Neue Anteile bei Verschmelzung, Spekulationsfrist: Mit dem Erwerb neuer Anteile im Zuge der Verschmelzung beginnt für den Anteilseigner die nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG maßgebliche Veräußerungsfrist von einem Jahr. - Urt.; BFH 19.8.2008, IX R 71/07; SIS 08 38 87
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) werden im Streitjahr (2000) zur Einkommensteuer
zusammen veranlagt. Der Kläger erwarb am 22.3.1999 für
2.050 EUR Anteile an der X GmbH, die am gleichen Tag zur S GmbH
umfirmierte (im Folgenden: S 1). Am 19.4.1999 erhöhte S 1 ihr
Kapital, nahm neue Gesellschafter auf und wandelte sich in eine
Aktiengesellschaft (AG) um. Am 14.12.1999 wurde sie auf eine zuvor
gegründete AG verschmolzen, die im Anschluss daran als S AG (S
2) firmierte und als solche am 16.12.1999 in das Handelsregister
eingetragen wurde. Der Kläger veräußerte am 27.
Juni des Streitjahres seine im Zuge der Verschmelzung erhaltenen
Anteile an der S 2 für 5.125.000 EUR.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) erfasste im (geänderten)
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr Einkünfte aus
privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von
5.124.995 DM (als Differenz der 5.125.000 DM aus der
Veräußerung der Anteile im Streitjahr sowie einem
Verlust von 5 DM aus Vorjahren).
Die Klage blieb erfolglos. Das
Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in EFG 2008, 392 = SIS 08 08 94 veröffentlichten Urteil die Auffassung, mit dem
Verschmelzungsvorgang beginne eine neue
Veräußerungsfrist i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG). Der
damit zu erfassende Veräußerungsgewinn sei durch das FA
zwar nicht zutreffend ermittelt worden, weil erkennbar keine
Anschaffungs- und Veräußerungskosten steuermindernd
berücksichtigt worden seien. Indes habe das FA statt des
vereinbarten Euro-Betrages einen entsprechenden DM-Betrag erfasst.
Weil es dadurch den Kaufpreis um ca. 5.000.000 DM zu niedrig
angesetzt habe, dürfe das FG nicht berücksichtigte
Anschaffungs- und Veräußerungskosten
kompensieren.
Mit der Revision rügen die Kläger
die Verletzung materiellen Rechts. Die Anteile an der
übernehmenden Körperschaft träten steuerlich an die
Stelle der Anteile der übertragenden Körperschaft. Das
Gesetz fingiere in § 13 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes
i.d.F. des Streitjahres (UmwStG) Veräußerungs- und
Anschaffungsvorgänge. Die Kläger seien auch in ihrem
Vertrauen auf das Fortgelten der ursprünglich sechsmonatigen
Spekulationsfrist in verfassungsrechtlich bedeutsamer Weise zu
schützen; denn die maßgebliche Disposition des
Klägers (Erwerb der GmbH-Anteile) liege vor der Bekanntmachung
der Gesetzesänderung am 31.3.1999. Ferner sei die zugrunde
liegende Steuernorm (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) wegen
strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig. Schließlich
habe das FA den am Tage nach der Urteilsverkündung erlassenen
Änderungsbescheid nicht wirksam bekannt gegeben und
unzutreffend auf § 129 der Abgabenordnung (AO)
gestützt.
Die Kläger beantragen, das
angefochtene Urteil aufzuheben und den
Einkommensteueränderungsbescheid für 2000 vom 10.9.2004
in der zuletzt durch Berichtigungsbescheid vom 8.8.2007
geänderten Form sowie den entsprechenden Bescheid über
die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur
Einkommensteuer zum 31.12.2000 dergestalt zu ändern, dass
sonstige Einkünfte aus einem privaten
Veräußerungsgeschäft nicht angesetzt
werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Nach Verkündigung des angefochtenen
Urteils hat das FA am 8.8.2007 den Einkommensteuerbescheid für
das Streitjahr geändert. Es hat diese Änderung auf §
129 AO gestützt und diesen Bescheid wie folgt begründet:
„Statt des bisher irrtümlich angesetzten
Veräußerungsgewinns von 5.125.000 DM sind nunmehr
5.125.000 EUR (10.023.628 DM) zu
berücksichtigen“.
II. 1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Es kann keinen
Bestand haben; denn das FG hat über den
Einkommensteuerbescheid vom 1.9.2006 und damit über einen
nicht mehr wirksamen Bescheid entschieden (vgl. dazu Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27.7.2004 IX R 44/01, BFH/NV 2005, 188
= SIS 05 07 57, und vom 28.8.2003 IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl
II 2004, 10 = SIS 03 42 92).
2. Der Senat entscheidet nach §§
100, 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf der Grundlage der
bestehen bleibenden Feststellungen und weist die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Zwar ist die Anteilsveräußerung, um die es hier geht,
nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steuerbar und das FA musste
einen Veräußerungsgewinn erfassen (unter b), es durfte
den zunächst angefochtenen Bescheid auch nach § 129 AO
ändern und statt des irrtümlich in DM ausgewiesenen
Betrags den Euro-Betrag ansetzen (unter a). Wegen der durch diese
Änderung allerdings nicht mehr möglichen Kompensation des
zunächst zu niedrig ausgewiesenen Gewinns müssen die
Kläger in die Lage versetzt werden, noch Anschaffungs- und
Veräußerungskosten geltend machen zu können.
Deshalb geht die Sache nach § 127 FGO an das FG zurück
(unter c).
a) Der Änderungsbescheid vom 8.8.2007 ist
nach §§ 68, 121 FGO zum Gegenstand dieses Verfahrens
geworden.
Das FA durfte den zunächst angefochtenen
Einkommensteuerbescheid nach § 129 AO ändern. Danach kann
das FA offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass des
Steuerbescheides unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. In der
Verwechslung von DM und EUR liegt ersichtlich eine offenbare
Unrichtigkeit. Das FA hat den Änderungsbescheid den (sowohl im
Klage- wie auch im Revisionsverfahren) Prozessbevollmächtigten
zugestellt und damit wirksam bekannt gemacht (vgl. BFH-Urteil vom
24.2.2005 IV R 28/00, BFH/NV 2005, 1062 = SIS 05 25 86). Es hat den
Änderungsbescheid nach § 121 Abs. 1 AO hinreichend
begründet.
b) Das FA hat die Veräußerung der
Anteile im Streitjahr dem Grunde nach zutreffend erfasst. Nach
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 22 Nr. 2 EStG sind
steuerbar private Veräußerungsgeschäfte bei anderen
Wirtschaftsgütern, insbesondere bei Wertpapieren, bei denen
der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht
mehr als ein Jahr beträgt.
aa) Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Kläger hat seine mit der
Verschmelzung erhaltenen Anteile im Streitjahr
veräußert. Er hat sie am 27. Juni des Streitjahres
für 5.125.000 EUR verkauft und damit entgeltlich
übertragen (vgl. zum Begriff der Veräußerung
BFH-Urteil vom 18.10.2006 IX R 7/04, BFHE 215, 193, BStBl II 2007,
258 = SIS 06 45 96).
Er hat diese Anteile (an der S 2) mit der
Verschmelzung und nicht schon mit dem Erwerb der Anteile an der S 1
angeschafft.
(1) Der in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG
verwendete Begriff „Anschaffung“ ist wie der
Ausdruck „Anschaffungskosten“ i.S. des § 6
EStG und des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB)
auszulegen (vgl. BFH-Urteile vom 19.12.2000 IX R 100/97, BFHE 194,
182, BStBl II 2001, 345 = SIS 01 06 25, und vom 22.5.2003 IX R
9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712 = SIS 03 32 19). Eine
Anschaffung liegt danach vor, wenn das Wirtschaftsgut entgeltlich
erworben wird (BFH-Urteil vom 20.4.2004 IX R 5/02, BFHE 206, 110,
BStBl II 2004, 987 = SIS 04 22 23).
(2) Erhält ein Anteilseigner im Zuge
einer Verschmelzung der Körperschaft, an der er beteiligt ist,
auf eine andere Körperschaft Anteile dieser (anderen)
Körperschaft, so handelt es sich aus der Sicht dieses
Anteilseigners um einen Tausch der Anteile an der
übertragenden Körperschaft gegen die Anteile an der
übernehmenden Körperschaft und damit um einen
entgeltlichen Erwerb (vgl. zum Tausch als entgeltlichen Erwerb
BFH-Urteil vom 2.5.2000 IX R 74/96, BFHE 192, 88, BStBl II 2000,
469 = SIS 00 09 60).
Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1
UmwStG gelten die Anteile an der übertragenden
Körperschaft als zu den Anschaffungskosten
veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile als
mit diesem Wert angeschafft. Indem das Gesetz von der
Veräußerung der Anteile an der übertragenden
Kapitalgesellschaft und der Anschaffung der „an ihre
Stelle tretenden Anteile“ spricht und sich in § 13
Abs. 3 Satz 2 UmwStG auf „die erworbenen
Anteile“ bezieht, geht es davon aus, dass die
Gesellschafter der übertragenden Körperschaft für
ihre Anteile an der übertragenden Körperschaft - und
damit als Gegenleistung - Anteile an der übernehmenden
Körperschaft „erhalten“ (vgl. BFH-Urteil
vom 7.11.2007 I R 41/05, zur amtlichen Veröffentlichung
bestimmt, BFH/NV 2008, 679 = SIS 08 12 00, unter II. 2. a, m.w.N.;
siehe auch Trossen in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG,
§ 13 Rz 8). Die Vorschrift fingiert also nicht den
Verschmelzungsvorgang als Anschaffung (das muss sie nicht, weil mit
dem Anteilstausch ohnehin eine Anschaffung vorliegt), sondern
allein die Kosten dieser Anschaffung. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. Abs. 2 Satz 1 UmwStG „gelten“ die ...
Anteile „als mit diesem Wert“ (=
Anschaffungskosten) angeschafft, um dadurch auch dem Anteilseigner
eine steuerneutrale Verschmelzung zu ermöglichen, andererseits
aber die Besteuerung der in den Anteilen an der übertragenden
Körperschaft liegenden stillen Reserven sicherzustellen (vgl.
zum Gesetzeszweck auch Bärwaldt in Haritz/Benkert,
Umwandlungssteuergesetz, 2. Aufl., § 13 Rz 2).
(3) Mit dem als Anschaffung zu
qualifizierenden Anteilstausch im Zuge der Verschmelzung beginnt
die maßgebliche Veräußerungsfrist von einem Jahr
(so auch Bundesministerium der Finanzen - BMF -, Schreiben vom
25.3.1998, BStBl I 1998, 268 ff. = SIS 98 09 38, Tz. 13.08, und die
h.M. im Schrifttum, z.B. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz,
Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 4. Aufl., § 13
UmwStG Rz 43, m.w.N.; Blümich/ Klingberg § 13 UmwStG Rz
23; Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 13 UmwStG Rz
150; a.A. Bärwaldt in Haritz/ Benkert, a.a.O., § 13 Rz
28).
Für den Streitfall folgt daraus: Der
Kläger hat mit dem Verkauf seiner mit der Verschmelzung im
Dezember 1999 angeschafften Anteile an S 2 am 27. Juni des
Streitjahres innerhalb der einjährigen
Veräußerungsfrist den Steuertatbestand des § 23
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verwirklicht.
bb) Diese Besteuerung begegnet keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken.
(1) § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist
nicht wegen strukturellen Vollzugsdefizits verfassungsrechtlich
zweifelhaft (BFH-Urteil vom 29.11.2005 IX R 49/04, BFHE 211, 330,
BStBl II 2006, 178 = SIS 06 06 75; Beschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts vom 10.1.2008 2 BvR 294/06, DStR 2008,
197 = SIS 08 10 38 - Nichtannahmebeschluss -, und des BFH vom
19.12.2007 IX B 219/07, BFHE 219, 353, BStBl II 2008, 382 = SIS 08 08 15).
(2) Die Rechtsanwendung im Streitfall
führt auch nicht zu einer verfassungsrechtlich problematischen
Rückwirkung, weil der Kläger die Anteile an der S 1
ursprünglich zu einer Zeit erwarb, als noch die sechsmonatige
Spekulationsfrist galt (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst.
b EStG a.F., § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 39
EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom
24.3.1999, BGBl I 1999, 402). Abgesehen davon, dass es hier nicht
auf den Anteilskauf im März 1999 ankommt, weil der hier
maßgebliche Anschaffungsvorgang mit der Verschmelzung erst im
Dezember 1999 stattfand, ist der Kläger in seinem Vertrauen
selbst dann nicht schutzwürdig, wenn man auf den Erwerb der
Anteile an S 1 als der maßgebenden Disposition abstellte.
Denn nach dem Senatsbeschluss vom 16.12.2003 IX R 46/02 (BFHE 204,
228, BStBl II 2004, 284 = SIS 04 05 46, unter B. III. 4. c bb (2)
und öfter) ist das Vertrauen in die alte Spekulationsfrist
noch nicht durch den Ablauf der Spekulationsfrist zu einem
Vertrauen in die „Steuerentstrickung“ erstarkt,
wenn die Spekulationsfrist - wie unstreitig im vorliegenden Fall -
zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch nicht abgelaufen
war.
c) Die Sache ist wegen des am 8.8.2007
erlassenen Änderungsbescheides in Bezug auf die Höhe des
Veräußerungsgewinns noch nicht spruchreif, so dass der
Senat sie nach § 127 FGO an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung zurückverweist: Das FA hat im
Änderungsbescheid den Veräußerungspreis (5.125.000
EUR) als Einkünfte aus privaten
Veräußerungsgeschäften erfasst, ohne die
Anschaffungskosten (2.050 EUR) abzuziehen und eventuelle
Veräußerungskosten zu berücksichtigen. Das FG
musste hierzu keine Feststellungen treffen, weil im
Einkommensteuerbescheid, über den es entschieden hat, ein um 5
Mio. DM zu gering ausgewiesener Gewinn erfasst worden war. Diese
Kompensationsmöglichkeiten hat der erkennende Senat nicht
mehr. Deshalb muss in einer neuen Verhandlung und Entscheidung
geklärt werden, in welcher Höhe der
Veräußerungsgewinn entstanden ist.