Ruhendes Einspruchsverfahren, Fortsetzung, Ermessen: Ein gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 kraft Gesetzes ruhendes Einspruchsverfahren kann nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 fortgesetzt werden. Eine solche Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Diese muss daher ihre Ermessenserwägungen offenlegen. - Urt.; BFH 26.9.2006, X R 39/05; SIS 07 03 12
I. Die verheiratete Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) wurde im Streitjahr 2001
getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Sie legte gegen den
für dieses Jahr ergangenen Einkommensteuerbescheid vom
23.10.2002 Einspruch ein und beantragte, das Einspruchsverfahren
ruhen zu lassen. Zur Begründung ihres Einspruchs trug sie vor,
dieser richte sich gegen die Struktur der Einkommensteuer und der
damit verbundenen Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen sowie der
Steuerlast. Die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung sei
nicht mehr gegeben.
Der Einspruch richte sich gegen die
Höhe der Abzugsfähigkeit der Arbeitnehmerbeiträge
zur gesetzlichen Rentenversicherung. Diese seien in voller
Höhe entweder als Werbungskosten oder aber nach § 10 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. Ferner sei
bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, den
Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und den sonstigen
Einkünften ein dem Sparerfreibetrag vergleichbarer Freibetrag
zu berücksichtigen. Auch widerspreche die Kürzung des
Vorwegabzugs im Rahmen von § 10 Abs. 3 Satz 2 EStG (in der im
Streitjahr geltenden Fassung) dem System der Rentenversicherung und
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und sei daher
verfassungswidrig. Zudem richte sich der Einspruch gegen die
Nichtberücksichtigung von Aufwendungen, die zum Teil durch das
Arbeitsverhältnis veranlasst seien, aber den sog. gemischten
Aufwendungen zugeordnet würden. Gerügt werde auch die
Besteuerungspraxis hinsichtlich der Zinseinnahmen. Diese Praxis
habe zur Folge, dass auch die Besteuerung der Arbeitnehmer
verfassungswidrig sei. Der Überprüfung bedürfe auch
die gesetzliche Regelung über die Zusammenveranlagung, weil in
bestimmten Fällen bei einem Steuerpflichtigen mit Kindern die
Einzelveranlagung günstiger sei. Schließlich richte sich
der Einspruch auch gegen die Höhe des Grundfreibetrags
gemäß § 32a EStG.
Unter Hinweis auf zahlreiche in ihrem
Einspruchsschreiben näher bezeichnete anhängige Verfahren
vor verschiedenen Finanzgerichten (FG), dem Bundesfinanzhof (BFH)
und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beantragte die
Klägerin, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen. Ein Ruhen
des Verfahrens sei auch deshalb geboten, weil derzeit unklar sei,
wie der Gesetzgeber die aufgrund des Urteils des BVerfG vom
6.3.2002 2 BvL 17/99 (BVerfGE 105, 73 = SIS 02 04 93) ab dem
1.1.2005 gebotene Neuregelung der Rentenbesteuerung umsetzen werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Einspruchsschreiben
der Klägerin vom 29.10.2002 Bezug genommen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) führte in dieser Angelegenheit mit der
Klägerin keine weitere Korrespondenz. Durch die
Einspruchsentscheidung vom 10.7.2003 wies er den Einspruch der
Klägerin als unbegründet zurück. In den Gründen
dieser Entscheidung legte er dar, ein Ruhen des Verfahrens komme
nicht in Betracht. Die von der Klägerin benannten, bei
Bundesgerichten anhängigen Verfahren seien bereits
abgeschlossen oder beträfen Fragen, die für die
Steuerfestsetzung bei der Klägerin nicht relevant seien. Da
der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Frage der
Verfassungsmäßigkeit des lediglich begrenzten Abzugs von
Vorsorgeaufwendungen vorläufig ergangen sei, komme ein Ruhen
des Einspruchsverfahrens wegen dieses Punkts gemäß
§ 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht in
Betracht. Auch soweit die Klägerin geltend mache,
Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung seien
vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften
gemäß § 22 Nr. 1 EStG, scheide ein Ruhen des
Einspruchsverfahrens aus. Die hierzu beim BFH anhängigen
Verfahren beträfen die Streitjahre 1986 bis 1992. Diese
Verfahren seien deshalb im Streitfall ohne Bedeutung.
In dem sich anschließenden
Klageverfahren machte die Klägerin mit ihrem Hauptantrag
geltend, die Einspruchsentscheidung sei isoliert aufzuheben.
Hilfsweise für den Fall der Abweisung des Hauptantrags sei der
angefochtene Bescheid in der Weise abzuändern, dass ihre
Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als
vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften
berücksichtigt werden.
Die Einspruchsentscheidung sei
rechtswidrig. Das FA habe sie nicht vor Erlass dieser Entscheidung
darauf hingewiesen, dass es das Einspruchsverfahren nicht ruhen
lasse. Es habe nicht berücksichtigt, dass die Finanzämter
verwaltungsintern gehalten seien, Steuerpflichtige anzuhören,
wenn beabsichtigt sei, eine Entscheidung nach § 363 Abs. 2
Satz 4 AO 1977 zu treffen. Dadurch habe das FA ihr die
Möglichkeit genommen, den Einspruch zurückzunehmen oder
näher zu begründen. Allerdings sei es ihr nicht zumutbar,
derzeit zu Besteuerungsgrundlagen Stellung zu nehmen, die wie z.B.
die Behandlung sog. gemischter Aufwendungen Gegenstand von beim BFH
anhängigen Verfahren seien. Das FA habe über den
Ruhensantrag auch nicht abschlägig in der
Einspruchsentscheidung entschieden. Es habe zudem nicht bedacht,
dass zum Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung drei
Revisionsverfahren anhängig gewesen seien, die u.a. die
Rechtsfrage betroffen hätten, ob Beiträge zur
Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten
abzugsfähig seien. Hiervon sei derzeit noch das zuletzt unter
dem Az. X R 45/02 geführte Verfahren offen.
Für den Fall der Abweisung des
Hauptantrags sei dem Hilfsantrag zu entsprechen. Es entspreche der
zwingenden Logik, von einem Arbeitnehmer geleistete Beiträge
zur gesetzlichen Rentenversicherung als vorweggenommene
Werbungskosten zu berücksichtigen. Dies folge insbesondere
auch daraus, dass der Gesetzgeber im Rahmen des
Alterseinkünftegesetzes (AltEinkG) vom 5.7.2004 (BGBl I 2004,
1427, BStBl I 2004, 554) zur nachgelagerten Besteuerung
übergangen sei.
Das FA ist der Klage entgegengetreten. Die
Klägerin habe durch die Aneinanderreihung bundesweit bekannter
Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit zahlreicher
Normen des EStG keinen konkreten Streitgegenstand benannt. Es komme
der Klägerin nur darauf an, den Streitfall offenzuhalten. Der
Einspruch sei aber kein Instrument zum bloßen Offenhalten
eines Besteuerungsverfahrens wegen möglicher zukünftiger
Entwicklungen der Rechtsprechung in Verfahren anderer
Steuerpflichtiger. Gemäß § 363 Abs. 2 AO 1977
könne zwar die Finanzbehörde das Einspruchsverfahren mit
Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn dies aus
wichtigen Gründen zweckmäßig erscheine. Das
bloße Interesse, den Steuerfall offenzuhalten, sei aber kein
wichtiger Grund. Der Einspruch diene dazu, möglichst
zügig eine Entscheidung in der eigenen Sache
herbeizuführen. Das FA handele deshalb nicht fehlerhaft, wenn
es in einem derartigen Fall den Einspruch nicht ruhen lasse,
sondern über ihn entscheide. Das FA habe auch nicht den
Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es ohne
nochmalige Erörterung über den Einspruch entschieden
habe. Weder aus § 91 AO 1977 noch aus dem Anspruch auf
rechtliches Gehör folge die Verpflichtung, ein
Rechtsgespräch zu führen.
Das FG hat die Klage mit den in EFG 2006,
240 = SIS 06 05 42 wiedergegebenen Gründen abgewiesen.
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin im Hauptantrag die Verletzung von § 363 Abs. 2
Satz 2 AO 1977 sowie von Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG). Die
Voraussetzungen der sog. Zwangsruhe des Einspruchsverfahrens
hätten vorgelegen.
Mit ihrem Hilfsantrag macht die
Klägerin geltend, ihre Beiträge zur gesetzlichen
Rentenversicherung seien in voller Höhe entweder als
Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften oder in
unbeschränktem Umfang als Sonderausgaben abziehbar. Sofern
über den Hilfsantrag zu entscheiden sei, werde angeregt, das
Verfahren nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ruhen zu
lassen, bis eine Entscheidung des BVerfG vorliege.
Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA vom
10.7.2003 aufzuheben, hilfsweise für den Fall der Abweisung
des Hauptantrags das angefochtene Urteil aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid 2001 in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 10.7.2003 in der Weise zu ändern,
dass die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in
vollem Umfang als Werbungskosten oder alternativ als Sonderausgaben
berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist im Hauptantrag
begründet. Das angefochtene Urteil und die
Einspruchsentscheidung vom 10.7.2003 werden aufgehoben (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Einspruchsentscheidung beruht auf
einem Verfahrensfehler und verletzt die Klägerin in ihren
Rechten, weil das Einspruchsverfahren gemäß § 363
Abs. 2 Satz 2 AO 1977 insgesamt geruht hat. Das FA war im Rahmen
seines pflichtgemäßen Ermessens zwar berechtigt, eine
Entscheidung über die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens
gemäß Abs. 2 Satz 4 dieser Vorschrift zu treffen. Dieses
Ermessen hat es aber im Streitfall nicht ausgeübt.
1. Ist wegen der
Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer
Rechtsfrage ein Verfahren bei dem Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften, dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht
anhängig und wird der Einspruch hierauf gestützt, ruht
das Einspruchsverfahren insoweit; dies gilt nicht, soweit nach
§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO 1977 die Steuer vorläufig
festgesetzt wurde (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
a) Voraussetzung dieser sog. gesetzlichen
Zwangsruhe gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ist
mithin, dass sich ein Einspruchsführer zur Begründung
seines Einspruchs auf ein bei einem der oben genannten Gerichte
anhängiges Verfahren beruft, das noch nicht abgeschlossen ist
(BFH-Beschluss vom 25.11.2003 II B 68/02, BFH/NV 2004, 462 = SIS 04 10 92). Ferner muss dieses anhängige Musterverfahren für
das Einspruchsverfahren von präjudizieller Bedeutung sein. Es
muss daher eine auch in dem Einspruchsverfahren
entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffen (Klein/Brockmeyer,
AO, 9. Aufl., § 363 Rz. 14; Pahlke/Koenig/Pahlke,
Abgabenordnung § 363 Rz. 46).
b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall
jedenfalls insoweit gegeben, als die Klägerin geltend gemacht
hat, die von ihr geleisteten Beiträge zur gesetzlichen
Rentenversicherung seien in vollem Umfang als vorweggenommene
Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften gemäß
§ 22 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen. Diese Beiträge
wurden in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid nur als
beschränkt abziehbare Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 1
Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 EStG) berücksichtigt. Sie haben sich
auch nicht in vollem Umfang steuermindernd ausgewirkt.
Ihren Einspruch hat die Klägerin u.a. auf
das beim BFH anhängige Revisionsverfahren XI R 20/02
(derzeitiges Az. beim BFH: X R 45/02) gestützt. Gegenstand
dieser Revision, über die der BFH bisher nicht entschieden
hat, ist u.a. die Rechtsfrage, ob (vor dem Jahr 2005 geleistete)
Beiträge zur Rentenversicherung im Hinblick auf die (damals zu
erwartende) gesetzliche Neuregelung der Besteuerung der
Alterseinkünfte als Werbungskosten (bei den sonstigen
Einkünften) zu berücksichtigen sind.
Entgegen der Auffassung des FA in der
angefochtenen Einspruchsentscheidung ist die Rechtsfrage auch im
Streitfall einschlägig. Dem steht nicht entgegen, dass das von
der Klägerin angesprochene Verfahren die Einkommensteuer der
Jahre 1986 bis 1989 betrifft.
Für die in der Zeit vor 2005 geleisteten
Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wird die Frage
gestellt, ob sie abweichend von der bisherigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung deshalb als in vollem
Umfang abziehbare Werbungskosten zu beurteilen sind, weil die
Renten voraussichtlich in der Zeit ab dem Jahr 2005 zufließen
werden und damit im Rahmen der sog. nachgelagerten Besteuerung
nicht nur mit dem Ertragsanteil, sondern mit einem vom Jahr des
jeweiligen Rentenbeginns abhängigen, wesentlich höheren
Anteil der Besteuerung unterliegen (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst.
a, Doppelbuchst. aa EStG i.d.F. des AltEinkG). Denn die
Rechtsprechung hatte die Abziehbarkeit dieser Aufwendungen als
Werbungskosten mit der Begründung verneint, es handele sich um
Aufwendungen auf der Vermögensebene, weil die
zufließende Rente nur mit einem pauschalierten Zinsanteil,
nicht aber hinsichtlich des Vermögensstamms der Besteuerung
unterworfen werde (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B.
Senatsbeschluss vom 14.5.1998 X R 38/93, BFH/NV 1999, 163 = SIS 98 50 78, m.w.N.).
c) Die mithin auch im Streitfall
einschlägige Rechtsfrage ist auch nicht Gegenstand eines
Vorläufigkeitsvermerks i.S. von § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
AO 1977. Zwar enthält der angefochtene Einkommensteuerbescheid
vom 23.10.2002 die Nebenbestimmung, die Steuerfestsetzung sei im
Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. Revisionen
vorläufig hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von
Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG). In einem solchen Fall
erstreckt sich die Vorläufigkeit jedoch nur auf die
verfassungsrechtliche Frage, ob die beschränkte Abziehbarkeit
existenznotwendiger Aufwendungen verfassungsgemäß ist,
nicht aber auf Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung einfachen
Rechts (Senatsurteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl
II 1997, 791 = SIS 97 14 63).
d) Unerheblich ist in diesem Zusammenhang
auch, dass der erkennende Senat inzwischen durch sein Urteil vom
21.7.2004 X R 72/01 (BFH/NV 2005, 513 = SIS 05 15 72) entschieden
hat, dass in der Zeit vor 2005 geleistete Beiträge zur
gesetzlichen Rentenversicherung nicht deshalb als Werbungskosten
bei den sonstigen Einkünften zu behandeln sind, weil der
Gesetzgeber durch das AltEinkG die Besteuerung der
Altersbezüge neu geordnet hat. Zwar zielt die Vorschrift des
§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 in erster Linie darauf ab, dass
Einspruchsverfahren ruhen sollen, bis eines der in dieser
Vorschrift genannten Gerichte in einem Musterverfahren die im
Einspruchsverfahren entscheidungserhebliche Rechtsfrage
geklärt hat. Der Wortlaut der Vorschrift geht indessen
darüber hinaus. Danach genügt es, dass sich ein
Einspruchsführer auf ein zu einer solchen Rechtsfrage noch
anhängiges Parallelverfahren beruft. Der Senat sieht auch
keinen Grund, die Vorschrift im Wege der teleologischen Reduktion
einschränkend zu interpretieren. Denn die Finanzbehörde
kann in einem Fall, in dem die Rechtsfrage in einem Musterverfahren
bereits höchstrichterlich geklärt ist und nur noch
Parallelverfahren anhängig sind, im Rahmen seines
pflichtgemäßen Ermessens, welches es aber darzulegen hat
(vgl. hierzu unter 4.), durch rechtsgestaltenden Verwaltungsakt
entscheiden, dass das Einspruchsverfahren fortgesetzt wird
(zutreffend Klein/ Brockmeyer, a.a.O., § 363 Rz. 22 a.E.).
2. Der erkennende Senat kann offenlassen, ob
bzw. bezüglich welcher anderen im Einspruchsverfahren geltend
gemachten Streitpunkte § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977
einschlägig ist. Liegen die Voraussetzungen der gesetzlichen
Zwangsruhe auch nur hinsichtlich eines von mehreren Streitpunkten
vor, dann ruht das Einspruchsverfahren insgesamt.
a) Ob ein Einspruchsverfahren nur insoweit
ruht, als sich der Einspruchsführer auf ein anhängiges
Verfahren bezieht, es aber bezüglich anderer Streitpunkte
fortgeführt und durch eine Teileinspruchsentscheidung
abgeschlossen werden kann, ist umstritten. Von der
Zulässigkeit einer solchen Teileinspruchsentscheidung geht ein
Teil der Literatur aus (Birkenfeld in Hübschmann/
Hepp/Spitaler - HHSp -, § 363 AO Rz. 178; Klein/Brockmeyer,
a.a.O., § 363 Rz. 20; M. Söffing, DStR 1995, 1489; von
Wedel in Beermann/Gosch AO § 363 Rz. 56; von Wedelstädt,
DB 1994, 1260). Demgegenüber vertreten die Finanzverwaltung
und andere Stimmen in der Literatur die Auffassung, das
Einspruchsverfahren könne, solange die Zwangsruhe nicht
beendigt sei, insgesamt nicht abgeschlossen werden
(Anwendungserlass zur Abgabenordnung - AEAO - zu § 363 Nr. 2;
Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, 2. Aufl., S. 131 Rz.
211; Kühn/Hofmann, 17. Aufl., § 363 AO n.F. Anm. 4;
Pahlke/Koenig/Pahlke, a.a.O., § 363 Rz. 51; Szymczak, DB 1994,
2254, 2260; derselbe in Koch/ Scholtz, AO, 5. Aufl., § 363 Rz.
10/5; Tiedchen, BB 1996, 1033; Tipke in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 363 AO Tz. 21).
b) Der erkennende Senat schließt sich
letzterer Auffassung an. Aus dem Wortlaut von § 363 Abs. 2
Satz 2 AO 1977, wonach das Einspruchsverfahren insoweit
ruht, folgt nicht zwingend, dass es im Übrigen fortzusetzen
und ggf. durch eine Teileinspruchsentscheidung abzuschließen
ist. Mit dem Wortlaut ist auch eine Auslegung zu vereinbaren,
wonach Satz 2 dieser Norm lediglich eine positive Entscheidung
über die Reichweite des Ruhens enthält, aber keine
Aussage getroffen wird, was mit dem Verfahren im Übrigen zu
geschehen hat (so zutreffend Jesse, a.a.O., Rz. 211).
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass
gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 die
Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, die
Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen hat. Diese Vorschrift
lässt daher grundsätzlich Teileinspruchsentscheidungen
über einzelne entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfragen
oder über Teile des Streitgegenstands nicht zu (BFH-Urteil vom
27.9.1994 VIII R 36/89, BFHE 176, 289, BStBl II 1995, 353 = SIS 95 12 92, m.w.N.).
Dem steht nicht entgegen, dass die
§§ 354 Abs. 1a und 362 Abs. 1a AO 1977 die
Möglichkeit vorsehen, auf einen Einspruch, soweit er sich auf
Besteuerungsgrundlagen bezieht, die für ein
Verständigungs- oder ein Schiedsverfahren nach einem Vertrag
i.S. des § 2 AO 1977 von Bedeutung sein können, zu
verzichten oder diesen insoweit zurückzunehmen. Die dadurch
eintretende Teilbestandskraft ist indessen die Folge der vom
Steuerpflichtigen abgegebenen und auch genau bezeichneten
verfahrensrechtlichen Verzichtserklärung.
Demgegenüber begehrt ein
Einspruchsführer, der seinen Rechtsbehelf auf ein
Musterverfahren und auf andere Streitpunkte stützt, die
vollständige Überprüfung seines Begehrens, die aber,
solange das Verfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO
1977 ruht, nicht möglich ist.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass §
363 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AO 1977 die Einschränkung
„insoweit“ nicht enthält. Hieraus
folgt, dass jedenfalls in den Fällen der Aussetzung des
Einspruchsverfahrens (§ 363 Abs. 1 AO 1977) und des Ruhens des
Verfahrens mit Zustimmung des Einspruchsführers aus
Gründen der Zweckmäßigkeit (§ 363 Abs. 2 Satz
1 AO 1977) eine Teileinspruchsentscheidung nicht möglich ist.
Dies belegt, dass der Gesetzgeber den Vorschlag der vom
Bundesministerium der Finanzen eingesetzten Arbeitsgruppe
„Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren nach der
AO“ nicht gefolgt ist, die vorgeschlagen hatte, im
Einspruchsverfahren Vorabentscheidungen über
entscheidungsreife Teile bzw. entscheidungserhebliche Sach- oder
Rechtsfragen zu treffen (zum Inhalt des nicht amtlich
veröffentlichten Berichts dieser Kommission vgl. Szymczak, DB
1989, 2092 und derselbe in Koch/Scholtz, a.a.O., Vor § 347 Rz.
16). Auch dies belegt, dass aus dem Wortlaut des Abs. 2 Satz 2
dieser Vorschrift nicht auf die Zulässigkeit einer solchen
Teileinspruchsentscheidung geschlossen werden kann.
3. Ein nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977
ruhendes Einspruchsverfahren ist (nur) fortzusetzen, wenn die
Voraussetzungen des Satzes 4 dieser Vorschrift vorliegen.
a) Der erkennende Senat folgt der herrschenden
Meinung, wonach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 auch in den
Fällen der gesetzlichen Zwangsruhe zum Tragen kommt (so
bereits beiläufig BFH-Beschluss vom 6.7.1999 IV B 14/99,
BFH/NV 1999, 1587 = SIS 99 53 94; AEAO zu § 363 Nr. 3;
Birkenfeld in HHSp, a.a.O., § 363 AO Rz. 202; Klein/
Brockmeyer, a.a.O., § 363 Rz. 25; Tipke in Tipke/Kruse,
a.a.O., § 363 AO Tz. 27; a.A. FG Niedersachsen, Urteil vom
2.3.1999 I 36/98, juris Nr: STRE997097070; Löhlein, DStR 1998,
282; Tiedchen, BB 1996, 1033; Thouet/Thouet, DStZ 1999, 87).
Dass sich § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977
unmittelbar an die Regelung über das Anordnungsruhen aufgrund
einer Allgemeinverfügung in Satz 3 anschließt,
führt nicht zu dem Auslegungsergebnis, dass Satz 4 nur in den
Fällen des Satzes 3 einschlägig wäre. Denn der
Gesetzgeber hat die Regelung in Satz 4 deshalb vorgesehen, weil
entweder der Einspruchsführer oder aber die Finanzbehörde
ein berechtigtes Interesse an der Fortsetzung des
Einspruchsverfahrens haben kann (BTDrucks 12/7427, S. 37). Ein
solches Fortsetzungsinteresse kann aber in allen in § 363 Abs.
2 AO 1977 geregelten Fallgruppen der Verfahrensruhe bestehen. Dem
kann auch nicht entgegengehalten werden, der Zweck der gesetzlichen
Zwangsruhe, wonach der Ausgang eines Musterverfahrens abzuwarten
sei, werde unterlaufen, wenn die Finanzbehörde jederzeit durch
bloße Mitteilung nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 diese
Zwangsruhe beenden könne (so Löhlein, DStR 1998, 282).
Denn die Finanzbehörde darf die Entscheidung, ob sie von der
in Satz 4 gegebenen Möglichkeit Gebrauch macht, nur nach
pflichtgemäßem Ermessen treffen (siehe dazu unter
4.).
b) Entgegen der Auffassung des FA folgt aus
dem BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 462 = SIS 04 10 92 nicht, dass es
auf das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Satzes 4 nicht
ankäme. Dieser BFH-Beschluss betraf einen Streitfall, bei dem
im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung das Verfahren, weswegen das
Einspruchsverfahren ruhte, bereits abgeschlossen war. In einem
solchen Fall endet aber die gesetzliche Zwangsruhe automatisch,
weil es am Tatbestandsmerkmal der Anhängigkeit des Verfahrens
fehlt. Demgegenüber ist die Mitteilung der Finanzbehörde
über die Fortsetzung eines noch von der gesetzlichen
Zwangsruhe betroffenen Einspruchsverfahrens ein rechtsgestaltender
Verwaltungsakt. Denn die Mitteilung entfaltet deshalb
Rechtswirkungen gegenüber dem Einspruchsführer, weil sie
die gesetzliche Zwangsruhe beendet (so zutreffend Birkenfeld in
HHSp, a.a.O., § 363 AO Rz. 204).
4. Dieser rechtsgestaltende Verwaltungsakt ist
eine Ermessensentscheidung. Der Einspruchsführer hat zwar kein
subjektives Recht darauf, dass die Finanzbehörde von einer
Fortsetzung des Einspruchsverfahrens vor Beendigung der
gesetzlichen Zwangsruhe absieht (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1587
= SIS 99 53 94). Er hat aber einen Anspruch auf
rechtmäßige Ausübung des pflichtgemäßen
Ermessens (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 28.11.2005 VII 126/02, EFG
2006, 786 = SIS 06 10 14; FG Münster, Urteil vom 4.5.2000 3 K
8622/97 VSt, EFG 2000, 911 = SIS 01 57 73; FG Niedersachsen,
Beschluss vom 20.8.1998 I 76/98, juris Nr: STRE997058970;
Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 363 Rz. 23; Pahlke/Koenig/Pahlke,
a.a.O., § 363 Rz. 54; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 363
AO Tz. 28; a.A. FG München, Urteil vom 12.12.2002 15 K
4395/00, Inf 2003, 202 = SIS 03 19 44; von Wedelstädt, DB
1994, 1260).
Aus dem Wortlaut von § 363 Abs. 2 Satz 4
AO 1977, wonach das Einspruchsverfahren (u.a.) fortzusetzen
ist, wenn die Finanzbehörde dies dem
Einspruchsführer mitteilt, folgt nicht, dass diese
Entscheidung im freien Belieben der Finanzbehörde stünde.
Denn das Gesetz beschreibt insoweit nur die Rechtsfolgen der
Entscheidung, die gesetzliche Zwangsruhe zu beenden. Die Vorschrift
kann auch nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die
Finanzbehörde aus Gründen der
„Waffengleichheit“ ohne weiteres die Zwangsruhe
beenden kann, weil auch der Einspruchsführer dies durch einen
bloßen Antrag erreichen kann.
Dies zeigt ein Vergleich mit der in § 363
Abs. 2 Satz 1 AO 1977 getroffenen Regelung. Danach kann die
Finanzbehörde das Verfahren mit Zustimmung des
Einspruchsführers ruhen lassen, wenn dies aus wichtigen
Gründen zweckmäßig erscheint. Hierzu ist anerkannt,
dass die Entscheidung der Finanzbehörde eine
Ermessensentscheidung darstellt. Diese ist nur
rechtmäßig, wenn das Ermessen sachgerecht ausgeübt
wird, insbesondere, wenn sie auf die Besonderheiten eingeht und
nicht nur Standardformulierungen benutzt, die auf den Fall nicht
zutreffen (BFH-Urteil vom 27.11.1998 VI R 161-162/90, BFH/NV 1999,
659).
Ist in diesem Fall die Entscheidung der
Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu
treffen, muss dies erst recht gelten, wenn die Finanzbehörde
eine bestehende gesetzliche Zwangsruhe beenden will. Denn der
Einspruchsführer hat in einem solchen Fall kraft der
gesetzlichen Anordnung in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 in
verfahrensrechtlicher Hinsicht einen Status erlangt, den ein
Einspruchsführer im Fall des § 363 Abs. 2 Satz 1 AO 1977
erst anstrebt.
Die gesetzliche Zwangsruhe hat der Gesetzgeber
eingeführt, weil er davon ausgeht, es entspreche in der Regel
den Interessen des Einspruchsführers und der
Finanzbehörde, den Ausgang des Musterverfahrens abzuwarten
(BTDrucks 12/7427, S. 37). Hieraus ist zu schließen, dass die
gesetzliche Zwangsruhe nicht allein der Entlastung des
Verwaltungsverfahrens dient und die Finanzbehörde deshalb bei
ihrer Entscheidung, die gesetzliche Zwangsruhe zu beenden, die
Belange des Einspruchsführers mit berücksichtigen muss
(a.A. FG München, Urteil in Inf 2003, 202 = SIS 03 19 44).
Soweit in der Gesetzesbegründung zu § 363 Abs. 2 Satz 4
AO 1977 darauf abgestellt wird, dass (auch) die Finanzbehörde
ein berechtigtes Interesse an der Fortsetzung des Verfahrens haben
kann, ist dieses an der Grundentscheidung über die gesetzliche
Zwangsruhe auszurichten. Insbesondere muss die Finanzbehörde
zum Ausdruck bringen, weshalb sie im Rahmen ihres Ermessens im
konkreten Einzelfall die gesetzliche Zwangsruhe beendet, in anderen
Fällen aber den Ausgang des Musterverfahrens abwartet. Denn
auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht müssen staatliche
Einrichtungen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG
beachten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 5.8.1998 1 BvR 472/98, NJW
1999, 207).
Der erkennende Senat weicht mit seiner
Entscheidung nicht vom BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1587 = SIS 99 53 94 ab. Im dort entschiedenen Streitfall war kein Verfahren i.S.
von § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 anhängig. Die Aussage in
dem BFH-Beschluss, wonach kein Anspruch auf das Ruhen des
Verfahrens bestehe, war deshalb nicht entscheidungserheblich.
5. Bei Anwendung dieser Grundsätze
erweist sich die angefochtene Einspruchsentscheidung als
rechtsfehlerhaft.
a) Mit dieser hat das FA erstmals auf das
Einspruchsbegehren der Klägerin und ihren Antrag, das
Einspruchsverfahren ruhen zu lassen, reagiert. Das FA hat daher mit
dieser Einspruchsentscheidung zugleich die gesetzliche Zwangsruhe
beendet. Hierbei hat es jedoch ausweislich der Begründung sein
pflichtgemäßes Ermessen nicht ordnungsgemäß
ausgeübt. Das FA hat lediglich ausgeführt, die von der
Klägerin genannten Ruhensgründe lägen nicht vor.
Denn die von der Klägerin benannten Verfahren seien zum Teil
bereits abgeschlossen. Die anderen von ihr benannten Verfahren
seien für den Streitfall nicht rechtserheblich. Diese
Begründung trifft, wie oben bei II.1.b dargelegt, hinsichtlich
der Streitfrage, ob Rentenversicherungsbeiträge
vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften
darstellen, nicht zu. Da mithin aus diesem Grund das
Einspruchsverfahren kraft Gesetzes gemäß § 363 Abs.
2 Satz 2 AO 1977 ruhte, hätte das FA begründen
müssen, weshalb ein das Interesse der Klägerin
überwiegendes Interesse des FA an der Fortsetzung des
Einspruchsverfahrens bestand.
b) Dieser Begründungsmangel ist auch
nicht im finanzgerichtlichen Verfahren geheilt worden. Zwar kann
die Finanzbehörde gemäß § 102 Satz 2 FGO ihre
Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts bis zum
Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens
ergänzen. Eine zulässige Ergänzung einer
Ermessensentscheidung kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn das
Ermessen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens erstmals
ausgeübt wird (BFH-Beschlüsse vom 2.6.2004 IV B 56/02,
BFH/NV 2004, 1536 = SIS 04 38 80, und vom 9.11.2004 VI B 39/02,
BFH/NV 2005, 378 = SIS 05 12 67). Überdies hat das FA im
Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens lediglich
Ausführungen zu § 363 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 gemacht und
ausgeführt, das Interesse daran, den Steuerfall
„offen zu halten“, sei kein wichtiger Grund im
Sinne dieser Vorschrift. Das FA hat mithin auch im
finanzgerichtlichen Verfahren nicht erkannt, dass § 363 Abs. 2
Satz 2 i.V.m. Satz 4 AO 1977 einschlägig ist.
c) Der Klägerin kann auch nicht das
erforderliche besondere Rechtschutzinteresse an der isolierten
Aufhebung der Einspruchsentscheidung abgesprochen werden (zu diesem
Erfordernis vgl. BFH-Urteile vom 19.8.1982 IV R 185/80, BFHE 136,
445, BStBl II 1983, 21 = SIS 83 25 01, und vom 19.12.1995 III R
100/90, NJW 1996, 1560).
Die Rechtswidrigkeit des Widerrufs eines
Ruhens des Verfahrens kann gemäß § 363 Abs. 3 AO
1977 nur durch Klage gegen die Einspruchsentscheidung geltend
gemacht werden. Der Zulässigkeit einer solchen Klage steht
auch nicht entgegen, dass die Klägerin die vollständige
Berücksichtigung der von ihr geleisteten
Rentenversicherungsbeiträge begehrt. Denn dieses Begehren hat
sie nur für den Fall der Abweisung ihres Antrags auf isolierte
Aufhebung der Einspruchsentscheidung geltend gemacht (BFH-Urteil
vom 14.7.2004 IX R 13/01, BFHE 206, 316, BStBl II 2005, 125 = SIS 04 35 31).
d) Angesichts dieser Sachlage kann
offenbleiben, ob die Einspruchsentscheidung auch deshalb aufzuheben
war, weil das FA die Klägerin vor der Entscheidung, das
Einspruchsverfahren fortzusetzen, hierzu nicht angehört hat
(vgl. AEAO zu § 363 Nr. 3 Satz 1).
6. Für das weitere Verfahren weist der
erkennende Senat - ohne allerdings die Beteiligten binden zu wollen
- darauf hin, dass sich aus Sinn und Zweck der Regelung des §
363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nicht die grundsätzliche Pflicht der
Finanzbehörde ergibt, den Ausgang des Musterverfahrens
abzuwarten (so aber FG Münster in EFG 2000, 911 = SIS 01 57 73). Zwar dient diese Vorschrift der Verfahrensvereinfachung.
Jedoch räumt der Gesetzgeber neben dem Einspruchsführer
ausdrücklich auch der Finanzbehörde die Möglichkeit
ein, das Einspruchsverfahren trotz bestehender gesetzlicher
Zwangsruhe fortsetzen zu können (BTDrucks 12/7427, S. 37). Es
geht mithin nicht um die grundsätzliche Befugnis der
Finanzbehörde zur Verfahrensfortsetzung, sondern um die Frage,
ob sie sachgerechte und dem Grundrecht auf Gleichbehandlung
Rechnung tragende Gesichtspunkte benennen kann, weshalb sie
abweichend von der Regelung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 in
einem konkreten Einzelfall unter Abwägung der gegenseitigen
Belange zu dem Ergebnis gelangt, das Einspruchsverfahren
fortzusetzen.
Hierbei kann neben dem Gesichtspunkt, ein
weiteres Musterverfahren zu schaffen, im Einzelfall auch die
Würdigung des Verhaltens des Einspruchsführers von
Bedeutung sein. Zielt dessen Begehren letztlich darauf ab, das
Einspruchsverfahren nicht allein wegen einer ihn betreffenden
Streitfrage, die Gegenstand eines Musterverfahrens ist, ruhen zu
lassen, sondern bezweckt er, auf diese Weise von künftigen
Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu
derzeit nicht streitigen Fragen zu profitieren, kann dies ein
ausreichender Grund sein, nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 zu
verfahren. Denn auch die Regelung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO
1977 dient nicht dem Zweck, den Steuerfall möglichst lange
offenzulassen (BFH-Urteil vom 6.10.1995 III R 52/90, BFHE 178, 559,
BStBl II 1996, 20 = SIS 96 04 99). Gegenteiliges ergibt sich
entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht aus Art. 19 Abs.
4 GG. Aus dieser Norm lässt sich kein Gebot herleiten,
Einspruchsverfahren zwecks Vermeidung eines Prozesses ruhen zu
lassen. Ein solches „Entschleunigungsgebot“
existiert nicht.
In diesem Zusammenhang kann die
Finanzbehörde das Verhalten des Einspruchsführers
würdigen. Es kann hierbei aus dem Umstand, dass sich ein
Einspruchsführer (auch) auf zahlreiche nicht einschlägige
Musterverfahren stützt, entsprechende Schlüsse
ziehen.