Dienstwagen, Anscheinsbeweis für Privatnutzung: 1. Wird dem Arbeitnehmer ein Dienstwagen auch zur privaten Nutzung überlassen, so ist ein Zuschlag nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG (0,03 %-Regelung) nur vorzunehmen, wenn der Arbeitnehmer den Dienstwagen tatsächlich für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzt. Für eine solche Nutzung besteht ein Anscheinsbeweis, der durch die Vorlage einer auf den Arbeitnehmer ausgestellten Jahres-Bahnfahrkarte entkräftet werden kann. - 2. Mit der Entkräftung des Anscheinsbeweises ist der Sachverhalt zur Ermittlung des Zuschlags im Hinblick auf Art und Umfang der Nutzung des Dienstwagens umfassend aufzuklären (Anschluss an Senatsurteile vom 4.4.2008 VI R 85/04, BStBl 2008 II S. 887 = SIS 08 24 19, und VI R 68/05, BStBl 2008 II S. 890 = SIS 08 24 18). (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 12.3.2009, IV C 5 - S 2334/08/10010, BStBl 2009 I S. 500 = SIS 09 09 40) - Urt.; BFH 28.8.2008, VI R 52/07; SIS 08 43 36
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) wohnen in A und wurden als Eheleute in den
Streitjahren (2001 bis 2003) zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt. Der Kläger erzielt Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit. Seine regelmäßige
Arbeitsstätte befand sich in den Streitjahren bei der W-AG in
B. Dem Kläger wurde von der W-AG ab Juni 2001 ein Dienstwagen
zur Verfügung gestellt. Der aus der Überlassung folgende
geldwerte Vorteil für die private Nutzung des Dienstwagens
wurde nach der 1 %-Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) lohnsteuerlich erfasst. Auf den
Ansatz des Zuschlags nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG für
Fahrten mit dem Dienstwagen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
wurde sowohl von der W-AG beim Lohnsteuerabzug als auch vom
Kläger in den Einkommensteuererklärungen für die
Streitjahre mit der Begründung verzichtet, dass der
Kläger für derartige Fahrten ausschließlich
öffentliche Verkehrsmittel genutzt habe.
Im Anschluss an eine
Lohnsteuer-Außenprüfung bei der W-AG änderte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die
Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre gemäß
§ 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung und erhöhte den
Bruttoarbeitslohn um den Zuschlag nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG
in Höhe von 11.592 DM (2001) und je 11.853 EUR (2002 und
2003). Die Änderung begründete das FA damit, dass ein
steuerlich anzuerkennendes Nutzungsverbot hinsichtlich der Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von der W-AG weder
ausgesprochen noch in geeigneter Weise überwacht worden
sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach
erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in EFG 2007, 1327 =
SIS 07 26 83 veröffentlichten Gründen ab. Zur
Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, dass es
nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht darauf
ankomme, ob der Steuerpflichtige den Dienstwagen tatsächlich
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutze,
sondern allein darauf, ob er ihn hierfür nutzen könne.
Aus dem Vortrag des Klägers und den von ihm vorgelegten
Dokumenten ergebe sich weder, dass die Nutzung des Dienstwagens
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte untersagt,
noch, dass ein solches Verbot von der W-AG überwacht worden
sei. Der Kläger könne gegen den Ansatz des geldwerten
Vorteils für die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte nicht geltend machen, dass er nur mit
öffentlichen Verkehrsmitteln von der Wohnung zur
Arbeitsstätte gefahren sei.
Mit der Revision rügen die Kläger
die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen, das Urteil des
FG und die Änderungsbescheide für die Streitjahre vom
13.12.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.4.2005
aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Entgegen der Auffassung der
Vorinstanz kommt es für die Ermittlung des Zuschlags nach
§ 8 Abs. 2 Satz 3 EStG darauf an, ob und in welchem Umfang der
Kläger den Dienstwagen tatsächlich für die Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt hat.
1. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG alle geldwerten
Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen
oder privaten Dienst gewährt werden. Auch die unentgeltliche
bzw. verbilligte Überlassung eines Dienstwagens durch den
Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung
führt zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit zum
Lohnzufluss (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6.11.2001 VI
R 62/96, BFHE 197, 142, BStBl II 2002, 370 = SIS 02 06 51; vom
7.11.2006 VI R 95/04, BFHE 215, 252, BStBl II 2007, 269 = SIS 07 03 22).
Hinsichtlich der Bewertung dieses geldwerten
Vorteils gilt gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG ab dem
Veranlagungszeitraum 1996 die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG
getroffene Regelung entsprechend; die Privatnutzung ist daher
für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen
Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der
Kosten für Sonderausstattungen einschließlich der
Umsatzsteuer anzusetzen. Der Wert nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG
erhöht sich gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG
für jeden Kalendermonat um 0,03 % des genannten Listenpreises
für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte, wenn das Fahrzeug für solche Fahrten
genutzt werden kann.
Nach dem Normzweck des § 8 Abs. 2 Satz 3
EStG ist der Zuschlag ein Korrekturposten zur Entfernungspauschale
nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der in den Streitjahren
jeweils geltenden Fassung, die auch bei - unentgeltlicher -
Überlassung des Dienstwagens für die Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte gewährt wird. Für die
Ermittlung des Zuschlags ist daher in gleicher Weise wie für
den pauschalen Werbungskostenabzug auf die tatsächliche
Nutzung des Dienstwagens für die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte abzustellen. Zur Begründung im Einzelnen
wird auf das Senatsurteil vom 4.4.2008 VI R 68/05 (BStBl II 2008,
890 = SIS 08 24 18) verwiesen.
2. Die Vorentscheidung ist von anderen
rechtlichen Grundsätzen ausgegangen und deshalb aufzuheben.
Das FG hat bei der Ermittlung des Zuschlags zu Unrecht allein
darauf abgestellt, dass der Kläger den Dienstwagen für
die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzen konnte.
Die Sache ist nicht spruchreif.
a) Das FG hat - aus seiner Sicht zu Recht -
keine Feststellungen dazu getroffen, ob und in welchem Umfang der
Kläger den Dienstwagen tatsächlich für die Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt hat. Im zweiten
Rechtsgang wird das FG diese Feststellungen nachzuholen haben.
Die tatsächliche Nutzung des Dienstwagens
für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ergibt
sich im Streitfall nicht bereits aus dem Anscheinsbeweis, der
für eine solche Nutzung besteht, wenn der Dienstwagen auch
für derartige Fahrten genutzt werden kann (vgl. hierzu
BFH-Urteil vom 4.4.2008 VI R 85/04, BStBl II 2008, 887 = SIS 08 24 19). Denn der Anscheinsbeweis ist dadurch entkräftet, dass der
Kläger nach den für den Senat bindenden
tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) im
Einspruchsverfahren Kopien der in den Streitjahren gültigen
persönlichen Jahreskarten für die Bahnverbindung von
seinem Wohnort in A zur Arbeitsstätte in B vorgelegt hat. Auf
ein von der W-AG für diese Fahrten ausgesprochenes
Nutzungsverbot kommt es insoweit nicht an (vgl. BFH-Urteil in BStBl
II 2008, 890 = SIS 08 24 18).
Die Entkräftung des Anscheinsbeweises
führt dazu, dass zur Ermittlung des Zuschlags nach § 8
Abs. 2 Satz 3 EStG der Sachverhalt im Hinblick auf Art und Umfang
der Nutzung des Dienstwagens in den Streitjahren durch das FG
umfassend aufzuklären ist. Hierbei ist von der in der
Vorentscheidung festgestellten Gesamtlaufleistung des Dienstwagens
von 50.800 km für den Zeitraum Juni 2001 bis April 2004
auszugehen.
Über die Nutzung des Dienstwagens hinaus
wird das FG auch zu ermitteln haben, ob und in welchem Umfang der
Kläger sein privates Kraftfahrzeug bis zur Überlassung
des Dienstwagens im Juni 2001 genutzt hat. Die Nutzung des privaten
Kraftfahrzeugs ist im Streitfall entscheidungserheblich, da der
Kläger im Einspruchsverfahren vorgetragen hat, in den
Streitjahren aus Praktikabilitätsgründen
(Parkplatzprobleme in B, Zeitersparnis insbesondere im Winter,
Zeitungslektüre) für die Fahrten zur Arbeitsstätte
immer die Bahn benutzt zu haben. Hierzu hat er nach den
Feststellungen der Vorentscheidung für die Streitjahre Kopien
der für die Monate Januar bis März 2001 gültigen
Bahnfahrkarten und der ab April 2001 gültigen
persönlichen Jahreskarten vorgelegt. Das Vorbringen des
Klägers steht allerdings in gewissem Widerspruch zu den
Angaben der Kläger in der Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr 2001, nach denen der Kläger die
Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte an 115 Tagen mit
dem privaten Kraftfahrzeug zurückgelegt haben will. Bei der
Aufklärung dieses Widerspruchs wird das FG auch zu
berücksichtigen haben, dass die Kläger in der
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2001
angegeben haben, die Klägerin sei mit ihrem privaten
Kraftfahrzeug an 230 Tagen ebenfalls von der Wohnung in A zur
Arbeitsstätte nach B gefahren.
b) Sollte das FG im zweiten Rechtsgang zu dem
Ergebnis kommen, dass der Kläger den Dienstwagen monatlich an
weniger als 15 Tagen für die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte genutzt hat, ist anstelle des in § 8 Abs. 2
Satz 3 EStG vorgesehenen pauschalen monatlichen Zuschlags eine
Einzelbewertung der Fahrten mit 0,002 % des Listenpreises i.S. des
§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG je Entfernungskilometer
vorzunehmen (BFH-Urteil in BStBl II 2008, 887 = SIS 08 24 19).