Massearmes Insolvenzverfahren, Aufrechnungsverbot: 1. Im massearmen Insolvenzverfahren können Neuforderungen, die erst nach Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, nicht zur Aufrechnung gestellt werden. - 2. Auch eine Aufrechnung gegen einen Vorsteuervergütungsanspruch, der sich aus anteiliger Verwaltervergütung für den Zeitraum bis zur Feststellung der Masseunzulänglichkeit ergibt, ist nicht zulässig, wenn eine entsprechende Teilvergütung vom Insolvenzgericht nicht festgesetzt worden ist (Fortführung des Urteils vom 1.8.2000 VII R 31/99, BFHE 193 S. 1, BStBl 2002 II S. 323 = SIS 01 03 08). - Urt.; BFH 4.3.2008, VII R 10/06; SIS 08 18 28
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) hat als Insolvenzverwalter in dem über das
Vermögen der ... GmbH (im Folgenden: Schuldnerin)
eröffneten Insolvenzverfahren dem Insolvenzgericht im Dezember
2002 die Unzulänglichkeit der von ihm verwalteten
Insolvenzmasse angezeigt. 2003 sind zu Lasten der Insolvenzmasse
Steuerverbindlichkeiten in Höhe von rd. ... EUR entstanden
(Umsatzsteuer aus der Verwertung einzelner Gegenstände der
Insolvenzmasse, Lohnsteuer). Ferner hat die Insolvenzmasse 2004
einen negativen Umsatzsteueranspruch erworben, der aus der
Vorsteuer der vom Kläger in Rechnung gestellten
Verwaltervergütung herrührt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) hat mit Erklärung vom 13.12.2004 diese
beiden Forderungen miteinander verrechnet und, als der Kläger
dies beanstandete, hierüber den angefochtenen
Abrechnungsbescheid erlassen. Während des dagegen
eingeleiteten Einspruchsverfahrens hat der Kläger eine Quote
von ... % für die Neumasseverbindlichkeiten ermittelt und
seinerseits den Umsatzsteuervergütungsanspruch der Masse mit
ihren quotalen Steuerschulden verrechnet, sodass sich zugunsten des
FA ein an dieses ausgezahlter Betrag von ... EUR ergab.
Das Finanzgericht (FG) hat über die
gegen den Abrechnungsbescheid erhobene Klage dahin entschieden,
dass der Masse ein Vorsteuervergütungsanspruch in Höhe
der von dem Kläger in Rechnung gestellten Umsatzsteuer auf
seine Verwaltervergütung zustehe. Denn nach § 96 Abs. 1
Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO), der nach dem Urteil des
Bundesgerichtshofs (BGH) vom 3.4.2003 IX ZR 101/02 (BGHZ 154, 358)
allgemeiner Meinung im Schrifttum und der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs zu der Vorgängervorschrift des § 55 Nr.
1 der Konkursordnung (KO) sinngemäß anzuwenden sei, wenn
ein Massegläubiger nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit
etwas zur Neumasse schuldig geworden ist, sei die vom FA
erklärte Aufrechnung unzulässig.
Gegen dieses in EFG 2006, 353
veröffentlichte Urteil richtet sich die Revision des FA, das
sich im Wesentlichen darauf beruft, es fehle in der InsO eine
planwidrige Regelungslücke hinsichtlich der Aufrechnung im
Falle der Masseunzulänglichkeit, welche durch § 96 Abs. 1
Nr. 1 InsO geschlossen werden könnte.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen
und trägt im Wesentlichen vor:
§§ 94 ff. InsO seien wegen des
Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung auch auf das
masseunzulängliche Verfahren und insbesondere die weitere
Masseunzulänglichkeit (Unzulänglichkeit der Masse zur
Befriedigung der Neumassegläubiger) anzuwenden. Das entspreche
der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 1.8.2000 VII R 31/99,
BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323 = SIS 01 03 08) und des BGH (Urteil
vom 18.5.1995 IX ZR 189/94, BGHZ 130, 38) zur KO sowie dem
einhelligen Schrifttum zur InsO. Die Anwendung der §§ 94
bis 96 InsO im masseinsuffizienten Verfahren sei auch vom
Gesetzgeber ursprünglich in § 320 Abs. 2 InsO vorgesehen
gewesen, welche Vorschrift erst der Rechtsausschuss gestrichen
habe. Der Gesetzgeber habe also die Problematik nicht
übersehen und nicht dahin entschieden, dass die
Aufrechnungsverbote nicht anzuwenden seien, sondern die
Entscheidung über die Anwendbarkeit der §§ 94 ff.
InsO der Rechtsprechung übertragen. Eine solche entsprechende
Anwendung entspreche dem Gebot der Gläubigergleichbehandlung
(§ 1 InsO) und der Einteilung der Insolvenzgläubiger in
Gruppen, u.a. in die Gruppe der Neumassegläubiger (Hinweis auf
das BGH-Urteil in BGHZ 154, 358). Das für
Insolvenzgläubiger bestehende Vollstreckungsverbot des §
87 InsO werde durch das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr.
1 InsO ergänzt und vervollständigt; im nicht
masseunzulänglichen Verfahren gelte für den
Massegläubiger das Aufrechnungsverbot allerdings nicht, weil
für ihn auch kein Vollstreckungsverbot bestehe, das durch eine
Aufrechnung umgangen werden könnte. Wenn jedoch der
Gesetzgeber zum Schutz der den Neumassegläubigern primär
als Haftungsmasse zugewiesenen verbliebenen Insolvenzmasse ein
Vollstreckungsverbot errichte, sei eine entsprechende Anwendung des
§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Verhinderung einer Umgehung dieses
Vollstreckungsverbots durch aufrechnende Altmassegläubiger
unumgänglich. Für die Situation der weiteren
Masseunzulänglichkeit könne nichts anderes gelten. Auf
Vertrauensschutz könne sich ein Gläubiger bei nach
Anzeige der Masseunzulänglichkeit erworbenen Rechten nicht
berufen, ganz abgesehen davon, dass das FA auf das Entstehen der
Steuerschulden ohnehin keinen Einfluss gehabt habe.
II. Die zulässige Revision ist
unbegründet.
1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden
Senats sind im Fall der Masseunzulänglichkeit die
insolvenzrechtlichen Vorschriften, die für die Verteilung des
Vermögens im Allgemeinen einen Interessenausgleich zwischen
der durch die Aufrechnungslage gebildeten Sicherung des
Insolvenzgläubigers einerseits sowie dem Gebot der
gleichmäßigen Gläubigerbehandlung andererseits
schaffen, sinngemäß anzuwenden. Die entsprechende
Anwendung bedeutet u.a., dass Massegläubiger mit ihren
Altforderungen gegen die Masse weiterhin gegen solche
Ansprüche der Masse wirksam aufrechnen können, die vor
Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstanden sind; dagegen ist
die Aufrechnung von Altforderungen gegen Neuansprüche der
Masse, die erst nach dieser Anzeige begründet worden sind,
unzulässig. Ebenso können Neuforderungen, die erst nach
Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründet worden
sind, nicht zur Aufrechnung gestellt werden. Denn die
Möglichkeit einer solchen Aufrechnung würde ebenso wie
Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen die von der InsO
vorgegebene Verteilung der verbleibenden Masse, insbesondere den
verfassungsrechtlich gebotenen Vorrang der Verwaltervergütung
im massearmen Verfahren (vgl. Beschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts vom 30.3.1993 1 BvR 1045/89 u.a., BVerfGE
88, 145, NJW 1993, 2861, und vom 24.6.1993 1 BvR 338/91, NJW 1993,
3129) unterlaufen.
Der erkennende Senat hat sich mit dieser
Rechtsauslegung bereits unter der Geltung der früheren KO der
dazu ergangenen Rechtsprechung des BGH (Urteil in BGHZ 130, 38)
angeschlossen (Senatsurteil in BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323 =
SIS 01 03 08); seine eben dargestellten Erwägungen haben auch
bei Anwendung der InsO die gleiche Berechtigung wie zuvor. Die
Rechtslage wird im Übrigen vom BGH (Urteil in BGHZ 154, 358)
und auch im Schrifttum, wie bereits das FG im Einzelnen
nachgewiesen hat, nicht anders beurteilt (vgl. zuletzt
MünchKommInsO/Brandes, 2. Aufl., § 94 Rz 46 und § 96
Rz 20).
Die dagegen vom FA erhobenen Einwände
vermögen den Senat nicht zu überzeugen. Das Schweigen des
Gesetzes zu Aufrechnungsverboten im masseunzulänglichen
Konkurs kann schon deshalb nicht als eine Regelung dahin angesehen
werden, dem Neumassegläubiger sei (zwar eine Vollstreckung,
aber) eine Aufrechnung nicht verwehrt, weil die
Entstehungsgeschichte der in diesem Zusammenhang interessierenden
Vorschriften der InsO, wie der Kläger mit Recht in Erinnerung
gerufen hat, eher darauf hindeutet, dass der Gesetzgeber die
Rechtslage aufgrund der allgemeinen, das Insolvenzverfahren
prägenden Grundsätze als klar ansah und angesichts der
dazu im Rahmen der KO bereits ergangenen, auf die InsO, wie eben
dargelegt, in der Tat ohne Weiteres übertragbaren
Rechtsprechung eine gesetzliche Regelung für
überflüssig hielt.
Auch aus § 210 oder § 294 Abs. 3
InsO lässt sich für die Ansicht des FA, die Aufrechnung
sei zulässig, nichts Entscheidendes gewinnen. Was das Erste
angeht, hat das FG dazu unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
BGH das Erforderliche ausgeführt; es bedarf keiner
Wiederholung. Die nicht auch § 96 InsO umfassende Verweisung
des § 294 Abs. 3 InsO, aufgrund derer eine Aufrechung mit
Neumasseschulden in der sog. Wohlverhaltensphase des
Restschuldbefreiungsverfahrens zulässig ist, gestattet nicht
die Schlussfolgerung, auch im masseunzulänglichen
Insolvenzverfahren fehle es an einem entsprechenden
Aufrechnungsverbot. Nach dem Urteil des BGH vom 21.7.2005 IX ZR
115/04 (BGHZ 163, 391 = SIS 05 44 21), auf das der erkennende Senat
bereits in seinem Urteil vom 21.11.2006 VII R 1/06 (BFHE 216, 1 =
SIS 07 03 23) Bezug genommen hat, schränkt § 294 Abs. 3
InsO vielmehr die Aufrechnungsbefugnis im
Restschuldbefreiungsverfahren lediglich (gleichsam punktuell) ein;
im Übrigen bleibt jedoch die Aufrechnungsbefugnis der
ehemaligen Insolvenzgläubiger unberührt, da sich ein
Aufrechnungsverbot - jedenfalls für den Bereich der
Insolvenzordnung - insbesondere nicht aus dem
Zwangsvollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO herleiten
lässt. Es ist nicht zu erkennen, inwiefern sich aus diesem
eingeschränkten Schutz der im Insolvenzverfahren unbefriedigt
gebliebenen Gläubiger gegenüber solchen Gläubigern,
die ihre Forderungen durch Aufrechnung durchsetzen können,
etwas dafür herleiten lässt, dass Massegläubigern
bereits vor Abschluss des Insolvenzverfahrens und der Verteilung
der Insolvenzmasse eine Aufrechnungsbefugnis ungeachtet der
Voraussetzungen der §§ 94 ff. InsO zustehe und ihnen
damit die Möglichkeit eingeräumt sei, die für die
Verteilung der Masse bestehenden Rechtsregeln zu unterlaufen.
Da nach dem mithin hier anzuwendenden §
96 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Aufrechnung unzulässig ist, wenn ein
Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens - was hier zu lesen ist als: nach Anzeige der
Masseunzulänglichkeit - etwas zur Insolvenzmasse schuldig
geworden ist, und dies bei der Verpflichtung des FA zur
Vergütung von Umsatzsteuer 2004 der Fall ist, war der
angefochtene Abrechnungsbescheid, der eine solche Aufrechnung als
wirksam behandelt hat, aufzuheben, wie es das FG getan hat.
2. Nach der Rechtsprechung des Senats wird das
FA i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO Umsatzsteuer allerdings in
dem Zeitpunkt schuldig, in welchem für das Unternehmen des
Insolvenzschuldners eine zum Vorsteuerausgleich berechtigende
Leistung erbracht wird. Unbeschadet dazu fehlenden Vortrags der
Beteiligten erscheint es im Streitfall naheliegend, dass der
strittige Vorsteuervergütungsanspruch teilweise auf Leistungen
beruht, die dem Unternehmen des Insolvenzschuldners von dem
Insolvenzverwalter vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit
erbracht worden sind. Gleichwohl wird der
Vorsteuervergütungsanspruch von dem Aufrechnungsverbot des
§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO in vollem Umfang erfasst; er kann nicht
aufgeteilt werden nach Maßgabe der vor Anzeige der
Masseunzulänglichkeit und der danach erbrachten Leistungen des
Insolvenzverwalters. Wie der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE
193, 1, BStBl II 2002, 323 = SIS 01 03 08, dessen Erwägungen
auch unter dem neuen Insolvenzrecht Geltung haben, entschieden hat,
ist eine Aufrechnung gegen einen Vorsteuervergütungsanspruch,
der sich aus der anteiligen Verwaltervergütung für den
Zeitraum bis zur Feststellung der Masseunzulänglichkeit
ergibt, (jedenfalls dann) nicht zulässig, wenn der Verwalter
seinen sich bis zu diesem Zeitpunkt ergebenden
Vergütungsanspruch nicht abgerechnet hat und das Bestehen
eines derartigen Vorsteuerguthabens als Altforderung der Masse im
massearmen Konkurs nicht festgestellt worden ist. Dass eine
Abrechnung von Teilleistungen im Streitfall vorgenommen und eine
entsprechende Vergütung vom Insolvenzgericht gemäß
§ 8 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzrechtlichen
Vergütungsverordnung festgesetzt worden ist, hat das FG nicht
festgestellt und das FA auch nicht behauptet. Auch eine
Zurückverweisung der Sache an das FG, um dem FA die
Möglichkeit zu geben, die Aufteilung der
Vergütungsfestsetzung durch das Insolvenzgericht
nachträglich zu erwirken, kommt nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil in BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323 = SIS 01 03 08).