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Die Tochter nutzt eine abgetrennte
Wohnfläche (Anbau) von 79 qm mit Schlafzimmer, Wohnzimmer,
Arbeitszimmer, Bad und Küchenzeile. Mit sozialmedizinischem
Gutachten vom 30.8.2006 bestätigte der Medizinische Dienst der
Krankenversicherung, dass die Neuinstallation einer bodengleichen
Dusche und die Schaffung eines barrierefreien Umfelds die
Selbständigkeit der Tochter weiter fördern und den
Pflegeaufwand reduzieren würde. Die Krankenkasse bezuschusste
den Einbau eines solchen Badezimmers mit 2.557 EUR. In der
Einkommensteuererklärung des Streitjahres 2006 machten die
Kläger außergewöhnliche Belastungen in Höhe
von 29.580 EUR geltend, die zu 29.390 EUR auf die Umbaukosten
für den von der Tochter genutzten Wohnraum entfielen. Der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) erkannte im
Einkommensteuerbescheid 2006 vom 4.10.2007 diese Aufwendungen nicht
an. In der Einkommensteuererklärung des Streitjahres 2007
erklärten die Kläger außergewöhnliche
Belastungen in Höhe von 4.225 EUR; davon entfallen 2.355 EUR
auf den der schwerbehinderten Tochter C überlassenen Wohnraum
(anteilige Schuldzinsen und anteilige laufende Hauskosten). Diesen
Betrag erkannte das FA im Einkommensteuerbescheid 2007 vom
22.9.2008 ebenfalls nicht an.
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Gegen die Einkommensteuerbescheide für
2006 und 2007 legten die Kläger Einsprüche ein. Zugleich
machten sie für 2006 weitere Kosten für den Wohnbereich
der C (2.234 EUR anteilige laufende Kosten und Aufwendungen
für eine Ausgangstür) geltend. Im Rahmen des
Einspruchsverfahrens führte das FA am 12.11.2008 eine
Ortsbesichtigung durch. Zu dem Zeitpunkt lebte die Großmutter
mit im Wohnbereich der C. Mit Einspruchsentscheidungen vom
29.1.2009 wies das FA die Einsprüche als unbegründet
zurück. Die daraufhin erhobene Klage hat das Finanzgericht
(FG) abgewiesen.
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Mit der Revision rügen die Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Kläger beantragen, das Urteil des
FG Düsseldorf vom 3.2.2010 7 K 814/09 E aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 4.10.2007 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung für das Jahr 2006 vom
29.1.2009 dahingehend zu ändern, dass weitere 29.390 EUR als
außergewöhnliche Belastungen i.S. von § 33 Abs. 1
des Einkommensteuergesetzes (EStG) anerkannt werden sowie den
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 vom 22.9.2008 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung für das Jahr 2007 -
ebenfalls - vom 29.1.2009 insoweit zu ändern, dass weitere
2.355 EUR als außergewöhnliche Belastungen i.S. von
§ 33 Abs. 1 EStG berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. 1. Die Revision der Kläger ist
begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung). Das FG hat die Aufwendungen der Kläger
für die behinderungsbedingten Umbaumaßnahmen zu Unrecht
vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen
ausgeschlossen.
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a) Erwachsen einem Steuerpflichtigen
zwangsläufig größere Aufwendungen als der
überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes
(außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die
Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33
Abs. 1 EStG).
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aa) Mehraufwendungen für einen
behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer
Wohnung können als außergewöhnliche Belastungen
i.S. des § 33 Abs. 1 EStG abziehbar sein, denn es sind
größere Aufwendungen, als sie der überwiegenden
Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und
Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes
erwachsen. Diese Aufwendungen sind weder durch den Grund- oder
Kinderfreibetrag (§ 32a Abs. 1 EStG, § 32 Abs. 6 EStG)
noch durch den Behinderten- und Pflege-Pauschbetrag abgegolten.
Grund- und Kinderfreibetrag decken den gewöhnlichen Wohnbedarf
des gesunden und nicht behinderten Steuerpflichtigen und seiner
Angehörigen ab. Der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b
Abs. 1 bis 3 EStG gilt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH) nur laufende und typische Mehraufwendungen des Behinderten
ab, so dass „zusätzliche Krankheitskosten“
nicht von der Abgeltungswirkung des Pauschbetrags erfasst werden.
Dies gilt erst recht für den Pauschbetrag nach § 33b Abs.
6 EStG, der nur die durch die Pflege einer Person veranlassten
Aufwendungen erfasst (Senatsurteil vom 22.10.2009 VI R 7/09, BFHE
226, 536, BStBl II 2010, 280 = SIS 09 39 18, m.w.N.).
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bb) Die Mehraufwendungen für die
behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfelds der C sind den
Klägern im Streitfall auch zwangsläufig erwachsen (§
33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Aufwendungen infolge Körperbehinderung
waren ebenso wie Krankheitskosten von jeher ein Anwendungsfall der
Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen
(Senatsurteil in BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280 = SIS 09 39 18,
m.w.N.). Dies gilt insbesondere auch für behinderungsbedingte
Mehrkosten eines Um- oder Neubaus. Denn eine schwerwiegende
Behinderung des Steuerpflichtigen oder eines Angehörigen
begründet eine tatsächliche Zwangslage, die eine
behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfelds unausweichlich
macht.
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Zwar ist der Steuerpflichtige
grundsätzlich in seiner Entscheidung frei, ob er sich zur
Befriedigung seiner Wohnbedürfnisse ein Haus bauen will oder
stattdessen beispielsweise zur Miete wohnt. Das gilt selbst dann,
wenn ein Steuerpflichtiger oder ein in seinem Haushalt lebender
Angehöriger infolge einer Krankheit oder eines Unfalls in
seiner bisherigen Wohnung bzw. in seinem bisherigen Haus nicht
wohnen bleiben kann. Entschließt sich der Steuerpflichtige in
einem solchen Fall zum Um- oder Neubau einer eigenen Immobilie,
hängt die konkrete Gestaltung des neuen Hauses zunächst
von seinem Geschmack, seinen Lebensgewohnheiten, den ihm für
den Bau zur Verfügung stehenden Mitteln und anderen
selbstbestimmten Vorentscheidungen ab (BFH-Urteil vom 10.10.1996
III R 209/94, BFHE 182, 333, BStBl II 1997, 491 = SIS 97 13 05).
Dieser Befund steht jedoch nur der Steuererheblichkeit von
Baukosten entgegen, die keinen Bezug zu Krankheit oder Behinderung
aufweisen und deshalb auch einem gesunden Steuerpflichtigen
entstanden wären. Diese Entschließungsfreiheit des
Steuerpflichtigen steht der Zwangsläufigkeit
behinderungsbedingter Mehraufwendungen indes nicht entgegen. Denn
die Notwendigkeit einer behindertengerechten Ausgestaltung des
Wohnumfelds und damit die Zwangsläufigkeit der darauf
entfallenden Mehrkosten aus tatsächlichen Gründen beruht
nicht auf der frei gewählten Wohnsituation des
Steuerpflichtigen, sondern auf seiner Krankheit oder
Behinderung.
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b) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und
des FA wird der Abzug dieser zwangsläufigen Aufwendungen
vorliegend auch nicht durch einen Gegenwert gehindert. Dabei kann
der Senat erneut dahinstehen lassen, ob er der im Schrifttum
geäußerten Fundamentalkritik an der sog. Gegenwertlehre
folgen könnte (vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, §
33 EStG Rz 37, m.w.N.; s. auch Arndt, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rz B 34 ff.). Denn
behinderungsbedingter Mehraufwand steht stets so stark unter dem
Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit,
dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der
Gesamtumstände in den Hintergrund tritt (Senatsurteil vom
27.11.1959 VI 62/59, Steuerrechtsprechung in Karteiform,
Einkommensteuergesetz, § 33, Rechtsspruch 109). Es ist
insbesondere nicht erforderlich, dass die Behinderung auf einem
nicht vorhersehbaren Ereignis beruht und deshalb ein schnelles
Handeln des Steuerpflichtigen oder seiner Angehörigen geboten
ist. Auch die Frage nach zumutbaren Handlungsalternativen stellt
sich in solchen Fällen nicht. Denn abzugsfähig sind nur
Mehraufwendungen, die durch die Behinderung des Steuerpflichtigen
veranlasst und zur behindertengerechten Umgestaltung seines
individuellen Wohnumfelds erforderlich sind. Deshalb ist nach
Auffassung des erkennenden Senats unerheblich, ob die der Krankheit
oder Behinderung geschuldeten Mehrkosten im Rahmen eines Neubaus,
der Modernisierung eines Altbaus oder des Umbaus eines bereits
selbstgenutzen Eigenheims oder einer Mietwohnung entstehen.
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Behinderungsbedingte, notwendige
Umbaumaßnahmen begründen keinen über den
individuellen Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert, sondern
eine aus tatsächlichen Gründen zwangsläufige
Mehrbelastung des Steuerpflichtigen. Auch ist ein Gegenwert, der
allein auf der möglichen Nutzung der Umbauten durch
nichtbehinderte Familienangehörige beruhen soll, kein realer
Gegenwert und mithin ungeeignet, ein Abzugsverbot für
zwangsläufig erwachsene und die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindernde
Aufwendungen zu begründen (Senatsurteil in BFHE 226, 536,
BStBl II 2010, 280 = SIS 09 39 18). Aus diesem Grunde bedarf es
auch keiner Feststellungen zu der von den Klägern
aufgeworfenen Frage, ob die behinderungsbedingten
Umbaumaßnahmen den Wert des Grundstücks gemindert
haben.
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c) Der Senat folgt damit nicht der im
BFH-Urteil in BFHE 182, 333, BStBl II 1997, 491 = SIS 97 13 05
vertretenen Auffassung, wonach für die Beurteilung der Frage,
ob der Steuerpflichtige durch den behinderungsbedingten Mehraufwand
zwangsläufig „belastet“ ist oder er einen
Gegenwert erhält, grundsätzlich nur das Haus als solches
und als ganzes, nicht aber die einzelnen im Zusammenhang mit seiner
Krankheit oder Behinderung stehenden Maßnahmen in den Blick
zu nehmen sind. Denn der erkennende Senat teilt nicht die
Auffassung, dass eine solche Betrachtungsweise mit kaum
lösbaren Schwierigkeiten im Besteuerungsverfahren verbunden
wäre (vgl. BFH-Urteil in BFHE 182, 333, BStBl II 1997, 491 =
SIS 97 13 05, m.w.N.). Vielmehr kann der wegen der behinderten-
oder krankheitsgerechten Gestaltung eines Hauses einem
Steuerpflichtigen entstehende Mehraufwand dann als
außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn eine
eindeutige und anhand objektiver Merkmale durchführbare
Unterscheidung zwischen den steuerlich irrelevanten Motiven
für die Errichtung und Gestaltung eines Hauses und den
ausschließlich durch eine Krankheit oder Behinderung
verursachten Aufwendungen möglich ist. Eine solche
Unterscheidung ist in aller Regel unproblematisch
durchzuführen, auch wenn das selbstgenutzte Wohnungseigentum
grundsätzlich als einheitliches Wirtschaftsgut anzusehen und
als solches steuerlich zu behandeln ist. Selbst wenn sämtliche
Aufwendungen für die Herstellung des Baus im Allgemeinen in
einem untrennbaren Zusammenhang stehen, lassen sich doch einzelne
Gewerke und Baumaßnahmen bei einem Neu- wie beim einem Umbau
daraufhin überprüfen, ob sie der Linderung einer
Krankheit dienen oder den behinderungsbedingten
Lebenserschwernissen des Steuerpflichtigen oder eines
Angehörigen Rechnung tragen und für ihn notwendig waren.
Eine solche Überprüfung ist beispielsweise im Rahmen der
Bezuschussung von (baulichen) Maßnahmen zur Verbesserung des
Wohnumfelds Pflegebedürftiger nach § 40 Abs. 4 des Elften
Buches Sozialgesetzbuch durch den Medizinische Dienst der
Krankenversicherung ständige Übung. Damit wird der
einheitliche Funktionszusammenhang eines Gebäudes nicht
aufgelöst, sondern lediglich dem Umstand Rechnung getragen,
dass bestimmte Baumaßnahmen durch eine Krankheit oder
Behinderung veranlasst sind.
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2. Die Vorentscheidung beruht auf einer
anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann
jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Von
seinem Standpunkt aus zu Recht hat das FG keine Feststellungen dazu
getroffen, in welchem Umfang die geltend gemachten Aufwendungen
durch die Behinderung der C veranlasst waren. Dies wird das FG im
zweiten Rechtsgang zu prüfen haben. Es hat dabei zu
berücksichtigen, dass nicht die gesamten Aufwendungen der
Kläger für den von C genutzten Wohnraum, sondern nur die
auf der behindertengerechten Ausgestaltung des Objekts beruhenden
Mehrkosten sowie die darauf entfallenden Schuldzinsen als
außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33
EStG abzugsfähig sind. Sofern dies für das Gericht nicht
offenkundig ist, hat das FG zu der Frage, welche baulichen
Maßnahmen durch die Behinderung der C veranlasst sind, und
zur Quantifizierung der darauf entfallenden Kosten ein
Sachverständigengutachten einzuholen. Darüber hinaus
weist der Senat darauf hin, dass nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG
außergewöhnliche Belastungen nur insoweit abziehbar
sind, als sie einen angemessenen Betrag nicht überschreiten,
und sich die Kläger im Rahmen der Vorteilsanrechnung die von
der Pflegekasse geleisteten Zuschüsse auf die
behinderungsbedingten Mehrkosten anrechnen lassen müssen.
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