Innergemeinschaftliche Lieferung, Nachweis: 1. Die Verpflichtung des Unternehmers nach § 6 a Abs. 3 UStG, die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach Maßgabe der §§ 17 a, 17 c UStDV nachzuweisen, ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. - 2. Die Nachweispflichten des Unternehmers sind keine materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung. Die Regelungen des § 6 a Abs. 3 UStG und §§ 17 a, 17 c UStDV bestimmen vielmehr lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat (Änderung der Rechtsprechung). - 3. Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6 a Abs. 1 UStG) nicht erfüllt sind. - 4. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn trotz der Nichterfüllung der formellen Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6 a Abs. 1 UStG 1999 vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die erforderlichen Nachweise nicht erbrachte. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 6.1.2009, IV B 9 - S 7141/08/10001, BStBl 2009 I S. 60 = SIS 09 00 15) - Urt.; BFH 8.11.2007, V R 72/05; SIS 08 16 57
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) betreibt einen Handel mit Kfz.
Er lieferte mit Rechnung vom 12.7.2000
einen gebrauchten PKW der Marke Mercedes-Benz E 290 TD an das
Unternehmen L, Spanien, zum Kaufpreis von 32.500 DM. Nach Angaben
des Klägers holte der beauftragte C aus F in Deutschland den
PKW im Auftrag der L ab und der Kaufpreis wurde in bar
gezahlt.
Der Kläger behandelte diesen Vorgang
in seiner Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr
2000, die zu einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung führte, als steuerfreie
innergemeinschaftliche Lieferung.
Durch die Auswertung von Kontrollmaterial
des damaligen Bundesamtes für Finanzen (BfF) vom 15.10.2001
wurde dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA - )
bekannt, dass die spanischen Finanzbehörden L als Scheinfirma
ansahen. Nach diesem Schreiben hat L im Streitjahr 2000
„innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 1.167
Millionen Peseten bezogen“, ohne diese in Spanien anzumelden;
„gleichwohl wurden“ danach „in hohem Umfang
Geldbeträge nach Deutschland überwiesen“. Ferner
ist nach dem BfF die Umsatzsteuer-Identfikationsnummer der L seit
dem 28.7.2000 ungültig.
Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Nachschau
war das FA der Auffassung, „dass eine Vollmacht für C
fehlen würde“.
Das FA änderte daraufhin
gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) den
Umsatzsteuerbescheid für 2000 und behandelte die streitige
Lieferung als steuerpflichtigen Umsatz.
Der Einspruch blieb erfolglos. In der
Einspruchsentscheidung vom 8.4.2003 vertrat das FA die Auffassung,
der Kläger habe nicht den „wirklichen“ Abnehmer
aufgezeichnet, weil L eine Scheinfirma sei.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage
statt.
In seinem Urteil, das in EFG 2006, 453 =
SIS 06 14 01 veröffentlicht ist, führt es aus, der
streitige Umsatz sei eine innergemeinschaftliche Lieferung (§
6a Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 - UStG 1999 - ), und
der Kläger habe den erforderlichen Beleg- und Buchnachweis
(§ 6a Abs. 3 UStG 1999 i.V.m. §§ 17a, 17c der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1999 - UStDV 1999 - )
erbracht. Der Nachweis des Bestimmungsorts des Fahrzeugs ergibt
sich nach der Auffassung des FG aus der in der Rechnung
ausgewiesenen Anschrift der L.
Mit der Revision rügt das FA
Verletzung des materiellen Rechts.
Nach seiner Auffassung sind bei einem
Barverkauf eines hochwertigen PKW, wie in diesem Fall, besonders
hohe Anforderungen an die Nachweispflichten zu stellen. Daher sei
die ausdrückliche Angabe des Bestimmungsortes und nicht nur
des Bestimmungslandes erforderlich.
Das FA beantragt, die angegriffene
Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet;
sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Das FG ging zu Recht davon aus, dass die
Lieferung des PKW als innergemeinschaftliche Lieferung nach §
4 Nr. 1 Buchst. b des UStG 1999 steuerfrei ist. Ohne Bedeutung ist
im Streitfall, ob der Unternehmer seinen Nachweispflichten nach
§ 6a Abs. 3 UStG 1999 nachgekommen ist.
1. Eine -
gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG 1999 steuerfreie -
innergemeinschaftliche Lieferung liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1
UStG 1999 vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden
Voraussetzungen erfüllt sind:
1.
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Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den
Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet
befördert oder versendet;
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2.
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der Abnehmer ist
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a)
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ein Unternehmer, der den Gegenstand der
Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
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b)
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eine juristische Person, die nicht Unternehmer
ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr
Unternehmen erworben hat, oder
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c)
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bei der Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch
jeder andere Erwerber
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und
3.
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der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung
unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den
Vorschriften der Umsatzbesteuerung.
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a) Diese Vorschrift steht im Einklang mit der
gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe des Art. 28c Teil A Buchst. a
Unterabs. 1 der im Streitjahr geltenden Sechsten Richtlinie des
Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
77/388/EWG). Danach befreien die Mitgliedstaaten u.a. die
Lieferungen, die durch den Erwerber nach Orten außerhalb des
Inlandes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder
befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen
Steuerpflichtigen bewirkt werden, der als solcher in einem anderen
Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versandes oder der
Beförderung des Gegenstandes handelt.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) setzt die
innergemeinschaftliche Lieferung - in Übereinstimmung mit den
nationalen Grundsätzen - neben den Voraussetzungen in Bezug
auf die Eigenschaft der Steuerpflichtigen voraus, dass die
Befugnis, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu
verfügen, auf den Erwerber übergegangen ist und der
gelieferte Gegenstand vom Lieferstaat in einen anderen
Mitgliedstaat physisch verbracht worden ist (EuGH-Urteile vom
27.9.2007 Rs. C-409/04, Teleos u.a., UR 2007, 774, BFH/NV Beilage
2008, 25 = SIS 08 00 38 Randnrn. 42, 70; vom 27.9.2007 Rs.
C-184/05, Twoh, UR 2007, 782, BFH/NV Beilage 2008, 39 = SIS 08 00 32 Randnr. 23). Hingegen ist nicht erforderlich, dass der
innergemeinschaftliche Erwerb tatsächlich besteuert worden ist
(EuGH-Urteil Teleos u.a. in UR 2007, 774, BFH/NV Beilage 2008, 25 =
SIS 08 00 38 Randnrn. 69 ff.).
b) Nach diesen
Grundsätzen ist der streitige Umsatz eine
innergemeinschaftliche Lieferung. Das Fahrzeug ist nach den
Feststellungen des FG nach Spanien gelangt.
An der Unternehmereigenschaft der
Leistungsempfängerin, der L, bestehen entgegen der Auffassung
des FA keine Zweifel. Die Annahme der spanischen
Finanzbehörden, es handle sich bei L um eine Scheinfirma,
beruht (lediglich) darauf, dass das Unternehmen seine
innergemeinschaftlichen Erwerbe aus Deutschland im Jahr 2000 in
Spanien nicht anmeldete. Die ordnungsgemäße
Erfüllung von Steuererklärungspflichten ist aber kein
Tatbestandsmerkmal der Unternehmereigenschaft (vgl. Beschlüsse
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5.2.2004 V B 180/03, BFH/NV 2004,
988 = SIS 04 23 23; vom 5.12.2005 V B 44/04, BFH/NV 2006, 625 = SIS 06 12 58).
Ferner ist die
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der L erst seit dem 28.7.2000
ungültig. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Lieferung am
12.7.2000 war daher von ihrer Gültigkeit auszugehen.
2. Ohne Bedeutung ist im Streitfall, ob der
Kläger die Nachweise für eine innergemeinschaftliche
Lieferung nach § 6a Abs. 3 UStG 1999 erbrachte, weil
feststeht, dass der streitige Umsatz eine innergemeinschaftliche
Lieferung ist.
a) Gemäß § 6a Abs. 3 Satz 1
UStG 1999 hat der Unternehmer die Voraussetzungen des § 6a
Abs. 1 UStG 1999 nachzuweisen. Diesen Nachweis hat er durch Belege
und buchmäßig (§ 6a Abs. 3 Satz 2 UStG 1999 i.V.m.
§§ 17a ff. UStDV 1999) zu erbringen.
b) Hierzu hat der EuGH ausgeführt:
„Hinsichtlich der Nachweise, die die
Steuerpflichtigen für eine Mehrwertsteuerbefreiung zu
führen haben, ist festzustellen, dass die Sechste Richtlinie
keine Vorschrift enthält, die sich unmittelbar mit dieser
Frage befasst. Sie bestimmt lediglich in Art. 28c Teil A erster
Halbsatz, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen für die
Befreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen von Gegenständen
festlegen“ (EuGH-Urteil vom 27.9.2007 Rs. C-146/05,
Collée, UR 2007, 813, BFH/NV Beilage 2008, 34 = SIS 08 00 30
Randnr. 24).
„Art. 22 der Richtlinie 77/388/EWG
regelt zwar bestimmte formelle Pflichten der Steuerschuldner in
Bezug auf Aufzeichnungen, Rechnungen, Steuererklärungen und
die der Finanzverwaltung vorzulegende Aufstellung. Nach Abs. 8
dieses Artikels können die Mitgliedstaaten jedoch weitere
Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine
genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und
Steuerhinterziehungen zu verhindern.
Aus der ständigen Rechtsprechung
ergibt sich, dass die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach
Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG erlassen dürfen, um
eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und
Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht über das
hinausgehen dürfen, was zur Erreichung dieser Ziele
erforderlich ist. Sie dürfen daher nicht so eingesetzt werden,
dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen,
die ein Grundprinzip des durch das einschlägige
Gemeinschaftsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems
ist“ (EuGH-Urteil Collée in UR 2007, 813, BFH/NV
Beilage 2008, 34 = SIS 08 00 30 Randnrn. 25, 26).
Der Grundsatz der Neutralität erfordert
es, dass „die Mehrwertsteuerbefreiung gewährt wird,
wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn
der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht
genügt hat. Anders verhielte es sich nur, wenn der
Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren
Nachweis verhinderte, dass die materiellen Anforderungen
erfüllt wurden“ (EuGH-Urteil Collée in UR 2007,
813, BFH/NV Beilage 2008, 34 = SIS 08 00 30 Randnr. 31).
„Bei der Ausübung ihrer
Befugnisse müssen die Mitgliedstaaten ... die allgemeinen
Rechtsgrundsätze beachten, zu denen u. a. die Grundsätze
der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit
gehören“ (EuGH-Urteil Twoh in UR 2007, 782, BFH/NV
Beilage 2008, 39 = SIS 08 00 32 Randnr. 25).
c) Hieraus ergibt sich, dass die Verpflichtung
des Unternehmers nach § 6a Abs. 3 UStG 1999, die
Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach
Maßgabe der §§ 17a, 17c UStDV 1999 nachzuweisen, mit
dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (vgl. bereits BFH-Urteile vom
18.7.2002 V R 3/02, BFHE 199, 80, BStBl II 2003, 616 = SIS 02 93 30, unter II.2.b; vom 1.2.2007 V R 41/04, BFH/NV 2007, 1059 = SIS 07 61 27, unter II.2.b).
Die Nachweispflichten sind aber keine
materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als
innergemeinschaftliche Lieferung. Soweit die bisherige
Rechtsprechung (BFH-Beschlüsse vom 2.4.1997 V B 159/96, BFH/NV
1997, 629 = SIS 97 17 57; in BFH/NV 2004, 988 = SIS 04 23 23;
BFH-Urteil vom 30.3.2006 V R 47/03, BFHE 213, 148, BStBl II 2006,
634 = SIS 06 24 58, unter II.2.a) von anderen Grundsätzen
ausgegangen ist, hält der Senat angesichts der dargelegten
neueren Rechtsprechung des EuGH daran nicht mehr fest.
Die Regelungen des § 6a Abs. 3 UStG 1999
und §§ 17a, 17c UStDV 1999 bestimmen vielmehr lediglich,
dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat.
Daraus folgt: Kommt der Unternehmer seinen
Nachweispflichten nicht nach, ist grundsätzlich davon
auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen
Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG 1999) nicht erfüllt sind.
Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn trotz der
Nichterfüllung der - formellen - Nachweispflichten aufgrund
der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des
§ 6a Abs. 1 UStG 1999 vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung
zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die nach § 6a Abs.
3 UStG 1999 erforderlichen Nachweise nicht erbrachte.
d) Vorliegend steht zweifelsfrei fest, dass
der streitige Umsatz eine innergemeinschaftliche Lieferung und
demnach steuerfrei ist. Somit kommt es nicht darauf an, ob der
Kläger die Nachweise gemäß § 6a Abs. 3 UStG
1999 erbrachte.