Verletzung der Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalt, Steuerhinterziehung, Hinzuschätzung: Die subjektiven und objektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung gemäß §§ 169 Abs. 2 Satz 2, 370 AO 1977 sind dem Grunde nach auch bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten immer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen. Dies gilt auch für die Verletzung sog. erweiterter Mitwirkungspflichten bei internationalen Steuerpflichten nach § 90 Abs. 2 AO 1977. - Urt.; BFH 7.11.2006, VIII R 81/04; SIS 07 06 44
I. Nachdem der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger), ein Notar, im August 1999 ein
Auskunftsersuchen des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und
Steuerfahndung erhalten hatte, erklärte er im Oktober 1999,
dass er im Zusammenhang mit der Einführung der
Zinsabschlagsteuer im Jahre 1993 Wertpapiere mit einem Nominalwert
von etwa 450.000 DM im Ausland angelegt und es bisher unterlassen
habe, die daraus resultierenden Zinserträge zu versteuern. Die
Steuererklärung für 1992 reichte der Kläger 1994 und
die Steuererklärung für 1991 im Jahre 1993 beim Beklagten
und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) ein. Zum Nachweis
für seine Auslandsanlagen überreichte der Kläger ein
Schreiben der X-Bank (Schweiz) vom 30.11.1999, aus dem sich
folgende Vermögensentwicklung ergibt:
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31.12.1994
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580.983 DM
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31.12.1995
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809.533 DM
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31.12.1996
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872.570 DM
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31.12.1997
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899.398 DM
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31.12.1998
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883.114 DM
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In diesem Schreiben heißt es, dass
für das Jahr 1994 keine Erträgnisaufstellung erstellt
worden sei, da die Kontoverbindung erst am 21.7.1994 erfolgt und in
der Zwischenzeit weder Erträge noch Gebühren angefallen
seien. Ferner überreichte der Kläger Erträgnis- und
Zinsaufstellungen für die Zeit von 1992 bis 1994 der Z-Bank
Luxemburg. Aus der Erträgnisaufstellung für 1992 ergibt
sich ein Wertpapierbestand von 39.000 DM, aus der
Erträgnisaufstellung für 1993 ergeben sich
festverzinsliche Wertpapiere im Wert von 728.000 DM und eine Reihe
inländischer Investmentzertifikate. Auf Anfrage der
Steuerfahndung trug der Prozessbevollmächtigte des
Klägers vor, dass dem Kläger aus dem Verkauf eines
ererbten Hauses am 5.11.1993 ein Betrag von 300.000 DM zugeflossen
sei, der nach Erinnerung des Klägers angelegt worden sei.
Später teilte der Kläger der Steuerfahndung mit, dass er
am 3.8.1992 einen Kaufpreis aus dem Verkauf eines Reihenhauses in
Höhe von 299.242,64 DM erhalten und sein Privatkonto bei der
F-Bank damals 369.171,73 DM betragen habe. Zum Beweis für
diese Behauptung reichte der Kläger einen Kontoauszug der
F-Bank vom 4.8.1992 und eine Bankanweisung ein.
Die Steuerfahndung kam zu dem Ergebnis,
dass für die Schätzung der Einkünfte aus
Kapitalvermögen des Klägers von einem
Anfangsvermögen zum 1.1.1987 in Höhe von 247.954 DM
auszugehen sei, das sich jährlich um einen Ansparbetrag in
Höhe von 30.000 DM und die Wiederanlage der Zinsen erhöht
habe. Das FA erließ daraufhin am 27.4.2001 gemäß
§ 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977)
entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für 1987
bis 1992.
Mit Einspruchsentscheidung vom 15.4.2002
wies das FA den hiergegen eingelegten Einspruch des Klägers
als unbegründet zurück. Die Höhe des zum 31.12.1992
vorhandenen und bis zur Selbstanzeige verschwiegenen Kapitals lasse
den Rückschluss zu, dass dieser Betrag über viele Jahre
hinweg neben dem bisher schon erklärten Vermögenszuwachs
angespart worden sei. Es erscheine angemessen, von einer Ansparrate
von 30.000 DM jährlich und einem Zinssatz von 7,5 v.H.
auszugehen.
Mit der hiergegen gerichteten Klage machte
der Kläger geltend, dass er für die Streitjahre 1987 bis
1992 zutreffende Steuererklärungen abgegeben habe, in denen
insbesondere auch die Zinseinkünfte zutreffend erklärt
worden seien. Nachdem der Kläger gemäß § 79b
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert worden war,
nachzuweisen, dass die Geldanlage in Luxemburg aus Guthaben bei der
F-Bank und aus Einkünften aus Notartätigkeit des Jahres
1992 erfolgt sei, legte er eine Entwicklung der Kapital- und
Finanzkonten seines Notariats für 1992 vor, aus der sich
ergibt, dass er in 1992 1.117.881 DM entnommen hat. Außerdem
legte er eine handschriftliche Aufzeichnung über Entnahmen
vor, aus der folgt, dass die letzte Entnahme des Jahres
1992.378.639 DM betragen habe. Aus dieser letzten Entnahme und dem
bereits zuvor nachgewiesenen Kontokorrentguthaben habe er die
Geldanlage in Luxemburg Ende 1992 getätigt.
Das FG gab der Klage mit seinem in EFG
2005, 246 = SIS 05 09 02 veröffentlichten Urteil vom 4.11.2004
11 K 2702/02 E statt.
Mit seiner Revision rügt das FA, das
FG habe die Anforderungen an das Beweismaß für die
Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen der Steuerhinterziehung
überspannt.
Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung
des finanzgerichtlichen Urteils abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision des
FA zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat
seine Entscheidung im Ergebnis zu Recht auf den Grundsatz
„in dubio pro reo“ gestützt. Dabei hat es
zwar nicht hinreichend zwischen den Fragen unterschieden, nach
welchen Maßstäben im Besteuerungsverfahren das Vorliegen
einer Steuerhinterziehung einerseits und deren genaue Höhe
andererseits festzustellen sind. Dies ist im Ergebnis jedoch
unschädlich, da jedenfalls die subjektiven und objektiven
Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach, wie das
FG richtig angenommen hat, auch bei der Verletzung von
Mitwirkungspflichten immer mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit festzustellen sind.
1. Das FA durfte die Änderungsbescheide
nur erlassen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen einer
Steuerhinterziehung i.S. der §§ 169 Abs. 2 Satz 2, 370 AO
1977 bzw. einer leichtfertigen Steuerverkürzung i.S. der
§§ 169 Abs. 2 Satz 2, 378 AO 1977 vorlagen.
a) Der Maßstab, nach dem im
Besteuerungsverfahren vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung
ausgegangen werden darf, ist seit der Entscheidung des Großen
Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5.3.1979 geklärt (vgl.
GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573 = SIS 79 02 89, m.w.N. aus der älteren Rechtsprechung). Die für das
Vorliegen einer Steuerhinterziehung gemäß § 169
Abs. 2 Satz 2 AO 1977 erforderlichen Feststellungen sind danach
zwar nicht nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO),
sondern nach denjenigen der AO 1977 und der FGO zu treffen
(Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 127, 140, BStBl
II 1979, 570 = SIS 79 02 89, unter C.I.2.a der Gründe).
Indessen ist auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren der
strafverfahrensrechtliche Grundsatz „in dubio pro
reo“ zu beachten (Beschluss des Großen Senats des
BFH in BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570 = SIS 79 02 89, unter
C.II.1. der Gründe; BFH-Urteile vom 21.10.1988 III R 194/84,
BFHE 155, 232, 237, BStBl II 1989, 216, 219 = SIS 89 05 58; vom
14.8.1991 X R 86/88, BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128 = SIS 92 02 47; vom 27.8.1991 VIII R 84/89, BFHE 165, 330, BStBl II 1992, 9 =
SIS 92 01 38; BFH-Beschluss vom 4.3.1999 II B 52/98, BFH/NV 1999,
1185 = SIS 99 50 06). Dies bedeutet, worauf bereits der Große
Senat des BFH hingewiesen hat, keine Übernahme von
Grundsätzen des Strafverfahrensrechts, sondern lässt sich
daraus ableiten, dass die Finanzbehörde (der
Steuergläubiger) im finanzgerichtlichen Verfahren die
objektive Beweislast (Feststellungslast) für
steueranspruchsbegründende Tatsachen trägt (Beschluss des
Großen Senats des BFH in BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570 =
SIS 79 02 89, unter C.II.1. der Gründe). Es ist bezüglich
des Vorliegens einer Steuerhinterziehung kein höherer Grad von
Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer
Tatsachen, für die das FA die Feststellungslast
trägt.
b) Bei nicht behebbaren Zweifeln ist die
Feststellung einer Steuerhinterziehung mittels reduzierten
Beweismaßes - mithin im Schätzungswege - nicht
zulässig. Hängt die Rechtmäßigkeit eines
Bescheides davon ab, dass eine Steuerhinterziehung vorliegt, kann
das Gericht eine Straftat nur feststellen, wenn es von ihrem
Vorliegen überzeugt ist. Es ist ausschließlich § 96
Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO anwendbar, der, der Sache nach mit
§ 261 StPO übereinstimmend, regelt, dass das FG nach
seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen
Überzeugung zu entscheiden hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 165,
458, BStBl II 1992, 128 = SIS 92 02 47). Daraus folgt, dass dem
Steuerpflichtigen anders als bei einer Schätzung von
Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO 1977 die Verletzung von
Mitwirkungspflichten nicht zum Vorwurf gemacht werden darf. Das
gilt auch für die Verletzung sog. erweiterter
Mitwirkungspflichten bei internationalen Steuerpflichten nach
§ 90 Abs. 2 AO 1977.
c) Von den vorgenannten Grundsätzen ist
auch der IV. Senat des BFH in seinem Urteil vom 2.7.1998 IV R 39/97
(BFHE 186, 299, BStBl II 1999, 28 = SIS 98 21 42) nicht abgewichen,
wie der IV. Senat auf Anfrage bestätigt hat. Denn in den
Entscheidungsgründen des zitierten Urteils des IV. Senats wird
ausdrücklich festgestellt, dass das FG als Vorinstanz vom
Vorliegen einer vorsätzlichen Steuerverkürzung seitens
des Steuerpflichtigen überzeugt gewesen sei. Der Grundsatz
„in dubio pro reo“ hindert ein FG nicht daran,
auf Grund seiner Feststellungen zu der vollen Überzeugung zu
gelangen, dass eine Steuerhinterziehung vorliegt (vgl. insoweit
auch den BFH-Beschluss vom 4.5.2005 XI B 230/03, BFH/NV 2005, 1485
= SIS 05 36 61).
d) Auf die Ausführungen des BFH im
Beschluss vom 29.1.2002 VIII B 91/01 (BFH/NV 2002, 749 = SIS 02 67 04), auf die das FG sein Urteil zusätzlich stützt, kommt
es im Streitfall nicht an. Diese betrafen die Schätzung der
Höhe hinterzogener Steuern nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO
i.V.m. § 162 AO 1977, welche trotz Geltung des Grundsatzes
„in dubio pro reo“ möglich bleibt (vgl.
dazu auch BFH-Urteil vom 1.8.2001 II R 48/00, BFH/NV 2002, 155 =
SIS 02 51 02, sowie aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs -
BGH - in Strafsachen BGH-Beschluss vom 13.10.1994 5 StR 134/94, HFR
1995, 476; BGH-Urteil vom 26.10.1998 5 StR 746/97, HFR 1999, 578 =
SIS 99 16 39). Allerdings schließt es die Geltung des
Grundsatzes „in dubio pro reo“ hierbei aus, die
Schätzung der hinterzogenen Steuern entsprechend den
allgemeinen Grundsätzen im Falle der Verletzung von
Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren an der oberen Grenze
des für den Einzelfall zu beachtenden Schätzrahmens
auszurichten (vgl. zu Letzterem BFH-Urteil vom 20.12.2000 I R
50/00, BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381 = SIS 01 08 14).
2. Vorliegend hat das FG eine
Steuerhinterziehung bereits dem Grunde nach in revisionsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise verneint.
Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit
der Überzeugungsbildung, die das Gericht zur Ablehnung einer
Steuerhinterziehung in den Streitjahren geführt hat, bestehen
nicht. Das Gericht hat hierzu ausgeführt, dass auf Grund der
vom Kläger nachgewiesenen Privatentnahmen des Jahres 1992 in
Höhe von 1.117.881 DM sowie der erklärten Einnahmen aus
Kapitalvermögen in Höhe von 79.135 DM und eines nicht
auszuschließenden weiteren Barvermögens bei einem
nachgewiesenen Kontostand von ca. 369.000 DM am 4.8.1992 nicht mit
der notwendigen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden konnte,
dass der Kläger erst im Jahr 1992.600.000 DM nach Luxemburg
überwiesen hat. Ein Verstoß gegen Denkgesetze oder die
Verletzung von Erfahrungsgrundsätzen sind hierbei nicht
erkennbar. Der erkennende Senat ist an die Feststellungen des FG in
dem angefochtenen Urteil gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).