Zinsverlust
zurückerhalten. Auf die Rückübertragung der
restlichen 25.000 Aktien verzichtete der Vorstand zu Gunsten des
Klägers. Der Wert der Aktien belief sich zum Zeitpunkt des
Verzichts auf 17,99 DM je Aktie.
Aufgrund einer
Lohnsteuer-Außenprüfung kam der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) zu dem Ergebnis, dass
in Höhe der Differenz zwischen dem Wert der Aktien zum
Zeitpunkt des Ausscheidens (17,99 DM) und dem Wandlungspreis (1,45
DM) eine steuerpflichtige Abfindung vorliege, da die AG auf eine
ihr zustehende Forderung verzichtet habe. Das FA änderte dem
folgend den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres (2000) vom
23.11.2001 gemäß § 164 der Abgabenordnung (AO) und
erhöhte die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
um 413.500 DM (25.000 x (17,99 DM ./. 1,45 DM)). Der dagegen
gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
den in EFG 2006, 44 = SIS 06 04 50 veröffentlichten
Gründen statt. Der Zufluss des geldwerten Vorteils als
Arbeitslohn sei entweder im Zeitpunkt der Zeichnung der
Wandelschuldverschreibungen oder durch Umwandlung der Anleihe in
Aktien bewirkt worden. Beide Zeitpunkte lägen außerhalb
des Streitjahres. Die vereinbarte Sperr- bzw. Haltefrist habe keine
Verschiebung des Zuflusszeitpunktes bewirkt. Da Sperrfristen
für Aktien nur relative Verfügungsbeschränkungen
darstellten, ließen sie die Übertragung des
wirtschaftlichen Eigentums unberührt. Auch der Verzicht auf
Rückübertragung eines Teils der Aktien, zu der die in dem
AOP 2000 enthaltene Verfallsklausel den Kläger verpflichtet
habe, führe nicht zu einer Besteuerung im Streitjahr.
Arbeitslohn, der einmal steuerlich erfasst worden sei, könne
durch den Verzicht auf Rückzahlung nicht noch einmal besteuert
werden.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts (§§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,
8 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ).
Das FA beantragt sinngemäß, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der nach
Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch
Vorstandsbeschluss erklärte Verzicht auf
Rückübertragung der streitbefangenen Aktien im Streitjahr
nicht zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
führte. Zwar erzielte der Kläger durch die verbilligte
Überlassung der Aktien Einnahmen aus nichtselbständiger
Arbeit. Diese flossen ihm aber nicht im Streitjahr, sondern
spätestens mit der Umwandlung der Wandelschuldverschreibungen
in Aktien im Jahr 1999 zu.
1. Zu den Einnahmen aus
nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG alle Güter, die in
Geld oder Geldeswert bestehen und die dem Arbeitnehmer aus dem
Dienstverhältnis für das Zurverfügungstellen seiner
individuellen Arbeitskraft zufließen. Zu einem geldwerten
Vorteil führt auch die verbilligte Überlassung von Aktien
(vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23.6.2005 VI R
124/99, BFHE 209, 549, BStBl II 2005, 766 = SIS 05 33 29, und VI R
10/03, BFHE 209, 559, BStBl II 2005, 770 = SIS 05 35 98, und vom
20.6.2001 VI R 105/99, BFHE 195, 395, BStBl II 2001, 689 = SIS 01 11 33). Ein derartiger Vorteil fließt mit der Verschaffung
der wirtschaftlichen Verfügungsmacht an den Aktien zu (a). Ein
nachfolgender Verzicht auf die Rückübertragung solcher
Aktien wirkt sich nicht einkommenserhöhend aus (b).
a) Arbeitslohn, der - wie im Streitfall -
nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige
Bezüge), wird in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem
Arbeitnehmer zufließt (§ 11 Abs. 1 Satz 3, jetzt Satz 4,
i.V.m. § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG). Nach ständiger
Rechtsprechung tritt der Zufluss mit der Erlangung der
wirtschaftlichen Verfügungsmacht ein (ständige
Rechtsprechung des BFH, zuletzt Urteile vom 5.7.2007 VI R 47/02,
BFH/NV 2007, 1876 = SIS 07 32 30; vom 4.5.2006 VI R 19/03, BFHE
213, 381, BStBl II 2006, 832 = SIS 06 26 75; vom 14.6.2005 VIII R
47/03, BFH/NV 2005, 2181 = SIS 05 48 21, und vom 18.12.2001 IX R
74/98, BFH/NV 2002, 643 = SIS 02 62 23, jeweils m.w.N.). Bei einem
Aktienerwerb fließt dem Arbeitnehmer der geldwerte Vorteil in
dem Zeitpunkt zu, in dem der Anspruch auf Verschaffung der
wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die Aktien
erfüllt wird (BFH-Urteile vom 10.3.1972 VI R 278/68, BFHE 105,
348, BStBl II 1972, 596 = SIS 72 03 50; vom 24.1.2001 I R 100/98,
BFHE 195, 102, BStBl II 2001, 509 = SIS 01 08 94, und I R 119/98,
BFHE 195, 110, BStBl II 2001, 512 = SIS 01 08 95; in BFHE 195, 395,
BStBl II 2001, 689 = SIS 01 11 33; in BFHE 209, 549, BStBl II 2005,
766 = SIS 05 33 29, und in BFHE 209, 559, BStBl II 2005, 770 = SIS 05 35 98).
Dem Zufluss steht nach ständiger
Rechtsprechung insbesondere nicht entgegen, dass der Arbeitnehmer
aufgrund einer Sperr- bzw. Haltefrist die Aktien für eine
bestimmte Zeit nicht veräußern kann (vgl. BFH-Urteile
vom 1.2.2007 VI R 73/04, BFH/NV 2007, 896 = SIS 07 61 65; vom
16.11.1984 VI R 39/80, BFHE 142, 475, BStBl II 1985, 136 = SIS 85 04 31; vom 7.4.1989 VI R 47/88, BFHE 156, 468, BStBl II 1989, 608 =
SIS 89 14 29, und VI R 73/86, BFHE 157, 496, BStBl II 1989, 927 =
SIS 89 24 35; Schmidt/Heinicke, EStG, 27. Aufl., § 11 Rz 15,
m.w.N.). Dies folgt daraus, dass der Erwerber der Aktien rechtlich
und wirtschaftlich bereits von dem Augenblick an Inhaber der Aktie
ist, in dem sie auf ihn übertragen oder auf seinen Namen im
Depot einer Bank hinterlegt wird. Die mit dem Aktienerwerb
verbundene Rechtsstellung erschöpft sich nicht in der
Möglichkeit, die Aktie zu verkaufen. Denn sowohl das
Stimmrecht als auch der Dividendenanspruch stehen dem Arbeitnehmer
unabhängig von der Vereinbarung einer Sperrfrist bereits vom
Zeitpunkt des Erwerbs an zu. Bei einer obligatorischen
Veräußerungssperre ist dem Erwerber von Aktien selbst
deren Veräußerung rechtlich möglich, wenngleich
dies auch Sanktionen auslösen kann. Denn aufgrund des im
Aktienrecht geltenden Grundsatzes der freien Übertragbarkeit
der Aktie (§ 68 Abs. 2 des Aktiengesetzes) ist jede
Einschränkung, die über eine schuldrechtliche Wirkung
hinausgeht, unwirksam.
Der Annahme des Zuflusses durch Umwandlung der
Anleihe in Aktien steht es auch nicht entgegen, dass ein
Arbeitnehmer aufgrund einer Verfallsklausel bei frühzeitiger
Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter bestimmten
Bedingungen zur Rückübertragung der Aktien verpflichtet
ist.
Endet gemäß § 158 Abs. 2 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs - wie bei der Verfallsklausel - die
Wirkung des Rechtsgeschäfts mit Eintritt der auflösenden
Bedingung, so ist bereits mit Erhalt der Vermögensmehrung ein
Zufluss anzunehmen (BFH-Urteil vom 29.4.1982 IV R 95/79, BFHE 136,
94, BStBl II 1982, 593 = SIS 82 16 27). Denn nach dem sogenannten
„Istprinzip“ hindert eine mögliche
Rückzahlungsverpflichtung den Zufluss der Einnahme nicht, da
der Steuerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht
zunächst erlangt (BFH-Urteile vom 30.7.1997 I R 11/96, BFH/NV
1998, 308 = SIS 98 04 01, und vom 13.10.1989 III R 30-31/85, BFHE
159, 123, BStBl II 1990, 287 = SIS 90 06 07; Birk/Kister in
Herrmann/ Heuer/Raupach, § 11 EStG Rz 29).
Die durch Auflösung des
Arbeitsverhältnisses ausgelöste
Rückerstattungsverpflichtung führt auch nicht als
rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO nachträglich zur Beseitigung der im Zeitpunkt der
Umwandlung angenommenen Vermögensmehrung. Denn ob einer
nachträglichen Änderung des Sachverhalts
rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, also bereits
eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die
Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen,
bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen
materiellen Recht. Eine steuerliche Vorschrift, die ausnahmsweise
eine Änderung des steuererheblichen Sachverhalts
rückwirkend zulässt, ist hier nicht ersichtlich. Für
die Überschusseinkünfte kommt es allein auf die
tatsächlichen Zu- und Abflüsse von Einnahmen und Ausgaben
an. Diese tatsächlichen Vorgänge können nicht durch
später bewirkte tatsächliche Rückzahlungen und erst
recht nicht durch später geltend gemachte Forderungen
ungeschehen gemacht werden (vgl. BFH-Urteile vom 4.5.2006 VI R
17/03, BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830 = SIS 06 31 50, mit
Hinweis auf BFH-Beschlüsse vom 26.3.1991 VIII R 55/86, BFHE
166, 21, BStBl II 1992, 479 = SIS 92 07 23, unter B. III. 4. b bb
der Gründe, und vom 19.7.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II
1993, 897 = SIS 93 23 33, unter C. II. 1. d der Gründe,
abweichend aber Portner/Bödefeld, DStR 1995, 629, 634; Bredow,
DStR 1999, 371).
b) Der Verzicht auf die Forderung zur
Rückübertragung der 25.000 Aktien wirkt sich im
Streitfall nicht einkommenserhöhend aus.
Zwar kann ein Forderungsverzicht des
Arbeitgebers grundsätzlich einen steuerpflichtigen Vorteil
begründen, wie dies bei Verzicht auf eine ihm gegen den
Arbeitnehmer zustehende Schadensersatzforderung der Fall ist
(BFH-Urteile vom 24.5.2007 VI R 73/05, BFHE 218, 180, BStBl II
2007, 766 = SIS 07 21 05; vom 27.3.1992 VI R 145/89, BFHE 168, 99,
BStBl II 1992, 837 = SIS 92 16 33). Ein durch den Verzicht auf die
Rückübertragung der 25.000 Aktien begründeter
Vorteil würde hier allerdings durch einen Abfluss in gleicher
Höhe saldiert. Muss nämlich ein Steuerpflichtiger die in
einem Veranlagungszeitraum zugeflossenen Einnahmen ganz oder zum
Teil in einem späteren Veranlagungszeitraum zurückzahlen,
so sind die Beträge im Veranlagungszeitraum der
Rückzahlung einkommensmindernd zu berücksichtigen (vgl.
BFH-Urteile in BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830 = SIS 06 31 50; in
BFHE 213, 381, BStBl II 2006, 832 = SIS 06 26 75; vom 7.11.2006 VI
R 2/05, BFHE 215, 481, BStBl II 2007, 315 = SIS 07 03 21).
2. Ob und in welcher Höhe dem Kläger
infolge der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht
(auch) an den streitbefangenen 25.000 Aktien bereits im
Veranlagungszeitraum 1999 Arbeitslohn zugeflossen ist, braucht der
Senat nicht zu entscheiden.