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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) war Insolvenzverwalterin in dem im November 2003
über das Vermögen des M (Schuldner) eröffneten
Insolvenzverfahren. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom
31.7.2006 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben, wobei die
Nachtragsverteilung vor und während der Dauer des
Insolvenzverfahrens begründeter Ansprüche auf
Steuererstattungen vorbehalten blieb.
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Aus der Einkommensteuerveranlagung des
Schuldners für 2006 ergaben sich die Einkommen- und
Kirchensteuer sowie den Solidaritätszuschlag betreffende
Erstattungsbeträge, gegen die der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) durch
Umbuchungsmitteilung mit gegen den Schuldner bestehenden
Insolvenzforderungen aufrechnete. Die Klägerin beantragte
hingegen die Zahlung von 7/12 der Erstattungsansprüche
für das Jahr 2006 und die Erteilung eines
Abrechnungsbescheids. Dies lehnte das FA mit Bescheid vom 15.1.2009
mit der Begründung ab, das Insolvenzgericht habe die
Nachtragsverteilung während der Dauer des Insolvenzverfahrens
begründeter Steuererstattungsansprüche nicht angeordnet
und die Klägerin sei nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens
nicht mehr am Steuerfestsetzungs- bzw. Steuererhebungsverfahren
beteiligt.
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Auf die hiergegen nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobene Klage änderte das Finanzgericht
(FG) den angefochtenen Bescheid dahin, dass ein Anspruch der
Klägerin auf anteilige Erstattung der Einkommensteuer 2006
festgestellt wurde. Das Urteil ist in EFG 2011, 1307 = SIS 11 14 45
veröffentlicht.
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Mit seiner Revision vertritt das FA
weiterhin die Auffassung, die Klägerin habe keinen Anspruch
aus dem Steuerschuldverhältnis und somit keinen Anspruch auf
Erteilung eines Abrechnungsbescheids. Sie habe mit der Aufhebung
des Insolvenzverfahrens ihre Rechtsstellung als Verwalterin der
Insolvenzmasse verloren. Von der mit der Aufhebung des
Insolvenzverfahrens auf den ehemaligen Insolvenzschuldner
übergegangenen Befugnis, sein Vermögen zu verwalten und
über es zu verfügen, seien nur solche
Vermögensgegenstände ausgenommen, für die das
Insolvenzgericht eine Nachtragsverteilung anordne. Eine die
Steuererstattungsansprüche 2006 des Schuldners betreffende
Nachtragsverteilung sei jedoch nicht angeordnet worden. Der in dem
Beschluss des Insolvenzgerichts vom 31.7.2006 nur vorbehaltenen
Nachtragsverteilung komme nicht die Wirkung ihrer Anordnung
zu.
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II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das angefochtene Urteil entspricht
Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
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1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf
Erteilung eines die Steuererstattungsansprüche 2006 des
Schuldners betreffenden Abrechnungsbescheids.
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Nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO)
wird über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, durch
Verwaltungsakt (sog. Abrechnungsbescheid) entschieden; dies gilt
auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch betrifft, der
nach § 37 Abs. 1 AO ebenfalls ein Anspruch aus dem
Steuerschuldverhältnis ist. Gegenstand des
Abrechnungsbescheids ist die Frage des Bestehens oder
Nichtbestehens reiner Zahlungsansprüche; er entscheidet,
inwieweit bestimmte Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis noch bestehen oder durch einen der in
§ 47 AO aufgeführten Erlöschenstatbestände ganz
oder teilweise erloschen sind (vgl. Klein/Rüsken, AO, 10.
Aufl., § 218 Rz 10a, 13, m.w.N.).
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Besteht Streit über die Verwirklichung
bestimmter Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis,
besteht auch ein Anspruch auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids,
den die zuständige Finanzbehörde von Amts wegen oder auf
Antrag desjenigen zu erlassen hat, der vom FA auf Zahlung in
Anspruch genommen wird oder vom FA eine Erstattung begehrt (Alber
in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 218 AO Rz 112 f.;
Klein/Rüsken, a.a.O., § 218 Rz 11). Im Streitfall handelt
es sich bei den Steuererstattungsansprüchen 2006 des
Schuldners um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis,
über deren Verwirklichung Uneinigkeit zwischen der
Klägerin und dem FA besteht. Da die Klägerin als
ehemalige Insolvenzverwalterin die Zugehörigkeit dieser
Ansprüche zur Insolvenzmasse im Wege der Nachtragsverteilung
und die Zahlung des entsprechenden Betrags an die Insolvenzmasse
beansprucht, weil sie - anders als das FA - die Ansprüche
nicht als im Wege der Aufrechnung erloschen ansieht, liegen die
Voraussetzungen für den Erlass eines diese Ansprüche
betreffenden Abrechnungsbescheids vor. Anders als das FA meint, ist
die Klägerin auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens
weiterhin am Steuererhebungsverfahren beteiligt, soweit die
Zugehörigkeit nachträglich entstandener Ansprüche
aus dem Steuerschuldverhältnis zur Insolvenzmasse im Streit
ist.
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2. Das FG hat auch zu Recht entschieden, dass
das Recht des Schuldners, über die
Steuererstattungsansprüche 2006 zu verfügen, nicht mit
der Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf diesen übergegangen
ist, sondern die Insolvenzbeschlagnahme insoweit fortbesteht.
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a) Zur Insolvenzmasse, über die der
Insolvenzschuldner gemäß § 80 der Insolvenzordnung
(InsO) kein Verwaltungs- und Verfügungsrecht hat, gehört
nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem
Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Dabei
kommt es nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats
sowie des Bundesgerichtshofs (BGH) hinsichtlich der
Zugehörigkeit von Ansprüchen zur Insolvenzmasse nicht auf
den Zeitpunkt der Vollrechtsentstehung an, sondern auf den
Zeitpunkt, in dem nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der
Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Ein Anspruch
auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen gehört daher zur
Insolvenzmasse, wenn der die Erstattungsforderung begründende
Sachverhalt vor oder während des Insolvenzverfahrens
verwirklicht worden ist (Senatsurteil vom 6.2.1996 VII R 116/94,
BFHE 179, 547, BStBl II 1996, 557 = SIS 96 10 28;
Senatsbeschlüsse vom 7.6.2006 VII B 329/05, BFHE 212, 436,
BStBl II 2006, 641 = SIS 06 31 54, und vom 4.9.2008 VII B 239/07,
BFH/NV 2009, 6 = SIS 08 43 52; BGH-Beschluss vom 12.1.2006 IX ZB
239/04, NJW 2006, 1127 = SIS 06 12 89). Der Rechtsgrund für
eine Erstattung von Einkommensteuer wird bereits mit der Leistung
der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt, denn bereits in diesem
Zeitpunkt erlangt der Steuerpflichtige einen Anspruch auf
Erstattung der Vorauszahlungen unter der aufschiebenden Bedingung,
dass am Jahresende die geschuldete Einkommensteuer geringer ist als
die Summe der Vorauszahlungen (Senatsurteil in BFHE 179, 547, BStBl
II 1996, 557 = SIS 96 10 28; Senatsbeschluss in BFHE 212, 436,
BStBl II 2006, 641 = SIS 06 31 54).
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Nach diesem insolvenzrechtlichen Grundsatz
wurde der Rechtsgrund für die Erstattungsansprüche 2006
des Schuldners bereits während des Insolvenzverfahrens gelegt,
soweit die Erstattungsansprüche auf vor Aufhebung des
Insolvenzverfahrens geleisteten Vorauszahlungen - hier im Wege des
Steuerabzugs vom Lohn - beruhen.
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b) Werden erst nach der Aufhebung des
Insolvenzverfahrens Ansprüche des Schuldners ermittelt, die
vor oder während des Insolvenzverfahrens in
insolvenzrechtlicher Hinsicht „begründet“
wurden und somit zur Insolvenzmasse gehörten, können sie
Gegenstand einer Nachtragsverteilung gemäß § 203
Abs. 1 Nr. 3 InsO sein. Wird die Nachtragsverteilung angeordnet, so
besteht die Insolvenzbeschlagnahme i.S. des § 80 Abs. 1 InsO
fort mit der Folge, dass insoweit die Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis weiterhin beim (früheren)
Insolvenzverwalter liegt.
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Dieselbe Rechtsfolge tritt ein, wenn im
Schlusstermin die Nachtragsverteilung bestimmter
Vermögensgegenstände vorbehalten wird. Nach allgemeiner
im insolvenzrechtlichen Schrifttum vertretener Auffassung kann das
Insolvenzgericht die Nachtragsverteilung bestimmter
Gegenstände schon im Schlusstermin vorbehalten. In diesem Fall
bedarf zwar die nachträgliche Verteilung dieser
Gegenstände noch einer weiteren Anordnung des
Insolvenzgerichts; gleichwohl besteht hinsichtlich dieser
Vermögensgegenstände bereits durch den Vorbehalt ihrer
Nachtragsverteilung der Insolvenzbeschlag unverändert fort
(MünchKommInsO/Hintzen, 2. Aufl., § 203 Rz 19, 20, 22,
23; Meller-Hannich in Jäger, Insolvenzordnung, § 203 Rz
10, 11; Kießner in Braun, Insolvenzordnung, 4. Aufl., §
203 Rz 9; FK-InsO/Kießner, 6. Aufl., § 203 Rz 4, 14;
Hess, Insolvenzrecht, Großkommentar, § 203 InsO Rz 26;
Westphal in Nerlich/ Römermann, Insolvenzordnung, § 203
Rz 12; ebenso: BGH-Beschluss vom 26.1.2012 IX ZB 111/10,
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis - ZIP -
2012, 437; sowie zur Konkursordnung: BGH-Urteil vom 22.2.1973 VI ZR
165/71, NJW 1973, 1198; zum Gesamtvollstreckungsverfahren:
BGH-Beschluss vom 17.2.2011, IX ZB 268/08, Zeitschrift für das
gesamte Insolvenzrecht 2011, 632, ZIP 2011, 625).
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Mit dem vom Insolvenzgericht im Zusammenhang
mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ausgesprochenen Vorbehalt
der Nachtragsverteilung bestimmter Vermögensgegenstände
der Insolvenzmasse, die zwar bereits bekannt sind, die aber noch
nicht verwertet werden können, wird erreicht, dass der
Insolvenzschuldner trotz der Verfahrensbeendigung die
Verfügungsbefugnis über diese Gegenstände nicht
wiedererlangt, wodurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger
aus diesen Vermögensgegenständen gesichert wird. Es
widerspräche diesem Sinn und Zweck einer vorbehaltenen
Nachtragsverteilung, wenn man - wie das FA meint - auch in diesem
Fall den Insolvenzbeschlag von der Anordnung der
Nachtragsverteilung durch das Insolvenzgericht abhängig machen
wollte. Soweit der erkennende Senat mit Beschluss in BFH/NV 2009, 6
= SIS 08 43 52, auf den das FA sich beruft, ausgeführt hat,
nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens trete die erneute
Insolvenzbeschlagnahme der Nachtragsverteilung unterliegender
Forderungen erst mit dem Beschluss über die Anordnung der
Nachtragsverteilung ein, lag diesem Beschluss ein Fall zugrunde, in
welchem die Nachtragsverteilung nicht vorbehalten war.
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3. Soweit danach die während der Dauer
des Insolvenzverfahrens begründeten
Steuererstattungsansprüche 2006 des Schuldners weiterhin dem
Insolvenzbeschlag unterliegen, gelten hinsichtlich der Frage, ob
das FA gegen diese Ansprüche mit Insolvenzforderungen
aufrechnen kann, die Aufrechnungsverbote des § 96 InsO. Die
vom FA erklärte Aufrechnung gegen die
Erstattungsansprüche 2006 ist daher gemäß § 96
Abs. 1 Nr. 1 InsO insoweit unzulässig, als diese
Ansprüche während der Dauer des Insolvenzverfahrens
begründet worden sind.
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Das FG ist bei seiner Entscheidung davon
ausgegangen, die Steuererstattungsansprüche 2006 des
Schuldners seien in Höhe von 7/12 durch Steuervorauszahlungen
während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründet
worden. An diese Feststellung ist der Senat gemäß §
118 Abs. 2 FGO gebunden, da zulässige und begründete
Revisionsgründe insoweit nicht vorgebracht sind. Somit ist -
wie das FG zu Recht entschieden hat - der Klägerin ein
Abrechnungsbescheid zu erteilen, der noch nicht getilgte
Steuererstattungsansprüche 2006 ausweist.
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