Rentenzahlungen, dauernde Last: Dem Abzug von Rentenzahlungen als dauernde Last steht nicht entgegen, dass der Begünstigte durch Erbeinsetzung oder Vermächtnis existenzsicherndes Vermögen aus der Erbmasse erhält (Abweichung von BFH-Urteil vom 26.1.1994 X R 54/92, BFHE 173 S. 360, BStBl 1994 II S. 633 = SIS 94 09 01). - Urt.; BFH 11.10.2007, X R 14/06; SIS 08 04 22
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) werden für das Streitjahr 1997 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Streitig ist die Abziehbarkeit von
Rentenzahlungen als dauernde Last i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1a
Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Rentenzahlungen
wurden vom Kläger als Erben nach dem verstorbenen F.B. (im
Folgenden auch „Erblasser“) aufgrund eines
Vermächtnisses an R.B., die Ehefrau des Erblassers, gezahlt.
Das Vermächtnis war durch Abschluss eines Erbvertrags vom
11.10.1996 zwischen dem Erblasser und seiner damaligen Verlobten
begründet worden. Nach diesem Vertrag sollte R.B. als
Vermächtnisnehmerin neben zwei Renten auch Grundstücke
und sonstiges Vermögen erhalten.
Am 31.1.1997 verstarb der Erblasser. Zuvor
hatte er die begünstigte Vermächtnisnehmerin R.B.
geheiratet. Der in dem Erbvertrag genannte Bruder des Erblassers
J.B. schlug die Erbschaft aus; der ebenfalls als Erbe eingesetzte
Kläger trat die Erbschaft an. Nach dem Tod des Erblassers kam
es zu einem Rechtsstreit zwischen dem Kläger und R.B., der mit
gerichtlichem Vergleich vom 13.4.2000 beendet wurde.
Unter dem 3.6.1999 erließ der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) den
angefochtenen Bescheid über Einkommensteuer 1997. Der
Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom
11.1.2001).
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab;
die Entscheidung ist in EFG 2006, 1047 = SIS 06 28 23
veröffentlicht. Dem Kläger als Erben seien keine
Aufwendungen auferlegt worden, die den Wert des erhaltenen
Nachlasses überstiegen. Die Hinterbliebene R.B. habe nicht nur
Versorgungsleistungen, sondern darüber hinaus
existenzsicherndes Vermögen erhalten. In dem Erbvertrag vom
11.10.1996 könne keine „Vermögensübergabe
gegen Versorgungsleistungen“ gesehen werden. R.B. habe bei
Abschluss des Erbvertrags vom 11.10.1996 nicht zum sog.
„Generationennachfolge-Verbund“ gehört.
Mit der Revision machen die Kläger
geltend:
1.
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Für die private Rentenzahlung liege in
Gestalt des Erbvertrags vom 11.10.1996 der erforderliche besondere
Verpflichtungsgrund vor.
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2.
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Entgegen der Auffassung des FG komme es
nicht darauf an, dass der Wert des erhaltenen Nachlasses die
Aufwendungen übersteige. Eine wirtschaftliche Belastung des
Zahlungsverpflichteten sei nicht notwendig.
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3.
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Unschädlich sei, dass R.B.
existenzsicherndes Vermögen erhalten haben solle. Von
existenzsicherndem Vermögen könne im Übrigen nicht
ausgegangen werden. Bei einem Bedarf von 6.000 DM monatlich habe
der Betrag von (nur) 400.000 DM lediglich für knapp 5 1/2
Jahre gereicht. Die Charakterisierung als Versorgungsleistung
hänge nicht von der Versorgungsbedürftigkeit des
jeweiligen Empfängers ab. Nach der Rechtsprechung sei nicht
erheblich, ob der Empfänger der wiederkehrenden Leistungen
versorgungsbedürftig und auf diese angewiesen sei (Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16.3.1999 X R 87/95, BFH/NV 2000, 12 =
SIS 00 50 13; vom 24.2.1999 X R 3/95, BFH/NV 2000, 414 = SIS 00 53 06). Das gelte auch bei Versorgungsleistungen aufgrund einer
letztwilligen Verfügung.
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4.
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Dem FG sei auch nicht in der Auffassung zu
folgen, dass der Erbvertrag keine Vermögensübergabe gegen
Versorgungsleistungen sei. R.B. habe auf ihre nach
Eheschließung bestehenden künftigen Erbteils- und
Pflichtteilsansprüche verzichtet.
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5.
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Entgegen der Auffassung des FG habe R.B.
zum sog. „Generationennachfolge-Verbund“ gehört.
Bei Eintritt des Erbfalls sei sie als Ehefrau gegenüber dem
Erblasser pflichtteilsberechtigt gewesen.
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Die Kläger beantragen
sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter
Änderung des Bescheids vom 29.1.2003 die an R.B. geleisteten
Rentenzahlungen als Sonderausgaben abzuziehen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Die Entscheidung des FG entspreche dem
BFH-Urteil vom 26.1.1994 X R 54/92 (BFHE 173, 360, BStBl II 1994,
633 = SIS 94 09 01). Es fehle eine wirtschaftliche Belastung. Der
Empfänger müsse ein erbberechtigter Abkömmling sein.
Unter Anwendung des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen
(BMF) vom 16.9.2004 IV C 3 - S 2255 - 354/04 (BStBl I 2004, 922 =
SIS 04 37 77) handele es sich um nichtabziehbare
Unterhaltsleistungen. Außerhalb der
Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen komme
ein Abzug als Sonderausgaben nicht in Betracht. Die wiederkehrenden
Leistungen unterlägen dem Abzugsverbot des § 12 EStG,
weil sie keine Gegenleistungen für die Erlangung des
Nachlassvermögens darstellten. Der Betrag von 664.011 DM bzw.
480.000 DM sei durchaus existenzsichernd gewesen. Der Erbvertrag
sei vor Schließung der Ehe abgeschlossen worden. R.B. habe
nicht auf den Pflichtteil verzichtet, sondern nur auf die ihr
ausgesetzten Vermächtnisse (dazu BFH-Urteil vom 26.11.2003 X R
11/01, BFHE 204, 192, BStBl II 2004, 820 = SIS 04 06 05).
II. Die Revision führt gemäß
§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils und mangels Spruchreife der
Sache zur Zurückverweisung an das FG.
1. Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf
besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und
dauernden Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem
Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht
bleiben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG). Handelt es sich um eine dem
Vertragstypus des
„Versorgungsvertrags“/“Altenteilsvertrags“
vergleichbare Vermögensübergabe, sind wiederkehrende
Leistungen als dauernde Last abziehbar,
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wenn Vermögen übertragen wird, das
ausreichende Erträge abwirft, die die vom Übernehmer zu
erbringenden Versorgungsleistungen abdecken (Beschluss des
Großen Senats des BFH vom 12.5.2003 GrS 1/00, BFHE 202, 464,
BStBl II 2004, 95 = SIS 03 42 57, unter C.II.6.; BFH-Urteil vom
31.5.2005 X R 26/04, BFH/NV 2005, 1789 = SIS 05 40 44),
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wenn die Leistungen ihren Rechtsgrund in einer
vorweggenommenen Erbfolge oder in einer letztwilligen
Verfügung (z.B. in einem Vermächtnis) haben (Senatsurteil
vom 7.3.2006 X R 12/05, BFHE 212, 507, BStBl II 2006, 797 = SIS 06 25 13),
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wenn der Empfänger der
Versorgungsleistungen zum Generationennachfolge-Verbund gehört
(Senatsurteil in BFHE 212, 507, BStBl II 2006, 797 = SIS 06 25 13),
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wenn die Versorgungsleistungen abänderbar
sind (Senatsurteil vom 15.2.2006 X R 5/04, BFHE 212, 450, BStBl II
2007, 160 = SIS 06 16 74, m.w.N.; Schmidt/Heinicke, EStG, 26.
Aufl., § 10 Rz 65 „Gegenleistung“ unter c;
Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 22 Rz 81); wegen weiterer
Einzelheiten vgl. auch Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, §
22 EStG Rz 128 ff.).
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2. Im Streitfall sind die Leistungen des
Klägers als Versorgungsleistungen einzuordnen.
a) Versorgungsleistungen unterscheiden sich
von Unterhaltsleistungen i.S. von § 12 Nr. 1 EStG durch ihre
Charakterisierung als vorbehaltene Vermögenserträge; sie
enthalten deshalb auch keine Zuwendungen des
Vermögensübernehmers aufgrund freiwillig begründeter
Rechtspflicht i.S. von § 12 Nr. 2 EStG. Dem liegt nach dem
Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 202, 464, BStBl
II 2004, 95 = SIS 03 42 57 (unter C.II.6.a) die Vorstellung
zugrunde, dass der Übergeber - ähnlich wie beim
Nießbrauchsvorbehalt - das Vermögen ohne die
vorbehaltenen Erträge, die ihm nunmehr als
Versorgungsleistungen zufließen, übertragen hat.
b) Der Rechtsgriff
„Versorgungsleistungen“ umfasst
grundsätzlich solche Zuwendungen zur Existenzsicherung, durch
welche die Grundbedürfnisse des Bezugsberechtigten wie Wohnen
und Ernährung und der sonstige Lebensbedarf
lebenslänglich abgedeckt werden (BFH-Urteil vom 21.10.1999 X R
75/97, BFHE 190, 197, BStBl II 2002, 650 = SIS 00 01 06).
Gesetzlich erb- und pflichtteilsberechtigte
Abkömmlinge des Übergebers können allerdings nur
dann begünstigte Empfänger der Versorgungsleistungen
sein, wenn tatsächlich das Versorgungsbedürfnis im
Vordergrund steht. Werden Geschwister des
Vermögensübernehmers mit wiederkehrenden Leistungen
bedacht, so ist zu prüfen, ob die Geschwister gleichgestellt
werden sollten. Wird in erster Linie der Erb- oder
Pflichtteilsverzicht verrentet und steht nicht die Versorgung der
Geschwister im Vordergrund, so sind die Zahlungen als entgeltliches
Rechtsgeschäft zu beurteilen. Diese Abgrenzung hängt von
den Umständen des Einzelfalls ab, wobei nach der
BFH-Rechtsprechung die allgemeine Vermutung gilt, dass Geschwister
nicht in erster Linie versorgt werden sollen (BFH-Urteil vom
20.10.1999 X R 86/96, BFHE 190, 365, BStBl II 2000, 602 = SIS 00 04 88).
Im Streitfall ist davon auszugehen, dass der
Erblasser beabsichtigte, die Versorgung seiner späteren
Ehefrau sicherzustellen. Die Regelungen des Erbvertrags sprechen
eindeutig für eine Versorgungsregelung. Die Absicht der
Gleichstellung - wie sie unter Geschwistern üblich ist - ist
nicht erkennbar.
c) Der Senat hält an der in der
Entscheidung in BFHE 173, 360, BStBl II 1994, 633 = SIS 94 09 01
getroffenen Aussage, dass § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG nicht
eingreift, wenn der überlebende Ehegatte aufgrund gesetzlicher
Erbfolge, durch Erbeinsetzung oder Vermächtnis
existenzsicherndes Vermögen aus der Erbmasse erhält,
nicht fest. Diese Einschränkung ist mit dem dem Institut der
Vermögensübertragung zugrunde liegenden Prinzip des
Vorbehalts der Vermögenserträge nicht vereinbar. Der
Übergeber behält sich Teile der nunmehr vom
Übernehmer zu erwirtschaftenden Nettoerträge vor. Der
Vorbehalt der Erträge stellt sich dar als ein
„Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit“.
Dieser wird in der Weise rechtstechnisch verwirklicht, dass die
Aufwendungen beim Übernehmer nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG
abziehbar und die entsprechenden Zuflüsse beim Übergeber
nach § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG steuerbar sind, und bedingt eine
materiell-rechtliche Korrespondenz zwischen Abzugs- und
Besteuerungstatbestand (BFH-Urteil vom 31.3.2004 X R 66/98, BFHE
205, 285, BStBl II 2004, 830 = SIS 04 17 28). Dementsprechend
spricht der Große Senat des BFH in der Entscheidung in BFHE
202, 464, BStBl II 2004, 95 = SIS 03 42 57, unter C.II.6.a) von den
„bisher unter der Bezeichnung
‘existenzwahrend’ zusammengefassten
Vermögensarten“. Auf den Umstand, dass der
Übergeber weiteres existenzsicherndes Vermögen besitzt
oder ein Vermächtnisnehmer existenzsicherndes Vermögen
erhalten hat, kommt es nicht an (BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 12 =
SIS 00 50 13, unter II.1.d). Die Charakterisierung als
Versorgungsleistung hängt nicht von der
Versorgungsbedürftigkeit des jeweiligen Empfängers ab.
Das Urteil in BFHE 173, 360, BStBl II 1994, 633 = SIS 94 09 01 ist
daher durch die Entscheidung des Großen Senats des BFH in
BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95 = SIS 03 42 57 überholt
(Fischer in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 22 Rz 13).
Auch die Verwaltung verweist in dem
BMF-Schreiben in BStBl I 2004, 922 = SIS 04 37 77 Rz 41 nicht
weiter auf das Urteil in BFHE 173, 360, BStBl II 1994, 633 = SIS 94 09 01 (so noch im BMF-Schreiben vom 26.8.2002, BStBl I 2002, 893 =
SIS 02 95 06 Rz 29; vgl. auch Schwenke, DStR 2004, 1679, 1685).
Schließlich hat der Senat in
ähnlicher Weise bereits entschieden, dass einer etwaigen
Überversorgung im Hinblick auf eine aus einer früheren
Berufstätigkeit fließenden Rente bei der Beurteilung der
Versorgungsleistungen keine Bedeutung zukommt (BFH-Urteil vom
16.9.2004 X R 7/04, BFH/NV 2005, 201 = SIS 05 07 67).
3. R.B. gehörte als Ehefrau des
Erblassers zum Generationennachfolge-Verbund. Nach dem Senatsurteil
in BFHE 204, 192, BStBl II 2004, 820 = SIS 04 06 05, zählen
dazu grundsätzlich nur solche Personen, die gegenüber dem
Erben bzw. den sonstigen letztwillig bedachten
Vermögensübernehmern Pflichtteils- oder ähnliche
Ansprüche (Zugewinnausgleich, §§ 1363 ff. des
Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - ) hätten geltend machen
können und sich stattdessen mit den ihnen
(vermächtnisweise) ausgesetzten Versorgungsleistungen
bescheiden. Nicht zum Generationennachfolge-Verbund gehören
nach dem BFH-Urteil in BFHE 212, 507, BStBl II 2006, 797 = SIS 06 25 13 Personen, die zu einem früheren Zeitpunkt auf ihr
Pflichtteilsrecht verzichtet hatten.
Entgegen der Auffassung des FA ist bei der
Beurteilung dieser Frage nicht allein auf den Zeitpunkt der
Vereinbarung abzustellen, sondern in erster Linie auf den Zeitpunkt
der Übergabe bzw. den des Eintritts des Erbfalls. Wer zu
diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen erfüllt, kann
Pflichtteilsansprüche geltend machen (vgl. § 2303 Abs. 2
BGB) und gehört damit zum Nachfolgeverbund. Im Übrigen
ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass dem Erblasser daran
gelegen war, kurz vor seinem Tod noch eine
„Gesamtregelung“ zu treffen, die nicht nur den
Erbvertrag, sondern auch die Heirat mit R.B. umfasste.
4. Entgegen der Auffassung des FA muss der
Zahlungsverpflichtete nicht in der Weise wirtschaftlich belastet
sein, dass die Zahlungen den Wert des Nachlasses übersteigen.
Der Abzug von dauernden Lasten in Zusammenhang mit einer
Vermögensübergabe beruht auf dem Prinzip der
vorbehaltenen Erträge, nicht auf dem Umstand einer besonderen
Belastung (BFH-Urteil in BFHE 205, 285, BStBl II 2004, 830 = SIS 04 17 28; Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 22 Rz 83).
5. Im Streitfall fehlen Feststellungen zu der
Frage, ob der Kläger die Versorgungsleistungen aus den
Erträgen des übergebenen Vermögens erbringen konnte.
Weder ist die genaue Zusammensetzung des dem Erben zugefallenen
Vermögens festgestellt noch ist bekannt, welche Erträge
es abwirft. Aus diesem Grund war die Sache an das FG
zurückzuverweisen. Dabei kann das FG ggf. auch klären, ob
die Rentenzahlungen lediglich 30.000 DM betrugen.