Auf die Revision der Kläger wird das
Urteil des Finanzgerichts Münster vom 15.01.2020 - 7 K 2740/18
E = SIS 19 21 77 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Klageverfahrens haben die
Kläger zu 82 v.H. und der Beklagte zu 18 v.H. zu tragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die
Kläger zu tragen.
1
|
I. Streitig ist, ob Aufwendungen für
den behindertengerechten Umbau eines Gartens als
außergewöhnliche Belastungen steuermindernd
berücksichtigt werden können.
|
|
|
2
|
Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind verheiratet und wurden für das Streitjahr
(2016) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Die Klägerin
leidet an einem Post-Polio-Syndrom. Ihr Schwerbehindertenausweis
wies im Streitjahr einen Grad der Behinderung von 70 mit den
Merkzeichen G und aG aus.
|
|
|
3
|
Die Kläger sind Eigentümer eines
Einfamilienhauses mit Garten mit einer Größe von 1.387
qm. Unmittelbar vor dem Haus befanden sich zunächst Beete, auf
denen die Klägerin Beerensträucher sowie Kräuter
anbaute. Die Beete waren vom Haus aus fußläufig
über eine schmale Zuwegung zu erreichen. Auf der
Rückseite des Hauses befindet sich eine Terrasse, die vom Haus
aus mit einem Rollstuhl erreicht werden kann.
|
|
|
4
|
Im Streitjahr ließen die Kläger
den Weg vor ihrem Haus in eine gepflasterte Fläche von 17,96
qm ausbauen und Hochbeete anlegen. Ausweislich der Schlussrechnung
vom 19.10.2016 stellte die X GmbH der Klägerin hierfür
einen Betrag von insgesamt 7.024,68 EUR in Rechnung (Arbeitskosten
3.090,86 EUR brutto). Die Kläger beglichen die Rechnung im
Streitjahr durch Banküberweisung.
|
|
|
5
|
In ihrer Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr beantragten die Kläger den Abzug der
Aufwendungen für den Umbau des Garteneingangsbereichs als
außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Umbauarbeiten seien erfolgt,
weil die Klägerin zur Bewirtschaftung des Vorgartens
mittlerweile auf einen Rollstuhl angewiesen sei. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) berücksichtigte die
geltend gemachten Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid für
das Streitjahr vom 10.11.2017 nicht. Den Einspruch wies er mit
Einspruchsentscheidung vom 02.08.2018 als unbegründet
zurück.
|
|
|
6
|
Mit der Klage begehrten die Kläger im
Hauptantrag die Berücksichtigung von Umbaukosten in Höhe
von 6.099 EUR als außergewöhnliche Belastungen;
hilfsweise machten sie die angefallenen Lohnkosten im Rahmen der
Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 3 EStG geltend.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im Hilfsantrag statt.
Hinsichtlich der außergewöhnlichen Belastungen wies es
die Klage mit den in EFG 2020, 454 = SIS 19 21 77 veröffentlichten Gründen ab.
|
|
|
7
|
Mit der Revision rügen die Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
|
|
|
8
|
Während des Revisionsverfahrens
erließ das FA unter dem 03.02.2020 einen
Einkommensteueränderungsbescheid für das Streitjahr, in
dem es die beantragte Steuerermäßigung nach § 35a
Abs. 3 EStG berücksichtigte.
|
|
|
9
|
Die Kläger beantragen,
|
|
das Urteil des FG Münster vom
15.01.2020 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2016 vom
03.02.2020 dahingehend abzuändern, dass statt der
Steuerermäßigung für Lohnaufwendungen nach §
35a EStG Umbaukosten in Höhe von 6.099 EUR als
außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt
werden.
|
|
|
10
|
Das FA beantragt,
|
|
die Revision zurückzuweisen.
|
|
|
11
|
II. 1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während
des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen
Rechtmäßigkeit das FG entschieden hat, geändert hat
(§ 127 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat
über den Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 10.11.2017
in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 02.08.2018
entschieden. An dessen Stelle ist der vom FA unter dem 03.02.2020
erlassene Bescheid getreten, der nach § 121 Satz 1 FGO i.V.m.
§ 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Damit
liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde.
Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos geworden und
aufzuheben (vgl. Senatsurteile vom 22.02.2018 - VI R 17/16, BFHE
260, 532, BStBl II 2019, 496 = SIS 18 07 75, und vom 13.08.2020 -
VI R 27/18, BFHE 270, 330, BStBl II 2021, 86 = SIS 20 16 75). Da
sich durch die Bescheidänderung hinsichtlich der im
Revisionsverfahren streitigen Punkte keine Änderungen ergeben
haben und die Kläger auch keinen weiter gehenden Antrag
gestellt haben, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an
das FG gemäß § 127 FGO.
|
|
|
12
|
2. Der Senat kann auf Grundlage der
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz in der Sache
selbst entscheiden. Der gemäß § 121 Satz 1 FGO
i.V.m. § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Revisionsverfahrens
gewordene Einkommensteuerbescheid vom 03.02.2020 ist
rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren
Rechten (§§ 100 Abs. 1 Satz 1, 121 FGO). Die Klage ist
daher abzuweisen.
|
|
|
13
|
3. Erwachsen einem Steuerpflichtigen
zwangsläufig größere Aufwendungen als der
überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommens-, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen
Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf
Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der
Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare
Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte
abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen sind in diesem
Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus
rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht
entziehen kann und soweit sie den Umständen nach notwendig
sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§
33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
|
|
|
14
|
a) Ziel des § 33 EStG ist es,
zwangsläufige Mehraufwendungen für den
existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich
wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen
Erfassung in allgemeinen Entlastungsbeträgen entziehen. Aus
dem Anwendungsbereich der außergewöhnlichen Belastungen
ausgeschlossen sind daher die üblichen Aufwendungen der
Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den
Grundfreibetrag abgegolten sind (z.B. Senatsurteil vom 26.06.2014 -
VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9 = SIS 14 27 71), sowie
private Aufwendungen, die über die Schaffung der
Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein
hinausgehen. Deshalb stellen die §§ 33, 33a und 33b EStG
auch nur außergewöhnliche - insbesondere existentiell
notwendige oder der Sicherung der Existenz dienende - atypische
Aufwendungen steuerfrei (Senatsbeschluss vom 02.06.2015 - VI R
30/14, BFHE 249, 552, BStBl II 2015, 775 = SIS 15 15 48).
|
|
|
15
|
b) Aufwendungen erwachsen einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus
rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht
entziehen kann (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Diese Voraussetzung
ist nur erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe der
Zwangsläufigkeit von außen auf die Entschließung
des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, dass er ihnen nicht
ausweichen kann (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss
in BFHE 249, 552, BStBl II 2015, 775 = SIS 15 15 48, Rz 15, und
Senatsurteil vom 17.07.2014 - VI R 42/13, BFHE 246, 360, BStBl II
2014, 931 = SIS 14 24 95, Rz 13), der Steuerpflichtige also keine
tatsächliche Entschließungsfreiheit hat, bestimmte
Aufwendungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Eine
tatsächliche Zwangslage - die im Streitfall allein in Betracht
kommt - kann nur durch ein unausweichliches Ereignis
tatsächlicher Art begründet werden, nicht jedoch durch
eine maßgeblich vom menschlichen Willen beeinflusste
Situation (Senatsurteil in BFHE 246, 360, BStBl II 2014, 931 = SIS 14 24 95, Rz 13).
|
|
|
16
|
c) Als außergewöhnliche Belastungen
hat der erkennende Senat daher Aufwendungen anerkannt, die
geleistet werden, um den existenznotwendigen Wohnbedarf zu
befriedigen (Senatsurteil vom 21.04.2010 - VI R 62/08, BFHE 230, 1,
BStBl II 2010, 965 = SIS 10 22 54, m.w.N.), existenznotwendige
Gegenstände wieder zu beschaffen (z.B. Senatsurteil vom
29.03.2012 - VI R 21/11, BFHE 237, 93, BStBl II 2012, 574 = SIS 12 15 34, m.w.N.) oder gesundheitsgefährdende Gegenstände
des existenznotwendigen Bedarfs auszutauschen (z.B. Senatsurteil
vom 29.03.2012 - VI R 70/10, BFHE 237, 90, BStBl II 2012, 572 = SIS 12 15 36, m.w.N.) bzw. von diesen ausgehende Gesundheitsgefahren zu
beseitigen (Senatsurteil vom 29.03.2012 - VI R 47/10, BFHE 237, 85,
BStBl II 2012, 570 = SIS 12 15 35, m.w.N.). Demgegenüber hat
der erkennende Senat Aufwendungen für die Anschaffung eines
größeren Grundstücks zum Bau eines
behindertengerechten Bungalows (Senatsurteil in BFHE 246, 360,
BStBl II 2014, 931 = SIS 14 24 95) und für den
behinderungsbedingten Umbau einer Motoryacht (Senatsbeschluss in
BFHE 249, 552, BStBl II 2015, 775 = SIS 15 15 48) nicht als
zwangsläufigen Mehraufwand für den existenznotwendigen
Wohn- bzw. Grundbedarf anerkannt, da diese Aufwendungen in erster
Linie Folge eines freien Konsumverhaltens waren.
|
|
|
17
|
4. a) Ausgehend von diesen Grundsätzen
hat das FG zu Recht entschieden, dass die geltend gemachten
Aufwendungen für den behindertengerechten Gartenumbau nicht
als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen
sind. Denn sie sind der Klägerin nicht zwangsläufig
entstanden. Zwar war die Umbaumaßnahme eine Folge der
Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin. Die
Klägerin war jedoch nicht aus rechtlichen, tatsächlichen
oder sittlichen Gründen verpflichtet, derartige
Konsumaufwendungen zu tragen. Die Umbaukosten standen (unter
Anlegung des steuerlichen Maßstabs) vielmehr in ihrem
Belieben. Diese Aufwendungen sind nicht vornehmlich der Krankheit
oder Behinderung geschuldet, sondern - anders als die krankheits-
oder behindertengerechte Ausgestaltung des individuellen
(existenznotwendigen) Wohnumfelds (vgl. Senatsurteil in BFHE 237,
90, BStBl II 2012, 572 = SIS 12 15 36, sowie Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 06.05.1994 - III R 27/92, BFHE 175,
332, BStBl II 1995, 104 = SIS 95 01 02) - in erster Linie Folge
eines frei gewählten Freizeit-/Konsumverhaltens. Dies gilt
ungeachtet des Umstands, dass die Nutzung/Bewirtschaftung eines
(zum Wohnhaus gehörenden) Gartens für den
Steuerpflichtigen seit jeher ein nachhaltig Lebensfreude stiftendes
Hobby darstellt, welches mit zunehmender körperlicher
Beeinträchtigung an Bedeutung gewinnen kann. Denn § 33
EStG unterscheidet tatbestandlich in § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG
lediglich zwischen steuererheblicher (aus rechtlichen,
tatsächlichen oder sittlichen Gründen)
zwangsläufiger und steuerunerheblicher beliebiger
Einkommensverwendung. Ein Werturteil ist damit nicht verbunden.
|
|
|
18
|
b) Dem steht - anders als die Kläger
meinen - das BFH-Urteil vom 20.12.2007
- III R 56/04 (BFH/NV 2008, 937 = SIS 08 20 99) nicht entgegen. Zwar hat der BFH in dieser Entscheidung
auch das Hausgrundstück dem existenznotwendigen Wohnbedarf
zugerechnet. Die Entscheidung erging jedoch zu der Frage, ob
Aufwendungen für die Sanierung eines mit Dioxin belasteten
Grundstücks als zwangsläufig anzusehen sind. Die
Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen wurde letztlich nur
deshalb bejaht, weil von dem Hausgrundstück aufgrund der hohen
Dioxinbelastung eine konkrete Gesundheitsgefährdung ausging
und dadurch das „(tatsächliche)
Wohnen“ in dem darauf belegenen
„(‘kleinen’)“
Einfamilienhaus entscheidend beeinträchtigt und der
Steuerpflichtige überdies bodenschutzrechtlich zur
Grundstückssanierung verpflichtet war. Für die Frage, ob
und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Aufwendungen
für den behindertengerechten Umbau eines Gartens nach §
33 EStG abgezogen werden können, lässt sich die
vorgenannte Entscheidung daher nicht fruchtbar machen.
|
|
|
19
|
5. Aus den Bestimmungen des
Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen (BGBl II 2008, 1420) ergibt sich nichts anderes.
Insbesondere betrifft der von den Klägern angeführte Art.
9 des Übereinkommens
„Zugänglichkeit“ nur
Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit in
städtischen und ländlichen Gebieten offenstehen und
für sie bereitgestellt werden. Hierunter fällt das von
der Klägerin behindertengerecht gestaltete private
Hausgrundstück offensichtlich nicht. Aber auch aus Art. 20 des
Übereinkommens „Persönliche
Mobilität“ und aus Art. 26 des
Übereinkommens „Habilitation und
Rehabilitation“ folgt nicht die von den
Klägern angestrebte Auslegung des Begriffs der
Zwangsläufigkeit in § 33 EStG. Nach beiden Bestimmungen
treffen die Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen, um die
Mobilität von Menschen mit Behinderung bzw. deren Habilitation
und Rehabilitation zu fördern. Bei der Anwendung der
Steuergesetze kann diesen Zielen indes nur insoweit Rechnung
getragen werden, als sie bereits Eingang in die betreffenden Normen
gefunden haben (z.B. § 33b EStG). Solange § 33 EStG
hinsichtlich des Merkmals der Zwangsläufigkeit nicht zwischen
behinderten und nicht behinderten Steuerpflichtigen differenziert,
besteht kein Anlass zu einer unterschiedlichen Auslegung des
Begriffs der Zwangsläufigkeit betreffend diese beiden Gruppen
von Steuerpflichtigen.
|
|
|
20
|
6. Die Kostenentscheidung betreffend das
Klageverfahren folgt aus § 136 Abs. 1 FGO, da ein Fall von
§ 137 Satz 1 FGO nicht vorliegt; betreffend das
Revisionsverfahren beruht sie auf § 135 Abs. 2 FGO.
|