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Aufwendungen für die Sanierung eines Gebäudes als außergewöhnliche Belastung

Aufwendungen für die Sanierung eines Gebäudes als außergewöhnliche Belastung: 1. Aufwendungen zur Beseitigung unzumutbarer Beeinträchtigungen, die von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs ausgehen, können aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig i.S.d. § 33 Abs. 2 EStG entstehen. 2. Die Unzumutbarkeit ist anhand objektiver Kriterien zu bestimmen. Handelt es sich um Geruchsbelästigungen, ist das Überschreiten von objektiv feststellbaren Geruchsschwellen erforderlich. - 3. Ein die Außergewöhnlichkeit von Aufwendungen ausschließender Baumangel liegt auch dann nicht vor, wenn der Einsatz mittlerweile verbotener schadstoffhaltiger Materialien noch zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes erlaubt war und das Gebäude später veräußert wird. - 4. Der Umstand, dass ein vor Durchführung der Beseitigungs- bzw. Wiederherstellungsmaßnahmen erstelltes amtliches technisches Gutachten nicht vorliegt, steht dem Abzug der durch unabwendbare Ereignisse veranlassten Aufwendungen nicht entgegen. Gleichwohl hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass er sich den Aufwendungen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen konnte. - 5. Allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S. von § 33 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011) liegen bei dem Umbau eines Hauses oder Umgestaltungen des Wohnumfeldes nicht vor. - Urt.; BFH 29.3.2012, VI R 21/11; SIS 12 15 34

Kapitel:
Privatbereich > Außergewöhnliche Belastungen (allgemeine)
Fundstellen
  1. BFH 29.03.2012, VI R 21/11
    BStBl 2012 II S. 574
    DStR 2012 S. 1174
    NJW 2012 S. 3054
    LEXinform 0928524

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 19.7.2012
    AK in DStG 14/2012 S. 496
    ge in DStR 24/2012 S. 1177
    -/- in NWB 25/2012 S. 2044
    W.Be. in DB 28/2012 S. M 11
    -/- in NWB 28/2012 S. 2294
    S.B. in HFR 7/2012 S. 736
    St.Sch. in BFH/PR 8/2012 S. 275
    N.B. in AktStR 3/2012 S. 433
    G.B. in StC 11/2012 S. 18
    KAM in Stbg 10/2012 S. M 15
Normen
[SGB V] § 33 Abs. 1
[EStG] § 33 Abs. 1, § 33 Abs. 2 Satz 1
[FGO] § 96 Abs. 1 Satz 1, § 76
[EStG i.d.F. des StVereinfG 2011] § 33 Abs. 4
[EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011] § 64 Abs. 1
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: Niedersächsisches FG, 17.02.2011, SIS 11 21 21, Außergewöhnliche Belastung, Nachweis, Schadstoffbelastung, Sanierung, Fertighaus, Baumängel
Zitiert in... / geändert durch...
  • FG Nürnberg 6.9.2023, SIS 23 18 70, Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung wegen eines krankheitsbedingten Umbau des Wohnhauses: 1. Ziel de...
  • BFH 26.10.2022, SIS 23 03 04, Behindertengerechter Gartenumbau keine außergewöhnliche Belastung: Aufwendungen für einen behindertengere...
  • FG Berlin-Brandenburg 18.3.2021, SIS 21 09 47, Durch Baumängel und Verstöße gegen Brandschutzbestimmungen verursachte Aufwendungen für die Sanierung ein...
  • FG Hamburg 21.2.2020, SIS 20 05 54, Marderbefall keine außergewöhnliche Belastung: 1. Aufwendungen, mit denen dem möglichen Eintritt von Schä...
  • FG Münster 15.1.2020, SIS 19 21 77, Außergewöhnliche Belastungen, Anlage eines rollstuhlgerechten Weges im Garten: Aufwendungen für die Anlag...
  • BFH 28.3.2018, SIS 18 06 85, Kein Abzug von Aufwendungen zur Beseitigung von Baumängeln als außergewöhnliche Belastung: 1. Durch die R...
  • FG Köln 1.12.2017, SIS 18 03 18, Biberschaden im Garten ist keine außergewöhnliche Belastung: Aufwendungen zur Beseitigung von Biberschäde...
  • BFH 2.6.2015, SIS 15 15 48, Behinderungsbedingte Umbaukosten einer Motoryacht sind keine außergewöhnlichen Belastungen: Aufwendungen ...
  • FG Berlin-Brandenburg 20.1.2015, SIS 15 09 75, Auf starke Rückenbeschwerden zurückzuführende Aufwendungen für eine automatische Thermoliege, die eine Th...
  • Niedersächsisches FG 29.10.2014, SIS 15 01 94, Vergebliche Bau-, Abriss- und Prozesskosten bei einem mangelhaften, gemischt genutzten Gebäude: 1. Aufwen...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 1.10.2014, SIS 15 04 80, Liposuktion (Fettabsaugung) ist keine außergewöhnliche Belastung gem. § 64 Abs. 1 Nr. 2 f. EStDV: Liposuk...
  • FG Köln 27.8.2014, SIS 14 31 14, Kosten eines Fahrstuhls: Die Kosten für den Einbau eines Fahrstuhls stellen - bei Erfüllung der gesetzlic...
  • FG des Landes Sachsen-Anhalt 10.7.2014, SIS 14 31 45, Nachweis der Berufsunfähigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne als Voraussetzung für den ermäßigt...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 8.7.2014, SIS 14 31 70, Liposuktion (Fettabsaugung) ist keine außergewöhnliche Belastung gem. § 64 Abs. 1 Nr. 2 f. EStDV: Liposuk...
  • BFH 26.6.2014, SIS 14 27 71, Außergewöhnliche Belastungen im Falle wissenschaftlich nicht anerkannter Behandlungsmethoden: 1. Wissensc...
  • BFH 26.2.2014, SIS 14 16 51, Heileurythmie als außergewöhnliche Belastung, Anforderungen an den Nachweis der Zwangsläufigkeit: 1. Aufw...
  • BFH 6.2.2014, SIS 14 10 30, Nachweis der Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen für einen Treppenlift: 1. Gebrauchsgeg...
  • BFH 19.6.2013, SIS 13 25 66, Umsatzsteuerpflicht bei Schönheitsoperationen in einem Krankenhaus: 1. Ästhetische Operationen und ästhet...
  • FG München 18.10.2012, SIS 13 05 36, EDV-Berater, Ausübung eines ingenieurähnlichen Berufs: 1. Auch ein EDV-Berater ohne entsprechende (Fach)H...
Fachaufsätze
  • LIT 02 50 66 G. Bruschke, StC 11/2012 S. 18: Kosten einer Gebäudesanierung als außergewöhnliche Belastung - BFH-Urteile vom 29.3.2012, VI R 47/10 = SI...
  • LIT 02 47 19 N. Bolz, AktStR 3/2012 S. 433: Aufwendungen für die Sanierung eines Gebäudes als außergewöhnliche Belastung - Anmerkungen zu den BFH-Urt...
  • LIT 02 42 09 W. Bergkemper, DB 28/2012 S. M 11: Aufwendungen für die Sanierung von Gebäuden - BFH-Urteile zu § 33 EStG vom 29.3.2012, VI R 21/11 = SIS 12...
  • LIT 02 42 59 S. Bleschick, NWB 28/2012 S. 2294: Die Berücksichtigung von Sanierungsaufwendungen für selbstgenutzte Gebäude nach § 33 EStG - Außergewöhnli...

 

1

I. Streitig ist, ob Aufwendungen zur Sanierung eines Fertighauses außergewöhnliche Belastungen sind.

 

 

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erwarben im Kalenderjahr 2000 ein mit einem Fertighaus bebautes Grundstück. Das im Jahr 1973 errichtete Gebäude besteht im Wesentlichen aus Holz. Die tragenden Holzbauteile des Gebäudes wurden mit einem im Zeitpunkt der Errichtung nicht verbotenen Holzschutzmittel imprägniert. Die Außenfassade des Gebäudes war teilweise mit asbesthaltigen Faserzementplatten verkleidet. Dahinter befanden sich formaldehydhaltige Spanplatten.

 

 

3

Bereits bei dem Einzug in das Haus nahmen die Kläger einen unangenehmen Geruch wahr. Die im Jahr 2003 geborene Tochter der Kläger befand sich seit 2006 wegen einer Atemwegserkrankung regelmäßig in pneumologischer Behandlung.

 

 

4

Im Streitjahr 2008 wurde die Fassade des Gebäudes überwiegend saniert. Zur Entfernung des Holzschutzmittels wurde die bisherige Außenfassade aus Asbestzement- und Spanplatten einschließlich der Dämmung ausgebaut und entsorgt, das verbliebene Gefache gesäubert und versiegelt sowie eine neue Dämmung und Fassade eingebaut. Die Außenfensterbänke wurden gegen neue Aluminiumaußenfensterbänke ausgetauscht. Die dafür im Streitjahr 2008 gezahlten Aufwendungen in Höhe von 32.653,60 EUR machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastungen geltend. Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) insoweit lediglich eine Tarifermäßigung nach § 35a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 600 EUR berücksichtigte, legten die Kläger Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren reichten sie eine fachärztliche Bescheinigung ein, nach der die Sanierung ihres Fertighauses wegen einer Belastung durch atemwegsschädliche Substanzen erforderlich und gerade auch im Hinblick auf die Erkrankung ihrer Tochter notwendig gewesen sei. Zudem legten sie dem FA eine Liste vor, in der 24 Personen einen „muffigen und modrigen“ Geruch bestätigten. Sie hätten nach einem Besuch in dem Haus der Kläger ihre Kleidung waschen bzw. für mehrere Stunden lüften müssen. Dieser Geruch sei nach Meinung der Kläger auf das bei Errichtung des Hauses eingesetzte Holzschutzmittel zurückzuführen. Der Einspruch wurde abgewiesen.

 

 

5

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die geltend gemachten Aufwendungen seien keine außergewöhnlichen Belastungen. Für Krankheitskosten fehle es an dem Nachweis einer Krankheit der Tochter, die konkret auf Holzschutzmittel zurückzuführen sei. Zudem lägen keine durch ein unabwendbares Ereignis veranlassten Aufwendungen zur Wiederbeschaffung existenznotwendiger Gegenstände oder zur Beseitigung von Schäden an diesen vor. Denn die Anschaffung eines Grundstückes sei kein unabwendbares Ereignis. Die Aufwendungen seien auch nicht zur Beseitigung einer konkreten Gesundheitsgefährdung entstanden. Es fehle an dem Nachweis konkret zu befürchtender Gesundheitsschäden. In jedem Fall seien die Aufwendungen wegen des Vorliegens eines Baumangels nicht außergewöhnlich. Denn durch die Verwendung der Holzschutzmittel sei ein solcher gegeben. Insoweit sei darauf abzustellen, dass das Gebäude zum Zeitpunkt des Erwerbs mit verbotenen Holzschutzmitteln imprägniert gewesen sei. Irrelevant sei, dass die Verwendung zur Zeit der Errichtung des Gebäudes erlaubt gewesen sei.

 

 

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

 

 

7

Sie beantragen, das Urteil des FG vom 17.2.2011 14 K 425/09 und die Einspruchsentscheidung des FA vom 26.11.2009 aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 22.5.2009 und des Einkommensteuerbescheides vom 27.7.2009 als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG 32.854,20 EUR steuermindernd zu berücksichtigen und die Einkommensteuer 2008 unter Kürzung der gewährten Tarifermäßigung in Höhe von 600 EUR entsprechend herabzusetzen.

 

 

8

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

 

9

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).

 

 

10

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11.11.2010 VI R 17/09, BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54, m.w.N.).

 

 

11

2. Aufwendungen, die im Zusammenhang mit Gegenständen des existenznotwendigen Bedarfs stehen, können außergewöhnliche Belastungen sein.

 

 

12

a) Gehen von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs konkrete Gesundheitsgefährdungen aus, entstehen die Aufwendungen zur Beseitigung dieser Gefährdung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG) und sind deshalb grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar (BFH-Urteile vom 9.8.2001 III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240 = SIS 02 02 17, Aufwendungen für die Asbestsanierung der Außenfassade eines Wohnhauses; vom 23.5.2002 III R 52/99, BFHE 199, 287, BStBl II 2002, 592 = SIS 02 85 77, Aufwendungen für den Austausch mit Formaldehyd verseuchter Möbel, und vom 11.11.2010 VI R 16/09, BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53, Aufwendungen für die medizinisch indizierte Anschaffung von Schlafzimmermöbeln und einer Couchgarnitur; zu den Aufwendungen zur Schadstoffbeseitigung vgl. auch Hettler, DB 2002, 1848).

 

 

13

b) Ferner sind Aufwendungen zur Wiederbeschaffung existenznotwendiger Gegenstände oder zur Beseitigung von Schäden an diesen aus Anlass eines unausweichlichen Ereignisses wie Brand, Hochwasser, Kriegseinwirkung, Vertreibung oder politische Verfolgung als aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig anzusehen (BFH-Urteil in BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240 = SIS 02 02 17, m.w.N.). In diesem Zusammenhang hat der BFH insbesondere auch die aus einer „privaten Katastrophe“ folgenden Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG angesehen (BFH-Urteil vom 6.5.1994 III R 27/92, BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104 = SIS 95 01 02, Wasserschaden durch Rückstau in einer Drainage).

 

 

14

Einer solchen „privaten Katastrophe“ kommt es gleich, wenn einem Steuerpflichtigen Aufwendungen erwachsen, weil er gezwungen ist, von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs ausgehende unzumutbare Beeinträchtigungen zu beseitigen. Anders als die Beeinträchtigung der Nutzbarkeit existenznotwendiger Gegenstände durch sinnlich nicht wahrnehmbare Schadstoffe (etwa Asbest oder Formaldehyd) ist der eingetretene Nachteil hier wie bei einem Brand oder bei Hochwasser unmittelbar ersichtlich. Um jedoch nur die den Umständen nach notwendigen und angemessenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zum Abzug zuzulassen, ist die Unzumutbarkeit anhand objektiver Kriterien zu bestimmen. Handelt es sich - wie vorliegend - um Geruchsbelästigungen, ist das Überschreiten von objektiv feststellbaren Geruchsschwellen erforderlich. Eine Veranlassung der Aufwendungen durch das subjektive Empfinden der Beteiligten genügt nicht.

 

 

15

c) In den zuvor genannten Fällen sind die Aufwendungen allerdings nur dann abziehbar, wenn den Grundstückseigentümer kein Verschulden an der Belastung trifft, die Belastung für ihn zum Zeitpunkt des Grundstückserwerbs nicht erkennbar war, realisierbare Ersatzansprüche gegen Dritte nicht gegeben sind (BFH-Urteile in BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240 = SIS 02 02 17; vom 20.12.2007 III R 56/04, BFH/NV 2008, 937 = SIS 08 20 99; jeweils m.w.N.) und es sich nicht um übliche Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen oder dem gewöhnlichen Wertverzehr geschuldete Baumaßnahmen handelt.

 

 

16

d) Überdies dürfen die streitigen Aufwendungen nicht der Beseitigung von Baumängeln dienen. Baumängel sind keineswegs unüblich und nicht mit ungewöhnlichen Ereignissen wie etwa Hochwasserschäden vergleichbar (BFH-Beschluss vom 11.2.2009 VI B 140/08, BFH/NV 2009, 762 = SIS 09 12 62, m.w.N.). War der Einsatz mittlerweile verbotener schadstoffhaltiger Materialien zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes erlaubt, liegt jedenfalls für das Jahr der Errichtung des Gebäudes kein Baumangel vor (BFH-Urteil in BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240 = SIS 02 02 17). Nichts anderes kann nach der Auffassung des Senats gelten, wenn ein solches Gebäude nach einem Verbot der Materialien an den Steuerpflichtigen veräußert wurde. Denn das Rechtsgeschäft der Veräußerung hat die tatsächliche Beschaffenheit des Gebäudes nicht verändert.

 

 

17

e) Der Umstand, dass ein vor Durchführung der Beseitigungs- bzw. Wiederherstellungsmaßnahmen erstelltes amtliches technisches Gutachten nicht vorliegt, steht dem Abzug der Aufwendungen in den vorgenannten Fällen nicht entgegen. Gleichwohl hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass er sich den Aufwendungen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen konnte. Dies hat der Senat bereits für Krankheitskosten entschieden (BFH-Urteile in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53; in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54). Entsprechendes gilt auch für solche Aufwendungen, die durch unabwendbare Ereignisse veranlasst sind. Denn auch insoweit ergeben sich gesteigerte Nachweispflichten nicht aus dem Gesetz und widersprechen dem in § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO geregelten Grundsatz der freien Beweiswürdigung.

 

 

18

Etwas anderes folgt auch nicht aus den durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1.11.2011 (BGBl I 2011, 2131) geänderten Anforderungen an den Nachweis außergewöhnlicher Belastungen.

 

 

19

Durch § 33 Abs. 4 EStG wird die Bundesregierung ermächtigt, mittels Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten des Nachweises von Aufwendungen nach § 33 Abs. 1 EStG zu bestimmen. Hiervon hat sie in § 64 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) Gebrauch gemacht und in § 84 Abs. 3f EStDV eine Anwendung für alle Fälle bestimmt, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. Gemäß § 64 Abs. 1 EStDV hat der Steuerpflichtige den Nachweis der Zwangsläufigkeit bei Aufwendungen im Krankheitsfall in den dort aufgezählten Fällen zu erbringen. Indes ist bei einer Sanierung von Gebäuden zur Beseitigung von Schadstoffen keiner dieser Fälle einschlägig. Insbesondere bedarf es vorliegend keines amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung für medizinische Hilfsmittel, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S. von § 33 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch anzusehen sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. e EStDV). Denn dies sind nur solche technischen Hilfen, die getragen oder mit sich geführt werden können, um sich im jeweiligen Umfeld zu bewegen, zurechtzufinden und die elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen. Folglich sind der Umbau eines Hauses oder Umgestaltungen des Wohnumfeldes keine Hilfsmittel in dem genannten Sinne (grundlegend: Urteil des Bundessozialgerichts vom 6.8.1998 B 3 KR 14/97 R, Sozialrecht 3-2500 § 33 Nr. 30).

 

 

20

Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob das gesetzlich verankerte formalisierte Nachweisverlangen gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstößt.

 

 

21

3. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist.

 

 

22

a) Der Senat kann nicht beurteilen, ob die aus der Sanierung entstehende Belastung für die Kläger im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs erkennbar war. Es fehlen Feststellungen dazu, ob die Kläger bereits bei Einzug in das Haus den Geruch wahrnahmen, der durch die Sanierung beseitigt worden sein soll.

 

 

23

b) Von seinem Standpunkt aus zu Recht hat das FG keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine unzumutbare Geruchsbelästigung vorlag. Dies wird es ggf. nachzuholen haben.

 

 

24

c) Der Senat weist darüber hinaus darauf hin, dass es sich bei den Aufwendungen auch um Aufwendungen zur Beseitigung konkreter Gesundheitsgefährdungen gehandelt haben könnte. Insoweit wird sich das FG zu vergegenwärtigen haben, dass sich die Kläger den Sanierungsaufwendungen aus tatsächlichen Gründen auch dann nicht entziehen konnten, wenn eine konkrete Gesundheitsgefährdung für ihre Familie drohte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240 = SIS 02 02 17). Deshalb kann - abweichend von der Vorentscheidung - auch der Umstand von Bedeutung sein, dass die Sanierung zugunsten der Tochter der Kläger erforderlich gewesen sein könnte, weil die Holzschutzmittel für die Atemwegserkrankung der Tochter ursächlich waren. Eines Nachweises nach § 64 Abs. 1 EStDV bedarf es dazu nicht. Denn es handelt sich bei der Sanierung des Gebäudes nicht um Aufwendungen im Krankheitsfall i.S. des § 64 Abs. 1 EStDV. 25

 

d) Die erforderlichen Feststellungen hat das FG nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu treffen. Es hat dabei zu berücksichtigen, dass ein von einem Beteiligten vorgelegtes Sachverständigengutachten im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich als Privatgutachten zu behandeln und damit als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist. Es kann daher nicht als Nachweis für die Richtigkeit des klägerischen Vortrags gewertet werden (BFH-Urteil in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53, m.w.N.). Da weder das FA noch das FG die Sachkunde besitzen, um die Zwangsläufigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Maßnahme zu beurteilen, ist das FG aufgrund seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 FGO) gehalten, gegebenenfalls von Amts wegen ein entsprechendes Gutachten einzuholen (BFH-Urteile in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53; in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54).

 

 

26

e) Gelingt den Klägern im Streitfall der Nachweis, dass sie sich den Sanierungsaufwendungen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen konnten, wird der Abzug der Sanierungskosten auch nicht durch einen Gegenwert gehindert. Tauscht der Steuerpflichtige wegen einer aus tatsächlichen Gründen bestehenden Zwangslage Gegenstände des existenznotwendigen Bedarfs aus, so steht die Gegenwertlehre dem Abzug der Aufwendungen nicht entgegen. Der sich aus der Erneuerung ergebende Vorteil ist jedoch anzurechnen („Neu für Alt“). Dabei obliegt die Ermittlung des Vorteilsausgleichs dem FG als Tatsacheninstanz (BFH-Urteil in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53, m.w.N.).

 

 

27

Das FG wird hinsichtlich der Feststellung der notwendigen Sanierungsmaßnahmen schließlich auch sicherzustellen haben, dass in den Sanierungskosten keine wertsteigernden Aufwendungen enthalten sind. Da in den geltend gemachten Beträgen nach den Feststellungen des FG auch Aufwendungen für die vollständige Erneuerung der Außenfassade einschließlich der Dämmung sowie für den Einbau von Aluminiumaußenfensterbänken enthalten sind, liegt angesichts des Alters des im Jahr 1973 erbauten Hauses die Vermutung nahe, dass es sich jedenfalls insoweit um werterhöhende Ausgaben gehandelt haben könnte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104 = SIS 95 01 02).