Bilanzänderung, Bilanzberichtigung, Verbindlichkeit als Betriebsvermögen: 1. Eine Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG liegt nicht vor, wenn sich einem Steuerpflichtigen überhaupt erst nach Einreichung der Bilanz die Möglichkeit eröffnet hatte, erstmalig sein Wahlrecht, hier i.S. des § 6 b Abs. 1 oder Abs. 3 EStG, auszuüben (Anschluss an Senatsbeschluss vom 25.1.2006 IV R 14/04, BFHE 212 S. 231, BStBl 2006 II S. 418 = SIS 06 12 92). - 2. Beruhte die bisher fehlende Ausübung des Wahlrechts jedoch auf einem zumindest fahrlässigen Verhalten, z.B. dem Nichterfassen des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns, so ist der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG grundsätzlich eröffnet. - 3. Der Umfang der Bilanzänderung ist auf den Gewinnanteil beschränkt, der sich im jeweiligen Wirtschaftsjahr aus der Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG ergibt. - Urt.; BFH 27.9.2006, IV R 7/06; SIS 07 03 17
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist bilanzierender Landwirt und erzielte in den
Streitjahren (1995 und 1996) als solcher Einkünfte aus Land-
und Forstwirtschaft. Er ermittelte seinen Gewinn für das
Normalwirtschaftsjahr vom 1. Juli bis 30. Juni.
Mit notariellem Vertrag vom 25.4.1995
veräußerte der Kläger eine Restfläche seines
landwirtschaftlichen Betriebes, deren Buchwert 44.816 DM betrug, zu
einem Kaufpreis von 362.682 DM. Der Kaufpreis floss am 22.5.1995
auf ein privates Konto des Klägers. Der Vorgang wurde
buchmäßig nicht erfasst. Der Kläger behauptete, die
buchmäßige Nichterfassung beruhe allein auf einer
unzutreffenden Sachbehandlung durch die Steuerberatung. Der
veräußerte Grund und Boden wurde weiterhin aktiviert.
Der Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten erfolgte zum
1.7.1995. Im Wirtschaftsjahr 1995/96 erwarb der Kläger einen
neuen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb in S, Bundesland
T.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) setzte die Einkommensteuer für die
Streitjahre zunächst auf 22.042 DM (1995) und 36.600 DM (1996)
fest. Die Einkommensteuerbescheide standen unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung.
Nach Durchführung einer
Betriebsprüfung im Jahre 2000 änderte das FA die
Einkommensteuerfestsetzung der Streitjahre und setzte die
Einkommensteuer für 1995 auf 154.819 DM und für 1996 auf
144.490 DM fest. Dabei berücksichtigte das FA auch den
laufenden Gewinn aus der Übertragung der Restfläche in
Höhe von 317.866 DM. Einen im Verlauf der Betriebsprüfung
gestellten Antrag auf Bildung einer Rücklage nach § 6b
Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für das
Wirtschaftsjahr 1995/96 lehnte das FA unter Hinweis auf § 4
Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999
(StBereinG 1999) vom 22.12.1999 (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000,
13) ab. Die von der Betriebsprüfung vorgenommene
Bilanzberichtigung durch die Ausbuchung des Buchwertes des Grund
und Bodens löse isoliert betrachtet eine Gewinnminderung aus,
so dass eine zusätzlich gewinnmindernde Bilanzänderung
mangels einer gewinnerhöhenden Bilanzberichtigung nicht in
Betracht komme.
Nach erfolglosem Einspruch gab das
Finanzgericht (FG) der Klage mit den in EFG 2006, 800 = SIS 06 22 39 veröffentlichten Gründen statt.
Mit seiner dagegen gerichteten Revision
rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, das Urteil des FG
Münster vom 14.9.2004 2 K 3424/02 E aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen. Die Entscheidung des finanzgerichtlichen
Urteils stellt sich im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Die Voraussetzungen für eine
Bilanzänderung gemäß §§ 4 Abs. 2 Satz 2,
52 Abs. 9 EStG i.d.F. des StBereinG 1999 liegen im Wirtschaftsjahr
1995/96 vor.
a) Auf den im Jahre 2000 während der
Betriebsprüfung beim FA gestellten Antrag auf
Bilanzänderung ist § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG anwendbar (vgl.
Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12.12.2000 VIII R 10/99,
BFHE 194, 135, BStBl II 2001, 282 = SIS 01 05 16, unter II.B.4. der
Gründe, und vom 5.4.2006 I R 46/04, BStBl II 2006, 688 = SIS 06 29 98, unter II.3.c der Gründe).
b) Der Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 2
EStG setzt zwar eine Bilanzänderung voraus, die u.a. dann
nicht vorliegt, wenn sich einem Steuerpflichtigen überhaupt
erst nach Einreichung der Bilanz die Möglichkeit eröffnet
hatte, erstmalig sein Wahlrecht i.S. des § 6b Abs. 1 oder Abs.
3 Satz 1 EStG auszuüben (Anschluss an Senatsbeschluss vom
25.1.2006 IV R 14/04, BFHE 212, 231, BStBl II 2006, 418 = SIS 06 12 92; Fink, Neue Wirtschafts-Briefe - NWB - Fach 17, 2019, 2025 f.;
ähnlich Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, §
4 EStG Anm. 462, der jedoch von einer verfassungskonformen
Auslegung ausgeht). Ein Steuerpflichtiger ist daher -
beispielsweise aufgrund eines sich im Rahmen einer
Betriebsprüfung erstmalig oder erstmalig höher ergebenden
Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsgutes -
regelmäßig nicht gehindert, eine
Reinvestitionsvergünstigung in Anspruch zu nehmen, da § 4
Abs. 2 Satz 2 EStG keine Anwendung findet. Jedoch beruht im
Streitfall die unterlassene Verbuchung des Gewinns aus der
Veräußerung des Grund und Bodens auf der privaten
Vereinnahmung des Veräußerungserlöses. Folgt daher
die fehlende Ausübung des persönlichen Wahlrechts aus der
zumindest fahrlässigen Nichterfassung des Gewinns, so ist der
Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG eröffnet.
Dabei kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob, wie der
Kläger behauptet, die Nichtverbuchung von einer unzutreffenden
sachlichen Behandlung durch den steuerlichen Berater oder von der
Nichtunterrichtung des Steuerberaters über den Vorgang durch
den Kläger herrührt. Im Falle der Nichtunterrichtung
würde die Nichterfassung auf einem Verschulden des
Klägers beruhen und im Falle der unzutreffenden sachlichen
Behandlung müsste sich der Kläger das Verschulden des
Steuerberaters gemäß § 278 des Bürgerlichen
Gesetzbuches (BGB) zurechnen lassen (vgl. BFH-Beschluss vom
25.6.1997 VIII B 35/96, BFH/NV 1998, 8, unter 2. der
Gründe).
c) Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ist die
von dem Kläger begehrte Änderung der
Vermögensübersicht (Bilanz) nur zulässig, wenn sie
in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer
Bilanzberichtigung i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG steht und
soweit die Auswirkung der Änderung nach Satz 1 auf den Gewinn
reicht. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
aa) Der Senat geht dabei mit dem Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 18.5.2000 IV C 2 - S 2141
- 15/00 (BStBl I 2000, 587 = SIS 00 07 77) davon aus, dass ein
enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen einer
Bilanzberichtigung und einer Bilanzänderung jedenfalls dann zu
bejahen ist, wenn - wie im Streitfall - sich die Maßnahmen
auf dieselbe Bilanz beziehen und die Änderung der Bilanz
unverzüglich nach einer Bilanzberichtigung begehrt wird.
bb) Der Senat teilt jedoch nicht die
Rechtsauffassung des FG, dass der Umfang der Bilanzänderung
nicht auf den Gewinnanteil beschränkt ist, der sich aus der
Bilanzberichtigung ergibt. Eine solche Auslegung widerspricht dem
Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG, wonach eine
Bilanzänderung nur möglich ist, soweit die Auswirkung der
Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG auf den Gewinn
reicht (ebenso HHR/Stapperfend, § 4 EStG Anm. 472;
Schmidt/Heinicke, EStG, 25. Aufl., § 4 Rz 751).
cc) Gleichwohl stellt sich die Entscheidung
des FG aus anderen Gründen als richtig dar, denn im Streitfall
liegen die Voraussetzungen einer Bilanzberichtigung
gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG vor, die den
Kläger zu einer Bilanzänderung in Höhe von 317.866
DM im Wege der Bildung einer Reinvestitionsrücklage
gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG berechtigen.
Anders als vom FA vertreten, ist der
Nichtausweis der sonstigen Verbindlichkeit (dazu
Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der
Unternehmen, 6. Aufl., HGB § 266 Tz. 223; Hoyos/M. Ring in
Beck Bil-Komm. § 266 Anm. 224) aufgrund der Zahlung des
Kaufpreises für den Grund und Boden am 22.5.1995 und die
Minderung des Kapitals für das Wirtschaftsjahr 1994/95 (§
4a Abs. 2 Nr. 1 EStG) in der Schlussbilanz zum 30.6.1995
erfolgsneutral zu berichtigen, denn eine Verbindlichkeit
gehört auch dann zum Betriebsvermögen, wenn sie entgegen
steuerrechtlicher Vorschriften nicht in der Buchführung und
Bilanz ausgewiesen wurde. Die Verbindlichkeit ist im Streitfall, da
sich die Nichtberücksichtigung noch nicht ausgewirkt hatte,
unter Wahrung des Bilanzenzusammenhangs mit 362.682 DM in der
Schlussbilanz zum 30.6.1995 zu passivieren (vgl. BFH-Urteile vom
27.3.1974 I R 44/73, BFHE 112, 265, BStBl II 1974, 488 = SIS 74 02 73; vom 28.4.1998 VIII R 46/96, BFHE 185, 492, BStBl II 1998, 443 =
SIS 98 15 21, und vom 6.9.2000 XI R 18/00, BFHE 193, 279, BStBl II
2001, 106 = SIS 01 02 54; aus jüngerer Zeit BFH-Beschluss vom
13.6.2006 I R 58/05, BFH/NV 2006, 1754 = SIS 06 31 47). Ebenso ist
wegen der Privatentnahme des Klägers (§ 4 Abs. 1 Satz 2
EStG) aufgrund der Vereinnahmung des Kaufpreises am 22.5.1995 auf
einem Privatkonto das Kapital in Höhe von 362.682 DM zu
mindern. Demgemäß ist entsprechend der Berichtigung der
Schlussbilanz des Wirtschaftsjahres 1994/95 zum 30.6.1995 auch die
Anfangsbilanz für das Wirtschaftsjahr 1995/96 zum 1.7.1995 zu
berichtigen. Die Berichtigung in § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG
erfasst jede Steuerbilanz, die für die Besteuerung von
Bedeutung ist (dazu HHR/Stapperfend, § 4 EStG Anm. 400). Mit
Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten am 1.7.1995 verminderte
sich folglich der Bilanzposten sonstige Verbindlichkeiten um
362.682 DM. Ebenso verminderte sich der Bilanzposten Grund und
Boden um den auszubuchenden Buchwert des veräußerten
Betriebsgrundstückes in Höhe von 44.816 DM. In Höhe
der Differenz der Beträge erzielte der Kläger im
Wirtschaftsjahr 1995/96 einen Gewinn von 317.866 DM.
Soweit daher das FA die Ansicht vertritt, dass
sich die Bilanzberichtigung im Wirtschaftsjahr 1995/96 nur auf die
Ausbuchung des Grund und Bodens bezieht, der fälschlicherweise
noch am 30.6.1996 in der Bilanz ausgewiesen war, trifft dies nicht
zu. Vielmehr ist auch durch die Veränderung des Bilanzpostens
sonstige Verbindlichkeiten im Wirtschaftsjahr 1995/96 ein
Bilanzposten betroffen. Aus diesem Grunde ist eine
Bilanzberichtigung mit einer Gewinnauswirkung von 317.866 DM
bereits unter Zugrundelegung der im BMF-Schreiben in BStBl I 2000,
587 = SIS 00 07 77 vertretenen Auffassung im Wirtschaftsjahr
1995/96 zu bejahen, da in der Anfangsbilanz zum 1.7.1995 des
Wirtschaftjahres 1995/96 die sonstige Verbindlichkeit auszuweisen
war, die in der Schlussbilanz zum 30.6.1996, ebenso wie der
Buchwert des veräußerten Grund und Bodens, nicht mehr zu
erfassen war. § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG erfasst nicht nur die
Berichtigung einer Schlussbilanz, sondern auch die erforderliche
Berichtigung einer Anfangsbilanz (vgl. auch Senatsurteil vom
19.8.1999 IV R 73/98, BFHE 190, 5, BStBl II 2000, 18 = SIS 99 24 30, unter 1. b der Gründe, wonach bei bestandskräftigen
Folgeveranlagungen die Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 der Abgabenordnung - AO 1977 - anwendbar ist; Schmidt/Heinicke,
a.a.O., § 4 Rz 688).
dd) Der Kläger war - entgegen der vom FA
vertretenen Ansicht - auch nicht verpflichtet, eine berichtigte
bzw. geänderte Bilanz einzureichen. Lehnt das FA - wie im
Streitfall - die begehrte Bilanzänderung ab, so ist der
Kläger nicht verpflichtet, gleichzeitig mit der Beantragung
der Bilanzänderung auch eine geänderte bzw. berichtigte
Bilanz einzureichen, wenn er Streitfragen die Voraussetzung der
Bilanzberichtigung betreffend zunächst gerichtlich klären
lässt (vgl. Senatsurteile vom 4.11.1999 IV R 70/98, BFHE 190,
404, BStBl II 2000, 129 = SIS 00 02 30, und vom 26.1.1995 IV R
54/93, BFHE 177, 18, BStBl II 1995, 473 = SIS 95 20 93;
HHR/Stapperfend, § 4 EStG Anm. 466). Denn wird die
Bilanzberichtigung durch das Urteil bestätigt, so bewirkt die
gestaltende Wirkung des Urteils die Berichtigung der Bilanz.
Gleiches gilt für die Bilanzänderung.
ee) Der Kläger war nach alledem
berechtigt, die - ihren Voraussetzungen nach zwischen den
Beteiligten unstreitige - Reinvestitionsrücklage nach §
6b Abs. 3 Satz 1 EStG im Wirtschaftsjahr 1995/96 in Höhe von
317.866 DM zu bilden.