Auf die Revision der Kläger und die
Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts
Berlin-Brandenburg vom 22.06.2017 - 5 K 11174/15 = SIS 17 15 20
aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und
Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die in den
Streitjahren 2009 bis 2011 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt
werden. In den Jahren 1998 bis 2000 schlossen sie Verträge
über sog. Sicherheits-Kompakt-Renten (SKR) ab. Hierbei
handelte es sich um Sofortrentenversicherungen, die gegen Leistung
von Einmalzahlungen abgeschlossen wurden. Gleichzeitig wurden vier
Tilgungsversicherungen gegen Einmalzahlung abgeschlossen, deren
Ablaufleistungen bei Fälligkeit zur Rückzahlung der
Darlehen verwendet werden sollten. Bei den Tilgungsversicherungen
handelte es sich um Lebensversicherungen, die als Versicherungsfall
den Tod der Kläger bestimmten. Die Einmalzahlungen wurden zum
Teil über Darlehen und zu einem geringeren Teil über
Eigenkapital der Kläger finanziert. Die Tilgung der Darlehen
wurde bei Vertragsschluss ausgesetzt und sollte durch die
Schlusszahlungen aus den Lebensversicherungen erfolgen. Die
Darlehenszinsen sollten aus den Renten bezahlt werden. Zur
Sicherheit traten die Kläger ihre Zahlungsansprüche aus
den Renten- und den Lebensversicherungen an die darlehensgebenden
Banken ab. Nach Tilgung der Darlehen sollten die Renten den
Klägern frei zur Verfügung stehen.
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Bis einschließlich des
Veranlagungszeitraums 2008 wurden bei der
Einkommensteuerveranlagung antragsgemäß die
Zinsaufwendungen für die Darlehen aufgeteilt und jeweils
anteilig als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S.
des § 22 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und bei den
Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 EStG
berücksichtigt. Die Aufteilung richtete sich danach, inwieweit
die Darlehen zur Finanzierung der jeweiligen Einmalzahlung
verwendet worden waren.
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In den Einkommensteuererklärungen
für die Streitjahre erklärten die Kläger die
gesamten Zinsaufwendungen für die Finanzierung der SKR als
Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22
EStG (für 2009 in Höhe von 63.561 EUR, für 2010 in
Höhe von 40.584 EUR, für 2011 in Höhe von 42.744
EUR). Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) folgte dem nicht und legte in den
Steuerbescheiden für die Streitjahre die geltend gemachten
Finanzierungsaufwendungen - entsprechend dem
Aufteilungsverhältnis der Vorjahre - lediglich anteilig als
Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22
EStG zu Grunde (für 2009 in Höhe von 19.956 EUR, für
2010 in Höhe von 13.196 EUR, für 2011 in Höhe von
17.331 EUR).
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Das FA wies den gegen den
Einkommensteuerbescheid für 2009 erhobenen Einspruch der
Kläger gegen die nicht vollständige Berücksichtigung
der Finanzierungsaufwendungen für die SKR als Werbungskosten
bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG mit
Teil-Einspruchsentscheidung vom 14.01.2015 zurück. Zur
Begründung führte es aus, dass die Werbungskosten zur
Finanzierung der SKR auch nach Einführung der Abgeltungsteuer
zum 01.01.2009 prozentual auf die Einkünfte i.S. der
§§ 20 und 22 EStG aufzuteilen seien. Die steuerliche
Berücksichtigung der Aufwendungen, die danach auf die
Finanzierung der Lebensversicherung entfielen, war nach Auffassung
des FA aufgrund des Werbungskostenabzugsverbots gemäß
§ 20 Abs. 9 EStG ausgeschlossen.
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Die Kläger beantragten mit Schreiben
vom 29.01.2015 die Teil-Einspruchsentscheidung gemäß
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO)
dahingehend zu ändern, dass die Finanzierungskosten der
Tilgungsversicherung vollständig als Werbungskosten bei den
Renteneinkünften i.S. des § 22 EStG im Rahmen der
Einkommensteuerfestsetzung für 2009 berücksichtigt
werden. Sie machten des Weiteren geltend, dass
Steuerberatungskosten in Höhe von 603,33 EUR für die
Erstellung der Anlage SO als Werbungskosten bei den
Renteneinkünften i.S. des § 22 EStG zu
berücksichtigen seien.
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Das FA erließ am 26.03.2015 einen
Einkommensteueränderungsbescheid für 2009, in dem es die
geltend gemachten Steuerberatungskosten in Höhe von 603,33 EUR
als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des
§ 22 EStG anerkannte. Es erließ am 26.03.2015 einen
weiteren Bescheid, worin es den Antrag der Kläger auf
Änderung der Teil-Einspruchsentscheidung nach § 172 Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO ablehnte. Das FA begründete dies
damit, dass Tatsachen und Rechtsfragen, über die - wie im
vorliegenden Fall - bereits in der Teil-Einspruchsentscheidung
entschieden worden sei, nicht in einem Änderungsverfahren nach
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO erneut
überprüft werden könnten. Der am 27.04.2015
eingelegte Einspruch wurde vom FA mit Einspruchsentscheidung vom
25.06.2015 als unbegründet zurückgewiesen.
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Mit Teil-Einspruchsentscheidungen jeweils
vom 25.08.2015 lehnte das FA die Einsprüche gegen die
Steuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011, mit denen die
Kläger den vollständigen Werbungskostenabzug der
Finanzierungskosten für die SKR bei den sonstigen
Einkünften i.S. des § 22 EStG begehrten, ab.
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Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen
erhobene Klage für das Streitjahr 2009 abgewiesen und der
Klage für die Streitjahre 2010 und 2011 stattgegeben (EFG
2017, 1404).
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Mit ihrer Revision gegen das FG-Urteil
für das Streitjahr 2009 rügen die Kläger die
Verletzung des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO. Der
eindeutige Wortlaut des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a,
Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 AO lasse einen Änderungsantrag
auch nach dem Ergehen einer (Teil-) Einspruchsentscheidung zu. Eine
teleologische Reduktion der Korrekturvorschrift, die ihre Anwendung
auf Einspruchsentscheidungen ausschließe, sei
unzulässig. Mit seiner Auslegung habe das FG die Grenze des
Wortlauts überschritten und Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes
verletzt.
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Die Kläger beantragen
sinngemäß,
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das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom
22.06.2017 - 5 K 11174/15 = SIS 17 15 20 für das Streitjahr
2009 sowie den Ablehnungsbescheid vom 26.03.2015 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 25.06.2015 aufzuheben und den
Einkommensteueränderungsbescheid vom 26.03.2015 dahingehend zu
ändern, dass bei den sonstigen Einkünften
gemäß § 22 EStG weitere Werbungskosten in Höhe
von 43.001 EUR berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt,
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die Revision der Kläger als
unbegründet zurückzuweisen.
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Es hält an seiner Auffassung fest,
dass ein Antrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO
nicht zu einer inhaltlichen Überprüfung der
Teil-Einspruchsentscheidung für 2009 führen könne
und daher unzulässig sei. Es verweist diesbezüglich auf
den Senatsbeschluss vom 05.02.2010 - VIII B 139/08 (BFH/NV 2010,
831 = SIS 10 11 66).
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Das FA rügt mit seiner für die
Streitjahre 2010 und 2011 eingelegten Revision die Verletzung des
§ 9 Abs. 1 Satz 2 EStG. Die Zinsaufwendungen für die
Darlehen, die zur Finanzierung der SKR aufgenommen wurden, seien
auch nach der Einführung der Abgeltungsteuer im Jahr 2009
entsprechend ihres Veranlassungszusammenhangs aufzuteilen und
danach nicht in voller Höhe bei den sonstigen Einkünften
i.S. des § 22 EStG zu berücksichtigen.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom
22.06.2017 - 5 K 11174/15 = SIS 17 15 20 insoweit aufzuheben, als
das FG der Klage für die Streitjahre 2010 und 2011
stattgegeben hat und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
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die Revision des FA als unbegründet
zurückzuweisen.
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Auf die Revision des FA entgegnen die
Kläger, dass die Grundsätze des Senatsurteils vom
11.12.2018 - VIII R 7/15 (BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231 = SIS 19 02 18) auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar seien. Die
Kläger hätten den Lebensversicherungsvertrag gegen
Einmalbetrag ohne den Rentenversicherungsvertrag nicht
abgeschlossen. Der Abschluss der Lebensversicherung habe nicht dazu
gedient, zusätzliche Kapitalerträge zur freien
Verfügung zu erzielen. Vielmehr sei ohne den Überschuss
aus der Rentenversicherung das Darlehen für die
Lebensversicherung nicht zu finanzieren gewesen. Da die
Lebensversicherung zur Tilgung an die Bank abgetreten worden sei,
bestehe eine dominierende Verbindung zur Rentenversicherung. Erst
ab der Tilgung und der Abtretung der Versicherungsverträge
löse sich der Zusammenhang mit der Rentenversicherung auf. Aus
diesem Grund seien die Finanzierungskosten für die SKR in
voller Höhe als Werbungskosten bei den sonstigen
Einkünften i.S. des § 22 EStG zu
berücksichtigen.
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II. Die Revision der Kläger ist
begründet. Das FG-Urteil ist für das Streitjahr 2009
aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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Das Urteil ist bereits aus formellen
Gründen aufzuheben (s. unter 1.). Mangels tatsächlicher
Feststellungen des FG kann der Senat nicht darüber
entscheiden, ob die Steuerfestsetzung für 2009 vom 26.03.2015
aufgrund des Einspruchs vom 27.04.2015 nach § 351 Abs. 1
Halbsatz 2 i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu
ändern ist (s. unter 2.).
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1. Das Urteil ist für das Streitjahr 2009
bereits aus formellen Gründen aufzuheben, da das FG über
die Änderung eines nicht mehr existenten Bescheids entschieden
hat. Hierin liegt ein Verstoß gegen die Grundordnung des
Verfahrens, so dass das Urteil insoweit keinen Bestand haben kann
und aufgehoben werden muss (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
16.05.2013 - IV R 15/10, BFHE 241, 323, BStBl II 2013, 858 = SIS 13 23 07, Rz 21).
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a) Das FG hat in seinem Urteil ausweislich des
Klageantrags über die Ablehnung der Änderung des
Einkommensteuerbescheids für 2009 vom 10.11.2011 in Gestalt
der Teil-Einspruchsentscheidung vom 14.01.2015 entschieden. Diese
Einkommensteuerfestsetzung ist jedoch durch den
Einkommensteuerbescheid vom 26.03.2015 geändert worden. Ergeht
ein Änderungsbescheid, so bildet dieser die alleinige
Grundlage für die Erhebung der Steuer. Danach hat das FG
für das Streitjahr 2009 über die Änderung eines
Bescheids entschieden, der keine Rechtswirkung mehr hat.
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b) Daraus folgt zwar noch nicht, dass das
Verfahren zwingend an das FG zurückzuverweisen ist. Im
Hinblick auf den Normzweck des § 68 FGO, das Verfahren aus
prozessökonomischen Gründen fortzusetzen, reicht nach
ständiger Rechtsprechung des BFH die Richtigstellung in der
Rechtsmittelentscheidung unter bestimmten Voraussetzungen aus. Kann
das Verfahren aber nicht fortgesetzt werden, weil der BFH mangels
Spruchreife nicht abschließend entscheiden kann, kommt eine
Richtigstellung durch das Revisionsgericht nicht in Betracht. Es
bedarf dann auch keiner Prüfung, ob der unbeachtet gebliebene
Änderungsbescheid die streitige Frage berührt und ob das
FG bewusst über den früheren Bescheid entschieden hat
(BFH-Urteil in BFHE 241, 323, BStBl II 2013, 858 = SIS 13 23 07, Rz
22). Dies ist vorliegend der Fall.
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2. Die Feststellungen des FG reichen nicht
aus, um über die Klage entscheiden zu können. Gegenstand
der Klage war bei rechtsschutzwahrender Auslegung der Einspruch vom
27.04.2015 gegen die Einkommensteuerfestsetzung für 2009 vom
26.03.2015 (s. unter a). Der Senat kann infolge der fehlenden
Feststellungen des FG nicht darüber entscheiden, ob aufgrund
des Einspruchs eine Änderung des Einkommensteuerbescheids
für 2009 vom 26.03.2015 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Buchst. a i.V.m. § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO möglich ist
(s. unter b).
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a) Gegenstand des Klageverfahrens war der
Einkommensteueränderungsbescheid für 2009 vom 26.03.2015,
welcher bei rechtsschutzwahrender Auslegung mit dem Einspruch vom
27.04.2015 angefochten wurde.
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aa) Der Änderungsantrag der Kläger
vom 29.01.2015 auf Überprüfung der
Teil-Einspruchsentscheidung vom 14.01.2015 nach § 172 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO hat sich durch den Erlass des
Einkommensteueränderungsbescheids für 2009 vom 26.03.2015
erledigt. Da es für das Korrekturverfahren keine dem §
365 Abs. 3 AO entsprechende Vorschrift gibt, wurde der
Änderungsbescheid vom 26.03.2015 nicht zum Gegenstand eines
noch nicht abgeschlossenen Änderungsverfahrens (BFH-Urteil vom
07.11.2006 - VI R 14/05, BFHE 215, 61, BStBl II 2007, 236 = SIS 07 04 48, Rz 19).
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bb) Das FA hat jedoch durch den gleichzeitig
erlassenen Ablehnungsbescheid vom 26.03.2015 den Rechtsschein
erweckt, als könne das Verfahren über den Antrag nach
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO vom 29.01.2015 durch
Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid fortgesetzt werden. Bei
rechtsschutzwahrender Auslegung ist der Einspruch vom 27.04.2015
dahingehend zu verstehen, dass er sich gegen den geänderten
Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 26.03.2015 richtete. Denn
entspricht ein außerhalb eines Einspruchsverfahrens
ergangener Steuerbescheid nicht dem Änderungsantrag des
Steuerpflichtigen, so muss gegen diesen Einspruch eingelegt
werden.
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b) Diesen Einspruch hat das FA mit
Einspruchsentscheidung vom 25.06.2015 zurückgewiesen. Da in
der Begründung der Einspruchsentscheidung ausgeführt
wurde, dass sich der Einspruch vom 27.04.2015 dagegen richtete,
dass in dem geänderten Einkommensteuerbescheid vom 26.03.2015
dem Antrag gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst.
a AO nicht vollständig stattgegeben wurde, hat das FA den bei
rechtsschutzwahrender Auslegung gegen den Änderungsbescheid
für 2009 vom 26.03.2015 erhobenen Einspruch mit der
Einspruchsentscheidung konkludent zurückgewiesen.
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c) Ob die Voraussetzungen für eine
Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 26.03.2015 aufgrund
des Einspruchs vom 27.04.2015 nach § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO
gegeben sind, kann der Senat aufgrund der fehlenden Feststellungen
des FG nicht entscheiden.
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aa) Da mit dem
Einkommensteueränderungsbescheid für 2009 vom 26.03.2015
der unanfechtbare Einkommensteuerbescheid für 2009 vom
10.11.2011 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom
14.01.2015 geändert und die Festsetzung herabgesetzt wurde,
setzt eine weitere Änderung des Bescheids zu Gunsten der
Kläger im Einspruchsverfahren nach § 351 Abs. 1 Halbsatz
2 AO voraus, dass die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift
vorliegen.
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bb) Entgegen der Auffassung des FG und des FA
scheidet eine Korrektur nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst.
a AO nicht schon deshalb aus, weil über das Begehren der
Kläger in der Teil-Einspruchsentscheidung vom 14.01.2015
bereits entschieden wurde. Zwar hat sich in der finanzgerichtlichen
Rechtsprechung eine überwiegende Ansicht dahingehend gebildet,
dass aufgrund einer teleologischen Reduktion der Vorschrift ein
Änderungsantrag nach Ergehen der Einspruchsentscheidung
unzulässig ist, wenn mit ihm lediglich die
Überprüfung der vom Finanzamt der Einspruchsentscheidung
zu Grunde gelegten Rechtsauffassung begehrt wird und keine neuen
Tatsachen vorgetragen werden (Urteil des FG Köln vom
11.06.2008 - 4 K 3560/07, EFG 2009, 1432 = SIS 09 25 10; Urteil des
Sächsischen FG vom 06.06.2012 - 8 K 1738/06, juris = SIS 12 23 89; Urteile des FG Berlin-Brandenburg vom 01.07.2015 - 7 K 7245/12,
EFG 2015, 1587 = SIS 15 19 63, und vom 26.11.2019 - 5 K 5012/19,
EFG 2020, 885 = SIS 20 18 21, Revision eingelegt, Az. des BFH: III
R 5/20; Urteil des FG Münster vom 19.10.2017 - 5 K 3971/14 U,
EFG 2017, 1865 = SIS 17 23 64; offen gelassen im Senatsbeschluss
vom 30.11.2010 - VIII B 3/10, BFH/NV 2011, 432 = SIS 11 04 90; im
BFH-Urteil vom 19.05.2020 - X R 22/19, BFH/NV 2020, 1241 = SIS 20 15 12, Rz 23, und im BFH-Urteil vom 22.05.2019 - XI R 17/18, BFHE
264, 399, BStBl II 2019, 647 = SIS 19 11 73, Rz 39). Soweit der
Senat diese Auffassung in dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 831 =
SIS 10 11 66 vertreten hat, hält er daran nicht mehr fest
(s.a. BFH-Urteil vom 09.09.2020 - III R 2/19, juris = SIS 21 02 78).
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cc) Die teleologische Reduktion einer Norm
kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Auslegung der
Vorschrift nach dem Wortlaut zu einem sinnwidrigen Ergebnis
führen würde (vgl. z.B. Senatsurteil vom 12.06.2018 -
VIII R 14/15, BFHE 262, 66, BStBl II 2018, 755 = SIS 18 14 52,
m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die
Überprüfung von Tat- und Rechtsfragen, über die in
einer (Teil-)Einspruchsentscheidung bereits entschieden wurde,
mittels eines Änderungsantrags nach § 172 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 Buchst. a AO ist nicht sinnwidrig und entspricht der
ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers. Dies gilt auch
dann, wenn es nach § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO auf das
Vorliegen der Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Buchst. a AO bei der Anfechtung eines Änderungsbescheids
ankommt.
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31
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aaa) Gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 Buchst. a AO darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht
vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn er
andere Steuern als Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nrn. 20
und 21 des Zollkodex der Union oder Verbrauchsteuern betrifft,
soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache
nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des
Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist
zugestimmt oder den Antrag gestellt hat oder soweit die
Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft. Nach
§ 172 Abs. 1 Satz 2 AO ist die Korrekturvorschrift auch dann
anwendbar, wenn der Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung
bestätigt oder geändert worden ist. In diesen Fällen
muss der Steuerpflichtige vor Ablauf der Klagefrist zustimmen oder
den Antrag stellen (§ 172 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 AO). Nach
dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift erfolgt die Korrektur nach
§ 172 Abs. 1 Satz 1 AO somit auch dann, wenn der
Steuerbescheid durch eine (Teil-)Einspruchsentscheidung
bestätigt oder geändert worden ist. Das Gesetz sieht,
neben der Stellung des Antrags innerhalb der Klagefrist, welche
vorliegend gewahrt ist, keine weiteren
Zulässigkeitsvoraussetzungen für den schlichten
Änderungsantrag vor.
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32
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bbb) Aus dem Willen des Gesetzgebers ergibt
sich keine einschränkende Auslegung der Norm. Zwar hatte der
Gesetzgeber bei der Einführung des § 172 Abs. 1 Satz 3 AO
konkrete Sachverhalte vor Augen, die erfasst werden sollten
(BTDrucks 14/1514, S. 47). Insbesondere in
Schätzungsfällen, in denen die Steuererklärung erst
nach Ergehen der Einspruchsentscheidung eingereicht wird, sollte
der Antrag auf schlichte Änderung nach Erlass der
Einspruchsentscheidung dazu führen, die FG zu entlasten. Mit
der Verwendung des Worts „insbesondere“ bringt
der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck, dass neben dem in der
Gesetzesbegründung genannten Beispiel auch andere
Anwendungsfälle denkbar sind. Gegen eine Beschränkung der
Norm auf den in der Gesetzesbegründung ausdrücklich
genannten Fall spricht zudem, dass eine solche Beschränkung
des Antragsrechts im Wortlaut der Norm keinen Niederschlag gefunden
hat (so auch Kamps, Die Steuerberatung 2008, 429, unter II.4.b;
Bleschick, EFG 2020, 885 = SIS 20 18 21, unter II.2.b bb (4)).
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33
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ccc) Auch aus dem systematischen Zusammenhang
zu § 348 Nr. 1 AO ergibt sich keine Einschränkung der
Zulässigkeit des Antrags auf schlichte Änderung nach
einem durchgeführtem (Teil-)Einspruchsverfahren. Nach §
348 Nr. 1 AO ist gegen die Einspruchsentscheidung ein weiterer
Einspruch nicht statthaft. Das Verwaltungsverfahren wird damit
durch die Einspruchsentscheidung beendet. Eine Fortführung ist
nur im Klageweg vor dem FG möglich (vgl. § 44 FGO). Der
Antrag auf schlichte Änderung führt das
Einspruchsverfahren jedoch nicht fort. Er eröffnet ein
weiteres Verfahren, das sich grundsätzlich von dem bereits
abgeschlossenen Einspruchsverfahren unterscheidet (so auch Bartone
in Gosch, AO § 348 Rz 9). Dies ergibt sich zum einen daraus,
dass aufgrund des Antrags auf schlichte Änderung der Eintritt
der Bestandskraft des Bescheids nur punktuell und nicht wie beim
Einspruch insgesamt verhindert wird. Aus diesem Grund kann aufgrund
des Antrags auf schlichte Änderung keine Aussetzung der
Vollziehung des Bescheids erfolgen (vgl. § 361 AO). Zum
anderen ist bei Ablehnung des Antrags auf schlichte Änderung
keine Anfechtungs-, sondern eine Verpflichtungsklage gegeben. Der
Verfahrensgang unterscheidet sich somit deutlich von einer
Fortführung des Einspruchsverfahrens.
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ddd) Die Zulassung des Änderungsantrags
nach dem Erlass der Einspruchsentscheidung führt
grundsätzlich auch nicht zu einer theoretisch unendlichen
Verkettung von neuen Anträgen und behördlichen
Entscheidungen (Bartone in Gosch, AO § 348 Rz 9; anderer
Ansicht Geimer, Der AO-Steuer-Berater 2008, 144, 145; Urteil des FG
Münster in EFG 2017, 1865 = SIS 17 23 64, Rz 30). Es kann
durch den Änderungsantrag maximal zu einer zweimaligen
Befassung der Finanzbehörde mit derselben inhaltlichen Frage
kommen. Wird der gegen eine Einspruchsentscheidung gerichtete
Antrag auf schlichte Änderung abgelehnt, kann hiergegen zwar
Einspruch eingelegt werden. Ein weiterer Änderungsantrag nach
der Einspruchsentscheidung über den abgelehnten Antrag auf
schlichte Änderung ist jedoch nicht möglich, da die
Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO nur auf
Steuerbescheide und nicht auf sonstige Verwaltungsakte anwendbar
sind.
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eee) Gegen eine einschränkende Auslegung
von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Satz 2 und Satz 3
Halbsatz 1 AO spricht auch, dass die Einspruchsentscheidung nicht
in erhöhter Bestandskraft erwächst (von Groll in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 172 AO Rz 241; von
Wedelstädt in Gosch, AO § 172 Rz 201; Loose in
Tipke/Kruse, § 172 AO Tz 46). Sie hat rechtlich keine andere
Qualität als die Steuerfestsetzung (Frotscher in
Schwarz/Pahlke, AO, § 172 Rz 101, m.w.N.) und muss daher
ebenso abänderbar sein wie der ursprüngliche
Verwaltungsakt.
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dd) Danach liegen die Voraussetzungen für
eine teleologische Reduktion nicht vor. Es widerspräche dem
klaren Wortlaut und der Konzeption der AO, die Anwendung des §
172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nur im Falle des Vorbringens
von neuem Rechts- oder Tatsachenvortrag, der noch nicht im
Einspruchsverfahren überprüft wurde, anzuwenden. Dies
müsste vom Gesetzgeber angeordnet werden. Dieser hat jedoch in
§ 172 Abs. 1 Satz 2 AO geregelt, dass § 172 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 Buchst. a AO uneingeschränkt auch auf
Einspruchsentscheidungen anwendbar ist und somit ebenfalls dann
Anwendung findet, wenn der Rechts- und Tatsachenvortrag bereits in
einem Einspruchsverfahren geprüft worden ist.
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d) Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu
prüfen haben, ob die Einkommensteuerfestsetzung für 2009
vom 26.03.2015 aufgrund des Einspruchs vom 27.04.2015 nach §
351 Abs. 1 AO zu ändern ist. Dies ist gemäß §
351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO der Fall, wenn die Voraussetzungen
für eine Korrektur nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst.
a AO gegeben sind, da der Steuerbescheid hinsichtlich des in dem
Antrag bezeichneten Punkts nicht der materiellen Rechtslage
entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 30.08.2001 - IV R 30/99, BFHE 196,
507, BStBl II 2002, 49 = SIS 02 02 45, unter II.3. [Rz 20]; von
Groll in HHSp, Vorbemerkungen zu §§ 172 bis 177 AO Rz
70). Im vorliegenden Fall hängt dies davon ab, ob die vom FA
vorgenommene Aufteilung der Finanzierungskosten der SKR auf die
Renteneinkünfte i.S. des § 22 EStG und die Einkünfte
aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 EStG in den
Streitjahren zutreffend ist, was das FG im zweiten Rechtsgang unter
Beachtung der vorliegenden Entscheidung (s. unter III.1.) und des
Senatsurteils in BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231 = SIS 19 02 18
festzustellen hat. Aus diesem Grund wird die Sache an die
Vorinstanz zurückverwiesen.
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3. Da die Revision Erfolg hat, das FG-Urteil
aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen
wird, kommt es auf das Vorliegen der von den Klägern
gerügten weiteren Verfahrensmängel nicht mehr an.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143
Abs. 2 FGO.
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III. Die Revision des FA gegen das FG-Urteil
für die Streitjahre 2010 und 2011 ist begründet und
führt zur Aufhebung des FG-Urteils sowie zur
Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung durch das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 FGO).
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Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass
die Zinsaufwendungen der Kläger für die SKR
vollständig als Werbungskosten gemäß § 9 Abs.
1 Satz 2 EStG bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22
EStG zu berücksichtigen sind (s. unter 1.). Mangels
tatsächlicher Feststellungen des FG kann der Senat jedoch
nicht darüber entscheiden, ob die vom FA vorgenommene
Aufteilung der Werbungskosten zutreffend ist (s. unter 2.).
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1. Das FG hat rechtsfehlerhaft die
Finanzierungskosten für die SKR ausschließlich den
Renteneinkünften i.S. des § 22 Nr. 1 EStG als
Werbungskosten zugeordnet.
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a) Wie der Senat in seinem erst nach dem
FG-Urteil ergangenen Urteil in BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231 =
SIS 19 02 18 ausgeführt hat, sind Finanzierungskosten für
den Erwerb einer SKR, die den Abschluss einer Rentenversicherung
als Versorgungskomponente und einer Lebensversicherung als
Tilgungskomponente zum Gegenstand hat, auch nach der
Einführung des Werbungskostenabzugsverbots nach § 20 Abs.
9 EStG zum 01.01.2009 aufzuteilen in Werbungskosten, die anteilig
den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20
Abs. 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31.12.2004
geltenden Fassung (EStG 2004) und den sonstigen Einkünften
i.S. des § 22 Nr. 1 EStG zuzuordnen sind. Danach stellen
Finanzierungskosten für eine SKR nur insoweit Werbungskosten
bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 Nr. 1 EStG
dar, wie sie anteilig auf die Finanzierung der Rentenversicherungen
entfallen. Soweit die Schuldzinsen auf die Finanzierung der
Lebensversicherungen entfallen, handelt es sich um vorweggenommene
Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen
i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG 2004, so dass ab dem
01.01.2009 das Werbungskostenabzugsverbot nach § 20 Abs. 9
EStG greift. Auf die Ausführungen hierzu in der
Urteilsbegründung des Senatsurteils in BFHE 263, 216, BStBl II
2019, 231 = SIS 19 02 18 wird Bezug genommen.
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b) Entgegen den Ausführungen der
Kläger sind diese Grundsätze auch auf die vorliegenden
SKR anzuwenden. Zwar dienen die Auszahlungen aus den
Lebensversicherungen auch im vorliegenden Fall der Finanzierung der
Einmalzahlung der Sofortrente, so dass ein Bezug zu den
Renteneinkünften besteht. Das Finanzierungskonzept setzt aber
als notwendiges Zwischenziel die Erzielung von Einkünften aus
Kapitalvermögen voraus. Die Lebensversicherungen treten somit
als eigenständige Erwerbsquelle steuerpflichtiger Einnahmen
zwischen die Schuldzinsen und die Renteneinnahmen und
verdrängen damit den (etwaigen) - entfernteren -
Veranlassungszusammenhang der Schuldzinsen mit den Einnahmen aus
den Rentenversicherungen. Die Verwendung der Erträge aus den
Lebensversicherungen zur Tilgung der
„Rentendarlehen“ vermag somit den unmittelbaren
Veranlassungszusammenhang der Schuldzinsen mit den Einkünften
aus Kapitalvermögen (soweit sie darauf entfallen) nicht zu
verdrängen, selbst wenn der Kläger dadurch die Dauer der
Fremdfinanzierung der Rentenversicherungen abkürzt. Dies
stellt lediglich, wie auch die Verwendung anderer Eigenmittel zu
diesem Zweck, eine steuerlich unbeachtliche Einkommensverwendung
dar. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von dem
Sachverhalt, der dem BFH-Urteil vom 25.02.2009 - IX R 62/07 (BFHE
224, 351, BStBl II 2009, 459 = SIS 09 13 46) zu Grunde lag.
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c) Da die Vorentscheidung diesen
Maßstäben nicht entspricht, ist sie aufzuheben.
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2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat
von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend keinerlei Feststellungen
dazu getroffen, ob die vom FA vorgenommene Aufteilung der
Finanzierungskosten auf die Renteneinkünfte und die
Einkünfte aus Kapitalvermögen in den Streitjahren
zutreffend ist und wird diese im zweiten Rechtsgang unter Beachtung
des Senatsurteils in BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231 = SIS 19 02 18 nachzuholen haben.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143
Abs. 2 FGO.
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