Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil
des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 15.03.2019 - 2 K
65/18 = SIS 20 13 79 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen hat die
Klägerin zu tragen.
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I. Zwischen den Beteiligten ist streitig,
ob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) zu Recht
von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) an
deren Tochter (T) ausgezahltes Kindergeld in Höhe von
10.912,29 EUR für den Zeitraum Januar 2012 bis März 2017
zurückfordern konnte.
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Die Betreuerin der Klägerin stellte im
Namen der Klägerin im Oktober 2016 einen Kindergeldantrag
für die im Jahr 1971 geborene Tochter der Klägerin. Als
bezugsberechtigte Person gab sie die Tochter an, die den Antrag
auch selbst unterschrieben hatte. Das Kindergeld sollte direkt an T
ausgezahlt werden. Zuvor hatte T im April 2016 bei der
Familienkasse selbst einen Antrag auf Auszahlung des anteiligen
Kindergeldes an sich gestellt, woraufhin die Familienkasse auf das
Erfordernis der Antragstellung durch die kindergeldberechtigte
Klägerin hinwies.
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T erhielt von dem Beigeladenen (Jobcenter)
- mit Ausnahme des Monats Januar 2012 - in Bedarfsgemeinschaft mit
ihrem Ehemann während des streitigen Zeitraums Leistungen nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Kindergeld rechnete der
Sozialleistungsträger auf die hiernach erbrachten Leistungen
nicht an. Die entsprechenden Berechnungsbögen über
Sozialleistungsbezüge übermittelte das Jobcenter der
Familienkasse per E-Mail am 19.12.2016.
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Mit Bescheid vom 13.03.2017 setzte die
Familienkasse - aufgrund einer unstreitig vor dem 25. Lebensjahr
bei T vorliegenden Behinderung - gegenüber der Klägerin
Kindergeld rückwirkend für den Zeitraum Januar 2012 bis
März 2017 in Höhe von 11.736 EUR fest. Der Betrag wurde
wunschgemäß auf ein Konto der T überwiesen.
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Mit Fax vom 15.03.2017 wies die Betreuerin
der Klägerin die Familienkasse und das Jobcenter darauf hin,
dass das festgesetzte Kindergeld offenbar an das Jobcenter zu
erstatten sei. Die Betreuerin bat daher die Familienkasse, das
für den Streitzeitraum festgesetzte Kindergeld nicht an T
auszuzahlen. Die Kassenanordnung der Familienkasse für die
Auszahlung an T datierte jedoch bereits vom 06.03.2017.
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Mit Schreiben vom 19.09.2017 machte das
Jobcenter einen Erstattungsanspruch in Höhe von 10.912,29 EUR
gegenüber der Familienkasse geltend. Der im Vergleich zu dem
festgesetzten Kindergeld von 11.736 EUR geringere
Erstattungsanspruch ergab sich daraus, dass das Jobcenter im Monat
Januar 2012 keine und für einige Monate geringere
Sozialleistungen als das festgesetzte Kindergeld erbracht hatte. Im
Hinblick hierauf zahlte die Familienkasse an das Jobcenter den
geforderten Betrag aus dem Erstattungsanspruch aus.
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Mit Bescheid vom 21.11.2017 forderte die
Familienkasse den an das Jobcenter erstatteten Betrag in Höhe
von 10.912,29 EUR gemäß § 218 Abs. 2 i.V.m. §
37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) von der Klägerin
zurück. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die
Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 19.02.2018
zurück.
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Die anschließend erhobene Klage unter
Beiladung des Jobcenters hatte aus den in EFG 2020, 1482 = SIS 20 13 79 genannten Gründen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat
die Ansicht, dass die Klägerin nicht die
Leistungsempfängerin gemäß § 37 Abs. 2 AO
sei.
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Mit der Revision rügt die
Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Familienkasse beantragt,
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das Urteil des Niedersächsischen FG
vom 15.03.2019 - 2 K 65/18 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Das Jobcenter hat keinen Antrag
gestellt.
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II. Die Revision der Familienkasse ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung
und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Entgegen der Auffassung des FG war
die Klägerin verpflichtet, das an T für die Zeit von
Januar 2012 bis März 2017 gezahlte Kindergeld in Höhe von
10.912,29 EUR zurückzuzahlen. Die Familienkasse hat zu Recht
einen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 Satz 2
AO erlassen und diesen auf § 37 Abs. 2 AO gestützt.
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1. Der Rückzahlungsanspruch der
Familienkasse ergibt sich aus § 37 Abs. 2 AO.
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Ist eine Steuervergütung wie das
Kindergeld (§ 31 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG - )
ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen
Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 AO
gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf
Erstattung des gezahlten Betrags. Diese Rechtsfolge tritt auch ein,
wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später
wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO).
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a) Im Streitfall ist das Kindergeld für
den Streitzeitraum ohne Rechtsgrund gezahlt worden. Zwar hatte die
Klägerin für den Streitzeitraum unstreitig einen Anspruch
auf Kindergeld für ihre Tochter gemäß § 62
Abs. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Der Anspruch war jedoch
im Zeitpunkt der Zahlung bereits durch die Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts, die das Jobcenter nach dem SGB II an die
Tochter der Klägerin erbracht hatte, erfüllt worden und
damit erloschen (§ 47 AO).
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aa) Dies ergibt sich - wie das FG zutreffend
unter Punkt I.3. ausgeführt hat - aus § 74 Abs. 2 EStG
i.V.m. den § 104 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 107 Abs. 1
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
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bb) Entgegen der Ansicht der Familienkasse im
Revisionsverfahren war der Erstattungsanspruch des nachrangig
verpflichteten Jobcenters gegenüber der Familienkasse auch
nicht nach § 104 Abs. 1 SGB X ausgeschlossen. Die
Familienkasse ist dem Jobcenter aus § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X
zur Erstattung verpflichtet. Hat ein nachrangig verpflichteter
Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die
Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist
gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X der
Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der
Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der
Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er
von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt
hat. Im vorliegenden Fall hatte die Familienkasse zum Zeitpunkt der
Zahlung des Kindergeldes ausreichende Kenntnis davon, dass der
Anspruch der Klägerin auf Kindergeld bereits in Höhe der
SGB II-Leistungen an T für den Streitzeitraum erloschen war.
Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat
deshalb bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO)
hatte das Jobcenter der Familienkasse mit E-Mail vom 19.12.2016 die
für den Streitzeitraum maßgeblichen
Berechnungsbögen für die an T geleisteten
Sozialleistungen übermittelt. Im Klageverfahren hatte die
Familienkasse zudem mit Schreiben vom 07.01.2019 auf Nachfrage des
Gerichts zur Kenntnis gleichartiger Leistungen durch das Jobcenter
mitgeteilt, dass durch die übersandten Berechnungsbögen
über Arbeitslosengeld II (ALG II) der Zeitraum und die
Höhe der monatlichen Leistungen des ALG II-Trägers ohne
Anrechnung des Kindergeldes bekannt waren. Die Schlussfolgerung des
FG, die Familienkasse habe im Zeitpunkt ihrer Kindergeldzahlung
ausreichende Kenntnis über die Erbringung nachrangiger
Sozialleistungen gehabt, ist daher nachvollziehbar. Für die
erforderliche Kenntnis von Leistungen des nachrangig verpflichteten
Leistungsträgers reicht es aus, wenn Umstände, die im
Einzelfall für die Entscheidung über den
Erstattungsanspruch maßgeblich sind, und der Zeitraum,
für den die Sozialleistung erbracht wurde, hinreichend konkret
mitgeteilt werden (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
05.06.2014 - VI R 15/12, BFHE 246, 298, BStBl II 2015, 145 = SIS 14 24 94, Rz 22, m.w.N.). Mit der Übersendung der ALG
II-Berechnungsbögen wusste die Familienkasse, welche
Leistungen des Jobcenters für welche Zeiträume und in
welcher Höhe erbracht wurden und dass eine Anrechnung von
Kindergeld nicht erfolgt ist. Soweit die Familienkasse auf das
Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.03.1992 - 7 RAr 26/91
(BSGE 70, 186) hinweist, ergibt sich hieraus nichts anderes. In
dieser Entscheidung hat das BSG ausgeführt, dass die Tatsache
allein, dass es sich beim Leistungsempfänger um einen
„Sozialhilfefall“ handelt, für die Kenntnis
nicht ausreichend sei. Wenn hingegen die einzelnen Sozialleistungen
für jeden Monat des maßgeblichen Zeitraums mitgeteilt
werden, ist der erstattungsverpflichtete Leistungsträger ohne
weitere Nachforschungen in der Lage zu entscheiden, welche Teile
zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs einzubehalten und
welche an den Kindergeldberechtigten auszuzahlen sind.
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b) Entgegen der Ansicht des FG ist die
Klägerin auch Leistungsempfängerin des ohne Rechtsgrund
gezahlten Kindergeldes.
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
ist Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO derjenige,
demgegenüber die Finanzbehörde oder Familienkasse ihre -
vermeintlich oder tatsächlich bestehende - abgabenrechtliche
Verpflichtung erfüllen will (BFH-Urteile vom 23.10.2012 - VII
R 63/11, BFH/NV 2013, 689 = SIS 13 10 46; vom 18.09.2012 - VII R
53/11, BFHE 239, 292, BStBl II 2013, 270 = SIS 13 04 83, Rz 13,
m.w.N.). Demnach ist ein Dritter als tatsächlicher
Empfänger einer Zahlung dann nicht Leistungsempfänger
i.S. des § 37 Abs. 2 AO, wenn die Behörde u.a. aufgrund
einer Zahlungsanweisung des Erstattungs- bzw.
Vergütungsberechtigten an einen Dritten zahlt (vgl.
Senatsbeschluss vom 28.01.2010 - III B 112/08, BFH/NV 2010, 836 =
SIS 10 11 70; BFH-Urteile vom 29.01.2003 - VIII R 64/01, BFH/NV
2003, 905 = SIS 03 32 61, und vom 25.03.2003 - VIII R 84/98, BFH/NV
2003, 1404 = SIS 03 45 72). Denn auch in einem derartigen Fall
erbringt die Finanzbehörde ihre Leistung mit dem Willen, eine
Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber zu
erfüllen. Da der durch die Anweisung begünstigte
Zahlungsempfänger den Zahlungsanspruch nicht aus eigenem Recht
geltend machen kann und die Leistung mit dem Willen erbracht wird,
eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber
mit befreiender Wirkung zu erfüllen, ist nicht der
Empfänger der Zahlung, sondern der nach materiellem
Steuerrecht Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigte als
Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO anzusehen
(vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 905 = SIS 03 32 61).
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Diese Grundsätze gelten auch für das
Kindergeld, da es nach § 31 Satz 3 EStG als
Steuervergütung gezahlt wird (BFH-Urteile in BFH/NV 2003, 905
= SIS 03 32 61, und vom 16.03.2004 - VIII R 48/03, BFH/NV 2004,
1218 = SIS 04 32 43). Demnach ist nicht das Kind, sondern der
Kindergeldberechtigte Leistungsempfänger i.S. des § 37
Abs. 2 Satz 1 AO, wenn die Familienkasse das Kindergeld aufgrund
einer Zahlungsanweisung des Kindergeldberechtigten dem Kind zahlt
(Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 836 = SIS 10 11 70, Rz 3,
m.w.N.).
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bb) Mit der Angabe des Kontos der T im
Kindergeldantrag hat die Klägerin der Familienkasse die
Anweisung erteilt, das Kindergeld auf dieses Konto zu
überweisen. Damit hat sie den Zahlungsweg veranlasst. Zudem
erbrachte die Familienkasse mit der Befolgung der Anweisung ihre
Leistung mit dem Willen, den Zahlungsanspruch der Klägerin als
Kindergeldberechtigte zu erfüllen.
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cc) Entgegen der Ansicht des FG steht diesem
Ergebnis auch nicht entgegen, dass die Voraussetzungen einer
Abzweigung i.S. des § 74 Abs. 1 EStG vorlagen. Ohne eine
entsprechende Feststellung der Familienkasse durch einen
Verwaltungsakt wird der Zahlungsempfänger nicht zum
Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO.
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(1) Es ist zwar richtig, dass in
Abzweigungsfällen der Dritte (Abzweigungsempfänger) und
nicht der Kindergeldberechtigte gemäß § 37 Abs. 2
AO zur Erstattung verpflichtet ist (BFH-Urteil vom 24.08.2001 - VI
R 83/99, BFHE 196, 278, BStBl II 2002, 47 = SIS 01 13 68;
Senatsurteil vom 10.03.2016 - III R 29/15, BFH/NV 2016, 1278 = SIS 16 16 61, Rz 26). Bei einer Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG
zahlt die Familienkasse willentlich an den
Abzweigungsempfänger, und zwar zur Erfüllung des diesem
zustehenden Auszahlungsanspruchs. Die Entscheidung über eine
Auszahlung nach § 74 Abs. 1 EStG erfolgt durch einen
Verwaltungsakt nach § 118 AO (Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach,
§ 74 EStG Rz 14; BFH-Urteil in BFHE 196, 278, BStBl II 2002,
47 = SIS 01 13 68). Mit der Entscheidung über die Abzweigung
stellt die Familienkasse fest, dass sich der Kindergeldberechtigte
die abgezweigte Leistung als Erfüllung seines weiter
bestehenden Kindergeldanspruchs zurechnen lassen muss und dass der
Abzweigungsempfänger die Leistung gleichzeitig mit
Erfüllungswirkung des ihm aufgrund der Abzweigung zustehenden
Anspruchs auf Auszahlung in Empfang nehmen darf. Die
Erfüllungszuständigkeit für erhaltenes Kindergeld
ändert sich von der Person des Kindergeldberechtigten auf
einen Dritten aber erst dann und soweit, wie ein
(bestandskräftiger) Abzweigungsbescheid der Familienkasse
ergangen ist, bei dem es sich für den Empfänger um einen
begünstigenden und für den bisher Kindergeldberechtigten
um einen belastenden Verwaltungsakt mit Doppelwirkung handelt
(BFH-Urteil vom 17.12.2015 - V R 18/15, BFHE 252, 155, BStBl II
2016, 960 = SIS 16 02 89, Rz 11, m.w.N.).
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(2) Hingegen lässt das bloße
Bestehen einer Abzweigungslage ohne Vorliegen eines
Abzweigungsbescheids die Empfangsberechtigung des
Kindergeldberechtigten im Auszahlungsverfahren (Erhebungsverfahren)
unberührt (vgl. Senatsurteil vom 27.10.2011 - III R 16/09,
BFH/NV 2012, 720 = SIS 12 10 21, unter II.2.c; Senatsbeschluss vom
19.06.2013 - III B 79/12, BFH/NV 2013, 1422 = SIS 13 22 08, Rz
11).
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2. Einer Rückforderung steht auch nicht
der Gesichtspunkt von Treu und Glauben oder der Verwirkungsgedanke
als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben entgegen
(vgl. Senatsbeschluss vom 27.02.2007 - III B 1/06, BFH/NV 2007,
1120 = SIS 07 15 64).
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a) Nach der Rechtsprechung des BFH steht der
Grundsatz von Treu und Glauben der Rückforderung gezahlten
Kindergeldes selbst dann nicht entgegen, wenn die Behörde
trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des
Kindergeldanspruchs führen, zunächst weiterhin Leistungen
erbringt (vgl. BFH-Beschluss vom 13.03.2013 - V B 133/11, BFH/NV
2013, 933 = SIS 13 14 03). Erforderlich sind vielmehr besondere
Umstände, die die Geltendmachung des
Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung
erscheinen lassen (BFH-Urteil vom 14.10.2003 - VIII R 56/01, BFHE
203, 472, BStBl II 2004, 123 = SIS 03 52 11, m.w.N.). Hinzukommen
muss ein Verhalten des Berechtigten, aus dem der Verpflichtete bei
objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr
in Anspruch genommen werden soll (Umstandsmoment oder
Vertrauenstatbestand, vgl. BFH-Urteile vom 21.07.1988 - V R 97/83,
BFH/NV 1989, 356, 359 = SIS 89 07 51, und vom 15.06.2004 - VIII R
93/03, BFH/NV 2005, 153 = SIS 05 07 37). Bei einem Massenverfahren
wie dem Kindergeldrecht ist ein besonders eindeutiges Verhalten der
Familienkasse zu fordern, dem entnommen werden kann, dass sie auch
unter Berücksichtigung veränderter Umstände von
einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer
Eindruck bei dem Kindergeldempfänger ausgeschlossen ist (vgl.
Senatsbeschluss in BFH/NV 2007, 1120 = SIS 07 15 64).
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b) Hiernach liegen im Streitfall die
Voraussetzungen einer Verwirkung nicht vor. Es fehlt an einem
Verhalten der Familienkasse, aus dem die Klägerin bei
objektiver Betrachtung den Schluss ziehen durfte, das zu Unrecht
ausgezahlte Kindergeld werde ihr bzw. ihrer Tochter belassen.
Selbst wenn die Familienkasse bereits wusste, dass Sozialleistungen
ohne Anrechnung von Kindergeld gezahlt wurden, reicht die
Auszahlung des Kindergeldes trotz Wegfalls der
Anspruchsvoraussetzungen nicht aus (vgl. BFH-Urteile vom 26.07.2001
- VI R 163/00, BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174 = SIS 02 02 20,
und in BFH/NV 2005, 153 = SIS 05 07 37). Es fehlen besondere
zusätzliche Umstände, die die Geltendmachung des
Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung
erscheinen lassen.
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c) Da es sich bei dem
Rückforderungsanspruch auch nicht um einen
Schadensersatzanspruch handelt, kommt unter diesem Gesichtspunkt
auch der Gedanke des mitwirkenden Verschuldens der Familienkasse
nicht zum Tragen. Das Verhalten der Behörde kann ggf.
lediglich bei der Frage einer Billigkeitsentscheidung
gemäß § 227 AO (vgl. Senatsurteil vom 27.05.2020 - III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283 =
SIS 20 15 13) berücksichtigt
werden. Auch etwaige persönliche Billigkeitsgründe sind
für die Beurteilung des Abrechnungsbescheids (§ 218 Abs.
2 i.V.m. § 37 Abs. 2 AO) unerheblich und können
dementsprechend in dem die Rechtmäßigkeit der
Rückforderung betreffenden Revisionsverfahren nicht
geklärt werden.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 FGO. Außergerichtliche Kosten
des Beigeladenen waren nicht zu erstatten, weil der Beigeladene
keine Anträge gestellt und das Verfahren nicht mit eigenen
Beiträgen gefördert hat (§ 139 Abs. 4 FGO).
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