Insolvenz, ESt-Erstattung in Wohlverhaltensphase: Ansprüche des ehemaligen Insolvenzschuldners auf Erstattung von Einkommensteuer gehören nicht zu den in der Wohlverhaltensphase an den Treuhänder abgetretenen Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge (Anschluss an das BGH-Urteil vom 21.7.2005 IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391 = SIS 05 44 21). - Urt.; BFH 21.11.2006, VII R 1/06; SIS 07 03 23
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) war dem Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) aus dem Veranlagungszeitraum
1995 Einkommensteuer und damit zusammenhängende
Nebenforderungen schuldig. Die Forderung wurde vom FA in dem
Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin
angemeldet. Das Verfahren ist im September 2002 aufgehoben worden;
die Wohlverhaltensphase ist auf fünf Jahre festgesetzt
worden.
Mit Steuerbescheid vom Juli 2003 ist die
Klägerin - zusammen mit ihrem Ehemann - zur Einkommensteuer
2002 veranlagt worden. Dabei hat sich ein Guthaben ergeben, das das
FA so aufgeteilt hat, dass auf die Klägerin ein Betrag von rd.
2.200 EUR entfallen ist. Zugleich erklärte das FA gegen diese
Erstattungsforderung die Aufrechnung mit den bislang unbefriedigt
gebliebenen Steuerschulden aus dem Veranlagungszeitraum
1995.
Auf Antrag der Klägerin ist über
das Erstattungsguthaben ein Abrechnungsbescheid vom 6.8.2003
ergangen, in dem das FA das Erlöschen des Erstattungsanspruchs
(aufgrund der Aufrechnung und der Auskehrung des Restbetrages an
einen Drittschuldner) festgestellt hat. Hiergegen richtet sich die
Klage, die das Finanzgericht (FG) durch das in EFG 2005, 333 = SIS 05 06 68 veröffentlichte Urteil abgewiesen hat.
Gegen dieses Urteil richtet sich die
Revision der Klägerin, zu deren Begründung im
Wesentlichen geltend gemacht wird, die Entscheidung des FG sei mit
dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger nicht
vereinbar. Die §§ 94 ff. und 294 der Insolvenzordnung
(InsO) seien zwar nicht unmittelbar anwendbar. Der vorgenannte
Grundsatz gebiete es jedoch trotz Fehlens einer entsprechenden
ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, einzelnen
Gläubigern die Möglichkeit zu nehmen, sich hinsichtlich
ihrer Insolvenzforderungen vor Erteilung der Restschuldbefreiung in
eine bessere Lage zu versetzen, als die übrigen
Insolvenzgläubiger sich befinden.
Im Übrigen solle der Schuldner gerade
die Möglichkeit haben, durch die Aufnahme einer Tätigkeit
in der Wohlverhaltensphase sich eine neue Existenz aufzubauen, ohne
dabei durch seine alten Verbindlichkeiten belastet zu sein;
würde man die Aufrechnung gegen
Steuererstattungsansprüche, die erst in der
Wohlverhaltensphase entstehen, zulassen, sei der Sinn und Zweck der
Wohlverhaltensphase vernichtet.
Das FA hebt hervor, dass unbeschadet des
Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger die
Aufrechnung zulässig gewesen sei und mit ihr ein Vorrecht des
Fiskus nicht ausgeübt werde. Auch andere
Insolvenzgläubiger könnten mit während der
Wohlverhaltensphase entstandenen Verbindlichkeiten gegen
Altforderungen aufrechnen, wenn sich der Insolvenzschuldner auch in
der Regel hüten werde, mit solchen Gläubigern neue
Rechtsbeziehungen anzuknüpfen, sofern nicht, wie es beim
Fiskus der Fall sei, eine „Zwangspartnerschaft“
bestehe, die es aber auch gegenüber anderen Gläubigern
geben könne.
II. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das Urteil des FG entspricht
dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
Die allgemeinen Voraussetzungen für eine
Aufrechnung des FA gegen einen Steuererstattungsanspruch der
Klägerin, insbesondere die des § 226 Abs. 1 der
Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 387 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB), sind gegeben; das ist nicht strittig oder
zweifelhaft und bedarf daher keiner Ausführung.
Aus dem Sinnzusammenhang der
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ergibt sich
allerdings, dass die Klägerin ihre pfändbaren Forderungen
auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis und an deren Stelle
tretende laufende Bezüge für den fraglichen Zeitraum an
einen Treuhänder gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1
InsO abgetreten hat, um nach Maßgabe des Achten Teils der
Insolvenzordnung Befreiung von ihren restlichen Schulden erhalten
zu können. Das FA könnte daher gemäß §
294 Abs. 3 InsO mit seiner (Gegen-)Forderung aus der
Einkommensteuerfestsetzung 1995 gegen die Klägerin mangels
Gegenseitigkeit von Forderung und Gegenforderung nicht aufrechnen,
wenn deren (Haupt-)Forderung aus der Einkommensteuerveranlagung
2002 beziehungsweise aus der Aufteilung des dabei entstandenen
Erstattungsbetrages von der von der Klägerin erklärten
Abtretung ihrer „Bezüge“ an einen
Treuhänder erfasst wäre, es sei denn das FA wäre
auch bei Fortdauer des Insolvenzverfahrens nach § 114 Abs. 2
InsO zur Aufrechnung berechtigt.
Die Forderung der Klägerin ist jedoch
nicht abgetreten worden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu
inzwischen entschieden (Urteil vom 21.7.2005 IX ZR 115/04, BGHZ
163, 391 = SIS 05 44 21), dass Steuererstattungsansprüche
nicht zu den an den Treuhänder abgetretenen Forderungen des
Schuldners auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an
deren Stelle tretende laufende Bezüge gehörten und die
Aufrechnung gegen sie mit Ansprüchen eines
Insolvenzgläubigers folglich nicht nach § 294 Abs. 3 InsO
ausgeschlossen sei. Er hat sich dabei maßgeblich auf die
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gestützt, wonach der
Anspruch auf Erstattung überzahlter Lohnsteuer unbeschadet
seines materiellen Ursprungs in einem Arbeitsverhältnis ein
öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch sei, der den
Charakter eines zum Arbeitslohn gehörigen Teils verloren habe,
den der Arbeitgeber für die Begleichung der Lohnsteuer
gemäß § 38 des Einkommensteuergesetzes
einzubehalten und an das FA abzuführen hat. Der an den
Steuerpflichtigen zu erstattende Betrag erlange, auch wenn er
wirtschaftlich betrachtet das auf den Veranlagungszeitraum
entfallende Einkommen erhöhe, nicht wieder den Charakter eines
Einkommens, das dem Berechtigten aufgrund einer Arbeits- oder
Dienstleistung zusteht (vgl. dazu statt aller BFH-Beschluss vom
27.10.1998 VII B 101/98, BFH/NV 1999, 738 = SIS 98 57 05).
Der BGH hat in vorgenannter Entscheidung
weiter erkannt und eingehend ausgeführt, dass der InsO auch
sonst keine die Aufrechnungsbefugnis von Insolvenzgläubigern
in der Wohlverhaltensperiode allgemein ausschließende
Bestimmung zu entnehmen sei, insbesondere dieses nicht aus dem
Zwangsvollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO hergeleitet
werden könne. Eine willkürliche Privilegierung dessen,
der sich vor anderen Gläubigern durch Aufrechnung befriedigen
kann, liege darin nicht, weil ein solcher Gläubiger - anders
als es bei einer Zwangsvollstreckung in das Vermögen des
insolventen Schuldners der Fall wäre - Befriedigung nur gegen
Aufgabe seiner eigenen Forderung gegen diesen erlangt.
Der erkennende Senat schließt sich den
diesbezüglichen überzeugenden Erwägungen des BGH an,
die im Wesentlichen der Rechtsprechung auch der FG entsprechen
(vgl. Urteile des FG Hamburg vom 15.6.2006 2 K 5/05,
Steuer-Eildienst 2006, 613; des Schleswig-Holsteinischen FG vom
18.11.2004 3 K 50332/03, EFG 2005, 333 = SIS 05 06 68; des FG
Münster vom 2.9.2005 11 K 3099/04 AO, EFG 2005, 1826 = SIS 05 46 69, und vom 12.11.2004 11 K 1959/04 AO, EFG 2005, 251 = SIS 05 11 01; des Hessisches FG vom 29.11.2004 10 K 2356/04, EFG 2005, 331
= SIS 05 09 00; sowie Beschluss des FG Düsseldorf vom
10.11.2004 18 K 321/04 AO (PKH), Zeitschrift für das gesamte
Insolvenzrecht 2004, 1368).