Insolvenz, Aufrechnung: 1. Soweit ein Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuer auf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeführter Lohnsteuer beruht, ist eine Aufrechnung des FA mit Steuerforderungen gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig. - 2. Das Aufrechnungshindernis entfällt erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und nicht bereits mit dem Beschluss über die Ankündigung der Restschuldbefreiung. - Urt.; BFH 7.6.2006, VII B 329/05; SIS 06 31 54
I. Der
Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) ist Treuhänder
in dem am 20.6.2002 über das Vermögen der Schuldnerin
eröffneten Insolvenzverfahren. Das Land X hatte zu diesem
Zeitpunkt gegen die Schuldnerin eine Forderung in Höhe von ca.
32.000 DM. Im April 2004 stimmte das Amtsgericht der
Schlussverteilung zu. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 14.7.2004
wurde gemäß § 291 der Insolvenzordnung (InsO) die
Restschuldbefreiung für die Schuldnerin angekündigt; mit
Beschluss vom 15.11.2004 wurde das Insolvenzverfahren nach Vollzug
der Schlussverteilung gemäß § 200 InsO
aufgehoben.
Die
Schuldnerin hatte im Jahr 2002 überwiegend Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit bezogen. Auf ihre für dieses
Jahr eingereichte Einkommensteuererklärung erging am 3.8.2004
ein Steuerbescheid, aus dem sich ein Erstattungsanspruch der
Schuldnerin in Höhe von ca. 3.300 EUR ergab. Gegen diese
Forderung erklärte der Beklagte und Beschwerdeführer (das
Finanzamt - FA - ) im September 2004 die Aufrechnung mit der
Forderung des Landes X. Nachdem der Kläger hiergegen
Einwendungen erhoben hatte, erteilte das FA einen
Abrechnungsbescheid, mit dem es den Erstattungsanspruch der
Schuldnerin als durch Aufrechnung getilgt feststellte. Mit
Beschluss vom 20.12.2004 ordnete das Amtsgericht hinsichtlich der
aus der Erstattung der Einkommensteuer 2002 zu vereinnahmenden
Beträge die Nachtragsverteilung gemäß § 203
Abs. 1 InsO an.
Mit der nach
erfolglosem Einspruchsverfahren gegen den Abrechnungsbescheid
erhobenen Klage machte der Kläger geltend, dass der
Einkommensteuererstattungsanspruch der Schuldnerin teilweise,
nämlich in Höhe von ca. 1.800 EUR, erst nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden und
daher nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Aufrechnung gegen den
Anspruch in dieser Höhe unzulässig sei. Das Finanzgericht
(FG) folgte dieser Auffassung und gab der Klage statt. Soweit der
Erstattungsanspruch der Schuldnerin darauf beruhe, dass für
sie in den Monaten Juni bis Dezember 2002 Lohnsteuer und
Nebenabgaben abgeführt worden seien, sei der
Erstattungsanspruch erst nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens begründet worden. Die daraus folgende
Beschränkung der Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1
Nr. 1 InsO sei nicht bereits mit der Ankündigung der
Restschuldbefreiung am 14.7.2004 entfallen, sondern erst mit der
Aufhebung des Insolvenzverfahrens am 15.11.2004.
Hiergegen
richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des FA, welche es auf
den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ) stützt. Klärungsbedürftig sei die Frage, ob
das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO bereits mit
der Ankündigung der Restschuldbefreiung oder erst mit der
Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Schlussverteilung
entfalle.
II. Die
Beschwerde hat keinen Erfolg, da der geltend gemachte
Zulassungsgrund nicht vorliegt. Die Rechtssache hat keine
grundsätzliche Bedeutung, weil sich die von der Beschwerde
bezeichnete Rechtsfrage nur so beantworten lässt, wie das FG
es getan hat.
Dass der
Erstattungsanspruch der Schuldnerin aus der
Einkommensteuerveranlagung 2002 zur Insolvenzmasse gehört, ist
nicht zweifelhaft. Nach § 35 InsO erfasst das
Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur
Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er
während des Verfahrens erlangt. Der Senat hat wiederholt
entschieden, dass es auch unter der Geltung der InsO hinsichtlich
der Frage, ob ein steuerrechtlicher Anspruch zur Insolvenzmasse
gehört oder ob die Forderung des Gläubigers eine
Insolvenzforderung ist, nicht darauf ankommt, ob der Anspruch zum
Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im
steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in
diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der
Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war (Senatsurteile
vom 5.10.2004 VII R 69/03, BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195 = SIS 05 08 34; vom 16.11.2004 VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006,
193 = SIS 05 17 32; vom 31.5.2005 VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745 =
SIS 05 40 10). Bei Steuervorauszahlungen erlangt der
Steuerpflichtige bereits mit deren Entrichtung einen
Erstattungsanspruch unter der aufschiebenden Bedingung, dass am
Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist
als die Vorauszahlung (vgl. Senatsurteil vom 6.2.1996 VII R 116/94,
BFHE 179, 547, BStBl II 1996, 557 = SIS 96 10 28). Im Streitfall
ist daher der aus der Einkommensteuerveranlagung 2002 und aus der
abgeführten Lohnsteuer resultierende Erstattungsanspruch der
Schuldnerin in insolvenzrechtlicher Hinsicht sowohl vor als auch
während des Insolvenzverfahrens begründet worden und
unterfällt damit der Insolvenzbeschlagnahme.
Durch die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß §
80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse
gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu
verfügen, auf den Insolvenzverwalter über und die
Insolvenzgläubiger können ab diesem Zeitpunkt
gemäß § 87 InsO ihre Forderungen nur nach den
insolvenzrechtlichen Vorschriften verfolgen, wozu gehört, dass
die Aufrechnung durch Insolvenzgläubiger gegen zur
Insolvenzmasse gehörende Forderungen nur nach den §§
94 bis 96 InsO möglich ist. Diese im Dritten Teil der InsO
beschriebenen Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
entfallen erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens
gemäß § 200 InsO (vgl. MünchKommInsO/Hintzen,
§ 203 RdNr. 19). Die für eine natürliche Person als
Schuldner nach dem Achten Teil der InsO (§ 286 ff. InsO)
mögliche Restschuldbefreiung ist - wie sich aus § 289
Abs. 2 Satz 2 InsO ergibt - Teil des
Insolvenzverfahrens.
Aus den Vorschriften des Achten Teils ergibt
sich nichts für die von der Beschwerde vertretene Ansicht,
dass der Schuldner bereits mit dem Beschluss des Gerichts
gemäß § 289 Abs. 1 Satz 2, § 291 InsO
über die Ankündigung der Restschuldbefreiung seine
Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse
gehörende Vermögen wiedererlangt und der
Insolvenzgläubiger dementsprechend bezüglich Forderungen
des Schuldners, die zur Insolvenzmasse gehören, jedoch nicht
in die Schlussverteilung eingegangen sind, seine
uneingeschränkte Aufrechnungsbefugnis zurückerhält.
Wird eine zur Insolvenzmasse gehörende Forderung des
Schuldners erst nach dem Schlusstermin ermittelt, ist sie nicht aus
der Insolvenzbeschlagnahme entlassen, sondern ist nach § 203
Abs. 1 Nr. 3 InsO Gegenstand einer Nachtragsverteilung
gemäß Beschluss des Insolvenzgerichts. Ergeht der
Beschluss - wie im Streitfall - erst nach Aufhebung des
Insolvenzverfahrens (§ 203 Abs. 2 InsO), tritt damit eine
erneute Insolvenzbeschlagnahme bezüglich dieser Forderung ein
(vgl. MünchKommInsO/Hintzen, § 203 RdNr. 3, 21), die
einer von den §§ 94 bis 96 InsO unabhängigen
Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger entgegensteht.