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I. Die Beteiligten streiten um den Abzug
von Aufwendungen für ein Erststudium als vorweggenommene
Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger
Arbeit.
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Der in der Wohnung seiner Eltern in A mit
Zweitwohnsitz gemeldete ledige Kläger und Revisionskläger
(Kläger) absolvierte seit dem Sommersemester 2003
zunächst an der Universität B und später an der
Universität C ein Jurastudium als Erststudium. Am jeweiligen
Studienort, an dem er jeweils mit Hauptwohnsitz gemeldet war,
unterhielt er eine sog. „Studentenbude“ von knapp 25
qm.
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Im Rahmen seiner
Einkommensteuererklärungen und Erklärungen zur
Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge für die
Streitjahre 2004 und 2005 machte der Kläger Aufwendungen in
Höhe von 5.461 EUR (2004) bzw. 3.865 EUR (2005) als
vorweggenommene Betriebsausgaben bei den Einkünften aus
selbständiger Arbeit geltend. Hiervon entfielen 4.476 EUR
(2004) bzw. 2.649 EUR (2005) auf Miete und Strom für die
Wohnung am Studienort und 192 EUR (2004) bzw. 140 EUR (2005) auf
Telefonkosten. Das zunächst zuständige Finanzamt C
erkannte die erklärten negativen Einkünfte aus
selbständiger Arbeit nicht an, setzte die Einkommensteuer
für 2004 und 2005 auf 0 EUR fest und stellte - jeweils unter
Fortschreibung des zum 31.12.2003 festgestellten Verlustvortrags -
die verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer zum
31.12.2004 und 31.12.2005 auf jeweils 1.661 EUR fest.
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Im anschließenden beim Finanzgericht
C geführten Klageverfahren erklärte der Kläger
bisher nicht angegebene Einnahmen aus Kapitalvermögen von
2.085 EUR (2004) und 2.780 EUR (2005) sowie aus selbständiger
Arbeit von 1.000 EUR (2005) nach. Der inzwischen durch einen
Wohnortwechsel des Klägers zuständig gewordene Beklagte
und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) stellte daraufhin mit
geänderten Bescheiden vom 2.11.2009 die verbleibenden
Verlustvorträge zur Einkommensteuer auf den 31.12.2004 auf 997
EUR und auf den 31.12.2005 auf 0 EUR fest. In diesen Bescheiden,
die gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
Gegenstand des Verfahrens geworden sind, blieben die Studienkosten
weiterhin unberücksichtigt.
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Mit der daraufhin an das Finanzgericht (FG)
verwiesenen Klage begehrte der Kläger, seine Studienkosten als
vorweggenommene Betriebsausgaben abzuziehen. Das FG wies die Klage
mit seinem in EFG 2012, 1433 = SIS 12 18 18 veröffentlichten
Urteil vom 18.4.2012 10 K 4400/09 F ab.
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Dagegen richtet sich die Revision. Der
Kläger macht geltend, seine Studienkosten müssten als
vorweggenommene Betriebsausgaben berücksichtigt werden,
andernfalls werde gegen das Nettoprinzip verstoßen. Denn sein
Studium der Rechtswissenschaften habe final im Zusammenhang mit
seiner späteren, inzwischen ausgeübten
Berufstätigkeit als Rechtsanwalt gestanden. Die in § 4
Abs. 9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der
Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher
Vorschriften (BeitrRLUmsG) vom 7.12.2011 (BGBl I 2011, 2592) - EStG
- erfolgte angebliche „Klarstellung“, dass Aufwendungen
für die erstmalige Berufsausbildung bzw. ein Erststudium ohne
vorangegangene Berufsausbildung keine Betriebsausgaben oder
Werbungskosten seien, sei in seinem Fall schon deshalb nicht
anzuwenden, weil die in § 52 Abs. 12, Abs. 23d und Abs. 30a
EStG angeordnete Geltung der vorgenannten Vorschriften ab dem
Veranlagungszeitraum 2004 gegen das Rückwirkungsverbot
verstoße und daher verfassungswidrig sei.
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Der Kläger beantragt, das FG-Urteil
aufzuheben und die Bescheide vom 2.11.2009 über die
Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge zum 31.12.2004
bzw. zum 31.12.2005 dahin zu ändern, dass der verbleibende
Verlustvortrag gemäß § 10d Abs. 4 EStG in der
für die Streitjahre geltenden Fassung unter
Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben in Höhe von
5.461 EUR (für 2004) und in Höhe von 3.865 EUR (für
2005) festgestellt wird.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Die Beteiligten haben übereinstimmend
auf mündliche Verhandlung verzichtet.
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II. Die Revision des Klägers ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
FGO). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die
angefochtenen Bescheide vom 2.11.2009 über die gesonderte
Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge zur
Einkommensteuer auf den 31.12.2004 und 31.12.2005
rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen
Rechten verletzen (§ 100 Abs. 1 FGO).
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1. Zutreffend geht das FG davon aus, dass es
sich bei den Aufwendungen des Klägers um solche für ein
Erststudium handelt, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt
und nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattgefunden
hat. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Es handelt sich
daher um Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung, die
gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der für die
Streitjahre 2004 und 2005 geltenden Fassung bis zu 4.000 EUR im
Kalenderjahr als Sonderausgaben abzugsfähig sind. Zwar ist
nach dem Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG in der für
die Streitjahre geltenden Fassung der Abzug von Werbungskosten bzw.
Betriebsausgaben gegenüber dem Abzug von Aufwendungen als
Sonderausgaben vorrangig (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
28.7.2011 VI R 7/10, BFHE 234, 271, BStBl II 2012, 557 = SIS 11 26 72, und VI R 38/10, BFHE 234, 279, BStBl II 2012, 561 = SIS 11 26 71). Dass die hier streitigen Aufwendungen indes keine
(vorweggenommenen) Betriebsausgaben bei den Einkünften aus
selbständiger Arbeit sind, ordnet § 12 Nr. 5 i.V.m.
§ 4 Abs. 9 EStG ausdrücklich an. In § 4 Abs. 9 EStG
heißt es dazu: „Aufwendungen des Steuerpflichtigen
für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein
Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, sind
keine Betriebsausgaben“; entsprechend ist auch § 12
Nr. 5 EStG formuliert.
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§ 4 Abs. 9 und § 12 Nr. 5 EStG sind
gemäß Art. 25 Abs. 4 BeitrRLUmsG am Tag nach der
Verkündung des BeitrRLUmsG, d.h. am 14.12.2011, in Kraft
getreten und gemäß § 52 Abs. 12 Satz 11 bzw. §
52 Abs. 30a EStG für Veranlagungszeiträume ab 2004
anzuwenden. Die Auffassung des FG, bei den Aufwendungen des
Klägers handele es sich um Sonderausgaben, ist
revisionsrechtlich daher nicht zu beanstanden.
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2. Entgegen der Auffassung des Klägers
ist die gesetzliche Neuregelung betreffend Aufwendungen für
ein Erststudium bzw. eine erstmalige Berufsausbildung
außerhalb eines Dienstverhältnisses, die der Gesetzgeber
mit § 4 Abs. 9 und § 12 Nr. 5 EStG sowie § 52 Abs.
12 Satz 11 und Abs. 30a EStG geschaffen hat, unter
verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden (so
auch Urteil des FG des Saarlandes vom 4.4.2012 2 K 1020/09 = SIS 13 05 71; Urteil des FG Münster vom 20.12.2011 5 K 3975/09 F, EFG
2012, 612 = SIS 12 08 11; Urteile des FG Köln vom 17.7.2013 14
K 3720/12, juris = SIS 13 26 96, und 14 K 587/13, EFG 2013, 1745 =
SIS 13 26 97; vom 22.5.2012 15 K 3413/09, EFG 2012, 1735 = SIS 12 20 67; Urteil des FG Düsseldorf vom 14.12.2011 14 K 4407/10 F,
EFG 2012, 686 = SIS 12 14 79; im Ergebnis ebenso Förster, DStR
2012, 486; Trossen, FR 2012, 501; ders. in EFG 2012, 614; Fischer,
jurisPR-SteuerR 38/2012, Anm. 1).
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a) Die Neuregelungen verstoßen
insbesondere nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip
abgeleitete Rückwirkungsverbot. Da die Rechtsfolgen der
Neuregelungen mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer
Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände
gelten sollen - hier: Veranlagungszeiträume 2004 und 2005 -
handelt es sich um einen Fall der sog. echten Rückwirkung
(Rückbewirkung von Rechtsfolgen). Eine solche ist
grundsätzlich unzulässig, denn bis zum Zeitpunkt der
Verkündung einer Norm, zumindest bis zum endgültigen
Gesetzesbeschluss, müssen die von einem Gesetz Betroffenen
grundsätzlich darauf vertrauen können, dass ihre auf
geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine
zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen
Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (ständige
Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -
BVerfG - vom 7.7.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE
127, 1, BStBl II 2011, 76 = SIS 10 22 45, m.w.N.).
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b) Dieses Rückwirkungsverbot kann jedoch
durchbrochen werden, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen
auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, etwa weil die
Rechtslage unklar und verworren war; auch ist es dem Gesetzgeber
unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt,
rückwirkend eine Rechtslage festzuschreiben, welche vor der
Änderung einer Rechtsprechung einer einheitlichen Rechtspraxis
und gefestigter Rechtsprechung entsprach (BVerfG,
Nichtannahmebeschluss vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187,
m.w.N.; BVerfG-Urteil vom 23.11.1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239;
BVerfG-Entscheidung vom 19.12.1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13,
261).
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c) Im Streitfall hat der Gesetzgeber mit der
Neufassung von § 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5
EStG lediglich seine bisherige Auffassung zum Werbungskosten- und
Betriebsausgabenabzugsverbot für Kosten der Erstausbildung,
die er bereits in früheren Jahren vertreten und die er im
Rahmen des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und
weiterer Gesetze (AOÄndG) vom 21.7.2004 (BGBl I 2004, 1753)
nochmals bestätigt hat, erneut bekräftigt. Mit dem
AOÄndG hatte der Gesetzgeber Aufwendungen für die eigene
Berufsausbildung im neu gefassten § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG bis
zur Höhe von 4.000 EUR im Kalenderjahr zum Sonderausgabenabzug
zugelassen und gleichzeitig § 12 EStG durch eine neue Nr. 5
ergänzt, wonach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für
seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium als
nichtabzugsfähige Ausgaben zu bewerten sind, es sei denn,
diese Maßnahmen finden im Rahmen eines
Dienstverhältnisses statt. Diese Regelung trat
gemäß Art. 6 des AOÄndG mit Wirkung vom 1.1.2004 in
Kraft. Diesem grundsätzlichen Abzugsverbot für Kosten der
beruflichen Erstausbildung entsprach auch die langjährige
Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteile vom 17.4.1996 VI R 94/94,
BFHE 180, 341, BStBl II 1996, 450 = SIS 96 18 04, m.w.N.; vom
4.12.2002 VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74; vom 17.12.2002 VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003,
407 = SIS 03 07 75, und vom 27.5.2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314,
BStBl II 2004, 884 = SIS 03 29 58). Diese langjährige
Rechtsanwendungspraxis hat der BFH endgültig erst im Juli 2011
aufgegeben und entschieden, das seit 2004 geltende
grundsätzliche Abzugsverbot für Kosten eines Studiums und
einer Erstausbildung stehe der Abziehbarkeit beruflich veranlasster
Kosten für eine Erstausbildung oder für ein Erststudium
selbst dann nicht entgegen, wenn diese Maßnahmen unmittelbar
im Anschluss an die Schulausbildung durchgeführt werden
(BFH-Urteile vom 28.7.2011 VI R 5/10, BFHE 234, 262, BStBl II 2012,
553 = SIS 11 28 17; VI R 8/09, BFH/NV 2011, 2038 = SIS 11 36 45; VI
R 38/10, BFHE 234, 279, BStBl II 2012, 561 = SIS 11 26 71; VI R
59/09, BFH/NV 2012, 19 = SIS 11 38 80; in BFHE 234, 271, BStBl II
2012, 557 = SIS 11 26 72). Auf diese geänderte Rechtsprechung
hat der Gesetzgeber reagiert und mit der Neufassung von § 4
Abs. 9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG lediglich seinen
bereits 2004 zu Tage getretenen Willen verdeutlicht.
Demgemäß sieht der Gesetzgeber die gesetzlichen
Änderungen im BeitrRLUmsG auch lediglich als Klarstellung an
(vgl. Bericht des Finanzausschusses vom 26.10.2011 zum
Gesetzentwurf, BTDrucks 17/7524, S. 10 f.).
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Für den Kläger bestand daher kein
schutzwürdiges Vertrauen in die durch die vorgenannten
BFH-Urteile vom 28.7.2011 geschaffene Rechtslage. Auch wenn der BFH
ab 2002 die Grenze zwischen den nur als Sonderausgaben abziehbaren
Ausbildungskosten und den unter bestimmten Voraussetzungen als
Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehbaren Fortbildungskosten
in Richtung Fortbildungskosten verschoben hat, hat der BFH die
grundsätzliche Abziehbarkeit von Aufwendungen für ein
Erststudium, welches zugleich eine Erstausbildung vermittelt,
erstmalig mit den vorstehend genannten Entscheidungen vom
28.7.2011, d.h. weit nach Ablauf der Streitjahre 2004 und 2005,
bejaht. Zutreffend geht das FG deshalb davon aus, dass der
Kläger aus der Rechtsprechung des BFH aus den Jahren vor 2011
kein schutzwürdiges Vertrauen herleiten kann.
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Nämliches gilt für die
geänderte Rechtsprechung des BFH aus dem Juli 2011. Für
die Streitjahre 2004 und 2005 kann sie schon deshalb nicht
vertrauensschaffend sein, da sie zum damaligen Zeitpunkt noch
niemandem bekannt sein konnte. Ein Vertrauenstatbestand hätte
sich deshalb erstmals ab Veröffentlichung der Urteile ab dem
17.8.2011 entwickeln können. Nicht zuletzt aufgrund der sofort
aufgekommenen steuerpolitischen Diskussion (vgl. BTDrucks 17/6978
und 17/7259) konnte der Kläger auf den Fortbestand der durch
die neuen BFH-Urteile geschaffenen Rechtslage aber nicht vertrauen,
zumal die Neuregelung der §§ 4, 9 und 12 EStG im Rahmen
der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen
Bundestages zum BeitrRLUmsG vom 26.10.2011 bereits weniger als drei
Monate nach Veröffentlichung der geänderten
BFH-Rechtsprechung bekannt geworden ist (so auch Urteil des FG
Münster in EFG 2012, 612 = SIS 12 08 11; Urteile des FG
Köln in EFG 2012, 1735 = SIS 12 20 67; in EFG 2013, 1745 = SIS 13 26 97; vom 17.7.2013 14 K 3720/12, juris = SIS 13 26 96; Urteil
des FG Düsseldorf in EFG 2012, 686 = SIS 12 14 79; Urteil des
FG des Saarlandes vom 4.4.2012 2 K 1020/09, juris = SIS 13 05 71;
Förster in DStR 2012, 486; Trossen in FR 2012, 501; Fischer in
jurisPR-SteuerR 38/2012, Anm. 1).
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d) Die gesetzlichen Neuregelungen in § 4
Abs. 9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG sowie § 52
Abs. 12 Satz 11 bzw. § 52 Abs. 30a EStG verstoßen auch
nicht gegen den Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes in dessen Ausprägung durch das Prinzip der
Leistungsfähigkeit und das Gebot der Folgerichtigkeit.
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aa) Zutreffend geht die Vorinstanz davon aus,
dass der Gesetzgeber die für die Lastengleichheit im
Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle
Leistungsfähigkeit nach dem objektiven und nach dem
subjektiven Nettoprinzip bemisst. Unabhängig davon, ob dem
Nettoprinzip Verfassungsrang zukommt oder nicht, zählt doch
die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe
des Nettoprinzips zu den Grundentscheidungen des Gesetzgebers.
Soweit es um die folgerichtige Umsetzung der mit dem objektiven
Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung geht, bedürfen
Ausnahmen besonderer, sachlich begründeter Rechtfertigung. Als
solche kommen insbesondere Typisierungs- und
Vereinfachungserfordernisse in Betracht (ständige
Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss vom 6.7.2010 2 BvL 13/09,
BVerfGE 126, 268, BStBl II 2011, 318 = SIS 10 19 16, m.w.N.;
BVerfG-Urteil vom 9.12.2008 2 BvL 1, 2/07, 2 BvL 1, 2/08, BVerfGE
122, 210 = SIS 08 43 42). Eine Typisierung ist eine normative
Zusammenfassung bestimmter in wesentlichen Elementen gleich
gearteter Lebenssachverhalte. Besonderheiten, die im
Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können
generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf
sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht
gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen
Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen
müssen allerdings auf eine möglichst breite, alle
betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände
einschließende Beobachtung aufbauen. Insbesondere darf der
Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen
Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht
den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (BVerfG-Urteil
in BVerfGE 122, 210 = SIS 08 43 42).
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bb) Auf eine solche Typisierung hat sich der
Gesetzgeber mit den Neuregelungen von § 4 Abs. 9, § 9
Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG durch das BeitrRLUmsG bezogen;
nämliches hatte er bereits mit der Neufassung des § 10
Abs. 1 Nr. 7 EStG und mit der Neuschaffung des § 12 Nr. 5 EStG
durch das AOÄndG im Jahr 2004 ausdrücklich getan (vgl.
BTDrucks 15/3339, S. 10) und seine damalige Auffassung mit der
Neufassung der Vorschriften durch das BeitrRLUmsG lediglich
nochmals klargestellt (vgl. Bericht des Finanzausschusses zum
Gesetzentwurf, BTDrucks 17/7524, S. 10 f.).
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cc) Der Senat hat keine Bedenken, dass der
Gesetzgeber mit der Neufassung der Vorschriften
realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zu
Grunde gelegt hat. Durch die Zuordnung der Aufwendungen für
eine erstmalige Berufsausbildung bzw. für ein Erststudium zu
den Sonderausgaben und damit die Beschränkung des Abzugs auf
4.000 EUR im Jahr (ab Veranlagungszeitraum 2012 6.000 EUR)
dürfte sich in der überwiegenden Zahl der Fälle in
Folge der Versagung des Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzugs
keine relevante steuerliche Auswirkung ergeben, auch wenn der
Sonderausgabenabzug bei fehlenden positiven Einkünften
regelmäßig ins Leere läuft; auch sorgt die
Typisierung für mehr Steuergerechtigkeit und vermeidet
Widersprüche zu anderen gesetzlichen Regelungen (vgl. Trossen
in FR 2012, 501; im Ergebnis ähnlich Förster in DStR
2012, 486; Fischer in jurisPR-SteuerR 38/2012, Anm. 1; Urteil des
FG Düsseldorf in EFG 2012, 686 = SIS 12 14 79; Urteil des FG
Münster in EFG 2012, 612 = SIS 12 08 11; Urteile des FG
Köln in EFG 2012, 1735 = SIS 12 20 67; in EFG 2013, 1745 = SIS 13 26 97; vom 17.7.2013 14 K 3720/12 = SIS 13 26 96, und Urteil des
FG des Saarlandes vom 4.4.2012 2 K 1020/09, juris = SIS 13 05 71).
Dafür spricht nicht zuletzt, dass Berufsausbildungskosten noch
nicht im direkten Zusammenhang mit einer konkreten
Einnahmenerzielung im Rahmen eines bereits zugesagten
Dienstverhältnisses stehen, sondern losgelöst von einem
späteren Anstellungsverhältnis zunächst primär
der individuellen Bereicherung des Steuerpflichtigen durch die
Erlangung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Sinne einer
„Ausbildung“ dienen (Urteil des FG
Düsseldorf in EFG 2012, 686 = SIS 12 14 79, m.w.N.). Es
handelt sich damit um sog. gemischt veranlasste Aufwendungen, die
nicht zwangsläufig dem objektiven Nettoprinzip unterfallen,
weil ein unmittelbarer und direkter Anknüpfungspunkt an eine
spätere Berufstätigkeit fehlt und möglicherweise
auch private Interessen für die Aufwendungen eine Rolle
spielen (Urteil des FG Münster in EFG 2012, 1433 = SIS 12 18 18). Demgemäß steht es dem Gesetzgeber im Rahmen der ihm
zustehenden Gestaltungsfreiheit grundsätzlich frei, ob er
Aufwendungen für die berufliche Erstausbildung oder ein
Erststudium wegen ihrer Veranlassung durch die
Erwerbstätigkeit den Werbungskosten oder Betriebsausgaben
zuordnet oder ob er die private (Mit-)Veranlassung systematisch in
den Vordergrund stellt und demgemäß eine Zuordnung der
Aufwendungen zu den Sonderausgaben vornimmt (BVerfG-Beschluss vom
16.3.2005 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268 = SIS 05 30 25; in diesem
Sinne auch Förster in DStR 2012, 486). Die Entscheidung des
Gesetzgebers, den mit einer Erstausbildung verbundenen Aufwendungen
nur durch den Sonderausgabenabzug Rechnung zu tragen, ist daher
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und beinhaltet auch
keinen Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip
(Förster in DStR 2012, 486; Trossen in FR 2012, 501).
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