Leistungen ohne Rechtsgrundlage als Arbeitslohn, Rückzahlung von Arbeitslohn: 1. Durch das Dienstverhältnis veranlasste Leistungen des Arbeitgebers sind auch dann Arbeitslohn, wenn es an einem Rechtsgrund fehlt. - 2. Zurückgezahlter Arbeitslohn ist erst im Zeitpunkt des Abflusses steuermindernd zu berücksichtigen. - Urt.; BFH 4.5.2006, VI R 19/03; SIS 06 26 75
I. Streitig ist die steuerliche Behandlung
von überzahlten Krankenbezügen durch den
Arbeitgeber.
Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1995 und 1996
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger
erzielte bis zum 30.11.1996 als Sozialarbeiter Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit. Aufgrund von
Arbeitsunfähigkeit erhielt er ab 3.11.1995 Krankenbezüge
im Rahmen der Lohnfortzahlung durch die Stadt X (Arbeitgeber)
gemäß § 71 des Bundes-Angestelltentarifvertrags
(BAT). Rückwirkend bezog der Kläger ab 19.7.1995
Berufsunfähigkeitsrente und ab 1.12.1996
Erwerbsunfähigkeitsrente. Die vom Arbeitgeber in der Zeit vom
15.12.1995 bis zum 31.3.1997 geleisteten Krankenbezüge bzw.
Urlaubsvergütungen beliefen sich auf 23.617,50 DM. Im Rahmen
eines gerichtlichen Vergleichs vom 19.3.1997 vor dem Arbeitsgericht
vereinbarte der Kläger mit dem Arbeitgeber die
Rückzahlung überzahlter Krankenbezüge in Höhe
von 7.248,29 DM. Von der Rückforderung der in der Zeit vom
15.12.1995 bis 31.3.1996 gezahlten Krankenbezüge sah der
Arbeitgeber gemäß § 71 Abs. 2 BAT ab und
verzichtete insoweit auf eine Erstattung. Der Kläger zahlte
den genannten Betrag im Jahr 1997 an den Arbeitgeber
zurück.
Im Februar 1999 beantragte der Kläger,
die Rückzahlung in den Streitjahren 1995 und 1996
steuermindernd zu berücksichtigen. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) lehnte - unter
Berücksichtigung der Rückzahlung im Jahr 1997 - die
Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide
für diese Jahre ab. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage
insoweit statt (vgl. SIS 03 41 12). Das FG vertrat die Auffassung,
die strittigen Zahlungen stellten, da irrtümlich geleistet,
keinen Arbeitslohn dar. Die bestandskräftigen Bescheide seien
gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung
(AO 1977) antragsgemäß zu ändern.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Zum Arbeitslohn gehören nach § 19
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) alle
„Vorteile, die für eine Beschäftigung im
öffentlichen oder privaten Dienst gewährt
werden“. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist
gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht
oder nicht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5.7.1996 VI R
10/96, BFHE 180, 441, BStBl II 1996, 545 = SIS 96 19 38). Der BFH
definiert den Begriff des Arbeitslohns in ständiger
Rechtsprechung als jedweden geldwerten Vorteil, der durch das
individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist (Urteil vom
7.7.2004 VI R 29/00, BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367 = SIS 05 13 48). Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn der Vorteil nur
gewährt wird, weil der Zuwendungsempfänger Arbeitnehmer
des Arbeitgebers ist, der Vorteil also mit Rücksicht auf das
Dienstverhältnis eingeräumt wird, und wenn sich die
Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung
für das Zurverfügungstellen der individuellen
Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (BFH-Urteil vom 26.6.2003 VI
R 112/98, BFHE 203, 53, BStBl II 2003, 886 = SIS 03 44 97). Dabei
genügt die tatsächliche Veranlassung der Einnahmen durch
das Dienstverhältnis (BFH-Urteil vom 28.2.1975 VI R 29/72,
BFHE 115, 251, BStBl II 1975, 520 = SIS 75 03 09; Pflüger in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 19 EStG Anm. 340).
Arbeitslohn liegt u.a. dann nicht vor, wenn die Zuwendungen wegen
anderer Rechtsbeziehungen oder wegen sonstiger, nicht auf dem
Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer
und Arbeitgeber gewährt werden (BFH-Urteil vom 22.3.1985 VI R
170/82, BFHE 143, 544, BStBl II 1985, 529 = SIS 85 18 29).
Nach diesen Grundsätzen hat die
Vorinstanz die Zahlung des Krankengelds zu Unrecht nicht als
Arbeitslohn angesehen. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch den
Arbeitgeber bildet Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 EStG (Schmidt/ Drenseck, EStG, 25. Aufl., § 19 Rz. 50
„Lohnfortzahlung im Krankheitsfall“;
HHR/Pflüger, § 19 EStG Anm. 600
„Lohnfortzahlung“; Küttner/Thomas,
Personalbuch 2006, Stichwort Krankengeld, Rz. 6). Der Arbeitgeber
erfüllt damit im Fall der Arbeitsunfähigkeit den
arbeitsrechtlichen Lohnzahlungsanspruch des Arbeitnehmers.
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist auch der hier strittige
Krankenbezug gemäß § 71 BAT.
Entgegen der Auffassung des FG sind im
Streitfall die Krankenbezüge auch insoweit Arbeitslohn, als
die tarifrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlagen und der
Arbeitgeber insoweit ohne Rechtsgrund gezahlt hat und somit von
einer Überzahlung auszugehen ist. Es besteht ein
tatsächlicher Zusammenhang zwischen den Einnahmen und dem
Dienstverhältnis. Dieser objektive Veranlassungszusammenhang,
der für das Vorliegen von Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausreicht, wird nicht dadurch aufgelöst,
dass der Arbeitgeber überzahlten Arbeitslohn
zurückfordert. Ob Zahlungen des Arbeitgebers an den
Arbeitnehmer bei diesem verbleiben können, ist für die
Frage des Zuflusses von Arbeitslohn unerheblich (BFH-Urteil vom
22.5.2002 VIII R 74/99, BFH/NV 2002, 1430 = SIS 02 97 85).
Arbeitslohn liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer Geld oder geldwerte
Güter für eine Beschäftigung im öffentlichen
oder privaten Dienst zugeflossen sind. Zugeflossen ist eine
Einnahme dann, wenn der Empfänger die wirtschaftliche
Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert
bestehenden Güter erlangt hat (BFH-Urteil vom 16.4.1999 VI R
60/96, BFHE 188, 334, BStBl II 2000, 406 = SIS 99 16 04). Einnahmen
sind innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem
Steuerpflichtigen zugeflossen sind (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG).
Ausgaben sind für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie
geleistet werden (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Zurückgezahlte Einnahmen sind erst im Zeitpunkt des Abflusses
steuermindernd zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 26.1.2000 IX
R 87/95, BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396 = SIS 00 08 52), im
Streitfall also erst 1997. Entgegen der Auffassung des FG ist die
Rückerstattung des überzahlten Betrags kein
rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO 1977 (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1430 = SIS 02 97 85,
m.w.N.).