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Im Streitjahr 2001 betrugen die
betrieblichen, nicht auf Investitionsdarlehen entfallenden,
Schuldzinsen 74.111 DM.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) ermittelte für das Streitjahr als
Bemessungsgrundlage für den Hinzurechnungsbetrag nach § 4
Abs. 4a EStG einen Betrag von 81.804 DM. Für das Jahr 2001
ergab sich zwar eine Unterentnahme in Höhe von 4.759 DM, aus
den Vorjahren war jedoch eine verbleibende Überentnahme in
Höhe von 86.563 DM zu berücksichtigen. Den
Hinzurechnungsbetrag ermittelte das FA mit 4.908,24 DM und
erhöhte die Einkünfte des Klägers
entsprechend.
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Das Finanzgericht (FG) wies die nach
erfolglosem Einspruchsverfahren dagegen erhobene Klage mit seinem -
in EFG 2007, 572 = SIS 07 30 36 - veröffentlichten Urteil vom
19.12.2006 11 K 5373/04 E ab.
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Mit der Revision rügt der Kläger,
das FG habe § 4 Abs. 4a EStG fehlerhaft angewendet. Die
Voraussetzungen der Vorschrift seien nicht erfüllt, weil er im
Streitjahr keine Überentnahme getätigt habe. Im
Übrigen sei die Vorschrift verfassungswidrig. Sie
verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie gegen
das Übermaßverbot und enthalte eine unzulässige
Typisierung.
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Der Kläger beantragt, das angefochtene
Urteil des FG aufzuheben und den geänderten
Einkommensteuerbescheid 2001 vom 26.7.2005 dahingehend
abzuändern, dass die Einkommensteuer unter
Berücksichtigung eines Gewinns aus selbständiger Arbeit
von 164.468 DM festgesetzt wird.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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1. Das FA hat zu Recht die von dem Kläger
erklärten Einkünfte aus selbständiger Arbeit im
Streitjahr um einen Hinzurechnungsbetrag nach § 4 Abs. 4a EStG
i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 - StBereinG 1999 - vom
22.12.1999 (BStBl I 1999, 2601) - EStG 1999 - erhöht.
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a) Das FG hat für den Senat bindend
festgestellt, dass sämtliche vom Kläger erklärten
Schuldzinsen betrieblich veranlasst waren. Danach ist in einem
zweiten Schritt zu prüfen, ob der Betriebsausgabenabzug
aufgrund von Überentnahmen gemäß § 4 Abs. 4a
EStG 1999 eingeschränkt ist (vgl. zur vorrangigen
Veranlassungsprüfung einzelner Zahlungsvorgänge Urteile
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21.9.2005 X R 46/04, BFHE 211,
238, BStBl II 2006, 125 = SIS 06 01 72; vom 21.6.2006 XI R 14/05,
BFH/NV 2006, 1832 = SIS 06 38 30; vom 29.3.2007 IV R 72/02, BFHE
217, 514, BStBl II 2008, 420 = SIS 07 28 49).
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b) Zu Recht hat das FG die Vorschrift des
§ 4 Abs. 4a Satz 1 EStG 1999 auf die betrieblich veranlassten
Zinsen des Klägers angewendet.
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aa) Schuldzinsen sind nach § 4 Abs. 4a
Satz 1 EStG 1999 nicht abziehbar, wenn Überentnahmen
getätigt worden sind. Eine Überentnahme ist in Satz 2 des
§ 4 Abs. 4a EStG 1999 definiert als der Betrag, um den die
Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des
Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren
Schuldzinsen werden nach Satz 4 (nach der Änderung durch das
Steueränderungsgesetz 2001 vom 20.12.2001, BGBl I 2001, 3794 -
StÄndG 2001 - : Satz 3 der Vorschrift) typisiert mit 6 v.H.
der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der
Überentnahmen der vorangegangenen Wirtschaftsjahre und
abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen
Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen
überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt. Der sich dabei
ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 4.000 DM (jetzt:
2.050 EUR) verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen
Schuldzinsen (sog. Sockelbetrag oder Mindestabzug), ist dem Gewinn
hinzuzurechnen (Satz 5; jetzt: Satz 4). Der Abzug von Schuldzinsen
für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder
Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des
Anlagevermögens bleibt nach Satz 6 (jetzt: Satz 5)
unberührt.
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bb) Nach Ansicht des Klägers ist der
Begriff der Überentnahme abschließend durch Satz 2 der
Vorschrift definiert. Dieser sei auf das Wirtschaftsjahr bezogen.
Falls im laufenden Wirtschaftsjahr keine Überentnahme
getätigt worden sei, sei auch der gesetzliche Tatbestand des
§ 4 Abs. 4a EStG 1999 nicht erfüllt. Eine
Gewinnerhöhung komme danach nicht in Betracht, wenn im
Wirtschaftsjahr eine sog. Unterentnahme vorliege (so auch
Schallmoser in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 4 EStG Rz
1051, m.w.N., sowie Rz 1068, 1070, m.w.N.).
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cc) Gegen diese Ansicht spricht jedoch der
Wortlaut des Satzes 1, der den Regelungskern der Vorschrift bildet
und durch die nachfolgenden Sätze lediglich ergänzt wird.
§ 4 Abs. 4a Satz 1 EStG 1999 spricht in der Mehrzahl von
„Überentnahmen“, enthält aber keine
zeitliche Zuordnung der Überentnahmen zu bestimmten
Wirtschaftsjahren.
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Satz 4 der Vorschrift (jetzt: Satz 3)
lässt indes erkennen, dass die Regelung
periodenübergreifend angelegt ist und Schuldzinsen für
Überentnahmen so lange nicht abziehbar bleiben sollen, bis der
Überhang an Überentnahmen durch Gewinne und Einlagen
wieder ausgeglichen ist. Diese periodenübergreifende Regelung
greift auch dann ein, wenn im Streitjahr selbst keine
Überentnahmen gegeben sind; allerdings sind dann - insoweit
abweichend vom missglückten Gesetzeswortlaut - auch
Unterentnahmen des Streitjahres zu berücksichtigen (Nacke in
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 4
Rz 1657c; Frotscher in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998
ff., § 4 Rz 649; Seiler, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
EStG, § 4 Ea 86; Wendt, FR 2000, 417, 427 f.).
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dd) Diese Auslegung wird durch den aus der
Entstehungsgeschichte ableitbaren Gesetzeszweck bestätigt. Der
Gesetzgeber wollte mit § 4 Abs. 4a EStG Gestaltungen in Form
sog. Zwei- und Mehrkontenmodelle entgegenwirken und entwickelte im
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl I 1999,
402) zunächst ein Zurechnungskonzept, nach dem nur die
Entnahme von Liquiditätsüberschüssen zulässig
sein sollte. Mit dem StBereinG 1999 entschied sich der Gesetzgeber
dann jedoch für die jetzige Fassung. Sie basiert auf einem
Eigenkapitalmodell (vgl. zur Entstehung des § 4 Abs. 4a EStG
Seiler, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 4 Ea 1
ff.; Blümich/Wied, § 4 EStG Rz 596 f.). Der
Betriebsinhaber soll, wenn das Eigenkapital negativ ist, dem
Betrieb nicht mehr Mittel entziehen, als erwirtschaftet und
eingelegt worden sind (vgl. Meurer in Lademann, EStG, § 4 EStG
Rz 656 k (1); Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 4 Rz 529;
Blümich/Wied, § 4 EStG Rz 596; Nacke in
Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 4 Rz 1657b; Korn in Korn, §
4 EStG Rz 844.1; Frotscher in Frotscher, a.a.O., § 4 Rz 648;
FG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 13.3.2003 6 K 2363/02, EFG 2003,
831 = SIS 03 30 00, sowie 6 K 2364/02, juris = SIS 03 30 01).
Maßgeblich für die Ermittlung der nicht abziehbaren
Schuldzinsen soll daher der jährlich fortzuschreibende Saldo
aller Über- und Unterentnahmen sein.
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Die Regelung in Rdnr. 23, 24 des Schreibens
des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 17.11.2005 IV B 2 - S
2144 - 50/05 (BStBl I 2005, 1019 = SIS 05 48 97), wonach eine
Überentnahme auch dann vorliegt, wenn sich diese nur aus
Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre berechnet,
entspricht daher dem Gesetzeszweck und dem möglichen Wortsinn
des § 4 Abs. 4a EStG. Deshalb war der Gesetzgeber nicht - wie
der Kläger meint - gehalten, in einem nachfolgenden
Steuergesetz den Wortlaut der Vorschrift zu korrigieren.
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ee) Die Vorschrift des § 4 Abs. 4a EStG
muss entgegen der Auffassung des Klägers nicht bei der
Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich und der Gewinnermittlung
nach § 4 Abs. 3 EStG stets zum gleichen Ergebnis führen.
§ 4 Abs. 4a EStG ist auch auf die Überschussrechnung nach
§ 4 Abs. 3 EStG anzuwenden. Durch die unterschiedliche
Gewinnermittlung ergeben sich in einzelnen Jahren unterschiedliche
Beträge. Daher sind beim Wechsel der Gewinnermittlungsart
anfallende Übergangsgewinne zu berücksichtigen (vgl.
BMF-Schreiben in BStBl I 2005, 1019 = SIS 05 48 97 Rdnr. 8). Soweit
ein Wahlrecht hinsichtlich der Gewinnermittlung besteht, obliegt es
dem Steuerpflichtigen, das für ihn günstige Verfahren zu
wählen.
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2. Es bestehen auch keine durchgreifenden
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung des § 4
Abs. 4a EStG (a.A. Söffing, BB 2008, 417; Paus, FR 2006, 412;
Horlemann, DStR 2010, 726).
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a) Die Vorschrift ist formell
verfassungsgemäß. § 4 Abs. 4a EStG ist durch den
Vermittlungsausschuss in das EStG eingefügt worden. Durch das
StÄndG 2001 hat der Gesetzgeber § 4 Abs. 4a EStG in
Einzelfragen geändert und dadurch die Gesamtvorschrift in
seinen Willen aufgenommen. Das Demokratieprinzip in Gestalt des
Parlamentsvorbehalts wurde daher nicht verletzt (vgl. BFH-Urteil
vom 21.9.2005 X R 47/03, BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504 = SIS 06 01 73; Schallmoser, FR 2001, 509, 511; Wendt, FR 2000, 417, 423;
zum Bestätigungswillen bei vorkonstitutionellen Gesetzen vgl.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4.6.1985 1 BvL 14/84,
BVerfGE 70, 126).
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b) Auch materiell ist die Vorschrift
verfassungsgemäß. Sie ist unter dem Blickwinkel des
Nettoprinzips verfassungsrechtlich unbedenklich, da sie an
Überentnahmen und somit an private Ursachen anknüpft
(vgl. BFH-Urteil vom 7.3.2006 X R 44/04, BFHE 212, 501, BStBl II
2006, 588 = SIS 06 24 74; ebenso HHR/Schallmoser, § 4 EStG Rz
1037; Frotscher in Frotscher, a.a.O., § 4 Rz 625;
Blümich/Wied, § 4 EStG Rz 610; Schmidt/Heinicke, a.a.O.,
§ 4 Rz 522).
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3. Schließlich bestehen auch gegen die
gesetzliche Typisierung der nicht abziehbaren Schuldzinsen mit 6
v.H. der Überentnahmen keine verfassungsrechtlichen
Bedenken.
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a) Der Kläger meint zu Unrecht, der
Gesetzgeber habe mit dem Gewinn den falschen Anknüpfungspunkt
gewählt und seine Typisierungsbefugnis überschritten.
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Die jetzige Gesetzesfassung verzichtet aus
Praktikabilitätsgründen auf eine liquiditätsbezogene
Betrachtung und knüpft an den jeweiligen Bestand des
vorhandenen Eigenkapitals an, der grundsätzlich
steuerunschädlich entnommen werden darf (vgl. BFH-Urteile in
BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504 = SIS 06 01 73; vom 21.9.2005 X R
40/02, BFH/NV 2006, 512 = SIS 06 11 59; a.A. Horlemann, DStR 2010,
726). Diese Anknüpfung ist sachgerecht, weil das Eigenkapital
die im Betrieb erwirtschafteten Mittel abbildet, die für eine
Entnahme zur Verfügung stehen.
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b) Der Kläger macht ferner geltend, es
fehle die Möglichkeit einen Gegenbeweis zu führen, dass
die durch Entnahmen ausgelösten Zinsen tatsächlich
niedriger sind (vgl. HHR/ Schallmoser, § 4 EStG Rz 1037, 1069;
Schneider/Petrak, Die Wirtschaftsprüfung 2006, 1105,
1109).
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Das FG hingegen sieht zu Recht die Typisierung
vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst. Der vom
Gesetzgeber gewählte Zinssatz ist nicht überhöht und
die Typisierung dient in erster Linie einem Vereinfachungszweck.
Insbesondere erspart sie dem Steuerpflichtigen wie der
Finanzverwaltung eine genaue umfangmäßige und
zeitanteilige Zuordnung der angefallenen Zinsen, die sich letztlich
nur bei einer liquiditätsbezogenen Betrachtungsweise leisten
ließe. Die Typisierung erweist sich daher als technische
Folge der praktikableren kapitalbezogenen Sichtweise (vgl. Seiler,
in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 4 Ea 83; Tipke,
Die Steuerrechtsordnung Band I, 2. Aufl. 2000, § 7 S. 356
unten; Wendt, FR 2000, 417, 427; Frotscher in Frotscher, a.a.O.,
§ 4 Rz 654). Unbillige Ergebnisse sind im Einzelfall nach
§ 163 der Abgabenordnung zu korrigieren.
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