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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen
der X-GmbH (GmbH). Die GmbH gehörte der in D ansässigen
Unternehmensgruppe D an. Hieraus ergab sich die Zuständigkeit
des Finanzamts J, bei dem am 20.12.2005 die nach § 168 der
Abgabenordnung (AO) nicht zustimmungspflichtige
Umsatzsteuerjahreserklärung 2004 der GmbH einging. Mit
Beschluss vom 1.3.2006 eröffnete das zuständige
Amtsgericht (AG) das Insolvenzverfahren über das Vermögen
der GmbH und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Der
Kläger wie auch der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) gingen davon aus, dass sich die
Geschäftsleitung der GmbH seit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens beim Kläger befand und sich hieraus die
örtliche Zuständigkeit des FA ergab.
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Aufgrund der mit dem Beschluss über
die Verfahrenseröffnung ergangenen Aufforderung des AG,
Insolvenzforderungen bis zum 18.4.2006 anzumelden, meldete das
Finanzamt J am 13.4.2006 beim Kläger neben weiteren
Steuerforderungen Umsatzsteuer 2004 in Höhe von ca. 2.200 EUR
zur Insolvenztabelle an.
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Der Kläger bestritt die angemeldete
Forderung. Mit Schreiben vom 28.6.2006 wies das FA den Kläger
darauf hin, dass er zwar Widerspruch erhoben habe, die Umsatzsteuer
2004 jedoch bestandskräftig festgesetzt worden sei. Darauf
erwiderte der Kläger, dass ihm eine Forderungsanmeldung des FA
nicht vorliege. Falls das FA die Abgabenforderungen beanspruche,
möge es eine Forderungsanmeldung einreichen und das Finanzamt
J veranlassen, seine Forderung zurückzunehmen. Daraufhin
reichte das FA am 6.7.2006 beim Kläger eine Aufstellung der
Forderungen gegen die GmbH ein.
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Da der Kläger seinen Widerspruch nicht
zurücknahm, erließ das FA am 28.8.2006 einen
Feststellungsbescheid. Danach wurde - neben weiteren
Steuerforderungen - das Bestehen der Umsatzsteuer 2004 und der
Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2004 in der
angemeldeten Höhe gemäß § 251 Abs. 3 AO als
Insolvenzforderung festgestellt. Der hiergegen eingelegte Einspruch
hatte keinen Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, die
sich nach einer Verfahrenstrennung gemäß § 73 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) nur noch gegen die Feststellung der
Umsatzsteuer 2004 und der Säumniszuschläge zur
Umsatzsteuer 2004 richtete, hinsichtlich der Feststellung der
Umsatzsteuer 2004 statt. Die Frage der örtlichen
Zuständigkeit hielt es für unbeachtlich, da die beiden
Finanzämter nicht unterschiedliche, sondern dieselbe Forderung
geltend gemacht hätten. Das FA sei aber nicht befugt gewesen,
wegen der bereits bestandskräftig festgesetzten Umsatzsteuer
2004 einen weiteren Feststellungsbescheid zu erlassen. Das Urteil
des FG ist in EFG 2008, 186 = SIS 08 06 74
veröffentlicht.
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Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Das Urteil des FG verstoße
gegen § 251 Abs. 3 AO. Von einer Titulierung im
insolvenzrechtlichen Sinn sei auszugehen, wenn vor
Insolvenzeröffnung ein Bescheid bekannt gegeben oder eine
Steueranmeldung abgegeben worden sei. Bestreite der
Insolvenzverwalter eine titulierte Abgabenforderung, obliege es
nach § 179 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) dem
Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen. Sei die
Abgabenforderung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
bestandskräftig festgesetzt worden, wirke die Bestandskraft
auch gegen den Widersprechenden. Es bleibe dem FA aber unbenommen,
die Feststellung der Forderung nach § 251 Abs. 3 AO zu
betreiben. Nehme der Insolvenzverwalter seinen Widerspruch trotz
Aufforderung nicht zurück, sei es geboten, einen
Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO zu erlassen. Bei
einem Bestreiten titulierter, bestandskräftiger Forderungen
sei im Feststellungsbescheid lediglich festzustellen, dass die
angemeldete Forderung bestandskräftig festgesetzt sei und
Wiedereinsetzungsgründe und Korrekturvoraussetzungen nicht
vorlägen. So sei das FA verfahren.
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Der Kläger trägt vor, das FG habe
zu Recht entschieden, dass ein Feststellungsbescheid nicht
hätte ergehen dürfen, da bereits ein Titel existiert
habe. Für den Feststellungsbescheid habe kein Bedarf
bestanden. Im Übrigen habe er gegen den bestandskräftigen
Umsatzsteuerbescheid 2004 keinen Widerspruch erhoben, da sich der
Widerspruch gegen die Anmeldung zur Insolvenztabelle gerichtet
habe. Die Anmeldung der Forderung durch das Finanzamt J sei dem FA
nicht zuzurechnen.
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II. Die Revision des FA ist begründet;
sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils, soweit das FG der
Klage stattgegeben hat, und auch insoweit zur Abweisung der Klage
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FA war zum Erlass des
angefochtenen Feststellungsbescheids berechtigt.
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1. Wird über das Vermögen des
Steuerschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet, gelten
für die Vollstreckbarkeit von Steuerbescheiden
gemäß § 251 Abs. 1 AO nicht mehr die allgemeinen
Regeln der AO, vielmehr sind gemäß § 251 Abs. 2 AO
die Vorschriften der InsO zu beachten.
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a) Nach § 87 InsO können
Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens nur nach den Vorschriften über das
Insolvenzverfahren verfolgen. Der Insolvenzgläubiger hat seine
Insolvenzforderung (§ 38 InsO) gemäß § 174
InsO beim Insolvenzverwalter zur Eintragung in die Tabelle (§
175 InsO) und zur Prüfung (§ 176 InsO) mit dem Ziel der
Feststellung (§ 178 InsO) anzumelden. Nach § 178 Abs. 1
InsO gelten Forderungen als festgestellt, wenn weder der
Insolvenzverwalter noch ein Insolvenzgläubiger Widerspruch
erhebt. Für die festgestellten Forderungen wirkt die
Eintragung in die Tabelle nach § 178 Abs. 3 InsO wie ein
rechtskräftiges Urteil.
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b) Wird die angemeldete Forderung
gemäß § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO vom
Insolvenzverwalter oder von einem anderen Gläubiger
bestritten, hat im Regelfall der Gläubiger gemäß
§ 179 Abs. 1 InsO die Feststellung gegen den Bestreitenden zu
betreiben. Liegt für die Forderung indes ein vollstreckbarer
Schuldtitel oder ein Endurteil vor, obliegt es nach § 179 Abs.
2 InsO dem Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen. Die
Vorschrift entspricht § 146 Abs. 6 der Konkursordnung (KO).
Danach war der Widerspruch gegen eine Forderung, für welche
ein mit der Vollstreckungsklausel versehener Schuldtitel, ein
Endurteil oder ein Vollstreckungsbefehl vorlag, vom
Widersprechenden zu verfolgen.
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Ein im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung
bereits ergangener Steuerbescheid ist ein vollstreckbarer
Schuldtitel i.S. des § 179 Abs. 2 InsO (Beschluss des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10.8.1993 VII B 46/91, BFH/NV 1994,
293, zu § 146 KO; ebenso Beermann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 251 AO Rz 424).
Steuerbescheide sind titulierte Forderungen i.S. des § 179
Abs. 2 InsO, da ihre Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit durch die
Einlegung von Rechtsmitteln grundsätzlich nicht gehemmt wird
(vgl. § 361 Abs. 1 AO und § 69 Abs. 1 FGO) und sie daher
wie diese vollstreckbar sind (§ 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1,
§ 254 Abs. 1 AO).
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c) Die Betreibenspflicht des Widersprechenden
nach § 179 Abs. 2 InsO bedeutet aber nicht, dass der
Gläubiger gehindert ist, seinerseits die Feststellung seiner
Forderung zu verfolgen, wenn der Insolvenzverwalter an seinem
Widerspruch festhält. Nach der zu den entsprechenden
Vorschriften des § 146 Abs. 6 KO und
des § 11 Abs. 3 Satz 2 der Gesamtvollstreckungsordnung
(GesO) ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(BGH) bleibt es dem Gläubiger unbenommen, im Klagewege die
Feststellung seiner titulierten Forderung zur Konkurstabelle
durchzusetzen. Der Senat teilt die Auffassung, dass diese
Regelungen dem Gläubiger, der einen Titel erwirkt hat, nur die
Verpflichtung abnehmen, ein Verfahren zu betreiben, ihm aber nicht
die Befugnis dazu entziehen (vgl. BGH-Urteil vom 29.6.1998 II ZR
353/97, BGHZ 139, 132; ebenso MünchKomm-InsO/Schumacher, 2.
Aufl., § 179 Rz 43).
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d) Die Feststellung von Ansprüchen aus
dem Steuerschuldverhältnis erfolgt nicht nach § 180 Abs.
1 InsO im ordentlichen Verfahren, sondern ist gemäß
§ 185 Satz 1 InsO vom FA als zuständiger
Verwaltungsbehörde vorzunehmen. Der Erlass eines
Feststellungsbescheids kommt nach § 185 Satz 1 InsO i.V.m.
§ 251 Abs. 3 AO „erforderlichenfalls“ in
Betracht. Bei Widerspruch des Insolvenzverwalters gegen einen
bestandskräftigen Steuerbescheid kann einem
Feststellungsbescheid mangelnde Erforderlichkeit nicht
entgegengehalten werden. Denn durch die Regelungen in § 179
Abs. 2 InsO wird ebenso wenig wie in § 146 Abs. 6 KO und § 11 Abs. 3 Satz 2
GesO ausgesprochen, dass ein Titel automatisch zur Teilnahme
an der Verteilung berechtigt. Dem FA als
Vollstreckungsgläubiger muss die Möglichkeit verbleiben,
die durch das Bestreiten verursachte Ungewissheit über sein
Recht zu beenden (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 139, 132).
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Das BFH-Urteil vom 23.2.2005 VII R 63/03 (BFHE
209, 23, BStBl II 2005, 591 = SIS 05 29 96) in dem der Senat den
Erlass eines Feststellungsbescheids bei Vorliegen eines
Steuerbescheids für rechtswidrig erklärt hat, steht dem
nicht entgegen. In jenem Verfahren hatte der Insolvenzverwalter
nicht der Feststellung einer bestandskräftigen, sondern der
einer angefochtenen Steuerfestsetzung zur Tabelle widersprochen.
Nach Auffassung des Senats war dort für die gesonderte
Geltendmachung des Steueranspruchs als Insolvenzforderung durch
Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO neben
einem fortzuführenden Rechtsbehelfsverfahren kein Raum, weil
Gegenstand der Einspruchsentscheidung in einer solchen
Konstellation nicht nur die Rechtmäßigkeit des die
Steuer festsetzenden Bescheids, sondern auch die
rechtmäßige Beanspruchung einer Steuerforderung als
Insolvenzforderung ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 26.11.1987 V R 133/81, BFHE 151, 345,
BStBl II 1988, 199 = SIS 88 11 47). Liegt demgegenüber
bei Verfahrenseröffnung nach §§ 164, 168 AO eine
Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vor, die
zu einem Schuldtitel i.S. des § 179 Abs. 2 InsO führt,
ist der Feststellungsstreit bei Steuerforderungen in der Weise
auszutragen, dass das FA das Bestehen der angemeldeten Forderungen
durch Bescheid feststellt (§ 185 Satz 1 InsO i.V.m.
§ 251 Abs. 3 AO). Gegenstand des
Feststellungsbescheids ist nicht die Rechtmäßigkeit des
die Steuer festsetzenden Steuerbescheids. Sein Regelungsinhalt geht
vielmehr dahin, dass dem Steuergläubiger eine bestimmte
Steuerforderung als Konkurs- bzw. Insolvenzforderung zusteht (so
schon BFH-Urteil in BFHE 151, 345, BStBl II 1988, 199 = SIS 88 11 47). Im Rahmen dieser Feststellung ist die
Begründetheit des vom Insolvenzverwalter erhobenen
Widerspruchs zu prüfen. Anders als im Fall eines
fortzuführenden Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahrens
besteht hier nicht die Gefahr, dass zwei voneinander
unabhängige Rechtsbehelfsverfahren über dieselben
Steuerforderungen betrieben und der Schuldner zwei parallel zu
führenden Verfahren ausgesetzt wird (vgl. auch Abschn. 60 Abs.
7 der Vollstreckungsanweisung).
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2. Das Urteil des FG entspricht nicht den
vorstehenden Grundsätzen und verstößt daher gegen
§ 251 Abs. 3 AO. Ist im Feststellungsbescheid über die
rechtmäßige Beanspruchung einer Steuerforderung als
Insolvenzforderung und über die wirksame Anmeldung zur Tabelle
zu entscheiden, ist der Erlass eines Feststellungsbescheids auch
dann erforderlich, wenn der Bestreitende wie im Streitfall seinen
Widerspruch auf die von ihm behauptete Unwirksamkeit der
Forderungsanmeldung durch das FA stützt.
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3. Die Sache ist spruchreif, da der Senat in
der Sache selbst entscheiden kann. Das FA hat in dem von ihm
erlassenen Feststellungsbescheid die Wirksamkeit der
Forderungsanmeldung zu Recht bejaht, so dass das Urteil des FG,
soweit es diesen Bescheid aufgehoben hat, seinerseits aufzuheben
und die Klage abzuweisen war.
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Das ursprünglich für die Besteuerung
der GmbH zuständige Finanzamt J war gemäß § 29
AO auch für die Anmeldung nach § 174 InsO zuständig.
Nach § 29 AO ist bei Gefahr im Verzug für unaufschiebbare
Maßnahmen jede Finanzbehörde örtlich
zuständig. Dies setzt voraus, dass die Zuständigkeit
entweder nicht sofort eindeutig zu klären ist oder eine sonst
nicht zu bewältigende Notsituation vorliegt (BFH-Urteil vom
13.12.2001 III R 13/00, BFHE 197, 12 = SIS 02 04 64, BStB1 II 2002,
406). Im Streitfall bestand eine derartige Notsituation, da das AG
mit Beschluss vom 1.3.2006 zur Abgabe der Forderungsanmeldung bis
zum 18.4.2006 aufgefordert hatte. Unter diesen Umständen war
das Finanzamt J für die Forderungsanmeldung örtlich
zuständig, da bei einer Abgabe an das FA die naheliegende
Gefahr einer verspäteten Forderungsanmeldung bestand.
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Auf die Frage einer analogen Anwendung des
§ 127 AO auf Anmeldungen nach § 174 InsO kommt es daher
ebenso wenig an wie auf die erst mit Wirkung zum 29.12.2007
eingeführte Zuständigkeitsregelung für
Insolvenzfälle nach § 26 Satz 3 AO.
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