Behinderungsbedingte Umbaumaßnahmen als außergewöhnliche Belastungen: Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau eines Hauses können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein, wenn sie so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit stehen, dass die etwaige Erlangung eines Gegenwertes in Anbetracht der Gesamtumstände des Einzelfalles in den Hintergrund tritt. - Urt.; BFH 22.10.2009, VI R 7/09; SIS 09 39 18
I. Die Kläger und Revisionskläger
zu 1. bis 3. (Kläger) sind die Erben des verstorbenen A, der
mit der Klägerin zu 1. im Streitjahr (2000) zur
Einkommensteuer zusammen veranlagt wurde. A erlitt im Jahre 1999
einen schweren Schlaganfall, der längere Rehabilitations- und
Kurmaßnahmen zur Folge hatte und zum Ausweis eines Grads der
Behinderung von 100 mit den Merkzeichen G (gehbehindert), aG
(außergewöhnlich gehbehindert), H (hilflos) und RF
(Rundfunkgebührenbefreiung) führte.
Um A trotz seiner gesundheitlichen
Einschränkungen weiterhin ein Leben in seiner gewohnten
Umgebung zu ermöglichen und ihm den Aufenthalt in einem
Pflegeheim zu ersparen, nahmen die Ehegatten im Streitjahr
verschiedene Umbaumaßnahmen an ihrem Einfamilienhaus in B
vor. Dabei handelte es sich um den Bau einer Rollstuhlrampe, die
Einrichtung eines behindertengerechten Bades in einem Teil der
bisherigen Küche, die Errichtung einer neuen Küche im
verbliebenen Teil des früheren Küchenraumes sowie im
Hauswirtschaftsraum und Umwandlung des Arbeitszimmers in einen
Schlafraum.
Die von der Krankenkasse nicht
bezuschussten Umbaukosten machten A und die Klägerin zu 1. in
Höhe von 139.715,34 DM in ihrer Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr als außergewöhnliche Belastung
geltend.
Dies lehnte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) mit dem
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ab, gewährte
jedoch den Behinderten-Pauschbetrag in Höhe von 7.200 DM und
den Pflege-Pauschbetrag von 1.800 DM.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) stützte sein klageabweisendes Urteil
auf die sog. Gegenwertlehre und führte im Wesentlichen aus,
der Bau der Rollstuhlrampe habe ebenso wie die Errichtung des
behindertengerechten Bades den Wert des Grundstücks
erhöht, weil die entsprechenden Einrichtungen auch von jedem
anderen Bewohner des Gebäudes genutzt werden könnten. Die
Umgestaltung der Küche sei lediglich eine Folge der
Vergrößerung des Bades gewesen und daher wie diese
Maßnahme zu beurteilen. Dies müsse auch für die das
Arbeitszimmer betreffenden Umbaumaßnahmen gelten, wenn diese
durch den behindertengerechten Umbau des Bades ausgelöst
worden seien. Alle Umbaumaßnahmen seien A und der
Klägerin zu 1. auch nicht zwangsläufig erwachsen, denn
sie hätten auch eine behindertengerechte Mietwohnung beziehen
können.
Mit ihrer dagegen gerichteten Revision
rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts und
tragen vor: Die Rampe repräsentiere keinen Gegenwert, sie sei
vielmehr eine den Vorgarten verunstaltende wertmindernde
Baumaßnahme, die für nichtbehinderte Besucher des Hauses
nur einen Umweg bedeute. Auch die rollstuhlgerechten
Türverbreiterungen vermittelten keinen Gegenwert, sie seien
vielmehr nachteilig, weil sie zu einer Verringerung des nutzbaren
Wohnraums geführt hätten. Schließlich sei es
erforderlich geworden, das Schlafzimmer im Erdgeschoss
einzurichten.
Die Kläger beantragen, das Urteil des
FG vom 24.5.2007 9 K 1043/03 und die Einspruchsentscheidung vom
17.2.2003 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2000 vom
18.5.2007 dahingehend zu ändern, dass weitere 139.716 DM als
außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, dem Abzug
außergewöhnlicher Belastungen stehe der Gegenwert der
Umbaumaßnahmen und die fehlende Zwangsläufigkeit der
Aufwendungen entgegen. Durch die Baumaßnahmen am Bad
hätten A und die Klägerin zu 1. einen Gegenwert erhalten,
weil im Streitfall keine neuen Ausstattungsgegenstände eines
vorhandenen Badezimmers durch eine behindertengerechte Einrichtung
ersetzt, sondern etwas völlig Neues geschaffen worden sei.
Auch der Umstand, dass das Bad objektiv von nichtbehinderten
Personen genutzt werden könne, begründe einen Gegenwert.
Die Rollstuhlrampe verkörpere ebenfalls einen Gegenwert, weil
sich nicht ausschließen lasse, dass ein künftiger
Erwerber bereit sei, für den behindertengerechten Zugang zum
Haus einen höheren Preis für das gesamte Anwesen zu
zahlen. Die Rollstuhlrampe schränke auch nicht den Zugang
für nichtbehinderte Besucher des Hauses ein. Im Übrigen
lasse die fehlende Abgrenzbarkeit krankheitsbedingter von nicht
krankheitsbedingten Gestaltungsentscheidungen bei den vorliegenden
Baumaßnahmen die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen
entfallen.
II. Die Revision der Kläger ist
begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat die Aufwendungen
für die behinderungsbedingten Umbaumaßnahmen zu Unrecht
vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen
ausgeschlossen.
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen
zwangsläufig größere Aufwendungen als der
überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes
(außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die
Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33
Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ).
a) Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus,
dass es sich bei den ausschließlich behinderungsbedingten
Umbaukosten um außergewöhnliche Aufwendungen i.S. des
§ 33 Abs. 1 EStG handelt, denn es sind größere
Aufwendungen, als sie der überwiegenden Mehrzahl der
Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und
Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes
erwachsen. Diese Aufwendungen sind auch nicht durch den A
gewährten Behinderten- und Pflege-Pauschbetrag abgegolten. Der
Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG gilt
nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur laufende und
typische Mehraufwendungen des Behinderten ab, so dass
„zusätzliche Krankheitskosten“ nicht von
der Abgeltungswirkung des Pauschbetrags erfasst werden
(Senatsurteil vom 17.12.1965 VI 297/65 U, BFHE 84, 574, BStBl III
1966, 208 = SIS 66 01 22, und BFH-Urteil vom 11.12.1987 III R
95/85, BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275 = SIS 88 05 07, m.w.N.).
Dies gilt erst recht für den Pauschbetrag nach § 33b Abs.
6 EStG, der nur die durch die Pflege einer Person veranlassten
Aufwendungen erfasst.
b) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind
die reinen Umbaukosten im Streitfall aber auch zwangsläufig
erwachsen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Aufwendungen infolge
Körperbehinderung waren ebenso wie Krankheitskosten von jeher
ein Anwendungsfall der Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen
Gründen. Nach Auffassung des erkennenden Senats gilt dies
insbesondere auch für die streitbefangenen Umbaukosten, die
nicht anders zu behandeln sind, als die Aufwendungen für den
Treppenlift eines Querschnittsgelähmten (BFH-Urteil vom
30.10.2008 III R 97/06, BFH/NV 2009, 728 = SIS 09 12 37). Durch den
für die Klägerin zu 1. und A nicht vorhersehbaren
Schlaganfall und die dadurch eingetretene schwerwiegende
Behinderung war eine Zwangslage entstanden, die die
behinderungsgerechten Umbaumaßnahmen unausweichlich machte.
Dass FA und FG den Steuerpflichtigen in dieser Situation auf die
möglicherweise langwierige Suche nach einer geeigneten
Mietwohnung verweisen, erscheint dem Senat eher fernliegend. Eine
tatsächliche Zwangslage ist dadurch gekennzeichnet, dass sie
schnelle Reaktion erfordert. Unter diesen Umständen aber
hatten die Ehegatten keine die Zwangsläufigkeit aus
tatsächlichen Gründen ausschließende
Entscheidungsfreiheit. Insofern unterscheidet sich der Streitfall
auch von dem Urteil des BFH, das die Vorinstanz herangezogen hat
und das den Bau eines behindertengerechten Einfamilienhauses betraf
(BFH-Urteil vom 10.10.1996 III R 209/94, BFHE 182, 333, BStBl II
1997, 491 = SIS 97 13 05). Der erkennende Senat folgt nicht der
Rechtsprechung des III. Senats des BFH, der seine zum
behindertengerechten Neubau eines Hauses ergangene Entscheidung
auch auf den Fall des Umbaus eines vom Steuerpflichtigen und seiner
Familie schon vor der Erkrankung genutzten Hauses angewendet hat
(BFH-Urteil vom 6.2.1997 III R 72/96, BFHE 182, 551, BStBl II 1997,
607 = SIS 97 17 09, und BFH-Beschluss vom 15.4.2004 III B 84/03,
BFH/NV 2004, 1252 = SIS 04 32 70).
Die Zwangsläufigkeit der
Umbaumaßnahmen wird im Streitfall schließlich auch
nicht durch steuerrechtlich irrelevante private Motive in Frage
gestellt, die bei der Umgestaltung des Familienwohnheims mitgewirkt
haben könnten. Die durch die eingetretene Behinderung des A
veranlassten Umbauten standen so stark unter dem Gebot der sich aus
der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass eine nicht auf
der Behinderung beruhende Motivation des A und der Klägerin zu
1. ohne weiteres auszuschließen ist.
c) Im Streitfall wird der Abzug der
zwangsläufigen Aufwendungen aber auch nicht durch einen
Gegenwert gehindert. Dabei kann der Senat dahingestellt sein
lassen, ob er der im Schrifttum geäußerten
Fundamentalkritik an der sog. Gegenwertlehre folgen könnte
(vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG Rz 37,
m.w.N.; s. auch Arndt, in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG,
§ 33 Rz B 34 ff.).
Unter den Umständen des Streitfalls kann
es auch nicht darauf ankommen, dass die behinderungsbedingten
Umbaumaßnahmen weder zu einem realen Gegenwert geführt
noch einen marktgängigen Vorteil begründet haben. Zu
Unrecht hat das FG allerdings angenommen, dass es nicht auf eine
von einem Sachverständigen feststellbare Werterhöhung
ankommt. Der Senat vermag der im Beschluss des BFH in BFH/NV 2004,
1252 = SIS 04 32 70 (m.w.N.) vertretenen Auffassung nicht zu
folgen, wonach der Beweis, ob der Steuerpflichtige einen Gegenwert
für seine behinderungsbedingten Aufwendungen erhält oder
ob es sich dabei um verlorenen Aufwand handelt, grundsätzlich
nicht durch ein Sachverständigengutachten geführt werden
kann. Denn Häuser und Grundstücke werden auch zu anderen
Zwecken von Sachverständigen begutachtet, die
Werterhöhungen und Wertminderungen ohne weiteres festzustellen
in der Lage sind. Ein Gegenwert, der allein auf der möglichen
Nutzung der Umbauten durch nichtbehinderte Familienangehörige
beruhen soll, ist indessen kein realer Gegenwert und mithin
ungeeignet, ein Abzugsverbot für zwangsläufig erwachsene
und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des
Steuerpflichtigen mindernde Aufwendungen zu begründen.
Im Streitfall jedenfalls stehen die
behinderungsbedingten Aufwendungen so stark unter dem Gebot der
sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die
Erlangung eines etwaigen Gegenwertes in Anbetracht der
Gesamtumstände in den Hintergrund tritt (Senatsurteil vom
27.11.1959 VI 62/59, Steuerrechtsprechung in Karteiform,
Einkommensteuergesetz, § 33, Rechtsspruch 109). Aus diesem
Grunde bedarf es auch keiner Feststellungen zu der von den
Klägern aufgeworfenen Frage, ob die behinderungsbedingten
Umbaumaßnahmen den Wert des Grundstücks gemindert
haben.
d) Sind die durch die Behinderung veranlassten
reinen Umbaukosten danach als außergewöhnliche
Belastungen anzuerkennen, so folgt daraus nach dem Gesetzeswortlaut
der Sofortabzug der Aufwendungen. Der Auffassung der
Finanzverwaltung (z.B. Oberfinanzdirektion Frankfurt,
Verfügung vom 13.11.2008 S 2284 A - 46 - St 216 = SIS 09 05 43; Bayerisches Landesamt für Steuern, Verfügung vom
23.10.2009 S 2284.1.1 - 2/2 St 32/St 33 = SIS 09 05 43), wonach die
Aufwendungen für die behindertengerechte Umrüstung eines
PKW auf die Nutzungsdauer des Fahrzeugs zu verteilen sind, ein
Sofortabzug aber ausgeschlossen wird, vermag der Senat nicht zu
folgen. § 33 EStG enthält weder eine Verweisung auf die
Vorschriften über die Absetzungen für Abnutzung noch eine
Gesetzeslücke, die eine analoge Anwendung des § 7 EStG
nahe legen würde (a.A. Kanzler, FR 1993, 691, 696, und FR
2002, 1139, 1140). Der Senat hält es jedoch für denkbar,
dem Steuerpflichtigen im Wege der abweichenden Festsetzung von
Steuern aus Billigkeitsgründen (§ 163 der Abgabenordnung)
ein Wahlrecht auf Verteilung der Aufwendungen einzuräumen,
wenn - anders als im Streitfall - ein zu geringer Gesamtbetrag der
Einkünfte dem vollen Abzug der Aufwendungen entgegensteht.
2. Die Vorentscheidung beruht auf einer
anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann
jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Von
seinem Standpunkt aus zu Recht hat das FG keine Feststellungen dazu
getroffen, in welchem Umfang einzelne Aufwendungen nicht durch die
eingetretene Behinderung des A veranlasst waren. Das FG hat
insoweit zwar festgestellt, dass Heizungsarbeiten
durchgeführt, mehrere Fenster ausgetauscht und verschiedene
Elektroinstallationen am Haus der Ehegatten ausgeführt worden
sind, die entsprechenden, in Rechnung gestellten Beträge aber
nicht beziffert.