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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) lebte im Streitjahr 2007 bereits seit mehreren Jahren
von seiner Ehefrau (E) dauernd getrennt. Er leistete ihr
Barunterhalt, den der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt
- FA - ) in den Vorjahren 2003 bis 2006 beim Kläger
antragsgemäß und mit Zustimmung der E als Sonderausgaben
gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) berücksichtigte. Die letzte Zustimmungserklärung
der E datiert vom 30.12.2009.
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Die Einkommensteuererklärung 2007
ließ der Kläger von seinem Steuerberater (S)
vorbereiten. S nutzte hierfür die Steuerberatungssoftware
eines großen kommerziellen Anbieters (A). Er
übermittelte die Daten am 8.3.2010 elektronisch an das FA; am
Folgetag gingen die Anlagen zur Einkommensteuererklärung in
Papierform beim FA ein. Weder in den elektronisch
übermittelten Daten noch in den per Post übersandten
Unterlagen wurden Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben geltend
gemacht. Das FA veranlagte mit Bescheid vom 20.4.2010
erklärungsgemäß. Dieser Bescheid enthielt - mit
Ausnahme einer teilweisen Vorläufigkeitserklärung im
Hinblick auf anhängige Musterverfahren hinsichtlich der
Verfassungsmäßigkeit bestimmter, hier nicht
einschlägiger Normen - keine Nebenbestimmung. Er wurde nicht
angefochten.
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Am 30.8.2010 beantragte S für den
Kläger - unter Beifügung einer Anlage U - die
Änderung des Bescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der
Abgabenordnung (AO) oder dessen Berichtigung nach § 129 AO
dahingehend, dass Unterhaltsleistungen in Höhe von 13.800 EUR
als Sonderausgaben abgezogen werden. Er brachte vor, die verwendete
Software der A habe für das Jahr 2007 einen Programmierfehler
aufgewiesen. Unterhaltsaufwendungen würden im Rahmen der
Datenübernahme aus dem Vorjahr zwar auf dem Bildschirm des
Softwarenutzers angezeigt, jedoch weder in die dem FA zu
übermittelnden Daten noch in die Papierausdrucke der
Steuererklärung übernommen. A habe auf diesen Fehler zwar
seit dem 5.11.2008 in ihrem Internetangebot hingewiesen und eine
Möglichkeit zu seiner Vermeidung aufgezeigt; dieser Hinweis
müsse einem Steuerberater aber nicht bekannt sein. Nach
Ergehen des Steuerbescheids habe S die - ihm vom FA auch
elektronisch zur Verfügung gestellten - Bescheiddaten
lediglich mit den von ihm dem FA über die A-Software
übermittelten Daten verglichen, was berufsüblich sei und
keine Abweichungen ergeben habe.
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Das FA lehnte den Änderungsantrag ab.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG)
führte zur Begründung seiner klageabweisenden
Entscheidung aus (EFG 2012, 2183 = SIS 12 28 87), eine Berichtigung
nach § 129 AO komme nicht in Betracht, weil der Fehler dem FA
nur unter Heranziehung der Steuerakten der Vorjahre hätte
auffallen können, was nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung die Annahme eines mechanischen Versehens
ausschließe.
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Zwar ermögliche die Vorschrift des
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eine Änderung, wenn erst
nach Eintritt der Bestandskraft des bisherigen Bescheids sowohl die
Zustimmungserklärung erteilt als auch der Antrag gestellt
werde (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12.7.1989 X R 8/84,
BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 = SIS 89 21 04). Dies solle dem
Umstand Rechnung tragen, dass die Zustimmung des
Unterhaltsempfängers für den Geber mitunter schwierig zu
erlangen sei. Sei die Zustimmung im Zeitpunkt des Eintritts der
Bestandskraft aber bereits erklärt, gebe es kein
Bedürfnis dafür, einen nachträglichen Antrag des
Gebers unter Durchbrechung der Bestandskraft zurückwirken zu
lassen. In solchen Fällen habe es der Steuerpflichtige selbst
in der Hand, den Antrag rechtzeitig zu stellen.
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Auch eine Änderung nach § 173
Abs. 1 Nr. 2 AO scheide aus. Zum einen sei der Antrag nicht als
nachträglich bekanntgewordene Tatsache, sondern als
nachträglich entstandene Tatsache anzusehen. Zum anderen habe
S grob schuldhaft gehandelt, indem er den Steuerbescheid nur mit
den von ihm übermittelten Daten, nicht aber mit den bereits in
mehreren Vorjahren geltend gemachten Beträgen verglichen habe.
Dieses Verschulden sei dem Kläger zuzurechnen.
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Mit seiner Revision greift der Kläger
das Urteil der Vorinstanz hinsichtlich der Ausführungen zu
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO an. Der Antrag stehe in sachlich
untrennbarem Zusammenhang mit der Zustimmungserklärung;
einkommensteuerrechtlich relevant sei allein der durch die
Zustimmungserklärung des Empfängers qualifizierte Antrag
des Gebers. Daher sei es nicht möglich, zwar die
Zustimmungserklärung, nicht aber den Antrag als
rückwirkendes Ereignis anzusehen. Ferner gebe es keinen
Grundsatz, wonach Anträge, die nach dem Gesetz nicht
ausdrücklich fristgebunden seien, nur bis zur Bestandskraft
des Bescheids gestellt werden könnten. Da für die
Besteuerung des Empfängers zweifellos erst der Antrag das
auslösende - und ggf. auch rückwirkende - Ereignis
darstelle, müsse dies wegen der materiell-rechtlichen
Korrespondenz zwischen dem Sonderausgabenabzug des Gebers und der
Versteuerung beim Empfänger auch für den Geber
gelten.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil, die
Einspruchsentscheidung vom 5.5.2011 und den Ablehnungsbescheid vom
2.9.2010 aufzuheben und das FA zu verpflichten, den
Einkommensteuerbescheid 2007 vom 20.4.2010 dahingehend zu
ändern, dass anstelle des Sonderausgaben-Pauschbetrags
Unterhaltsleistungen in Höhe von 13.800 EUR als Sonderausgaben
berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
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1. Soweit das FG die gesetzlichen
Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 129 AO oder
eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO als nicht
erfüllt ansieht, nimmt die Revision dies hin. Im Hinblick
darauf sieht der Senat von weiteren Ausführungen zu der
insoweit zutreffenden Entscheidung des FG ab.
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2. Darüber hinaus ist auch eine
Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht
möglich.
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a) Nach dieser Vorschrift ist ein
Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das
steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Ob ein Ereignis
ausnahmsweise steuerlich in die Vergangenheit zurückwirkt,
richtet sich allein nach den Normen des jeweils einschlägigen
materiellen Steuerrechts (Beschluss des Großen Senats des BFH
vom 19.7.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 = SIS 93 23 33, unter C.II.1.c, m.w.N.). Es muss ein Bedürfnis
bestehen, eine schon bestandskräftig getroffene Regelung an
die nachträgliche Sachverhaltsänderung anzupassen
(BFH-Urteil in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 = SIS 89 21 04,
unter 1.a).
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b) Räumt das Gesetz dem Steuerpflichtigen
ein Wahlrecht ein, dessen Ausübung keiner ausdrücklichen
zeitlichen Begrenzung unterliegt, ergibt sich eine solche
Begrenzung nach ständiger höchstrichterlicher
Rechtsprechung - jedenfalls vorbehaltlich des Vorliegens besonderer
Ausnahmekonstellationen - gleichwohl durch das allgemeine
verfahrensrechtliche Institut der Bestandskraft (BFH-Urteil vom
30.8.2001 IV R 30/99, BFHE 196, 507, BStBl II 2002, 49 = SIS 02 02 45, unter II.2.a, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
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Die von der Rechtsprechung bisher angenommenen
Ausnahmen von diesem Grundsatz sind in aller Regel dadurch
gekennzeichnet, dass zumindest bei einer übergreifenden
Betrachtung noch keine vollständige Bestandskraft eingetreten
war (vgl. BFH-Urteil vom 3.3.2005 III R 22/02, BFHE 209, 454, BStBl
II 2005, 690 = SIS 05 31 25: ein Antrag auf getrennte Veranlagung,
den ein Ehegatte vor Bestandskraft des ihm gegenüber
ergangenen Zusammenveranlagungsbescheids stellt, ist für den
anderen Ehegatten als rückwirkendes Ereignis anzusehen;
BFH-Urteil vom 10.11.2004 II R 24/03, BFHE 207, 364, BStBl II 2005,
182 = SIS 05 04 80: die Erklärung des Schenkers, den
schenkungsteuerrechtlichen Freibetrag für
Betriebsvermögen in Anspruch nehmen zu wollen, ist dann ein
rückwirkendes Ereignis, wenn die Schenkungsteuerfestsetzung
hinsichtlich des Betriebsvermögens noch vorläufig ist;
anders jedoch BFH-Urteil vom 12.1.1994 II R 72/91, BFHE 173, 226,
BStBl II 1994, 302 = SIS 94 12 15: der Antrag nach § 23 Abs. 1
Satz 2 des Grunderwerbsteuergesetzes auf Anwendung des ab dem
1.1.1983 geltenden Rechts auf Erwerbsvorgänge vor diesem
Stichtag stellt auch dann ein rückwirkendes Ereignis dar, wenn
nicht nur die Grunderwerbsteuerfestsetzung, sondern auch die
Festsetzung einer Nachsteuer bereits bestandskräftig geworden
ist).
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c) Eine solche Ausnahmekonstellation hat der
erkennende Senat im Urteil in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 =
SIS 89 21 04 in Bezug auf das Realsplitting auch für den Fall
bejaht, dass erst nach Eintritt der Bestandskraft des
ursprünglichen Einkommensteuerbescheids sowohl die Zustimmung
des Empfängers der Unterhaltsleistungen erteilt als auch der
Antrag des Gebers gestellt wurde (ebenso BFH-Urteil vom 10.10.1996
III R 94/93, BFHE 181, 458 = SIS 97 04 04 zur Übertragung des
Kinderfreibetrags, wenn sowohl Antrag als auch Zustimmung erst nach
Bestandskraft des ursprünglichen Bescheids vorliegen).
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Dem Kläger ist zuzugeben, dass der Senat
in dieser Entscheidung ausgeführt hat, der Antrag sei nicht
nur Verfahrenshandlung, sondern in sachlich untrennbarem
Zusammenhang mit der Zustimmung des Empfängers selbst Merkmal
des gesetzlichen Tatbestands und wirke in dieser Eigenschaft
unmittelbar rechtsgestaltend und nachträglich auf die
Steuerschuld ein. Antrag und Zustimmung dürften nicht
losgelöst voneinander beurteilt werden.
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Diese Ausführungen könnten - bei
isolierter Betrachtung - dafür sprechen, dass es nicht darauf
ankomme, ob die Zustimmungserklärung des Empfängers im
Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft des ursprünglichen
Bescheids bereits vorlag oder ob - wie im Fall des Senatsurteils in
BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 = SIS 89 21 04 - beide
Verfahrenserklärungen erst nachträglich abgegeben
wurden.
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Eine solche Betrachtung würde indes dem
Umstand nicht gerecht, dass die vorstehend zitierten
Ausführungen in der angeführten Entscheidung auf der
Einschätzung des Senats fußen, die Rückwirkung des
rechtsgestaltenden Antrags ergebe sich aus der Erwägung, die
erforderliche Zustimmung des Empfängers werde in typischen
Fällen erst nachträglich erteilt. Daher bestehe ein
Bedürfnis, eine schon bestandskräftig gewordene Regelung
an die nachträgliche Änderung des Sachverhalts
anzupassen. Grundlage für diese Erwägung war die im
damaligen Streitjahr (1979) geltende Rechtslage, wonach die
Zustimmung keine Dauerwirkung hatte, sondern für jeden
Veranlagungszeitraum erneut erteilt werden musste, was stets ein
nochmaliges, auf den einzelnen Veranlagungszeitraum bezogenes
Zusammenwirken des Unterhaltspflichtigen mit seinem geschiedenen
oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten zur Erlangung der
Zustimmung voraussetzte.
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Demgegenüber hat die Zustimmung seit 1990
grundsätzlich Dauerwirkung (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4
EStG); ein Widerruf hat nur Wirkung für Kalenderjahre, die
erst nach dem Widerruf beginnen (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 5
EStG). Damit ist seither nicht mehr davon auszugehen, dass die
Zustimmung typischerweise erst nach Ablauf des
Veranlagungszeitraums erteilt wird. Vielmehr ist die dauerhaft
wirkende Zustimmung die Regel. In einem solchen Fall besteht aber
jedenfalls dann kein Bedürfnis für eine
bestandskraftdurchbrechende Rückwirkung - allein - des
Antrags, wenn die Zustimmungserklärung dem Geber im Zeitpunkt
des Eintritts der Bestandskraft des ursprünglichen Bescheids
tatsächlich bereits vorliegt (ebenso Kulosa in Herrmann/Heuer/
Raupach, § 10 EStG Rz 62 a.E.; dem vorinstanzlichen Urteil im
vorliegenden Verfahren zustimmend auch Schmidt/Heinicke, EStG, 33.
Aufl., § 10 Rz 53; ähnlich von Groll in
Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 175 AO Rz 65; anderer
Ansicht Söhn, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG,
§ 10 Rz C 62). Vielmehr hat es in einer solchen - auch im
vorliegenden Fall gegebenen - Sachverhaltskonstellation allein der
Geber in der Hand, den durch die bereits vorliegende
Zustimmungserklärung qualifizierten Antrag rechtzeitig vor
Eintritt der Bestandskraft zu stellen oder nicht.
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d) Dem steht das - zu der seit 1990 geltenden
Rechtslage ergangene - BFH-Urteil vom 28.6.2006 XI R 32/05 (BFHE
214, 314, BStBl II 2007, 5 = SIS 06 37 72) nicht entgegen. Im
dortigen Streitfall lag dem Geber zwar eine
Zustimmungserklärung über einen niedrigeren Betrag vor.
Erst nach Bestandskraft der Veranlagung konnte er aber eine
Zustimmungserklärung über den Abzug von
Unterhaltsleistungen im Umfang des gesetzlichen Höchstbetrags
erlangen und einen entsprechend erweiterten Antrag stellen. Damit
befindet sich ein solcher Geber - wie der XI. Senat zu Recht
ausführt - in derselben Situation wie ein Steuerpflichtiger,
der noch gar keine Zustimmungserklärung des Empfängers
erlangt hat. Mit Sachverhalten, in denen im Zeitpunkt des Eintritts
der Bestandskraft eine - auch der Höhe nach hinreichende -
Zustimmungserklärung bereits vorliegt, ist dies jedoch nicht
vergleichbar.
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Die Auffassung des Senats steht auch nicht in
Widerspruch zu der finanzgerichtlichen Rechtsprechung, wonach
für die Besteuerung des Empfängers der
Unterhaltsleistungen der Antrag des Gebers unabhängig vom
Zeitpunkt der Zustimmung des Empfängers ein rückwirkendes
Ereignis darstellt (vgl. Urteile des FG Köln vom 27.4.1995 2 K
3854/94, EFG 1995, 893, und des FG Hamburg vom 13.6.1995 III
170/93, EFG 1995, 894). Im Hinblick auf die zutreffende Besteuerung
des Empfängers besteht hier ein Bedürfnis an der
Rückwirkung des - im Übrigen nicht von diesem, sondern
von dem Geber als Dritten gestellten - Antrags, weil ansonsten die
im Gesetz angelegte materiell-rechtliche Korrespondenz zwischen dem
Sonderausgabenabzug beim Geber und der Versteuerung als sonstige
Einkünfte beim Empfänger bei einer bestimmten zeitlichen
Abfolge von Zustimmung, Veranlagung und Antrag verfahrensrechtlich
vereitelt würde.
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e) Im Streitfall lag dem Kläger eine
Zustimmungserklärung der E jedenfalls seit dem 30.12.2009 vor.
Er reichte seine Einkommensteuererklärung für das
Streitjahr 2007 erst nach diesem Zeitpunkt - am 8.3.2010 - beim FA
ein. Der Einkommensteuerbescheid 2007 vom 20.4.2010 ist am
25.5.2010 bestandskräftig geworden. Ein Bedürfnis, den
erst am 30.8.2010 gestellten Antrag auf Berücksichtigung der
Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben zurückwirken zu
lassen, besteht vor diesem Hintergrund nicht.
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