Kind, Jahresgrenzbetrag, Ermittlung: 1. Bei der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag überschreiten, sind die Einkünfte weder um die einbehaltene Lohn- und Kirchensteuer noch um die Beiträge zu einer privaten Zusatzkrankenversicherung oder einer Kfz-Haftpflichtversicherung zu kürzen. - 2. Beiträge für eine private Rentenversicherung mindern die Einkünfte jedenfalls dann nicht, wenn sich das Kind in Ausbildung befindet und in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist. - Urt.; BFH 26.9.2007, III R 4/07; SIS 08 08 32
I. Die im Jahr 1985 geborene Tochter der
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) befand
sich seit dem 1.4.2003 in Ausbildung.
Im Jahr 2005 bezog die Tochter einen
Bruttoarbeitslohn in Höhe von 11.860,03 EUR. Hiervon wurden
einbehalten: Lohnsteuer 136 EUR, Kirchensteuer 10,88 EUR und
Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag 2.535,05
EUR.
Mit Bescheid vom 29.3.2006 setzte die
Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) das Kindergeld
für die Tochter ab 1.1.2005 auf Null fest, da deren
Einkünfte und Bezüge im Jahr 2005 den Grenzbetrag in
Höhe von 7.680 EUR (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes - EStG - in der für das Jahr 2005
geltenden Fassung) überstiegen.
Nachdem die Klägerin im
Einspruchsverfahren weitere Werbungskosten geltend gemacht hatte,
ermittelte die Familienkasse die Einkünfte und Bezüge der
Tochter im Jahr 2005 wie folgt:
Bruttoarbeitslohn
|
11.860,03 EUR
|
./. Werbungskosten
|
1.345,65 EUR
|
./. Arbeitnehmeranteil am
|
|
Gesamtsozialversicherungsbeitrag
|
2.535,05 EUR
|
Gesamtsumme der Einkünfte und
Bezüge
|
7.979,33 EUR
|
Daraufhin begehrte die Klägerin die
Berücksichtigung weiterer Kosten in Höhe von insgesamt
1.218,86 EUR: Die Einkünfte der Tochter seien um die
Beiträge zu ihrer privaten Zusatzkrankenversicherung in
Höhe von 71,28 EUR, ihrer privaten Rentenversicherung in
Höhe von 540 EUR und ihrer Kfz-Haftpflichtversicherung in
Höhe von 393,50 EUR sowie um Aufwendungen für
Kontaktlinsen in Höhe von 214,08 EUR zu mindern. Die
Familienkasse wies den Einspruch zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab
(EFG 2007, 1339 = SIS 07 21 64). Es führte im Wesentlichen
aus, die Beiträge zur privaten Zusatzkrankenversicherung, zur
privaten Rentenversicherung und zur Kfz-Haftpflichtversicherung
sowie die Kosten für die Kontaktlinsen seien allenfalls
sonstige Sonderausgaben bzw. außergewöhnliche
Belastungen, die bei der Ermittlung der Gesamtsumme der
Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht zu
berücksichtigen seien. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sollten nur
„lohngebundene“ Abzüge, die nicht für die
Lebenshaltung zur Verfügung stünden, von den
Einkünften abgesetzt werden. Ob die Einkünfte um die
einbehaltene Lohn- und Kirchensteuer zu mindern seien, könne
im Streitfall offen bleiben, weil auch bei deren
Berücksichtigung der Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR
überschritten sei.
Die Klägerin rügt mit ihrer
Revision die Verletzung materiellen Rechts.
Sie trägt im Wesentlichen vor, die vom
Arbeitslohn einbehaltene Lohn- und Kirchensteuer sei nach den
Grundsätzen des BVerfG unzweifelhaft von den Einkünften
des Kindes abzuziehen, da diese Beträge dem Kind nicht
für den Unterhalt und die Berufsausbildung zur Verfügung
stünden. Wegen des für die Ermittlung der Einkünfte
und Bezüge geltenden Zu- und Abflussprinzips (§ 11 EStG)
sei es unerheblich, ob dem Kind bei der Festsetzung der
Einkommensteuer ein entsprechender Erstattungsanspruch
gegenüber dem Fiskus zustehe. Freiwillig geleistete
Vorsorgeaufwendungen seien ebenfalls von den Einkünften des
Kindes abzuziehen. Auch hierüber könne das Kind nicht
verfügen, weil die Aufwendungen für eine
Mindestversorgung gegen Risiken der Krankheit, des Alters und der
Arbeitslosigkeit als existenziell notwendig und damit als
zwangsläufig anzusehen seien. Dementsprechend würden bei
der Sozialhilfe gemäß § 82 Abs. 2 des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) Beiträge zu
öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen
Einrichtungen vom Einkommen abgezogen, soweit diese gesetzlich
vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen seien.
Unter Berücksichtigung von Lohn- und Kirchensteuer (146,88
EUR) sowie der Beiträge zur Kapitallebens- und
Berufsunfähigkeitsversicherung (540 EUR) werde der
Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR nicht überschritten (7.979,33
EUR ./. 146,88 EUR ./. 540 EUR = 7.292,45 EUR).
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie die
Einspruchsentscheidung aufzuheben und unter Änderung des
Bescheids vom 29.3.2006 Kindergeld für die Monate Januar bis
Dezember 2005 festzusetzen.
Die Familienkasse beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
Nach der im Ergebnis zutreffenden Entscheidung
des FG hat die Klägerin keinen Anspruch auf Kindergeld
für das Jahr 2005, weil die Einkünfte und Bezüge der
Tochter in diesem Jahr den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von
7.680 EUR (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) übersteigen.
1. Für ein volljähriges Kind besteht
nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32
Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld nur dann, wenn es
Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts
oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht
mehr als 7.680 EUR im Kalenderjahr 2005 hat.
Der Begriff der Einkünfte ist in § 2
Abs. 2 EStG gesetzlich definiert - je nach Einkunftsart als Gewinn
oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten
- . Nach dem Beschluss des BVerfG vom 11.1.2005 2 BvR 167/02
(BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 = SIS 05 30 28) kann
der Begriff „Einkünfte“ daher nicht als
„zu versteuerndes Einkommen“ ausgelegt werden,
so dass nach dem Wortlaut der Vorschrift die vom Arbeitslohn des
Kindes einbehaltenen, einkommensteuerrechtlich den Sonderausgaben
zuzuordnenden Sozialversicherungsbeiträge nicht von den
Einkünften abgesetzt werden dürften. Die
Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge als
Einkünfte des Kindes verstößt nach Auffassung des
BVerfG jedoch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs.
1 des Grundgesetzes (GG), weil Eltern mit
sozialversicherungspflichtigen Kindern, deren Einkünfte und
Bezüge den Jahresgrenzbetrag nur wegen der als Einkünfte
behandelten Sozialversicherungsbeiträge überschritten,
gegenüber Eltern mit nicht sozialversicherungspflichtigen
Kindern benachteiligt seien, deren Einkünfte und Bezüge
den Jahresgrenzbetrag nicht überstiegen.
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sei deshalb
verfassungskonform auszulegen. Der Relativsatz „die zur
Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder
geeignet sind“ sei nicht nur auf Bezüge, sondern
auch auf Einkünfte des Kindes zu beziehen. Nicht als
Einkünfte anzusetzen seien daher jedenfalls diejenigen
Beträge, die - wie die gesetzlichen
Sozialversicherungsbeiträge - von Gesetzes wegen dem
Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur
Verfügung stünden und deshalb die Eltern finanziell nicht
entlasten könnten. Offen bleiben könne, „in
welchen Fällen der Relativsatz im Einzelfall auf
Einkünfte anzuwenden“ sei (BVerfG-Beschluss in
BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 = SIS 05 30 28, unter
B.II.3.).
Nach der Entscheidung des BVerfG ist daher
jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Teile der
Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wegen eines sonst
vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege
verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden
dürfen.
2. Entsprechend diesen Grundsätzen hat
der Senat Beiträge des Kindes zu einer freiwilligen
gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie unvermeidbare
Beiträge für eine private Kranken- und Pflegeversicherung
den Sozialversicherungsbeiträgen gleichgestellt und nicht in
die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
einbezogen (Senatsurteile vom 16.11.2006 III R 74/05, BFHE 216, 69,
BStBl II 2007, 527 = SIS 07 04 35, und vom 14.12.2006 III R 24/06,
BStBl II 2007, 530 = SIS 07 04 33).
3. Nicht zu den bei der Ermittlung der
Einkünfte nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abzuziehenden
Aufwendungen gehören dagegen die - im Streitfall geleisteten -
Beiträge für eine private Zusatzkrankenversicherung.
Nach den Urteilen des Senats in BFHE 216, 69,
BStBl II 2007, 527 = SIS 07 04 35 und in BStBl II 2007, 530 = SIS 07 04 33, jeweils m.w.N. sind Beiträge des Kindes für
private Krankenversicherungen nur insoweit unvermeidbar, als sie
eine Mindestvorsorge für den Krankheitsfall ermöglichen
sollen. Die Mindestvorsorge umfasst die Sicherung einer
eigenverantwortlichen Vorsorge in der Höhe, wie sie der Staat
Bürgern ohne Eigenvorsorge nach sozialrechtlichen Vorschriften
zur Verfügung stellt (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 14.12.2005 X R 20/04, BFHE 211, 351, BStBl II 2006, 312 = SIS 06 06 88, unter B.VIII.2. b aa). Soweit keine
Versicherungsleistungen erbracht werden, sind Kranken nach
§§ 47 ff. SGB XII Hilfen zur Gesundheit zu gewähren,
welche den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung
entsprechen (§ 52 Abs. 1 SGB XII). Demnach besteht eine
ausreichende (Mindest-)Vorsorge für den Krankheitsfall, wenn
das Kind - wie im Streitfall - Mitglied in der gesetzlichen
Krankenversicherung ist. Darüber hinaus gehende Beiträge
beruhen auf einer freien Einkommensverwendung des Kindes.
4. Die Beiträge des Kindes zur privaten
Rentenversicherung sind gleichfalls nicht den unvermeidbaren, von
den Einkünften abzuziehenden Aufwendungen zuzuordnen (a.A.
Seer/Wendt, NJW 2006, 1), wenn sich das Kind - wie im Streitfall -
in Berufsausbildung befindet und in der gesetzlichen
Rentenversicherung pflichtversichert ist.
Im Unterschied zu
Krankenversicherungsbeiträgen dienen
Altersvorsorgeaufwendungen nicht der aktuellen Existenzsicherung
des Kindes, sondern der Vorsorge für künftige Zeiten; sie
sind besonders geartete und besonders gesicherte Sparleistungen
(vgl. BFH-Urteil vom 16.10.2002 XI R 41/99, BFHE 200, 529, BStBl II
2003, 179 = SIS 03 11 50, unter II.1.). Eine Krankenversicherung
ist dagegen nicht nur „in die Zukunft
gerichtet“, da sich das versicherte Risiko - die
Krankheit - jederzeit aktualisieren kann (vgl. BFH-Urteil in BFHE
211, 351, BStBl II 2006, 312 = SIS 06 06 88, unter B.VIII.4.). Nach
dem Abschluss seiner Berufsausbildung und damit nach dem Ende
seiner Berücksichtigung für das Kindergeld
gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG hat
das Kind ausreichend Zeit, um für das Alter (auch) privat
vorzusorgen.
Diese Auslegung wird bestätigt durch die
zivilrechtlichen Unterhaltsregelungen. Danach sind Eltern bis zur
Beendigung der Ausbildung des Kindes nicht verpflichtet, die Kosten
für eine Altersvorsorge des Kindes zu tragen. Eine
Altersversorgung gehört nicht zum Lebensbedarf des Kindes i.S.
des § 1610 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB),
weil die Eltern durch Zahlung des Ausbildungsunterhalts die
Voraussetzungen für eine spätere berufliche
Tätigkeit schaffen, welche das Kind in die Lage versetzt,
selbst für das Alter vorzusorgen (vgl. MünchKommBGB/Born,
4. Aufl., § 1610 Rz 71; Staudinger/Engler/ Kaiser (2000), BGB,
§ 1610 Rz 154). Wenn das Kind aber von seinen
unterhaltsverpflichteten Eltern nicht die Kosten für eine
private Altersversorgung verlangen könnte, ist es auch nicht
gerechtfertigt, diese Aufwendungen beim Kind selbst als
unvermeidbar anzusehen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist
es unerheblich, dass bei der Feststellung der
sozialhilferechtlichen Bedürftigkeit nach § 82 Abs. 2 Nr.
3 SGB XII von dem Einkommen des Leistungsberechtigten Beiträge
zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder
ähnlichen Einrichtungen abzusetzen sind, soweit diese
Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und
Höhe angemessen sind, sowie geförderte
Altersvorsorgebeiträge nach § 82 EStG, soweit sie den
Mindestbeitrag nach § 86 EStG nicht überschreiten.
Entscheidend ist allein, dass die Beiträge für eine
private Rentenversicherung zur aktuellen Existenzsicherung nicht
erforderlich und somit für das Kind vermeidbar sind.
Insoweit ist § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII
auch nicht zu entnehmen, dass Altersvorsorgeaufwendungen der
Deckung eines gegenwärtigen Bedarfs dienten. Das
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) sieht die Alterssicherung des
Hilfebedürftigen unter dem Gesichtspunkt der
„Angemessenheit“ von Vorsorgeaufwendungen nur
dann als durch die Aufgabe der Sozialhilfe gerechtfertigt an, wenn
die Hilfe im Ergebnis, wenn auch nicht notwendig zum Wegfall, so
doch wenigstens zu einer Entlastung der Sozialhilfe führt
(vgl. BVerwG-Urteil vom 27.6.2002 5 C 43/01, BVerwGE 116, 342,
m.w.N., zu der § 82 Abs. 2 SGB XII entsprechenden Regelung des
§ 76 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - ). Die
Kürzung des Einkommens nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII um
angemessene Altersvorsorgeaufwendungen hat demnach vorbeugenden
Charakter i.S. des § 15 Abs. 1 SGB XII. Gleiches gilt für
§ 33 SGB XII, nach dem die erforderlichen Kosten
übernommen werden können, um die Voraussetzungen eines
Anspruchs auf eine angemessene Alterssicherung oder auf ein
angemessenes Sterbegeld zu erfüllen (vgl. Schellhorn in
Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 33 Rz
1).
5. Die Beiträge für die
Kfz-Haftpflichtversicherung sind für die Tochter ebenfalls
nicht unvermeidbar, weil das Halten eines Kfz nicht zum
lebensnotwendigen Bedarf gehört (Senatsbeschluss vom 24.4.2006
III B 164/05, BFH/NV 2006, 1468 = SIS 06 30 51, m.w.N.). Dem steht
nicht entgegen, dass der Halter eines Kfz gemäß § 1
des Gesetzes über die Pflichtversicherung für
Kraftfahrzeughalter verpflichtet ist, eine Haftpflichtversicherung
zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten
Personenschäden, Sachschäden und sonstigen
Vermögensschäden abzuschließen und
aufrechtzuerhalten. Denn dieser Verpflichtung kann man dadurch
ausweichen, dass man auf das Halten eines Kfz verzichtet.
6. Ebenso wenig ist die vom Arbeitslohn
einbehaltene Lohnsteuer von den Einkünften abzusetzen (gl.A.
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 18.11.2005, BStBl
I 2005, 1027 = SIS 06 00 02; Jechnerer in Lademann, EStG, § 32
Rz 224; a.A. Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich,
Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 32 Rz 91;
Blümich/Heuermann, § 32 EStG Rz 114; Seer/Wendt, NJW
2006, 1).
Der Ansatz der Einkünfte i.S. des §
2 Abs. 2 EStG ohne Abzug der Lohnsteuer verstößt nicht
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, so dass es insoweit keiner
verfassungskonformen Einschränkung des § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG bedarf.
Die Lohnsteuer ist eine besondere
Erhebungsform der Einkommensteuer (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 1
EStG). Auch Kinder mit nicht lohnsteuerpflichtigen Einkünften
haben Einkommensteuer zu bezahlen, wenn ihr zu versteuerndes
Einkommen den Grundfreibetrag (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG)
übersteigt. Insoweit werden unterhaltsverpflichtete Eltern,
deren Kinder lohnsteuerpflichtige Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit erzielen, gegenüber
unterhaltsverpflichteten Eltern, deren Kinder Einkünfte
beziehen, die keinem Steuerabzug an der Quelle unterliegen, nicht
benachteiligt.
Eine unterschiedliche Behandlung liegt nur
insoweit vor, als sich bei Kindern mit Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit Liquiditätsnachteile aus dem
Lohnsteuerabzug (vgl. §§ 38 ff. EStG) ergeben
können. Schuldet das Kind für das maßgebende
Kalenderjahr Einkommensteuer, so führt der Lohnsteuerabzug
dazu, dass die Einkommensteuer früher erhoben wird als bei
einem Kind, das andere - nicht dem Kapitalertragsteuerabzug (vgl.
§§ 43 ff. EStG) unterliegende - Einkünfte in
entsprechender Höhe erzielt, soweit nicht
Einkommensteuer-Vorauszahlungen gemäß § 37 EStG
festgesetzt werden.
Diese unterschiedliche Behandlung ist jedoch
mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Ungleichheiten der typisiert
geregelten und an der Einkunftsart ausgerichteten Erhebung der
Einkommensteuer überschreiten nicht den
„gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum vertretbarer
Typisierung“ (Beschluss des BVerfG vom 10.4.1997 2 BvL
77/92, BVerfGE 96, 1, BStBl II 1997, 518 = SIS 97 14 55, unter
II.2., m.w.N.). Diese Ungleichheiten sind auch hinsichtlich der
Einbeziehung als Einkünfte des Kindes in die
Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
hinzunehmen.
Zwar steht dem Kind der Arbeitslohn zum
Zeitpunkt der Auszahlung in Höhe der einbehaltenen Lohnsteuer
- wie die Sozialversicherungsbeiträge - „von Gesetzes
wegen“ nicht für den Unterhalt oder die Ausbildung
zur Verfügung. Anders als die Beiträge zur
Sozialversicherung wird die einbehaltene Lohnsteuer aber erstattet,
wenn das zu versteuernde Einkommen den Grundfreibetrag - im
Streitjahr 2005 7.664 EUR (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG) -
nicht übersteigt. Das ist in der Regel der Fall, wenn die
Einkünfte des Kindes nicht höher sind als der
Jahresgrenzbetrag (im Streitjahr 2005 7.680 EUR, § 32 Abs. 4
Satz 2 EStG).
Unter den Voraussetzungen des § 42b EStG
erhält das Kind die einbehaltene Lohnsteuer schon im Rahmen
des Lohnsteuer-Jahresausgleichs durch den Arbeitgeber bei der
Lohnabrechnung für den letzten im Ausgleichsjahr endenden
Lohnzahlungszeitraum zurück (§ 42b Abs. 3 EStG). Im
Übrigen wird die Lohnsteuer bei der von Amts wegen oder auf
Antrag des Kindes (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG)
durchzuführenden Veranlagung zur Einkommensteuer erstattet
(§ 36 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 EStG). Außerdem
kann das Kind unter den Voraussetzungen des § 39a EStG durch
einen Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte den Lohnsteuerabzug
mindern.
Für die Wertung der einbehaltenen
Lohnsteuern als verfügbare Einkünfte des Kindes, die in
die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
einzubeziehen sind, sprechen auch Gründe der
Verwaltungsvereinfachung. Würde bei der Ermittlung, ob die
Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag
übersteigen, die Lohnsteuer von den Einkünften abgesetzt,
müsste die Lohnsteuer im Jahr der Erstattung als Bezug des
Kindes angesetzt werden. Dies würde eine erhebliche Mehrarbeit
für die Familienkassen bedeuten, da sie in allen Fällen,
in denen das Kind abzugspflichtige Einkünfte bezogen hat,
überwachen müssten, ob und wann die Steuer erstattet
wird.
Da bei Einkünften bis zur Höhe des
Jahresgrenzbetrags in der Regel die Lohnsteuer erstattet wird, ist
Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht im Verhältnis zu den Eltern
verletzt, deren Kinder nur über Bezüge verfügen und
deshalb keine Einkommensteuer zu bezahlen haben. Zwar ist es
denkbar, dass ein Kind im Einzelfall Einkommensteuer schuldet,
obwohl seine Einkünfte den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4
Satz 2 EStG nicht übersteigen. Dies könnte bei
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit möglich
sein, weil die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung im
Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in voller Höhe von den
Einkünften des Kindes abzuziehen sind, während sie bei
der Veranlagung zur Einkommensteuer gemäß § 10 Abs.
1 Nr. 2a, Nr. 3a EStG nur bis zu den in § 10 Abs. 3, Abs. 4
EStG bestimmten Höchstbeträgen vom Gesamtbetrag der
Einkünfte abziehbar sind. Die in einem atypischen Fall
bestehende Ungleichheit ist jedoch unter Berücksichtigung der
gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis (vgl. hierzu z.B. Beschluss
des BVerfG vom 16.3.2005 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268, BFH/NV 2005,
Beilage 4, 356 = SIS 05 30 25, m.w.N.) gerechtfertigt, zumal die
dann zu bezahlende Einkommensteuer im Vergleich zu den
verbleibenden Einkünften vernachlässigbar ist.
7. Wird - wie im Streitfall - die
Kirchensteuer durch die Finanzämter verwaltet, gelten für
den Ansatz der vom Arbeitslohn einbehaltenen Kirchensteuer als
Einkünfte i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG die gleichen
Grundsätze wie für die Lohnsteuer.
8. Ob die Einkünfte des Kindes um - bei
der Einkommensteuerveranlagung als außergewöhnliche
Belastung zu berücksichtigende - Krankheitskosten als
unvermeidbare Aufwendungen zu mindern sind, braucht der Senat im
Streitfall nicht zu entscheiden, da der maßgebliche
Grenzbetrag von 7.680 EUR auch bei Abzug der Aufwendungen für
die Kontaktlinsen in Höhe von 214,08 EUR überschritten
ist (7.979,33 EUR ./. 214,08 EUR = 7.765,25 EUR).