Servicekräfte in Warenhaus, Arbeitnehmer: 1. Ob die von einem Warenproduzenten im Rahmen des Vertriebs in Warenhäusern beschäftigten Servicekräfte als Arbeitnehmer anzusehen sind, ist anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. - 2. Die Nachforderung pauschaler Lohnsteuer beim Arbeitgeber setzt voraus, dass der Arbeitgeber der Pauschalierung zustimmt. - Urt.; BFH 20.11.2008, VI R 4/06; SIS 09 05 15
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) produziert Reinigungsmittel
im Wesentlichen für Endverbraucher. Die Produkte der
Klägerin werden auch über SB-Warenhäuser vertrieben.
Auf Wunsch der Warenhäuser beauftragte die Klägerin in
den Streitjahren (1996 bis 2000) Servicekräfte mit der
Regalpflege, die u.a. Warenannahme und -auszeichnung sowie die
Regalauffüllung umfasste. Nach einer mit der Klägerin
getroffenen vertraglichen Vereinbarung sollten die
Servicekräfte als selbständige Unternehmer
Serviceleistungen vor Ort durch die Warenannahme und das sofortige
Auszeichnen der Produkte der Klägerin sowie deren fachgerechte
Präsentation in Verbindung mit einer verantwortungsvollen
Regalpflege (Säubern und Auffüllen der
Ausstellungsregale) erbringen. Für die genannten Arbeiten
wurde eine Vergütung von 9 DM pro Stunde bei einem
Maximaleinsatz von 1 bis 3,5 Stunden pro Kalenderwoche vereinbart.
Der Auftragnehmer sollte als Kleinunternehmer keine Umsatzsteuer in
Rechnung stellen. Für die Abrechnung zum Monatsende
bestätigte der Leiter des Warenhauses der Servicekraft die
Zahl ihrer Arbeitsstunden; die Servicekraft rechnete über den
jeweiligen Gebietsverkaufsleiter der Klägerin ab.
Nach einer
Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) zu der Auffassung, dass
die Servicekräfte als Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen
seien, für die die Klägerin Lohnsteuer anzumelden und
abzuführen habe. Mit Bescheid vom 9.1.2001, zuletzt
geändert durch Bescheid vom 17.10.2003, forderte das FA
für die Streitjahre hinsichtlich der an die Servicekräfte
gezahlten Beträge Lohnsteuer (nebst Annexsteuern)
nach.
Der Einspruch der Klägerin blieb ohne
Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage mit
den in DStRE 2007, 285 = SIS 06 36 01 veröffentlichten
Gründen ab.
Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt, den geänderten
Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid vom 17.10.2003 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 20.10.2003 dahingehend zu ändern,
dass die nachzuerhebende Lohnsteuer für die Kalenderjahre 1996
bis 2000 auf insgesamt 1.541,55 EUR (nebst Annexsteuern)
festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Zwar ist die Entscheidung des FG, dass die im
Rahmen des Vertriebs der Produkte der Klägerin in
Warenhäusern beschäftigten Servicekräfte als
Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen sind, revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden (1.). Das FG hat jedoch nicht hinreichend
geprüft, ob hinsichtlich der Lohnsteuer der Servicekräfte
die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin
durch Nachforderungsbescheid vorliegen (2.).
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass
die Servicekräfte lohnsteuerrechtlich als Arbeitnehmer zu
behandeln sind.
a) Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer für
Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn
einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes
- EStG - ) und abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG). Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a. Bezüge
und Vorteile, die für eine Beschäftigung im
öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Nach
§ 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der
Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (i.V.m. § 51 Abs. 1
Nr. 1 Buchst. a EStG), die nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) den Arbeitnehmerbegriff zutreffend auslegen,
liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Angestellte
(Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet.
Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der
Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung
des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des
Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist
(BFH-Urteile vom 14.6.1985 VI R 150-152/82, BFHE 144, 225, BStBl II
1985, 661 = SIS 85 20 25; vom 23.10.1992 VI R 59/91, BFHE 170, 48,
BStBl II 1993, 303 = SIS 93 09 33; vom 2.12.1998 X R 83/96, BFHE
188, 101, BStBl II 1999, 534 = SIS 99 09 24; vom 14.6.2007 VI R
5/06, BFHE 218, 233 = SIS 07 29 06; vom 29.5.2008 VI R 11/07, BFHE
221, 182, BStBl II 2008, 933 = SIS 08 29 15; vom 22.7.2008 VI R
51/05, BStBl II 2008, 981 = SIS 08 35 55).
Es entspricht ständiger Rechtsprechung
des BFH, dass der Arbeitnehmerbegriff sich nicht durch
Aufzählung feststehender Merkmale abschließend bestimmen
lässt. Das Gesetz bedient sich nicht eines tatbestandlich
scharf umrissenen Begriffs. Es handelt sich vielmehr um einen
offenen Typusbegriff, der nur durch eine größere und
unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden kann. Die Frage,
ob jemand eine Tätigkeit selbständig oder
nichtselbständig ausübt, ist deshalb anhand einer
Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der
Verhältnisse zu beurteilen. Hierzu hat der erkennende Senat in
seinem Urteil in BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661 = SIS 85 20 25
zahlreiche Kriterien (Indizien) beispielhaft aufgeführt, die
für die bezeichnete Abgrenzung Bedeutung haben können.
Diese Merkmale sind im konkreten Einzelfall jeweils zu gewichten
und gegeneinander abzuwägen. Diese Aufgabe obliegt in erster
Linie den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz. Die im Wesentlichen
auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung ist
revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar
(BFH-Beschlüsse vom 9.9.2003 VI B 53/03, BFH/NV 2004, 42 = SIS 03 52 65; vom 9.11.2004 VI B 150/03, BFH/NV 2005, 347 = SIS 05 12 37; vom 16.11.2006 VI B 74/06, BFH/NV 2007, 235 = SIS 07 03 72;
BFH-Urteil vom 7.11.2006 VI R 81/02, BFH/NV 2007, 426 = SIS 07 06 80; BFH-Urteil in BFHE 218, 233 = SIS 07 29 06, jeweils
m.w.N.).
b) Nach diesen Maßstäben lässt
die Würdigung des FG, die fraglichen Servicekräfte seien
als Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen, keinen Rechtsfehler
erkennen.
Ausgehend von der einschlägigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung hat das FG eine umfassende
Würdigung der besonderen Umstände des Streitfalles
vorgenommen. Gegen die vom FG seiner Würdigung zugrunde
gelegten Feststellungen zu den konkreten Bedingungen, denen die von
der Klägerin beschäftigten Servicekräfte bei ihrer
Tätigkeit unterworfen waren, hat die Klägerin keine
Verfahrensrügen vorgebracht; der Senat ist deshalb an diese
Feststellungen gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden.
Auch die Gewichtung der einzelnen Merkmale des Arbeitnehmerbegriffs
ist eine tatrichterliche Aufgabe des FG, die der BFH nur bei
Rechtsverstößen überprüfen kann (BFH-Urteile
in BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661 = SIS 85 20 25, und in BFHE
218, 233 = SIS 07 29 06). Kommen - wie hier - keine
Verstöße gegen die Verfahrensordnung in Betracht, so ist
die Beweiswürdigung nur bei Verstößen gegen
Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze revisibel (vgl.
z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118
Rz 30, m.w.N.). Derartige im Revisionsverfahren beachtliche
Rechtsfehler lässt die angegriffene finanzgerichtliche
Entscheidung jedoch nicht erkennen. Das FG hat u.a. darauf
abgestellt, ob die von der Klägerin beschäftigten
Servicekräfte einfache Tätigkeiten (Handarbeiten)
ausgeübt haben, und darauf hingewiesen, dass dies für
eine Arbeitnehmereigenschaft spreche. Ein solcher Schluss ist
möglich; die Arbeitnehmereigenschaft indiziert der Umstand,
dass die Tätigkeit des Beschäftigten weniger durch dessen
persönliche Fähigkeiten und Eigenschaften geprägt,
sondern eher rein mechanischer Natur ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE
218, 233 = SIS 07 29 06).
Das FG hat sich weiter auch mit der Frage
auseinandergesetzt, ob die Servicekräfte weisungsgebunden
hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt ihrer Tätigkeit gewesen
sind. Seine Würdigung, dass den Servicekräften bereits
vertragliche Vorgaben gemacht worden seien, die weitere konkrete
Weisungen entbehrlich gemacht hätten, ist jedenfalls
nachvollziehbar. Der Schluss, dass die Klägerin die
Servicekräfte jedenfalls mittelbar durch die Leitung der
jeweiligen Kunden (Warenhäuser) überwacht habe, ist
gleichfalls möglich. Diese Würdigung betrifft auch die
Frage der Eingliederung der Servicekräfte in die betriebliche
Organisation der Klägerin. Des Weiteren hat sich das FG mit
der Frage beschäftigt, ob die Servicekräfte
Unternehmerrisiko getragen und Unternehmerinitiative entwickelt
haben. Dabei konnte das FG ohne Rechtsverstoß zu der
Folgerung gelangen, dass die Verdienstmöglichkeiten der
Servicekräfte vertraglich begrenzt gewesen seien und die den
Servicekräften offen stehende Möglichkeit, auch noch
weitere Regalpflegearbeiten in dem gleichen oder in anderen
Warenhäusern zu übernehmen, nur zu weiteren
Arbeitsverhältnissen der Beschäftigten geführt
hätte. Das FG hat insoweit auch nachvollziehbar dargelegt,
dass der nur wegen des offenen Zeitpunkts der Warenanlieferung
bestehende zeitliche Spielraum der Servicekräfte kein Ausdruck
unternehmerischer Entscheidungsfreiheit gewesen sei. Ebenso durfte
das FG davon ausgehen, dass die fehlende Vereinbarung von
Sozialleistungen nicht zwingend gegen das Vorliegen eines
Arbeitsverhältnisses spricht. Damit hat das FG seine
Würdigung auf mehrere, ganz unterschiedliche Indizien
gestützt. Bei jeder Gesamtwürdigung ist denkbar, dass das
eine oder andere Merkmal anders gesehen werden kann, es aber wegen
der Gesamtbetrachtung an Bedeutung in der einen Richtung gewinnt
oder verliert (BFH-Urteil vom 1.3.1973 IV R 231/69, BFHE 109, 39,
BStBl II 1973, 458 = SIS 73 02 33). Revisionsrechtlich genügt
es deshalb, dass die vom FG vorgenommene Würdigung - wie hier
- möglich ist. Der BFH darf als Revisionsgericht seine eigene
Würdigung nicht an die Stelle der noch vertretbaren
Würdigung des FG setzen (z.B. BFH-Urteile vom 2.12.2005 VI R
16/03, BFH/NV 2006, 544 = SIS 06 11 82, und in BFHE 221, 182, BStBl
II 2008, 933 = SIS 08 29 15).
2. Der erkennende Senat geht davon aus, dass
die Klägerin den angefochtenen Nachforderungsbescheid nur
hinsichtlich der Höhe der nachgeforderten pauschalen
Lohnsteuer (nebst Annexsteuern) angreift, das FA also nicht auf die
Haftung nach § 42d EStG verweisen will. Aufgrund der
bisherigen Feststellungen des FG lässt sich jedoch
revisionsrechtlich nicht überprüfen, ob das FG zu Recht
angenommen hat, dass das FA die Klägerin auch hinsichtlich der
auf die Servicekräfte in den Streitjahren entfallenden
Lohnsteuer durch Nachforderungsbescheid in Anspruch nehmen
durfte.
a) Die Nachforderung von Lohnsteuer beim
Arbeitgeber durch Steuerbescheid kommt in Betracht, wenn die
Lohnsteuer vorschriftswidrig nicht angemeldet worden ist und es
sich um eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers handelt (vgl.
Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort
Nachforderung von Lohnsteuer, Rz 2 und 55; Küttner/Huber,
Personalbuch 2008, Stichwort Lohnsteuernachforderung, Rz 2 und 16).
Eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers liegt auch vor, wenn die
Voraussetzungen für eine Pauschalierung der Lohnsteuer nach
§ 40a Abs. 2 EStG in seiner in den Streitjahren geltenden
Fassung (a.F.) - wie sie das FA für die Servicekräfte
seinem angefochtenen Bescheid in Anknüpfung an den Bericht
über die Lohnsteuer-Außenprüfung zugrunde gelegt
hat - vorliegen. Denn der Arbeitgeber ist nach § 40 Abs. 3
Satz 2 EStG, der gemäß § 40a Abs. 5 EStG u.a. auch
auf die Pauschalierung nach § 40a Abs. 2 EStG anzuwenden ist,
Schuldner der pauschalen Lohnsteuer. Pauschale Lohnsteuer schuldet
der Arbeitgeber indes nur, wenn er der Pauschalierung zustimmt.
Nach § 40a Abs. 2 Satz 1 EStG a.F. kann der Arbeitgeber unter
Verzicht auf die Vorlage einer Lohnsteuerkarte bei Arbeitnehmern,
die nur in geringem Umfang und gegen geringen Arbeitslohn
beschäftigt werden, die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz
von 20 % des Arbeitslohns erheben. Indem das Gesetz die Wahl des
Erhebungsverfahrens dem Arbeitgeber überlässt
(„kann“), eröffnet es dem Arbeitgeber ein
Pauschalierungswahlrecht (vgl. K.J. Wagner in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 40a EStG Rz 17). Dem
Arbeitgeber steht es frei, ob und für welche Arbeitnehmer er
von den gesetzlichen Pauschalierungsmöglichkeiten Gebrauch
macht (vgl. BFH-Urteil vom 25.5.1984 VI R 223/80, BFHE 141, 54,
BStBl II 1984, 569 = SIS 84 14 30; näher dazu z.B. HHR/K.J.
Wagner, a.a.O.; Eisgruber in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 40a
Rz 2; Blümich/ Heuermann, § 40a EStG Rz 6). Auch die
Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40a Abs. 2 EStG a.F. darf
deshalb nicht gegen den Willen des Arbeitgebers vorgenommen
werden.
b) Nach den bislang vom FG getroffenen
tatsächlichen Feststellungen lässt sich nicht beurteilen,
ob die Klägerin das ihr zustehende Pauschalierungswahlrecht
ausgeübt hat und deshalb die vom FA angenommenen
Voraussetzungen für einen Nachforderungsbescheid auch
hinsichtlich der Servicekräfte der Klägerin vorliegen. Im
zweiten Rechtsgang wird das FG die entsprechenden Feststellungen
nachzuholen und die Voraussetzungen der Nachforderung pauschaler
Lohnsteuer der Servicekräfte zu prüfen haben.