JPdöR, Vorsteuerabzug, Maßnahmen zur Bekämpfung der Schweinepest: 1. Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist zwischen der umsatzsteuerrechtlich relevanten Betätigung im Unternehmen und der nicht unternehmerischen - vorzugsweise hoheitlichen - Tätigkeit zu unterscheiden. - 2. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts führt unternehmerische Tätigkeiten aus, wenn sie - auf privatrechtlicher Grundlage - im eigenen Namen gegen Entgelt Lieferungen oder sonstige Leistungen erbringt. - 3. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung gilt nur insoweit nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 UStG 1993 als Unternehmerin, als sie selbst Umsätze ausführt. - 4. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ist aus der Übernahme von Schweinen im Rahmen von Sondermaßnahmen nach Ausbruch der Schweinepest nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn sie die Schweine nicht durch Umsätze für ihr Unternehmen verwendete, sondern lediglich in Tierkörperbeseitigungsanstalten entsorgen ließ. - Urt.; BFH 3.7.2008, V R 51/06; SIS 08 41 89
I. Streitig ist, ob die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), die Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung, Vorsteuerbeträge aus
Gutschriften für die Übernahme von Mastschweinen und
Ferkeln in den Streitjahren 1997 und 1998 abziehen kann.
Nach einem Ausbruch der sog. klassischen
Schweinepest Anfang 1997 wurden in einigen Erzeugungsgebieten
Deutschlands Schutz- und Überwachungszonen errichtet und die
Vermarktung von lebenden Schweinen und Schweinefleisch
vorübergehend untersagt. Dadurch befürchtete die
Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Kommission) eine
schwerwiegende Störung des Schweinemarktes in Deutschland. Zur
Verhinderung einer weiteren Ausbreitung der Schweinepest sollten
daher die in den entsprechenden Gebieten erzeugten Schweine vom
normalen Absatz ausgeschlossen und zu Erzeugnissen verarbeitet
werden, die für andere Zwecke als die menschliche
Ernährung bestimmt sind. Für die Abgabe der aus den
betroffenen Gebieten stammenden Mastschweine und Ferkel an die
Behörden sollte eine Beihilfe festgesetzt werden.
Unter Berücksichtigung dieser
Erwägungen erließ die Kommission am 3.3.1997 die
Verordnung (EG) Nr. 414/97 „mit Sondermaßnahmen zur
Stützung des Schweinemarkts in Deutschland“. Nach deren
Art. 1 kann den Erzeugern auf deren Antrag durch die
zuständigen deutschen Behörden eine Beihilfe gewährt
werden, wenn sie Mastschweine oder Ferkel an diese Behörden
abgeben, wobei die Mastschweine und Ferkel aus bestimmten Schutz-
und Überwachungszonen stammen mussten (Art. 2).
Für den erneuten Ausbruch der
Schweinepest im Jahr 1998 erließ die Kommission aus den
gleichen Gründen die ähnliche Verordnung (EG) Nr. 370/98
vom 17.2.1998, die sich allerdings nur auf die Abgabe von Ferkeln
bezog.
Die Umsetzung der Verordnungen (EG) Nr.
414/97 und Nr. 370/98 (im Folgenden Verordnungen) oblag der
Klägerin.
Die betroffenen Landwirte boten der
Klägerin auf einem vorgedruckten Formular Ferkel und
Mastschweine zur „Übernahme“ an. In dem Formular
war die einschlägige Verordnung in Bezug genommen. Ferner
erkannte der Landwirt die auf dem Formular abgedruckten
„Ergänzungen zu den Beihilfebedingungen“
an.
Die Klägerin nahm die jeweiligen
Angebote der Landwirte an, zahlte ihnen pro Kilogramm
Schweinefleisch zwischen 3,21 DM und 3,26 DM und rechnete die
Ankäufe der Schweine und Ferkel vereinbarungsgemäß
im Gutschriftverfahren ab. Dabei wies sie in den Gutschriften 9 %
oder 9,5 % Umsatzsteuer für nach Durchschnittssätzen
(§ 24 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1993) besteuerte
Landwirte und 7 % für die der Regelbesteuerung unterliegenden
Landwirte aus.
Nach der Übernahme der Schweine von
den Landwirten wurde der größte Teil der Tiere
bestimmungsgemäß in Tierkörperbeseitigungsanstalten
beseitigt. Diese stellten der Klägerin für den
„Transport und die Entsorgung“ der übernommenen
Tierkörper ... DM je Tonne in Rechnung, verarbeiteten die
Tiere zu Tiermehl, Fetten und Ölen und veräußerten
diese Erzeugnisse sodann auf dem freien Markt.
Nachdem durch die Verordnung (EG) Nr.
546/97 vom 25.3.1997 gestattet worden war, geschlachtete Schweine
bis zu einer Menge von 4.000 Tonnen zur Herstellung von erhitzten
Schweinefleischprodukten zu verwenden, verkaufte die Klägerin
einen Teil der in 1997 erworbenen Tiere an Unternehmen der
fleischverarbeitenden Industrie. Diese Unternehmen verarbeiteten
das Schweinefleisch zu Fleischkonserven und führten sie in
Drittländer aus.
Die in den Gutschriften gegenüber den
Landwirten ausgewiesene Umsatzsteuer machte die Klägerin in
ihren - zu Festsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
(§ 164 der Abgabenordnung - AO - ) führenden -
Steuererklärungen als Vorsteuerbeträge geltend.
Im Anschluss an
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen versagte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) den Vorsteuerabzug
für die Annahme von Tieren, die in
Tierkörperbeseitigungsanstalten entsorgt worden waren,
ließ ihn aber zu, soweit Tiere zu erhitzten
Schweinefleischprodukten verarbeitet worden waren. Mit nach §
164 Abs. 2 AO geänderten Bescheiden vom 23.5.2000 kürzte
das FA dementsprechend die Vorsteuerbeträge um ... DM für
das Jahr 1997 und um ... DM für das Jahr 1998.
Einspruch und Klage hatten keinen
Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte zur
Begründung seines in EFG 2007, 549 = SIS 07 18 95
veröffentlichten Urteils aus, der begehrte Vorsteuerabzug
(§ 15 UStG 1993) sei nicht möglich, weil die Abgabe von
Mastschweinen und Ferkeln an die Klägerin gegen Zahlung von
„Beihilfen“ nicht steuerbar sei; denn sie sei nicht im
Rahmen eines Leistungsaustausches erfolgt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1
UStG 1993).
Zwischen der Klägerin und den
Tierkörperbeseitigungsanstalten habe auch kein
tauschähnlicher Umsatz („Lieferung der Tiere gegen
Erbringung von Entsorgungsleistungen“) stattgefunden, weil
die Klägerin keine Mastschweine und Ferkel an die
Tierkörperbeseitigungsanstalten geliefert habe.
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Ansicht,
zwischen ihr, der Klägerin, und den Landwirten habe ein
Leistungsaustausch stattgefunden.
Sie, die Klägerin, sei
gemäß § 3 des Gesetzes zur Durchführung der
Gemeinsamen Marktorganisation und der Direktzahlungen (MOG)
Marktordnungsstelle. Ihre Tätigkeit gelte nach § 2 Abs. 3
Satz 2 Nr. 5 UStG 1993 als „gewerbliche
Tätigkeit“.
Außerdem habe sie den
Tierkörperbeseitigungsanstalten Schweine geliefert; diese
hätten die Produkte aus der Verarbeitung der Tiere
eigenständig und auf eigene Rechnung vermarkten können.
Für die Übernahme, den Transport und die Beseitigung habe
sie kein Entgelt gezahlt. Es liege demnach ein tauschähnlicher
Vorgang (§ 3 Abs. 12 Satz 2 UStG 1993) vor.
Die Klägerin beantragt, unter
Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom
17.10.2001 sowie unter Änderung des Bescheides vom 23.5.2000
die Umsatzsteuer für 1997 auf ... EUR und die Umsatzsteuer
für 1998 auf ... EUR herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Ob der von der
Klägerin geltend gemachte Vorsteuerabzug aus der
Übernahme der Schweine - entsprechend der Auffassung des FG -
daran scheitert, dass die Abgabe der Schweine an die Klägerin
nicht steuerbar war (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993), kann offen
bleiben. Denn der Vorsteuerabzug ist jedenfalls deswegen
ausgeschlossen, weil die Klägerin die Tiere nicht i.S. des
§ 15 UStG 1993 „für ihr Unternehmen“
verwendete.
1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG
1993 kann der Unternehmer die folgenden Vorsteuerbeträge
abziehen: „die in Rechnungen im Sinne des § 14
gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige
Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen
ausgeführt worden sind“.
Gemeinschaftsrechtliche Grundlage dieser
Vorschrift ist Art. 17 der in den Streitjahren geltenden Fassung
der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Nach Art. 17 Abs.
2 der Richtlinie 77/388/EWG ist der Steuerpflichtige zum
Vorsteuerabzug befugt, „soweit die Gegenstände und
Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze
verwendet werden“.
2. a) Nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - (z.B.
Urteil vom 8.6.2000 C-98/98, Midland Bank plc, Slg. 2000, I-4177,
UVR 2000, 348 = SIS 00 09 97, Leitsatz) ist Art. 17 der Richtlinie
77/388/EWG so auszulegen, „dass grundsätzlich ein
direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten
Eingangsumsatz und einem oder mehreren Umsätzen der
nachfolgenden Stufe, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, bestehen
muss, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist
und der Umfang dieses Rechts bestimmt werden kann“.
Das Recht auf Vorsteuerabzug ergibt sich
grundsätzlich daraus, dass die Aufwendungen für den Bezug
der Eingangsumsätze Teil der Kosten der Ausgangsumsätze
sind (EuGH-Urteile Midland Bank plc in Slg. 2000, I-4177, UVR 2000,
348 = SIS 00 09 97 Randnr. 30; vom 13.3.2008 Rs. C-437/06,
Securenta, BFH/NV Beilage 2008, 207 = SIS 08 16 67 Randnrn. 27,
37); der vom Steuerpflichtigen verfolgte endgültige Zweck ist
dabei unerheblich (EuGH-Urteil Midland Bank plc in Slg. 2000,
I-4177, UVR 2000, 348 = SIS 00 09 97 Randnr. 20).
b) § 15 UStG 1993 beruht auf Art. 17 der
Richtlinie 77/388/EWG und ist nach den wiedergegebenen
Grundsätzen auszulegen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 9.11.2006 V R 9/04, BFHE 215, 372, BStBl II 2007, 285 = SIS 07 07 86, unter II.1.b aa; BFH-Beschlüsse vom 11.5.2007 V B
129/05, BFH/NV 2007, 1551 = SIS 07 24 58; vom 14.4.2008 XI B
171/07, BFH/NV 2008, 1215 = SIS 08 25 36).
Demnach ist bei juristischen Personen des
öffentlichen Rechts zwischen der umsatzsteuerrechtlich
relevanten Betätigung im Unternehmen und der nicht
unternehmerischen - vorzugsweise hoheitlichen - Tätigkeit zu
unterscheiden (BFH-Urteile vom 20.12.1984 V R 25/76, BFHE 142, 524,
BStBl II 1985, 176 = SIS 85 05 24, unter B.3.b; vom 10.3.1994 V R
91/91, BFH/NV 1995, 451, unter 1.; vom 9.10.2002 V R 64/99, BFHE
200, 119, BStBl II 2003, 375 = SIS 03 05 87, unter II.2.; vom
1.7.2004 V R 64/02, BFH/NV 2005, 252 = SIS 05 08 18, unter II.3.;
Abschn. 212 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 2008). Eine
unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit führt eine
juristische Person des öffentlichen Rechts aus, wenn sie - auf
privatrechtlicher Grundlage - in eigenem Namen gegen Entgelt
Lieferungen oder sonstige Leistungen erbringt (vgl. BFH-Urteil in
BFHE 200, 119, BStBl II 2003, 375 = SIS 03 05 87, unter
II.2.c).
c) Im Streitfall verwendete die Klägerin
die angekauften Schweine nicht für ihr Unternehmen. Denn sie
ließ die Tiere in den Tierkörperbeseitigungsanstalten
entsorgen. Bei diesem Leistungsaustausch war die Klägerin
nicht Leistende, sondern nur Leistungsempfängerin. Entgegen
der Ansicht der Klägerin lieferte sie nämlich dabei keine
Schweine an die Tierkörperbeseitigungsanstalten.
aa) Das FG hat festgestellt, dass die
Tierkörperbeseitigungsanstalten der Klägerin - entgegen
dem Vortrag der Klägerin - für den Transport der
übernommenen Tiere ... DM je Tonne in Rechnung gestellt haben.
Diese Feststellung hat die Klägerin nicht durch zulässige
und begründete Verfahrensrügen angegriffen.
bb) Ferner hat das FG den Sachverhalt
dahingehend gewürdigt, die Leistungsbeziehungen zwischen
Klägerin und den Tierkörperbeseitigungsanstalten
hätten sich darauf beschränkt, dass die
Tierkörperbeseitigungsanstalten der Klägerin
gegenüber Transport- und Entsorgungsleistungen (sonstige
Leistungen) erbrachten. Die Klägerin habe keine Schweine an
die Tierkörperbeseitigungsanstalten geliefert. Denn die
Klägerin habe trotz gerichtlicher Aufforderung weder
schriftliche Verträge über den Verkauf der Tiere an die
Tierkörperbeseitigungsanstalten vorlegen noch darlegen
können, dass hierüber mündliche Verträge
geschlossen worden seien. Demnach liege kein tauschähnlicher
Vorgang (§ 3 Abs. 12 Satz 2 UStG 1993) vor.
Diese Würdigung des FG ist möglich,
verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen
Erfahrungssätze und bindet den Senat daher (§ 118 Abs. 2
FGO).
d) Die Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr.
5 UStG 1993 steht dem nicht entgegen.
aa) Danach gelten als gewerbliche oder
berufliche Tätigkeit die Tätigkeit der Bundesanstalt
für Landwirtschaft und Ernährung, soweit Aufgaben der
Marktordnung, der Vorratshaltung und der Nahrungsmittelhilfe
wahrgenommen werden.
Die Klägerin, die Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung, ist gemäß § 3
Abs. 1 MOG Marktordnungsstelle und nach § 7 Abs. 1 Satz 1 MOG
Interventionsstelle. Zu den Aufgaben der Marktordnung gehören
die Interventionen (§ 7 MOG), d.h. die Übernahme, Abgabe
und Verwertung von Marktordnungswaren durch die Interventionsstelle
(§ 5 MOG).
Gemeinschaftsrechtliche Grundlage des § 2
Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 UStG 1993 ist Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 der
Richtlinie 77/388/EWG. Danach gelten Staaten, Länder und
sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts in Bezug auf
die in Anhang D der Richtlinie 77/388/EWG aufgeführten
Tätigkeiten als Steuerpflichtige, sofern der Umfang dieser
Tätigkeiten nicht unbedeutend ist. Hierzu gehören nach
Nr. 7 des Anhangs D der Richtlinie 77/388/EWG
„Umsätze der landwirtschaftlichen
Interventionsstellen aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die in
Anwendung der Verordnungen über die gemeinsame
Marktorganisation für diese Erzeugnisse bewirkt
werden“. Diese Kriterien müssen kumulativ vorliegen
(EuGH-Urteil vom 13.12.2007 Rs. C-408/06, Landesanstalt für
Landwirtschaft/Götz, BFH/NV Beilage 2008, 147 = SIS 08 10 52
Randnr. 25).
bb) Ob die Abgabe der Schweine an die
Tierkörperbeseitigungsanstalten eine Intervention i.S. des
§ 5 MOG war und damit die Klägerin insoweit eine Aufgabe
der Marktordnung wahrnahm (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 UStG 1993)
kann im Streitfall dahinstehen. Denn bei richtlinienkonformer
Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 UStG 1993 gelten nur
„Umsätze der landwirtschaftlichen
Interventionsstellen“ (Nr. 7 des Anhangs D der Richtlinie
77/388/EWG) als berufliche oder gewerbliche Tätigkeit. Die
Klägerin führte aber - wie bereits dargelegt - keine
Umsätze an die Tierkörperbeseitigungsanstalten aus.