Anonymer Wertpapiertransfer ins Ausland, Haftung leitender Bankangestellter: Es ist ernstlich zweifelhaft, welche Auswirkungen es für die Haftung (§ 71 AO) des Leiters der Wertpapierabteilung eines Kreditinstituts hat, wenn auf seine Initiative und mit seiner Billigung Wertpapiere anonym ins Ausland verlagert worden sind, jedoch die mutmaßlichen Haupttäter einer Steuerhinterziehung nicht ermittelt werden können und folglich nicht individuell festgestellt werden kann, ob eine Steuerhinterziehung überhaupt begangen und welche Steuer dadurch konkret hinterzogen worden ist. - Urt.; BFH 16.7.2009, VIII B 64/09; SIS 09 25 90
I. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner
(das Finanzamt - FA - ) nimmt den Antragsteller und
Beschwerdeführer (Antragsteller) gemäß § 71
der Abgabenordnung (AO) wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in
638 Fällen in Haftung.
Der Antragsteller war im fraglichen
Zeitraum Leiter der Wertpapieradministration bei einem großen
deutschen Kreditinstitut. Als leitender Angestellter und Prokurist
war er unmittelbar dem Vorstand verantwortlich. Das Kreditinstitut
war an Gesellschaften im Ausland beteiligt. Im
Verantwortungsbereich des Antragstellers kam es in den Jahren 1992
und 1993 tausendfach dazu, dass von Kunden am Schalter
eingelieferte effektive Wertpapiere entgegen genommen und zu den
ausländischen Kreditinstituten verbracht wurden ohne die
Identität der Kunden nachvollziehbar zu dokumentieren.
Stattdessen wurden den einzelnen Geschäftsvorfällen
Nummern zugeordnet, die keinen unmittelbaren Rückschluss auf
die Identität der dahinterstehenden Kunden zuließen.
Zwischen den Beteiligten ist in tatsächlicher Hinsicht noch
streitig, ob vom Antragsteller zu verantwortende und den
Schalterdienst betreffende interne Geschäftsanweisungen diese
Vorgänge gefördert oder begünstigt haben.
Seit 1996 führte das Finanzamt
für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung bei dem
Kreditinstitut Ermittlungen wegen des Verdachts der Beihilfe zur
Steuerhinterziehung gegen Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder des
Kreditinstituts durch. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen konnten
rd. 75 % der festgestellten Kapitaltransfers nachträglich
einzelnen Kunden zugeordnet werden. Hierbei ergaben die
Ermittlungen, dass nahezu kein nachträglich identifizierter
Kunde die Erträge aus den ins Ausland transferierten
Wertpapieren in seiner Einkommensteuererklärung für 1993
deklariert hatte. In ca. 6 % der Fälle hatte dies allerdings
keine steuerverkürzende Wirkung. Etwa 25 % der festgestellten
Kapitaltransfers konnten den Auftraggebern nicht zugeordnet werden.
Dabei handelt es sich um insgesamt 1.149 namentlich nicht bekannte
Kunden; 638 dieser Kunden hatten Wertpapiere ins Ausland bringen
lassen.
2001 erließ das Amtsgericht
Strafbefehle wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung gegen
Verantwortliche des Kreditinstituts. Gegen das Kreditinstitut wurde
zugleich wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß
§§ 30, 17 Abs. 4 des Gesetzes über
Ordnungswidrigkeiten eine Geldbuße von 15 Mio. DM
festgesetzt. Zur Begründung für die Geldbuße
führte das Amtsgericht u.a. aus, es sei der geschätzte
wirtschaftliche Vorteil berücksichtigt worden, der dem
Kreditinstitut aus der streitigen Betreuung der Kunden und ihrer
Vermögen erwachsen sein dürfte. Der Antragsteller wurde
vom Amtsgericht zu einer Gesamtgeldstrafe von 85 Tagessätzen
zu je 366 DM verurteilt. Der Strafbefehl ahndete zugleich die
eigene Steuerhinterziehung des Antragstellers.
Mit Haftungsbescheid vom 22.12.2004 nahm
das FA u.a. den Antragsteller wegen Beihilfe zur
Steuerhinterziehung in 1.149 (Einspruchsentscheidung: 638)
Fällen für die von den nicht identifizierten
Wertpapierkunden mutmaßlich hinterzogene Einkommensteuer 1993
über insgesamt 2.250.824,46 EUR gemäß § 71 AO
in Haftung. Nach den insoweit unstreitigen Feststellungen der
Steuerfahndung hatten die 638 nicht enttarnten Kunden im streitigen
Zeitraum Wertpapiere im Gesamtwert von 209.630.000 DM ins Ausland
transferiert. Die Höhe der dadurch entgangenen Steuereinnahmen
schätzte das FA unter Annahme einer Verzinsung von 8 %, einem
anzuwendenden Steuersatz von 35 % und einem Sicherheitsabschlag von
25 % auf 4.402.230 DM, entsprechend 2.250.824,46 EUR. Die zugrunde
gelegten Daten entnahm das FA einer statistischen Auswertung aller
Fälle, in denen die Kunden nachträglich identifiziert
worden waren. Dabei handelt es sich unstreitig um mehr als 4.000
Kunden. Die so gewonnenen Erkenntnisse übertrug es unter
Berücksichtigung eines weiteren Unsicherheitsabschlags auf die
im Streit stehenden nicht individuell zurechenbaren Transfers.
Zugleich berechnete es Hinterziehungszinsen von 1.204.178 EUR und
nahm den Antragsteller auf Zahlung der Gesamtsumme von 3.455.002,46
EUR in Anspruch.
Den dagegen gerichteten Einspruch des
Antragstellers wies das FA als unbegründet zurück (vgl.
SIS 09 19 89). Über die dagegen anhängige
Anfechtungsklage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht
entschieden.
Während des Einspruchsverfahrens
setzte das FA die Vollziehung des Haftungsbescheids bis einen Monat
nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch aus. Nach
Klageerhebung in der Hauptsache hat der Antragsteller bei dem FA
Antrag auf weitere Aussetzung der Vollziehung (AdV) gestellt, den
das FA abgelehnt hat.
Den sodann beim FG gestellten
Aussetzungsantrag des Antragstellers hat das FG abgelehnt und im
Beschluss die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Frage zugelassen, ob bei der Überzeugungsbildung vom Vorliegen
einer Steuerhinterziehung durch unbekannte Täter, zu der der
in Haftung Genommene Beihilfe geleistet hat, Feststellungen zu
anderen Steuerhinterziehungen berücksichtigt werden
können, auf die sich der angefochtene Haftungsbescheid nicht
erstreckt.
Der vom Antragsteller eingelegten
Beschwerde hat das FG nicht abgeholfen.
Der Antragsteller beantragt,
1.
|
den Beschluss des FG Düsseldorf vom
10.2.2009 zum Aktenzeichen 8 V 2459/08 A(H) = SIS 09 19 89
aufzuheben,
|
|
|
2.
|
die Vollziehung des Haftungsbescheids vom
22.12.2004 wegen Einkommensteuer 1993 gemäß § 71 AO
und Zinsen gemäß § 235 AO in Höhe des
Gesamtbetrags von 3.455.002,46 EUR ohne Sicherheitsleistung bis zur
rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren
auszusetzen,
|
|
|
3.
|
dem FA die Kosten des Verfahrens
aufzuerlegen.
|
Das FA beantragt,
1.
|
die Beschwerde vom 18.2.2009 als
unbegründet zurückzuweisen,
|
|
|
2.
|
dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens
aufzuerlegen.
|
Die Haftungsakten des FA - 9900/0730 H08 -
sowie die Gerichtsakten zu den Aktenzeichen 8 K 814/08 H nebst
Beiakten (mit Anlagen zur Klageschrift und zum Schriftsatz vom
31.3.2008) sowie 8 V 2459/08 A(H) haben vorgelegen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie
führt zur AdV des mit der Klage angefochtenen
Haftungsbescheids. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen, aber
auch ausreichenden summarischen Prüfung bestehen ernstliche
Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1
i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das
Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen
Verwaltungsaktes aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes
bestehen, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit
sprechenden Umständen gewichtige, gegen die
Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die
Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der
Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen
bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des
Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5.3.1979 GrS
5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570 = SIS 79 02 89). Bei der
hiernach erforderlichen Abwägung sind die Erfolgsaussichten
des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen; nicht erforderlich ist
jedoch, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden
Gründe überwiegen (Gräber/Koch,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 86, m.w.N.).
2. Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1
AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer
kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Gemäß §
71 AO haftet, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei
begeht oder an einer solchen Straftat teilnimmt, für die
verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten
Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 AO.
Streitig ist vor allem, ob eine Haftung des Teilnehmers einer
Steuerhinterziehung gemäß § 71 AO auch dann in
Betracht kommt, wenn der oder die Haupttäter nicht
identifiziert werden können und welche Anforderungen ggf. an
das Vorliegen und die Feststellung einer Steuerhinterziehung als
Haupttat unter diesen Umständen zu stellen sind.
3. Gewichtige gegen die
Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids sprechende
Gründe ergeben sich im Streitfall daraus, dass die streitigen
Rechtsfragen höchstrichterlich noch nicht geklärt und
jedenfalls nicht eindeutig im Sinne des FA zu beantworten sind.
a) Die streitigen Rechtsfragen sind bislang
höchstrichterlich noch nicht geklärt. Über einen
vergleichbaren Sachverhalt hatte der BFH - soweit ersichtlich -
noch nicht zu entscheiden.
aa) Soweit der BFH in der Vergangenheit
über die Haftung von Gehilfen gemäß § 71 AO zu
entscheiden hatte, stand stets außer Zweifel, dass eine
Steuerhinterziehung begangen worden war und auch wer sie als
Haupttäter begangen hatte. Danach ging es in den vom BFH
entschiedenen Fällen vor allem darum, ob der als Haftender in
Anspruch genommene vermeintliche Gehilfe objektiv und subjektiv
einen geeigneten Beitrag zur Haupttat geleistet hatte (vgl.
BFH-Urteile vom 16.4.2002 IX R 40/00, BFHE 198, 66, BStBl II 2002,
501 = SIS 02 10 40; vom 7.3.2006 X R 8/05, BFHE 212, 398, BStBl II
2007, 594 = SIS 06 24 75) und ob seine Inanspruchnahme als
Haftungsschuldner ermessensgerecht war (vgl. BFH-Urteile vom
21.1.2004 XI R 3/03, BFHE 205, 394, BStBl II 2004, 919 = SIS 04 22 11; vom 8.9.2004 XI R 1/03, HFR 2005, 293; BFH-Beschlüsse vom
27.5.1986 VII S 5/86, BFH/NV 1987, 10; vom 13.8.2007 VII B 345/06,
BFH/NV 2008, 23 = SIS 08 04 49). Über die Frage, welche
Auswirkungen es für die Haftung des mutmaßlichen
Gehilfen hat, wenn der mutmaßliche Haupttäter nicht
ermittelt werden kann und wenn folglich nicht individuell
festgestellt werden kann, ob eine Haupttat überhaupt begangen
und welche Steuer dadurch konkret hinterzogen worden ist, wäre
im Streitfall erstmals zu entscheiden. Davon gehen
übereinstimmend auch die Beteiligten aus.
bb) Die Rechtsfrage lässt sich auch nicht
ohne weiteres und eindeutig anhand allgemeiner Aussagen der
bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten.
(1) Hängt die Rechtmäßigkeit
eines Steuerbescheids davon ab, ob der Steuerpflichtige eine
Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat, müssen
zur Rechtmäßigkeit des Bescheids die objektiven und
subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung oder
Steuerhehlerei vorliegen (BFH-Urteil vom 16.1.1973 VIII R 52/69,
BFHE 108, 286, BStBl II 1973, 273 = SIS 73 01 54). Nichts anderes
gilt im Grundsatz, wenn die Rechtmäßigkeit eines
Haftungsbescheids davon abhängt, dass der Haftende an der von
einem anderen begangenen Steuerhinterziehung als Helfer
teilgenommen hat. In diesem Fall müssen nicht nur die
objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer strafrechtlichen
Beihilfe in der Person des Haftenden vorliegen, sondern auch
diejenigen der Haupttat, zu welcher der Haftende Beihilfe geleistet
haben muss.
(2) Nach der Rechtsprechung des Großen
Senats des BFH ist das Vorliegen dieser strafrechtlichen
Tatbestandsmerkmale nicht nach den Vorschriften der
Strafprozessordnung, sondern nach den Vorschriften der AO und der
FGO zu prüfen, denn es handelt sich lediglich um
strafrechtliche Vorfragen im Rahmen einer Entscheidung über
die Rechtmäßigkeit eines abgabenrechtlichen
Verwaltungsakts (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in
BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570 = SIS 79 02 89). Damit gelten
grundsätzlich die für die Überzeugungsbildung
maßgeblichen Vorschriften der AO und der FGO auch für
die Feststellung einer Steuerhinterziehung (als Haupttat) im
Streitfall.
Zu den Anforderungen an die gerichtliche
Feststellung einer Steuerhinterziehung hat der BFH insbesondere
ausgeführt, dass bei nicht behebbaren Zweifeln die
Feststellung einer Steuerhinterziehung mittels reduzierten
Beweismaßes nicht zulässig ist und dass das Gericht nach
seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen
Überzeugung zu entscheiden hat (vgl. BFH-Urteil vom 7.11.2006
VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364 = SIS 07 06 44,
m.w.N.; BFH-Beschluss vom 24.1.2008 VIII B 163/06, BFH/NV 2008,
1099 = SIS 08 24 46).
(3) Damit ist indes noch nicht entschieden, ob
die Feststellung einer Steuerhinterziehung als Haupttat stets
voraussetzt, dass der Täter namentlich bekannt ist oder ob es
ggf. ausreicht, wenn zwar feststeht, dass im Einzelfall eine
Steuerhinterziehung mit Sicherheit begangen worden ist, der
Haupttäter aber nicht benannt werden kann (zur Bestimmtheit
des gegen den Täter einer Hinterziehung von
Mineralölsteuer gerichteten Haftungsbescheids, wenn sich die
Schuldner der Mineralölsteuer nicht aus dem Bescheid ergeben,
vgl. BFH-Urteil vom 26.7.1977 VII R 90/75, BFHE 123, 250). Weiter
ist damit noch nicht entschieden, ob bei einer Vielzahl von
Haupttaten, zu denen der Steuerpflichtige Beihilfe geleistet haben
kann, die fehlende Überzeugung vom Vorliegen jeder einzelnen
Steuerhinterziehung unter Umständen durch
Wahrscheinlichkeitsaussagen ersetzt werden kann. Dann müsste
auch geklärt werden, welche Anforderungen an die
Überzeugungsbildung in solchen Fällen gestellt werden
müssen und auf welche Weise sich der Steuerpflichtige dagegen
zur Wehr setzen kann.
b) Die Rechtsfrage ist jedenfalls nicht
eindeutig im Sinne des FA zu beantworten. Für dessen Ansicht
könnten Äußerungen in der Rechtsprechung
angeführt werden, wonach die Haftung in § 71 AO
Schadenersatzcharakter hat (vgl. BFH-Urteile vom 1.8.2000 VII R
110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271 = SIS 00 14 29; vom
9.12.2003 VI R 35/96, BFHE 205, 56, BStBl II 2004, 641 = SIS 04 21 12; in BFHE 212, 398, BStBl II 2007, 594 = SIS 06 24 75). Käme
es, wie das FA offenbar meint, im Wesentlichen auf das Vorliegen
eines durch Steuerhinterziehung eingetretenen Gesamtschadens an, so
ließe sich diese Voraussetzung möglicherweise
überzeugend auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsaussagen
begründen. Gegen die darin zum Ausdruck kommende Reduktion des
gesetzlichen Tatbestands spricht jedoch dessen Wortlaut, der das
Vorliegen einer Steuerhinterziehung und nicht lediglich eines
Schadens voraussetzt. Es ist indes zweifelhaft, ob sich das
Vorliegen einer Steuerhinterziehung im Einzelfall mit Hilfe von
Wahrscheinlichkeitsaussagen begründen lässt. Zum einen
ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer
Steuerhinterziehung im Einzelfall viel geringer als die
Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines durch
Steuerhinterziehungen in unbekannter Anzahl mindestens
eingetretenen Gesamtschadens. Es handelt sich zum andern um eine
sehr grundlegende Frage des Erkenntnisverfahrens, die einer
genaueren, im Eilverfahren nicht zu leistenden Untersuchung
bedarf.
Zwar sind auf Wahrscheinlichkeit
gestützte Aussagen und Überzeugungen dem
Erkenntnisverfahren nicht generell fremd, wie etwa die
Rechtsprechung zu Abstammungsfragen belegt (vgl. Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 3.5.2006 XII ZR 195/03, BGHZ 168, 79). Zu
beachten ist aber, dass die nach mathematischen Grundsätzen zu
beurteilende Wahrscheinlichkeit zur Überzeugungsbildung
grundsätzlich nur herangezogen werden kann, wenn es um
zufällige Ereignisse geht. Das ist bei dem im Streitfall zu
beurteilenden willensgesteuerten Verhalten zurechnungsfähiger
Personen generell nicht der Fall. Wie sich eine Person in einer
konkreten Situation entscheidet, hängt eben nicht vom Zufall,
sondern von einer autonomen Willensentschließung ab, die im
Grundsatz einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung nicht
zugänglich ist. Diese Überlegung spricht dafür, bei
der Feststellung einer Haupttat im Rahmen der Haftung wegen
strafrechtlicher Teilnahme stets einen individuellen und nicht
einen statistischen Maßstab anzulegen.
Käme es indes, wie das FA meint, aus
steuerlicher Sicht darauf nicht an, so hinge die
Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids im Streitfall und
in vergleichbaren Fällen allein davon ab, ob wegen der
Vielzahl der Fälle eine statistisch belastbare Aussage
über das Verhalten aller z.B. durch Nummern in den
Transaktionslisten bezeichneten Wertpapierinhaber möglich ist.
Hierfür müssten allgemeine Maßstäbe gefunden
und eine mathematisch festzustellende Mindestwahrscheinlichkeit
festgelegt werden. Dann wäre auch darüber zu entscheiden,
ob und ggf. mit welchen Einwendungen sich der Haftungsschuldner
gegen eine solche Feststellung zur Wehr setzen könnte. Dabei
darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die vom FA
für möglich gehaltene Inanspruchnahme des
mutmaßlichen Gehilfen auf der Grundlage von
Wahrscheinlichkeitsaussagen über die mutmaßlichen
Haupttaten zu einer praktisch weit reichenden
Feststellungserleichterung zugunsten der Finanzbehörden
führen würde. Diese könnten unter vergleichbaren
Umständen von der Aufklärung der in Betracht kommenden
einzelnen Haupttaten von vornherein absehen, wenn ein Gehilfe als
Haftungsschuldner vorhanden ist.
4. Der Senat erachtet es als angemessen, die
Vollziehung lediglich zeitlich begrenzt bis einen Monat nach
Zustellung der das Klageverfahren abschließenden Entscheidung
und nicht, wie beantragt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung
in der Hauptsache auszusetzen. Der weiter gehende Antrag auf AdV
war deshalb insoweit abzuweisen.